Cherson- The Day after: Waffenstillstand, Winterpause oder Generalmobilmachung zu neuen Offensiven?

Cherson- The Day after: Waffenstillstand, Winterpause oder Generalmobilmachung zu neuen Offensiven?

Der grenzgängeruische Boris Reitschuster schreibt über über den Fall von Cherson

„Moskaus Niederlage in Cherson – warum sie für Putin gefährlich ist Analyse und Einordnung

Es sind Szenen in der Stadt Cherson, die bewegen: Menschen, die vor Glück schreien und heulen, die versuchen, die ankommenden ukrainischen Soldaten zu umarmen und ihnen um den Hals zu fallen, oder ihnen wenigstens durchs Fenster ihrer Autos die Hände zu drücken. Lautstarker Jubel, Hupkonzerte, Kuchen, Küsse und Blumen für die Befreier. Es sind Bilder wie diese, die das Narrativ von Putins Propaganda in Ost wie West zerlegen: Ähnliche Szenen aufrichtiger, echter Freude waren aus Ortschaften, die von den russischen Truppen besetzt – und nach Moskauer Lesart „befreit“ wurden, nicht zu sehen. Im Gegenteil: Im gleichen Cherson etwa kam es nach der Besatzung anfangs noch zu Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch – die dann aber mit Gewalt und Warnschüssen aufgelöst wurden. Die Kreml-Propaganda versuchte zwar Bilder von angeblicher Freude über den russischen Einmarsch zu inszenieren, aber die wirkten absurd.

„Wir haben so auf Euch gewartet“, sagen hier heulende, gerührte Frauen in einem Vorort den ankommenden ukrainischen Soldaten: „Schütze Euch Gott!“(-…)

Die Szenen in der ukrainischen Großstadt sind die maximale Demütigung für Putin – dessen Sprecher noch vor wenigen Wochen bei der offiziellen Annexion von Cherson erklärt hatten, es sei eine ur-russische Stadt. In der kurzen Zeit der Besatzung hatte Moskau versucht, die Region zu russifizieren. Wer nicht mitmachte oder gar Widerstand leistete, riskierte sein Leben. Zahlreiche Männer wurden verhaftet und kamen in sogenannte „Filtrationslager“. Viele sind dort verschwunden.

Der erzwungene Rückzug aus Cherson ist für Putin und seine Generäle ein Desaster. Er zeigt erneut, wie desolat die Zustände in der russischen Armee sind. Auf dem Papier war und ist diese zwar stark – doch wegen der massiven Korruption existiert vieles nur auf dem Papier und große Teile der Rüstungs-Milliarden sind auf Konten im Ausland abgeflossen. Gleichzeitig fehlten etwa für viele der mobilisierten jungen Männer einfachste Ausrüstungsgegenstände und moderne Waffen. Die Berichte von Reservisten sind abenteuerlich. Warme Kleidung fehlt ebenso wie Munition und Verpflegung. Bisher gibt die Realität an der Front keinen Anlass, diesen Schilderungen keinen Glauben zu schenken.

Es wird immer deutlicher, dass Putins Truppe gemessen an den eigenen Ansprüchen ein Papiertiger ist – und Putin selbst der Potemkinschen Täuschung der eigenen Generäle erlegen ist und seine eigene Armee maßlos überschätzt hat.(…)

Besonders interessant ist das Schicksal der Antoniwkabrücke über den Dnjepr. Die Russen sprengten die bereits durch Beschuss der Ukrainer schwer beschädigte Brücke nach Abzug selbst. Das zeigt, dass sie offenbar nicht planen, in absehbarer Zeit Cherson erneut zu attackieren. Denn zu einer groß angelegten Flussüberquerung ohne Brücken sind sie logistisch kaum in der Lage. Insgesamt soll Moskau bis zu 40.000 Soldaten aus Cherson abgezogen haben.

Die Aufgabe Chersons räumt auch mit zwei Legenden auf: Zum einen der, dass die Ukraine militärisch keine Chance habe gegen Russland, wie sie etwa der Ex-Merkel-Berater und Ex-General Erich Vad vertritt. Die Anhänger dieser These unterschätzen, dass die ukrainische Armee im Gegensatz zur russischen höchst motiviert ist und die Moral in der Truppe gut – was bei Armeen, die ihre Heimat verteidigen, regelmäßig der Fall ist. Zum anderen verfügt die ukrainische Armee über moderne westliche Waffen und westliche Aufklärung.

Die zweite Legende, die Chersons Aufgabe widerlegt, ist die, dass Russland kurz vor dem Einsatz nuklearer Waffen gestanden habe. Wäre der wirklich beabsichtigt und nicht nur eine Drohkulisse, wäre es wahrscheinlich, dass Cherson ein Anlass dafür gewesen wäre. Denn die Aufgabe der Stadt ist aus Sicht des Kremls ein „GAU“, also ein „Größter anzunehmender Unfall“. Die stets so vollmundigen Kreml-Propagandisten stehen jetzt ziemlich kleinlaut da. Sie hatten noch wenige Tage vor dem kampflosen Abzug erklärt, Moskau werde um jeden Zentimeter Boden kämpfen. Und auch die ohnehin miserable Moral in der Truppe ist noch weiter gefallen.

Die Schmach von Cherson dürfte die ohnehin heftigen Machtkämpfe im Kreml noch einmal verschärfen. Die Hardliner werfen der Armee um Verteidigungsminister Sergej Schojgu und Generalstabschef Gerassimow seit langem vor, nicht hart genug zu sein und zu rücksichtsvoll. Die Generäle wiederum klagen hinter vorgehaltener Hand, Putins Einmischung in den Kriegsverlauf wirke sich sehr negativ aus. Im Gegensatz zu Wolodymyr Selenski, der seinen Generälen freie Hand lässt, erteilt Putin seiner Militärführung immer wieder Anweisungen und setzt sich über deren Anweisungen und Warnungen hinweg.

Der Kreml-Chef ist längst eine Geisel des Krieges geworden. In der „Vertikale der Macht“, die er geschaffen hat, zählen Gesetze und Verfassung nichts. Wie in einem Wolfsrudel ist ein inoffizielles, auf Dominanz gebautes Machtsystem entstanden. Der „Leitwolf“ darf darin nie Schwäche zeigen – aber genau die zeigt Putin nun zunehmend mit den militärischen Niederlagen. Seit er, falsch informiert von den willfährigen eigenen Geheimdiensten, im Glauben an einen leichten, schnellen Sieg den Einmarschbefehl in die Ukraine gab, hat er sein eigenes Schicksal mit dem Schicksal des Krieges verbunden. Alexander Dugin, der lange als Putins Lautsprecher agierte und von manchen auch „Putins Hirn“ genannt wird, machte Aussagen, die viele als Aufruf zum Sturz seines früheren Idols interpretierten. Er kritisierte die Misserfolge in der Ukraine scharf. Später zog er allerdings insofern zurück, dass er sagte, er habe nicht zum Sturz Putins aufgerufen, und es gebe kein Zerwürfnis.

In jedem Fall besteht die große Gefahr, dass der Kreml-Chef mit weiteren Niederlagen, mit dem Rücken zur Wand, noch unberechenbarer werden könnte – im schlimmsten Fall nach dem Motto: Und nach mir die Sinnflut. Leider gibt es diverse Warnsignale in diese Richtung. Aber auch das gegenteilige Szenario ist wenig rosig: Sollte sich das Kriegsgeschick wenden und Putin erfolgreich sein, so zwingt seine gesamte politische Laufbahn ebenso wie eine Analyse des Systems Putin den Schluss geradezu auf, dass er dann in naher Zukunft den nächsten Krieg vom Zaun bricht.

Einziges positives Szenario wäre ein „Deus ex machina“ – in Form eines Machtwechsels oder einer Palastrevolte in Moskau. Das ist zwar nicht auszuschließen – aber alles andere als wahrscheinlich. Und selbst wenn es dazu kommt, kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Denn es ist alles andere als ausgemacht, dass dabei die moderaten Kräfte an den Steuerknüppel kommen. Sollten künftig Männer wie Tschetschenen-Oberhaupt Rasan Kadyrow oder der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, an die Macht kommen, könnte es sein, dass wir uns noch nach Putin zurücksehnen.“

https://reitschuster.de/post/moskaus-niederlage-in-cherson-warum-sie-fuer-putin-gefaehrlich-ist/

Ein Detail bleibt etwas widersprüchlich: Zuerst schreibt er, dass General Vad mit der Einschätzung der Atomwaffengefahr falsch liege .Weiter später schreibt er dann ,die russische Elite und Putin könnten in eine Lage kommen ,dass sie denken:“Nach mir die Sintflut. „ Undwas soll das konkret bedeuten? Unabhängig davon, schätzt wieder der ehemalige Militärberater Merkels, General Vas den R Truppenrückzug Putins aus Cherson derfolgt ein:

„Die Aufgabe von Cherson ist ein Akt militär-politischer Klugheit. Sie ist für beide Seiten eine Win-Win-Situation, vermeidet viel unsinniges Blutvergiessen in einem wochenlangen Straßen und Häuserkampf, vermeidet das Fluten des flussaufwärts gelegenen Staudamms, schafft eine nachhaltige Demarkationslinie zwischen den Kriegsparteien, zeigt, dass die Russen nicht weiter in Richtung Odessa marschieren wollen…etc. und statt jetzt wieder die Siegesschlalmeien ertönen zu lassen – wie schon bei den angeblich kriegsentscheidenden ukrainischen „ Grossoffensiven“ im Sommer, sollte man lieber schauen, wie man den russischen Abzug nutzt für politische Verhandlungen ……..Aber solche Überlegungen gibt es derzeit nur in D.C. und dort nur im Pentagon…., vielleicht auch im Kreml…“

Mal gespannt, ob sich das als Demarkationslinie durchsetzt .Zumal der Djnepro auch als geographische Hürde, nachdem etliche Brücken gesprengt wurden. Ob es im Winter vielleicht doch zu einer Gefechtspause kommt? General Vad meinte dazu:

„Ja. Denke schon. Die Russen denken daran – wie ich höre und die Leute um Mark Milley auch…..wenn nur die vielen militanten Zivilisten nicht wären…:))“

Die Frage ist, ob die Ukrainer nun nicht erst recht eine Offensive starten. Aber: Haben die Ukrainer eigentlich genug, Boote ,Amphibienfahrzeuge, Brückenlegepanzer und Pontonbrucken, um den Fluss für den Fall einer weiteren Offensive zu überqueren? Oder müssten die erst geliefert werden. Vielleicht auch ein Indikator dann der westlichen Kriegsziele. General Vad meinte dazu:

„Ja, wenn es westlicher, politischer Konsens ist, den Donbass zurück zu erobern, dann ginge das in der ersten Phase nur mit einer großen, amphibischen Operation über den Dniepr. Voraussetzung wäre sicherlich zumindest eine zeitlich begrenzte, regionale Luftüberlegenheit der Ukrainer und die müssten ein paar Tage lang durch Artillerie sowie Luftwaffen bzw. Raketenangriffe die Russen so niederhalten wie die Alliierten die Deutschen 1944 in der Normandie…..Unter diesem Schutzschirm müssten die Ukrainer mit Sturmbooten übersetzen, einen Brückenkopf bilden und dann über Pontonbrücken Nachschub an Personal, Material, Großgerät etc. nachführen. 

Das wäre eine hochkomplexe militärische Operation, die ich den Ukrainern allein und ohne Kriegseintritt und Beteiligung der NATO so nicht zutraue …….Allerdings : militärisch sinnvoller und leichter wäre es, von Norden her anzugreifen und sich die hochkomplexe Dniepr Überquerung zu ersparen…..“

Umgekehrt kann ich mir nicht vorstellen,dass die NATO eingreift,was umgekehrt bedeuten könnte,dass man sich mit der Demarkationslinie abfindet und dann vielleicht doch zu Verhandlungen übergeht.Es sei denn die Nordoperation wäre ohne größere Logistik und ohne NATO zu schaffen.

Die Frage ist aber,ob Putin eine eventuelle Winterpause nutzt, um seine Streitmacht zu  stärken und dann Richtung Süden Richtung Odessa vorzustoßen. Dr. Rahr meinte, dass er das vorhat. Konnte aber dann das nächste Fiasko werden und ist auch die Frage ,ob sich die russische Armee so schnell wieder. aus ihrem jetzigen Zustand erholen kann. Vielleicht überlegt sich Putin doch, sich vorerst mit den noch zu haltenden Gebieten zufrieden zu geben und das dann als Sieg zu verkaufen.General Vad meinte darauf;

„Habe eigentlich immer damit gerechnet, dass Putin bis Odessa vorstößt. Dann wäre die Ukraine als Rumpfstaat kaum lebensfähig und auch vom internationalen Handel stark angeschnitten. Zur Einnahme von Odessa bräuchte Putin aber zwingend den Brückenkopf um Cherson, den er gerade aufgibt. Das kann ein politisches Signal sein, dass er sich mit dem Donbass und der für ihn sicher nicht verhandelbaren Krim zufrieden gibt. Das wäre auch eine gute Basis für Waffenstillstandsverhandlungen….“

Wichtiges Detail ,dass der aufgegebene Brückenkopf um Cherson Vorraussetzung für eine Odessa offensive sein soll .Andere Optionen gibt es nicht? Oder will er diesen dann nach dem Winter wieder zurückerobern? General Vad meinte dazu:

„Zurückerobern über den Dniepr würde sehr aufwendig und verlustreich aus den u.a. Gründen..“

 Ist eigentlich eine neue Offensive über Belarus denkbar? General Vad meinte dazu:

„Ja. Im Prinzip schon. Könnte die Ukraine so auch von den westlichen Waffenlieferungen abschneiden. Das liefe unter dem Strich aber auf Besetzung der gesamten Ukraine hinaus. Aber dazu braucht er zig mal mehr Personal und das ginge nicht ohne Generalmobilmachung…… „

Die Frage ist, ob Putin bei Friedensverhandlungen saturiert wäre oder sich dann nicht mittels einer Generalmobilmachung dich noch die ganze Ukraine mittels Belarusnordfeldzug einverleiben will. Die Wiedereinführung des Militarunterrichts an Russlands Schulen könnte ja die Vorbereitung einer solchen Generalmobilmachung sein. Daher haben die Stimnen ,die gegen Verhandlungen sind ,ihn weiter beschäftigt halten wollen, durchaus auch ihre logische Berechtigung und ein starkes Argument auf ihrer Seite 

„Ideologie des Patriotismus“ London: Russische Schüler sollen militärisch geschult werden

13.11.2022, 11:38 Uhr

Militärunterricht an Schulen hatte Russland 1993 abgeschafft. Nun soll das Fach wieder eingeführt werden. Wie das britische Verteidigungsministerium berichtet, sei die Initiative „Teil eines umfassenderen Projekts“.

Moskau plant laut britischen Geheimdiensten die Einführung eines verpflichtenden Militärunterrichts an russischen Schulen. Dieser soll nach britischer Einschätzung die Bereitschaft zu Mobilisierung und Wehrdienst bei jungen Menschen erhöhen. Das Training ziele darauf ab, Schüler, die sich dem Wehrpflichtalter nähern, mit militärischen Fähigkeiten auszustatten, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf die Geheimdiensterkenntnisse mit. „Diese Initiative ist wahrscheinlich auch Teil eines umfassenderen Projekts, um der russischen Bevölkerung eine Ideologie des Patriotismus und des Vertrauens in öffentliche Institutionen einzuflößen“, hieß es weiter.

Das russische Verteidigungsministerium unterstütze das Programm und habe festgelegt, dass mindestens 140 Stunden im akademischen Jahr für den sogenannten Militärvorbereitungskurs vorgesehen sind, so die britische Behörde weiter. Das Training solle im September 2023 beginnen. Ähnliche Programme mit Vorbereitungen für einen chemischen oder nuklearen Angriff, Erster Hilfe und Schießtraining hatte es auch in der Sowjetunion gegeben, sie waren 1993 eingestellt worden.

Die russischen Behörden hätten das Training bereits nach der Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim wieder auflegen wollen, hieß es in London weiter. „Es bestand die Hoffnung, dass diese Initiative die Qualität der Wehrpflichtigen erhöhen würde.“ Doch das sei nicht eingetreten, vielmehr sei die Moral niedrig und die Ausbildung begrenzt. Derzeit werde ein neues Ausbildungsprogramm zusammengestellt, es solle bis Jahresende feststehen (…)

https://www.n-tv.de/politik/London-Russische-Schueler-sollen-militaerisch-geschult-werden-article23714768.html

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