Ukrainekrieg: Krim 2023 ukrainisch oder Waffenstillstand wegen Ermattung?

Ukrainekrieg: Krim 2023 ukrainisch oder Waffenstillstand wegen Ermattung?

Es gibt auch andere Stimmen als US- General a. D. Ben Hodges zum Ukrainekrieg, die nicht eine Rückeroberung der Krim im August 2023 sehen, sondern die Situation, dass sich nach erneuten Offensiven beide Seiten so ermattet haben, dass sie einen Waffenstillstand beschliessen werden, der aber freilich noch weit entfernt von einem Friedensvertrag ist. Endet der Ukraine-Krieg im Frühsommer 2023? Im Interview mit der Ostthürigschen Zeitung zeichnet Ex-Nato-General Domröse den Weg von neuen Offensiven bis zur Verhandlungslösung..

Er ist einer der gefragtesten Militärexperten in Deutschland, er beobachtet den Ukraine-Krieg seit Beginn mit den Augen eines erfahrenen Befehlshabers: Der frühere Bundeswehr– und Nato-General Hans-Lothar Domröse. Er war Stabschef der Nato-Missionen im Kosovo und Afghanistan und Oberbefehlshaber des NATO Allied Joint Force Command Brunssum/Niederlande. Im Interview skizziert Domröse die wahrscheinliche Entwicklung im Ukraine-Krieg und sagt, warum es Hoffnung auf eine Waffenruhe und eine Verhandlungslösung gibt – aber nicht sofort.

Herr Domröse, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht bald ins zweite Jahr. Was erwarten Sie für 2023? Wie geht der Krieg weiter, kommt ein Ende der Sicht?

Hans-Lothar Domröse: Beide Seiten haben ihr militärisches Ziel noch nicht erreicht. Jeder wird es noch einmal versuchen. Ich rechne im Frühsommer mit einem Stillstand, an dem beide Seiten sagen: Jetzt bringt es nichts mehr.

Wird Russland noch einmal eine große Offensive starten?

Domröse: Das russische Minimalziel wären ja die vier Provinzen Cherson und Saporischschja im Süden, Donezk und Luhansk im Osten. Die hat Russland noch nicht komplett unter Kontrolle, obwohl es sie bereits annektiert hat. Die Frage ist, ob Wladimir Putin noch einmal versucht, Kiew zu erobern. Für einen erneuten Einmarsch bräuchte er große Truppen, ich halte das für unwahrscheinlich. Ich rechne eher mit strategischer Defensive: Wahrscheinlich ist ein fortgesetzter, massiver Raketenangriff, um die Ukraine unter Druck zu setzen.

Putin wird versuchen, die Energieversorgung der Ukraine zu zerstören. Die Raketenangriffe kann er lange durchhalten und damit Terror verbreiten. Und dann könnte er im Süden der Ukraine angreifen, um die vier Provinzen und den Landstreifen zur Krim abzusichern. Die Städte Cherson und Bachmut, im Norden Charkiv – da sind aus russischer Sicht weitere Kämpfe zu erwarten. Störfeuer von hinten, vorn Raumgewinn: So könnte Russland versuchen, einen ukrainischen Gegenangriff zu vereiteln. Lesen Sie auch: Winter ohne Strom? Versorgung in Odessa fällt für Wochen aus

Welche militärischen Optionen hat die Ukraine ?

Domröse: Auch die Ukraine mit ihrem enormen Widerstandswillen hat ihr Ziel noch nicht erreicht. Es gibt zu ihrem Ziel allerdings zwei unterschiedliche Verlautbarungen: Präsident Selensykyj wollte anfangs die Russen zurückdrängen auf die Linie vom 23. Februar, also vor dem russischen Angriffskrieg. Aber seit April/Mai fordert er auch frühere russische Besetzungen zurück, einschließlich der Krim.

Der ukrainische Generalstabschef dagegen fordert jetzt 5000 schwere Waffen vom Westen, um die Grenzen vom 23. Februar wiederherzustellen – er teilt also das große Ziel nicht, die Krim zurückzuholen. Die Ukraine muss, wenn sie selbst angreift, versuchen, tief in die russischen Eroberungen einzubrechen – ideal würde sie bei Melitopol oder Mariupol das besetzte Gebiet durchschneiden, eine hundert Kilometer lange Front bis zum Schwarzen Meer fräsen und zu beiden Seiten absichern, um so die russischen Linien zu durchbrechen. Auch interessant: Ukraine-Krieg: Darum könnte Wladimir Putin 2023 einlenken

Wenn das die Ziele sind, wie stehen die Chancen für die Ukraine und die russischen Angreifer?

Domröse: Beide brauchen etwas Regeneration. Es gibt Hinweise auf eine zweite Teilmobilmachung in Russland, um frische Kräfte heranzuführen. Bis zum 24. Februar, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, werden sich beide Seiten sehr gespannt beobachten. Die gesamte Front ist rund 1200 Kilometer lang – für diese Riesenstrecke braucht man vor allem gute Aufklärung, damit man die Kräfte richtig konzentriert. Russland hat den Vorteil, dass es mehr Panzer hat und mehr Raketen einschließlich iranischer Drohnen. Sein eigenes Territorium ist geschützt. Und Putin kann nachlegen.

Für die Ukraine ist es schwieriger: Die Ukraine liegt in militärischer Ausbildung und Kreativität nach Punkten vor den Russen, ihr tapferer Kampf verdient unseren großen Respekt – aber sie können nicht ohne Panzerartillerie und Schützenpanzer angreifen oder beweglich verteidigen. Sie brauchen dafür weitere westliche Waffenhilfe.

Im Süden müsste die Ukraine etwa 60 Kilometer in russisch besetztes Gebiet eindringen, um von dort mit ihrer Artillerie bis ans Schwarze Meer zu schießen und so die russischen Linien zu durchbrechen. Gelingt es der Ukraine nicht, tiefer in die russisch besetzten Gebiet einzudringen, hätte Russland seine Eroberungen stabilisiert. Dass die Ukraine dieses Gebiet komplett zurückgewinnt, kann ich mir schwer vorstellen – selbst wenn der Westen die verlangten schweren Waffen, vor allem Panzer und Artillerie, liefert.

Aber an weiteren Waffenlieferungen führt für den Westen kein Weg vorbei?

Domröse: Die Ukraine ist absolut abhängig von westlichen Waffenlieferungen. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, müssen wir ihnen die schweren Waffen zur Verfügung stellen. Würden Deutschland und der Westen jetzt den Entschluss fassen, Leopard-Panzer zu liefern, würde es von der Entscheidung der Regierung bis zur Auslieferung vor Ort 40 Tage dauern. Dann ist es also Anfang oder Mitte Februar. Es ist höchste Zeit, dass die europäischen Länder, die über Leopard-Panzer verfügen, jetzt eine Koalition der Willigen bilden und gemeinsam, koordiniert liefern.

Spätestens am 24. Februar wird wieder geschossen, denn beide Seiten wollen raus aus der Sackgasse. Es ist weitsichtiger jetzt zu liefern, wenn doch klar ist, dass früher oder später mit Verzögerung sowieso geliefert wird. Irgendwann hat die Ukraine ihren letzten Panzer verloren, dann braucht sie Nachschub. Und irgendwann gibt es einen Waffenstillstand, dann braucht die Ukraine ebenfalls weitere Unterstützung und Waffen.

Sie rechnen also tatsächlich mit einem Waffenstillstand?

Domröse: Ja. Wir werden im Verlauf des Jahres 2023 einen Waffenstillstand haben. Es macht keinen Sinn, weiter zu kämpfen, wenn man gar keinen Raum mehr gewinnt. Am wahrscheinlichsten tritt zwischen Februar und Mai eine Situation ein, in der beide Seiten erkennen, dass sie nicht weiterkommen. Russland könnte sagen „wir müssen nicht weiter“, die Ukraine müsste sagen „wir schaffen es nicht weiter“. Das wäre der Moment für Waffenstillstandsverhandlungen.

Aber das bedeutet noch lange nicht Frieden. Waffenstillstand heißt: Wir beenden das Schießen. Die Verhandlungen dürften lange dauern, man benötigt einen Vermittler: Vielleicht UN-Generalsekretär Guterres, den oder den indischen Präsidenten Modi – wobei sich niemand wirklich aufdrängt.

Was müsste der Vermittler erreichen?

Domröse: Es bleibt nur eine Verhandlungslösung, die für beide Seiten akzeptabel ist – auch wenn Putin eigentlich gern die gesamte Ukraine hätte und Selenskyj die gesamte Ukraine wieder befreien möchte. Beides wird nicht gelingen. Und Russland als Aggressor lässt sich sicher auch nicht zur Kapitulation zwingen. Es wird den 1200 Kilometer langen Streifen seiner Eroberungen nicht einfach aufgeben.

Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, dass Selenskyj auf die Forderung verzichtet, Gebiete wie die Krim sofort wieder in die Ukraine einzugliedern – man könnte einen Übergang vereinbaren, so wie es bei der Übergabe Hongkongs an China eines Übergangsfrist von 50 Jahren gibt. Die Bundesrepublik hat auch nie auf die deutsche Einheit verzichtet, und erst als wir sie bekamen, haben wir die Oder-Neiße-Grenze als endgültig anerkannt.

Aber wie sicher wäre eine solche Lösung?

Domröse: Die Schutzgarantie für die Ukraine müssen dann die Europäer mit den Amerikanern übernehmen – ähnlich der Schutzgarantie der USA für Israel. Der Westen müsste zwar keine Truppen stationieren, aber ab und zu Manöver abhalten und signalisieren: Wir sind da. Diese Garantie muss gegeben werden. Sonst würde Putin mit frischen Kräften bald wieder in die Ukraine einmarschieren.

https://www.otz.de/politik/ukraine-krieg-ende-2023-nato-general-domroese-interview-id237267689.html

Während General a. D Hodges anfangs richtig in der Kampfkraft der ukrainischen Armee lag, so könnte seine Prognose einer Rückeroberung der Krim 2023, die er als kriegs- und nachkriegsentscheidend sieht, eher wiederum umgekehrt eine Überschätzung der ukrainischen Kräfte sein. Denn es sind nicht nur viele russische, sondern auch viele ukrainische Soldaten gefallen und die Frage ist, ob die Ukrainer wirklich jene Übermenschen und Heroen und Opferwilligen sind, wenn Russland nun die gesamte Infrastruktur niedermacht, ganze Städte in Schutt und Asche bombt. Supermann Selensky erzählt auch nur immer, wieviele Raketen und Drohnen seitens der Ukraine abgeschossen wurden, aber weniger, wieviele getroffen haben und dass ganze Infrastrukturen damit vernichtet wurden samt Stromausfall und verbundenen Folgen. Die Luftabwehr bleibt bis auf weitere Zeit die Archillesferse der Ukraine und folgender Bericht stimmt da auch nicht unbedingt optimistischer, da ein US- Kongressreport vor der Lieferung von Patriotsystemen warnt und diese auch erst 2024, selbst unter Zuhilfennahme nichtmilitärischen ausländischen Schulungspersonals einsatzbereit seiht:

“Ukraine Won’t Be Ready for Patriot Missiles Until 2024: Advisory Body Warns U.S. Congress of High Risks From Deliveries

January-2nd-2023

The U.S. Congressional Research Service (CRS) advisory body has warned that Congress is facing issues “in both its legislative and oversight roles” over the deliver of Patriot surface to air missile systems to Ukraine, after the intention to send these systems as part of a $1.85 billion aid package was announced in December. It highlighted that although Patriot systems had been widely speculated to begin deliveries in the first half of 2023, training local repair crews alone would take approximately 53 weeks. “There is a lot of learning to do before Ukraine will have a functioning Patriot system on the ground,” it emphasised. It was previously speculated that U.S. or other NATO service members could man the Patriots after their delivery, as Western personnel have played a very large and growing role in the war effort on the ground, although the Russian Foreign Ministry claimed that it had been assured that the U.S. Military would not have a presence at Patriot sites. The possibility of American military contractors being deployed to man the systems, however, remains significant, although Russia is expected to have far less qualms about targeting sites should foreign personnel present not be serving members in the U.S. Military. 

Missile Battery From Patriot System

It is expected that only a single Patriot unit will be delivered to Ukraine, raising serious questions regarding how effective it could be in blunting Russian air and missile attacks particularly when considering the system’s questionable combat record in other theatres. CRS stressed that it was still unclear where the Patriot battery would come from, urging lawmakers to examine this issue and warning that the “battery and associated interceptors being sent to Ukraine could be taken from existing army units and stockpiles” in the U.S. Military. “If it is withdrawn from other operational forces, such as U.S. Central Command or U.S. Indo-Pacific Command, transferring the system to Ukraine may create opportunity costs and potential risks in those theatres,” it stated, while supplying a battery from the American mainland “could impede training or modernisation cycles.” The Patriot’s “massive price tag” of were also highlighted in the report, which elaborated that “a newly produced Patriot battery costs about $1.1 billion, including about $400 million for the system and about $690 million for the missiles” with an “estimated to cost about $4 million per missile.” The result of these costs was that certain “restrictions [would] be imposed on what types of hostile systems can be engaged by” Ukrainian-operated Patriots. 

Lower end Russian strike drones playing key roles in its strikes on Ukrainian infrastructure and personnel have been fielded with price tags of just a few thousand dollars, while many of its cruise missiles are estimated to cost only around $1 million each. A further issue widely raised regarding Patriot deliveries, although not noted in the CRS report, is that the rapid destruction of a Patriot battery in Ukraine, which Russian President Vladimir Putin personally referred to as an “absolute certainty,” could have serious impacts both on Ukrainian morale and on allies’ confidence in the missile system which is very widely relied on by the U.S. and its allies. The rapid depletion of Ukraine’s air defence network and the very small quantities of Patriots to be delivered means that the system will likely have only limited layers of protection from other air defence systems, which combined with its relatively limited mobility could leave it highly vulnerable. Bolstering Ukraine’s air defences has nevertheless come to be seen as critical as its formerly massive arsenals of Soviet built S-300 and BuK missiles have now grown scarce, with Russian strikes on key infrastructure in particular raising the prospects that Ukraine may need to abandon many of its key cities entirely. This possibility was widely warned of near the end of 2022 in a growing number of Western assessments. Major attacks on infrastructure which began in October are increasingly seen to provide Russia with a quicker means of placing pressure on Kiev and its allies, and thus achieving its objectives more quickly in spite of the significant setbacks it has faced on the battlefield. 

https://militarywatchmagazine.com/article/ukraine-patriot-2024-congress-risks

Der ehemalige NATO-General Ben Hodges kommentierte:

„Ich habe die Kommentare von  General a.D. gesetrn gelesen … Ich habe großen Respekt vor meinem Freund H-L, stimme ihm aber in diesem Punkt nicht zu. Die Ukraine weiß, dass sie niemals sicher sein wird und niemals in der Lage sein wird, ihre Wirtschaft wieder aufzubauen, solange Russland die Krim kontrolliert, und sie wird sich damit auch nicht zufrieden geben … das sollten sie auch nicht. Die Ukrainer riechen auch, dass sie gewinnen, dass sie eine unumkehrbare Dynamik erreicht haben, und so werden sie weitermachen. Wir, der Westen, sollten aufhören, über Verhandlungen zu reden … Realität ist, dass die Russland jetzt verliert und besiegt werden wird.“

 Global Review fragte dann:

„Warum ist die Krim so wichtig für die Ukraine oder für den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft? Wir haben nur gehört, dass Russland in Sewastopol einen Marinestützpunkt für seine Schwarzmeerflotte hat und dass die Krim ein Touristenort für reiche Russen, aber wirtschaftlich nicht wichtig ist. Oder denken Sie an die geopolitische Lage, aber was bedeutet das? Ist Odessa nicht viel wichtiger oder der Donbass mit seinen Kraftwerken, der Stahl-, Maschinenbau- und Rohstoffindustrie? Brauchen die Russen Sewastopol oder können sie es nicht durch einen Militärhafen in Abchasien oder neben Georgien ersetzen? Oder ist die Krim eher ein nationales Symbol? Und denken Sie, dass Sicherheitsgarantien eher dem israelischen oder japanischen Modell (permanente US-Militärbasis und Aufhebung der NATO-Russland-Grundakte) oder der Mitgliedschaft in der NATO (die lange dauern kann) entsprechen sollten?“

Ben Hodges antwortete:

 „Sehen Sie sich die Karte an … wer auch immer die Krim kontrolliert, kontrolliert den Zugang zum Asowschen Meer, wo die Krim ihre Häfen Nr. 2 und Nr. 3 hatte, Mariupol und Berdjanks. Als Russland die illegale Kertsch-Brücke baute, störte es die Schifffahrt von und zu diesen ukrainischen Häfen erheblich. Jetzt kontrolliert Russland das gesamte Asowsche Meer, ein Verstoß gegen sein Vorkriegsabkommen mit der Ukraine. Von der Krim aus kann Russland auch jegliche Schifffahrt nach/aus Odessa, dem Hafen Nr. 1 für die Ukraine, unterbrechen. Und Russland beansprucht jetzt eine erweiterte AWZ wegen seiner illegalen Annexion der Krim, die die Gasexploration in diesem Teil des Schwarzen Meeres beeinträchtigt.“

Vielleicht hat US-General a.D. Hodges recht, dass all das Gerede über Verhandlungen die Kampffähigkeit, den Kampfgeist und den „unumkehrbaren Schwung/Dynamik/Moment“ der Ukrainer untergräbt. Aber  Domroese jr. wies darauf hin, dass die Krim-Frage auch eine Quelle unterschiedlicher Meinungen zwischen Selensky und dem Generalstab des ukrainischen Militärs ist. Der Vergleich Domroese jr. s zwischen der Krim und Hongkong könnten jedoch ziemlich fehlerhaft sein.

Domröses Einschätzung hatte jedoch der frühere Militärberater Merkels, General Erich Vad schon früher gehabt, wenngleich er von allen Mainstreammedien ignoriert wurde. General a. D. Vad schrieb noch:

Lieber Herr Ostner,

Stimme Domröse zu – bis auf die angesichts der Kräfteverhältnisse unmögliche Idee der „Fräse“. Wenn die Ukrainer das versuchen, ergeht es Ihnen wahrscheinlich wie den Deutschen in der Schlacht von Kursk im Sommer 1943…..

Aber: die militärische Pattsituation und die daraus folgende Notwendigkeit von Verhandlungen hat der heftig kritisierte Vad schon im Herbst 22 erkannt, mehrfach öffentlich festgestellt – u.a. in dem kaum beachteten Buch „ Perspektiven nach dem Ukrainekrieg“ und der US-Generalstabschef Mark Milley hatte auch diese Position bereits am 9.11.22 in einem CNN-Interview, das Kornelius in der SZ erst zu Weihnachten thematisierte. Alles reichlich spät und stattdessen nur die tagtägliche Forderung weiterer Waffen in deutschen Medien. Und warum stellt man den Russen z.B. nicht einfach ein Ultimatum: entweder Waffenstillstand oder Leopards für die Ukraine ? Dann käme endlich wieder Politik ins Spiel statt dieser – besonders in Deutschland- eindimensionalen und fantasielosen Fokussierung auf immer mehr Waffen, die auch keine Wende im Krieg bringen werden…..

Ich konnte das, was Domröse heute richtig erkennt, bereits im letzten November nur in einer Schweizer Wochenzeitung veröffentlichen :

„Putin kann nicht verlieren, Selenskyj nicht gewinnen – der Krieg ist festgefahren. Warum? Und was nun?

Erich Vad

Die Medien bejubeln Putins Schwäche und Selenskyjs Offensive. Zu Recht?

Ich sehe es anders. Wir erleben eine militärische Patt-Situation. Ein länger dauernder Abnutzungskrieg zeichnet sich ab, auf einer fast 1000 Kilometer langen Frontlinie. Die Ukrainer können punktuelle Gewinne erzielen, weil sie die Aufklärungs- und Zieldaten von den westlichen Ländern zur Verfügung haben. Aber eben nur punktuell, nicht nachhaltig.

Meine Lagebeurteilung teilt General Mark Milley, der US-Generalstabschef. Auch er befindet, dass dieser Krieg militärisch nicht entschieden werden kann. Deshalb müssen wir sehen, wie wir anderweitig rauskommen. Mit Verhandlungen.

Beide Seiten sind abgenutzt. Beide haben grosse Verluste erlitten. Gemäss nachrichtendienstlichen Informationen gehe ich von rund 100.000 Gefallenen aus. 12 bis 15 Millionen Menschen sind geflüchtet. US-General Milley nennt zudem mindestens 40.000 tote Zivilisten, das halte ich für realistisch. Was zwar nach viel klingt, aber im Vergleich zu früheren Kampfhandlungen westlicher Staaten – etwa in Afghanistan, Libyen, Syrien, vor allem im Irak – relativ gering ist.

Die Waffenlieferungen konnten die tapferen Ukrainer sicherlich stabilisieren. Aber: Man muss daran erinnern, dass Russland eine der stärksten Militärmächte der Welt ist. Die stärkste Nuklearmacht überhaupt. Und eine Weltmacht mit strategischen Interessen in der umkämpften Region – gleich wie China im südchinesischen Meer oder die USA in der Karibik. Das Kräfte-Ungleichgewicht im Ukraine-Krieg ist offenkundig. Für mich erhärtet sich hier die Tatsache, dass man gegen eine Atommacht militärisch nicht durchkommt, wenn es um vitale strategische Interessen geht.

Hinzu kommt, dass die USA sich weigern, der Ukraine «Gray Drones» zu liefern. Diese Top-Drohnen will Selenskyj seit Monaten, aber das Pentagon hat dem nicht stattgegeben. Ein Zeichen des Umschwungs? Ziemlich sicher. Denn Amerika will auch keine modernen Kampfpanzer liefern. Ein richtiger Entscheid. Es gibt keine Waffen, die wie «Wunderwaffen» für die Ukraine derzeit einen entscheidenden militärischen Umschwung bewirken würden.

Jetzt, wo der Kampf überwiegend in einen Stellungskrieg übergeht, müssen andere Wege evaluiert werden. Die Chance für eine politisch-diplomatische Lösung wäre da, falls sich die Russen tatsächlich aus Cherson zurückziehen, was sich abzuzeichnen scheint. Sollte die russische Rückzugsentscheidung umgesetzt werden, sparte man viel Blutvergiessen und einen wochenlangen Strassen- und Häuserkampf. Es wäre eine kluge militärpolitische Entscheidung und eine Win-win-Situation für Russen und Ukrainer. Die Ukraine könnte das als Sieg verkaufen. Es wäre Selenskyjs Möglichkeit, gesichtswahrend in Verhandlungen überzugehen.

Problematisch ist, dass Russland kaum weitere territoriale Zugeständnisse machen kann. Die Provinzen sind, aus Moskauer Sicht, russisches Territorium, das Putin unmöglich – schon mit Blick auf den Duma-Entscheid – hergeben kann. Das wäre zudem Russlands Ende als Weltmacht. Und das weiss man in Moskau und Washington genau. Am Ende wird es auf einen Kompromiss hinauslaufen müssen: Land gegen Frieden. Die Frage wird sein, was der Ukraine an Sicherheitsgarantien zugestanden werden kann.

Kapitulieren wird und kann Russland nicht mit Blick auf die vitale strategische Relevanz der Krim und des Donbass. Durch die Teilmobilmachung ist die Armee genügend stark, um die vier Oblaste halten zu können, auch auf Dauer. Und egal, wie verlottert das Gerät oder wie schlecht die Moral der Kämpfer angeblich ist. Die reine numerische russische Überlegenheit kompensiert die Defizite. Nur ein von keinem gewünschter Kriegseintritt der Nato könnte das ausgleichen. Es ist daher illusorisch, den Donbass und die Krim mit einer ukrainischen Grossoffensive befreien zu wollen.

Im Gegenteil: Russland hat trotz vergleichsweise kleinerer Geländegewinne nach wie vor die militärische Eskalationsdominanz. Heisst: Putin kann beliebig viel Personal, Material, Waffen, Gerät, Logistik nachschieben, wie er will. Permanent. Denn er hat die logistische Basis quasi hinter sich. Zudem hat er den Joker der Nuklearwaffen. Mit dieser Option spielt er, hat sie aber nicht nötig, ausser er würde an die Wand gedrückt werden.

Weil weder Russland noch der Westen nachgeben will, herrscht Unentschieden, eine operative Pattsituation. Wird diese militärische Tour weitergeführt, steht uns ein langer Abnutzungskrieg bevor. Mit gelegentlichen Offensiven der Ukrainer sowie Abriegelungs- und Auffangeinsätzen der Russen – immer mit dem Risiko der Eskalation, wenn etwas schiefgeht.

Sinnvoller wäre, den Konflikt einzufrieren – mit einer völkerrechtlich anerkannten Demarkationslinie, schnellstmöglichen Waffenstillstands-Regelungen und anderen Mechanismen der Konfliktbewältigung. Dafür plädiere ich.

Optimistisch stimmt mich, dass – trotz politischer Kriegsrhetorik – Geheim-Diplomatie im Gang ist. Der US-Sicherheitsberater war kürzlich in Kiew. Zwischen Moskau und Washington gibt es zudem einen heissen Draht, auch die Generalstabs-Chefs sind verbunden. Das zeigt, dass man offenbar nicht bereit ist, den Konflikt zu einem dritten Weltkrieg ausarten zu lassen. Das will keiner.

Erich Vad ist Ex-General, Unternehmensberater und Publizist. Zwischen 2006 und 2013 war er Gruppenleiter im Berliner Bundeskanzleramt und Militär-politischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel.

https://weltwoche.ch/daily/putin-kann-nicht-verlieren-selenskyj-nicht-gewinnen-der-krieg-ist-festgefahren-warum-und-was-nun/

Und solche Stimmen finden in deutschen Medien erst gar nicht statt. Da muss man nach Österreich fahren…:

Indischer Außenminister verteidigt Ukraine-Haltung

2. Jänner 2023, 23.05 Uhr

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Der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar hat die Haltung seines Landes zum Ukraine-Krieg verteidigt. Auch im ZIB2-Interview wollte Jaishankar gestern Abend Russland nicht verurteilen. Der Ausweg aus dem Krieg liege in Dialog und Diplomatie. Gleichzeitig übte er Kritik an Europa wegen der Auswirkungen der Sanktionen auf Länder wie Indien.

„Ich kann Ihnen viele Beispiele von Ländern geben, die die Souveränität eines anderen Landes verletzt haben. Wenn ich fragen würde, wo Europa in diesen Fällen gestanden ist, würde ich eine lange Stille als Antwort erhalten“, sagte der indische Chefdiplomat, der am Sonntag und gestern in Wien war. Urteile im Bereich der Außenpolitik würden getroffen nach den langfristigen Interessen und nach dem, was gut für die Welt sei. Der Konflikt sei jedenfalls „in niemandes Interesse“.

Dass Indien seit Kriegsbeginn seine Energieimporte aus Russland verfünffacht hat, erklärte Jaishankar mit dem Agieren Europas: „Europa hat im gleichen Zeitraum sechsmal so viel importiert wie Indien.“

Europa sei es gelungen, „seine Importe zu reduzieren auf eine Art und Weise, die für Europa bequem war“, verwies er auf ein Pro-Kopf-Einkommen von ungefähr 60.000 US-Dollar. In Indien seien es 2.000 US-Dollar pro Kopf. „Ich brauche auch Energie und ich bin nicht in einer Position, wo ich hohe Preise zahlen kann“, sagte Jaishankar. Der Ölpreis habe sich verdoppelt. Dadurch, dass Europa Öl aus Nahost hole, steigen die Preise. „Diese Maßnahmen Europas üben Druck aus auf die globalen Ölmärkte und auch auf meine eigenen Importe.“

ZIB/Zeit im Bild/red, ORF.at“

https://orf.at/stories/3299894/

Schwer zu beurteilen, ob hier die Kräfteverhältnisse richtig oder falsch eingeschätzt werden, zumal sowohl Vad als auch Domröse anfangs von einem schnellen Sieg der Russen ausgingen, was dann aber nicht eintrat. Die Millionenfrage ist, ob nun wiederum Ben Hodges wie schon anfangs richtig liegt und die beiden Vertreter des deutschen Lodengschwaders da etwas zu defätistisch wieder einmal die russische Kampfkraft über- und die der Ukrainer unterschätzt und Verhandlungsbereitschaft nur Putin in die Arme spielt und die westliche, ja ukrainische Position schwächt. Da Global Review kein Propagandakanal einer Seite ist, werden wir auch weiterhin die verschiedenen Positionen und ihre Argumente ohne Zensur darstellen und veröffentlichen, zudem auch aussereuropäische Perzeptionen und Positionen des Ukrainekriegs, sei es eben auch die indische, z.B. in Form von General a. D. Asthana.

Ex- NATO- General Klaus Naumann sieht aber sowohl Hodges, wie auch Vads und Domöses Prognosen als sehr spekulativ an, zumal sie möglicherwesie auch von falschen Annahmen bezüglich Putins wirklichen Absichten ausgehen, die wesentlich ambitionierter als nur ein paar Geländegewinne in der Ukraine sind:

„Zur Ukraine: Was ich bei den drei Kameraden vermisse ist der Versuch, sich in Putins Kopf hineinzudenken. Kann er wirklich verhandeln, wenn er nur die annektierten Gebiete hat und von seinem Dez21 Ultimatum nichts bleibt ?

Ich kann das angesichts der riesigen Verluste der Russen nicht glauben. Hodges These ist an sehr viele if geknüpft, insofern ist er am besten dran. Ich denke, es ist noch zu früh über ein Ende des Dramas zu reden, vor allem, wenn man nicht den geringsten Einfluss hat.“

Der Verweis auf Putins Vorkriegsultimatum ,das ja einen Rollback der NATO vor 1997 forderte, ist da ganz wichtig. Es ist interessant, dass das in den Medien und sonstigen Diskussionen damals grossteils ignoriert und nicht ernstgenommen wurde. Ähnlich wie Putins angebliche Friedensrede vor dem Deutschen Bundestag 2001,in der er nicht nur eine Eurasische Wirtschaftszone, sondern auch ein eurasisches Militärbündnis zwischen Europa und Russland forderte. Das zeigt, dass seine Ziele ambitionierter und weitergehender sind oder waren, aber es wird und wurde aber nicht ernst genommen und als zu unrealistisch wahrgenommen und eingeschätzt, sodass man dem scheinbar keine Bedeutung zumisst. Etliche Leute meinen, wenn man nu zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen käme, dass Putin (oder Xi) dann von ihrem Ziel ablassen würden, die USA aus Europa oder aus dem Indopazifik herauszudrängen, eben auch gegebenenfalls militärisch und auf Zeit spielen, bis andere geopolitische Konstellationen, da neue Möglichkeiten für beide bieten, sei es eine NATO- Krise u die Türkei oder ein Konflikt mit Nordkorea oder Iran, die die US- Kräfte andernorts bindet und schwächt. Es wird eher davon ausgegangen, dass nach den Verlusten Putin mit einer Minimallösung in der Ukraine saturiert werden konnte und er zu weiteren Expansionen nicht mehr fähig oder Willens sein wird.

2023 wird aber auch seitens der Türkei einiger Ärger anstehen-100 Jahre Gründung der Attatürk- Republik Türkei, Vertrag von Lausanne und Präsidentschaftswahlen. Weitgehend unbemerkt putschen und fachen die türkischen Staatsmedien den Nationalismus an. Wir werden möglicherweise eine dicke NATO-Krise bekommen, wenn Erdogan die Republik abschaffen und die griechischen Inseln zurückholen will. Da wird dann auch interessant sein, wie sich Russland zu diesem aufziehen den Konflikt verhalten wird Und eine Zustimmung einer NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens behält sich der Sultan noch als Faustpfand für diesen Konflikt vor. Der ehemalige Verteidigungsminister De Maiziere meint damals, dass es völkerrechtlich keinen Anspruch der Türkei auf die griechischen Inseln geben und die damaligen Verträge keine Zeitlimitierung vorsehen würden, noch nach 100 Jahren auslaufen würden. UNO-Völkerrecht und zuweilen recht pragmatische und eigenwillige Interpretationen des Völkerrechts durch jeweilige Nationen sind da doch zu unterscheiden. Die Geschichte in der Türkei wird inzwischen schon sehr eigenwillig neoosmanisch umgeschrieben und demnach haben auch muslimische Seefahrer Amerika zuerst entdeckt,  wie die angebliche Moscheeruine in Kuba beweisen soll. Und so ist es auch mit den Verträgen und deren Laufzeit. Die meisten Völkerrechtler weisen zwar darauf hin, dass es kein Auslaufen gibt, aber inzwischen vergleicht Erdogan dies mit den Ungleichen Vertragen Chinas und mit Hongkong -selbige Version tagein tagaus auf den türkischen Staatsmedien. Und 2023 wird da als kommendes Schicksalsjahr angesehen und hochgeputscht. Selbst Dr. Seidt hat das bei seinen Diplomatenkontakten nicht mitbekommen, aber inzwischen nach unserer Korrespondenz seine Lagebeurteilung auch geändert. Ich habe auch Hodges darauf im GR- Interview darauf angesprochen und er meinte, ess ei wichtig, dass die USA schon im Vorfeld versuchen sollten diesen Konflikt zu entschärfen, was aber bisher noch nicht stattfindet.

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