Interview mit Dr. Sachsenröder: ASEAN zwischen USA und China-“ Die verschiedenen Handelsabkommen, B3W, IPEF und CPTPP dürften auf mittlere Sicht keine tektonischen Verschiebungen zugunsten der USA oder Chinas auslösen“

Interview mit Dr. Sachsenröder: ASEAN zwischen USA und China-“ Die verschiedenen Handelsabkommen, B3W, IPEF und CPTPP dürften auf mittlere Sicht keine tektonischen Verschiebungen zugunsten der USA oder Chinas auslösen“

Global Review hatte die Ehre und Gelegenheit, ein weiteres Interview mit dem Südostasien-Experten Dr. Wolfgang Sachsenröder über Südostasien zwischen den USA und China zu führen, auch in Sachen Rolle der ASEAN bezüglich des Bürgerkriegs in Myanmar.

Dr. Wolfgang Sachsenröder promovierte in Politikwissenschaft und öffentlichem Recht an der Universität Bonn, Deutschland. Er engagierte sich in der Studentenrevolution von 1968 in der Parteipolitik und arbeitete später ein Vierteljahrhundert lang als politischer Berater in Asien, im Nahen Osten und auf dem Balkan. Als er 2008 nach Singapur zurückkehrte, trat er dem Institute für Southeast Asia Studies (ISEAS) bei und konzentrierte sich auf die Parteienentwicklungen in der Region. Weitere Informationen zu den Parteiensystemen finden Sie in: Sachsenroeder, Wolfgang, hg. (2014), Party Politics in Southeast Asia – Organization – Money – Influence, erhältlich bei Amazon Books. Ein Buch über Parteifinanzen und politische Korruption mit dem Titel „Power Broking in the Shade“ wurde 2018 veröffentlicht. Power Broking in the Shade, Party Finances and Money Politics in Southeast Asia, WorldScientific 2018, ISBN 9789813230736 .

Gerade erschienen ist sein neues Buch über die Geschichte des kolonialen Opiumhandels und seine Folgen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er von der britischen East India Company industriell organisiert und und von Frankreich, Spanien, den Niederlanden und den USA bis zur Unabhängigkeit der ASEAN-Länder zur Finanzierung großer Teile der Kolonialbudgets genutzt. Die politischen Folgen in Form von Korruption und organisierter Kriminalität sind bis heute zu spüren.

„From Opium to Methamphetamines. The nine lives of the narcotics industry in Southeast Asia“, WorldScientific, ISBN 978-981-124-723-1

Sein Partyforum South East Asia hat eine eigene informative Website unter:

https://partyforumseasia.org/

Global Review: Dr. Sachsenröder, von der ASEAN hat man jetzt schon länger nichts mehr gehört, weder über den Bürgerkrieg in Myanmar noch zu anderen Fragen, zumal nun auch die USA und Japan versuchen, über das Südchinesische Meer hinaus auch die Taiwanfrage in die ASEAN- Diskussion zu bringen. Peking kommentiert, dass die USA nun eine neue Blockkonfrontation nach Asien und in die ASEAN bringen wollen, die ja ohnehin schon gegeben ist und mit dem bisherigen Xi- Chinakurs von China selbst befördert wurde. Indonesien und Malaysia scheinen neue Akzente in Sachen Myanmar zu setzen, wie auch der US-Philippinern-Militärvertrag  eine gewisse Polarisierung innerhalb der ASEAN nahelegt. Die EU versucht aufgrund ihrer Indo- Pazifikstrategie noch zu einem EU- ASEAN- Freihandelsabkommen zu kommen, da man das neuerdings auch mit dem Mercosur und den USA anstrebt, aber bisher ist da auch nichts geschehen außer einigen bilateralen nationalen Ansätzen.  Man ist auch gespannt auf eine Wirtschaftsreform Indiens unter Modi im Jahr des indischen Vorsitzes der G 20, auch als Antwort gegen das von China dominierte RCEP und immer noch US-freie TPP, das nun vorerst seitens Biden durch das Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) ersetzt wurde. Zudem scheint sich die ASEAN über Myanmar und den sino-amerikanischen Konflikt eher zu polarisieren, denn eine einige Position dazu zu haben. In dem programmatischen Artikel „ASEAN lost it?“ stellt der Singapurer Ex- Diplomat Bilahari Kausikan die These auf, dass, falls die ASEAN wie damals bei einer Friedenslösung in Kambodscha keine Rolle spielt, die Gefahr besteht, dass sie bedeutungslos werden und sich sogar spalten könnte. Dabei ist es fraglich, ob Bilahari Kausikan da die richtigen Analogien zieht. Und was soll Kerninteresse und Pragmatismus konkret bedeuten? Das bleibt auch nur vage und eine abstrakte Formel. Das klingt besser und angeblich realistischer als die Betonung von Menschenrechten und Werteliberalismus, den ohnehin die ASEAN nicht als Priorität teilt. Wie stehen Sie zu dieser These und wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Positionen innerhalb der ASEAN und der ASEAN in Sachen Myanmar, Ukrainekrieg und der sino-amerikanischen Konfrontation?

Dr. Sachsenröder: Die ASEAN-Gemeinschaft ist ein höchst komplexes Gebilde, allein durch die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt, die weit über vergleichbare Unterschiede in der EU hinausgeht. Dazu ist die Region von Portugal, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und den USA (in dieser historischen Reihenfolge) kolonisiert worden und über Jahrtausende dem kulturellen und wirtschaftlichen Einfluss Indiens, der arabischen Halbinsel und insbesondere Chinas ausgesetzt gewesen. Dass sich auf diesem Hintergrund nach dem Zweiten Weltkrieg und fast parallel zur europäischen Einigung überhaupt die jetzt erreichte Zusammenarbeit entwickeln konnte, ist keineswegs so selbstverständlich wie es im fernen Europa meistens angenommen wird. Denn die Region liegt auch weiterhin im Schnittpunkt geostrategischer Interessen der Großmächte, nicht zuletzt in den von den USA immer schärfer gezogenen Konfliktlinien gegenüber China.


Während der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Region wirtschaftlich zu einem Schwergewicht gemausert, das mit einer im Vergleich zur EU sehr jungen Bevölkerung von fast 700 Millionen Menschen ein für internationale Investitionen attraktives Umfeld darstellt und auch relativ heil die Covid-Krise überstanden hat. Insgesamt liegt das kombinierte BIP der ASEAN bei knapp vier Billionen Dollar, das BIP pro Kopf reicht dabei von 85.000 $ in Singapur bis knapp unter 1200 in Myanmar. Die Unterschiede auf so vielen Ebenen hat die 1967 gegründete ASEAN durch eine konsensorientierte Arbeits- und Abstimmungsweise erstaunlich gut ausbalancieren können. Anders als in Europa mit seinem schwarz-weiß-Denken sind in dieser Region oft unterschiedliche Grautöne hilfreich zur Gesichtswahrung und Vermeidung offener Konflikte. Dazu gehört auch die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, die in Krisenfällen wie Myanmar natürlich problematisch wird. Hier entstehen die Sorgen, wie von Bilahari Kausikan formuliert, dass sich daraus stärkere Zentrifugalkräfte entwickeln könnten. Insofern ist die Betonung der „ASEAN Zentralität“ so wichtig für das ständig notwendige regionale Austarieren von unterschiedlichen Interessen und für konsensfördernde Absprachen. Was Menschenrechte und liberale demokratische Werte angeht, hat sich in der Region inzwischen vieles getan. Zahlreiche Parteien und Nichtregierungsorganisationen kritisieren Menschenrechtsverletzungen offen und fordern Reformen gegen Wahlbetrug, Korruption in Wirtschaft und Politik sowie übergriffige Bürokratien. Der auf 100% der Haushalte zusteuernde Zugang zu Mobilfunk, Internet und internationalen Informationskanälen erschwert zunehmend traditionelle autoritäre Politik, es sei denn, sie wird mit repressiver Gewalt durchgesetzt wie in Myanmar.

 Global Review:  Nehmen wir einmal Myanmar als Ausgangspunkt. Neuerdings scheint es einige Akzentverschiebungen zu geben. Die ehemaligen Indochinastaaten und Thailand scheinen eine tolerantere Linie gegen die Militärdiktatur in Myanmar zu fahren, während Indonesien, Malaysia, Singapur, die Philippinen und der Rest eher eine härtere Gangart gegenüber der Militärjunta einzuschlagen scheinen, ja auch schon mal Myanmars Militärjunta ausladen wollen und stärkere Kontakte zur Oppositionsregierung NGU suchen , wenngleich sich noch alle auf den sogenannten 5- Punkte- Konsens berufen. Macht die Entsendung eines „special envoy“ einen Unterschied, auch die Person, zumal die USA meinen, dass die AEAN gleich in direkten Kontakt zur NGU treten und diese offen präferieren sollten?  Wie beurteilen Sie das?

Dr. Sachsenröder: Meiner Ansicht nach ist Myanmar mit der aus der britischen Kolonie hervorgegangen Zufälligkeit seines Staatsgebiets und den starken Minderheiten im Norden und Osten fast unregierbar. Nach der Unabhängigkeit im Januar 1948 hat die ethnische Bamar-Mehrheit von knapp 70%, die auch weitgehend von den Minderheiten getrennt lebte, es nicht vermocht, eine einheitliche Nationalidee zu entwickeln. Seit 1962 unter Militärregierungen, blieben fundamentale Probleme ungelöst, wie Landbesitz, Verwaltung, Bildung, Ausbeutung von Bodenschätzen und vor allem der Drogenanbau. Auch die durch die Armee eingeschränkte demokratische Phase unter Aung San Suu Kyi und der National League for Democracy von 2016 bis zum Putsch 2021 hat den innenpolitischen Problemstau nicht entscheidend abbauen können. Was aus der Ferne wie ein Kampf zwischen Militärregime und Demokratie aussieht ist ein erheblich komplexeres Knäuel von internen Widersprüchen und Konflikten.


Die ASEAN-Diplomatie steht allein schon dadurch vor einem Dilemma, dass auch Thailand eine zivil getarnte Militärregierung hat, Kambodscha einen autokratischen Präsidenten mit Militärunterstützung und Laos eine ebenfalls autoritäre Einparteienregierung. Auch ohne das Nichteinmischungsprinzip kann deshalb nicht viel mehr getan werden, als den Gesprächsfaden nicht abbrechen zu lassen und Konsens zu suchen, wo er noch möglich ist. Weder die Militärregierung, die sich offiziell State Administration Council nennt noch das oppositionelle National Unity Government sind international anerkannt. Neben der Singapurer UN-Diplomatin Noeleen Heyzer als „special envoy“ der Vereinten Nationen ist seit März 2022 der kambodschanische Außenminister Prak Sokhonn als „special envoy“ der ASEAN tätig. Beide haben sehr dicke Bretter zu bohren, um tragfähige Kompromisse vorzubereiten, obwohl Premierminister General Min Aung Hlaing freie und faire Wahlen in Aussicht gestellt hat.

Global Review: Die Oppositionszeitung The Irrawaddy veröffentlichte drei programmatische Artikel. Einen mit dem Titel „ “Will Myanmar’s Brutal Military Remain United?“, der die Einheit des jetzigen burmesischen Militärs infrage stellt und meint, die Situation sei anders als 1958 und 1962, kurz nach der Unabhängigkeit und auch anders als 1988, zumal die Bamar-Opposition damals auch keinen bewaffneten Guerillakampf aufgenommen hatte.

https://www.irrawaddy.com/opinion/analysis/will-myanmars-brutal-military-remain-united.html

 Interessanterweise wird ein thailändischer Politexperte der Bangkoker Universität zitiert .In der Bangkok Post fordert der Kommentator in seinem Beitrag „Reversing Myanmar´s internal strife“  die Formierung einer zentralen Armee unter Befehl der NUG, damit diese nach einem Regime Change auch Myanmar zusammenhalten könne und sich die Milizen nicht gegenseitig bekämpfen. Unter dieser Bedingung, wenn die NGU zeige, dass sie die territoriale Integrität und Souveränität Myanmars und Stabilität garantieren könnte, würden auch ausländische Mächte, u.a. die USA, die bisher keine Waffen lieferten, umschwenken und es seien dann auch Waffenlieferungen denkbar.

https://www.bangkokpost.com/opinion/opinion/2503319/reversing-myanmars-internal-strife

 In einem dritten Beitrag, einem Interview mit dem 88er Veteranen U Mya Aye, betont dieser: „Bamar Chauvinism Must End: 88 Generation Student Leader“

 Aber wäre eine Zentralarmee unter der Kontrolle der NGU nicht gerade neuer Ausdruck eines solchen Bamar-Chauvinismus und fehlendem Föderalsimus. Wie beurteilen Sie die Ansichten der Opposition?

 Dr. Sachsenröder: Der schwedische Journalist Bertil Lindner ist einer der besten Kenner des Landes und der Region. Er gibt einen hervorragenden Überblick, wie das Militär Myanmar seit Jahrzehnten dominiert und zum eigenen Nutzen ausbeutet. Deshalb bleibt er sehr vorsichtig, was die Aussichten auf ein Ende der Militärdominanz angeht. Prof. Thinitan Pongsudhirak ist der führende Experte auf der akademischen Seite und wie Lindner skeptisch angesichts der Schwierigkeiten, das Land ohne das herrschende Militär, aber mit einer alternativen Armee zusammenzuhalten. Ich teile die Skepsis und halte selbst ein eigentlich naheliegendes föderatives Modell für sehr anspruchsvoll, um es in einem überschaubaren Zeitraum zu etablieren und zu stabilisieren. Für alle Akteure geht es um das eigene Überleben in einem harten bis gnadenlosen Wettbewerb um die reichen Ressourcen des Landes, das doppelt so groß wie Deutschland ist in weiten Teilen noch unerschlossen.

Der Beitrag des ehemaligen Studentenführers U Mya Aye ist ebenfalls skeptisch in Anbetracht der Menge von Einzelproblemen und der weitgehend demoralisierten Bevölkerung. Ich teile seine Ansicht zur Kernfrage des Bamar-Chauvinismus, der auch rassistische Untertöne hat und gefährliche religiöse Aspekte, Buddhismus gegen Islam, wie das ungelöste Rohingya-Drama gezeigt hat. Um zu meinem Ausgangspunkt zurückzukommen: Aus einem unzusammenhängenden Kolonialgebiet, das die Briten übrigens eher nebenbei von Indien aus mehr ausgebeutet als verwaltet haben, einen wenigstens lose zusammenhängenden Nationalstaat zu formen, ist eine politische Herkulesaufgabe. Man kann argumentieren, dass die 135 anerkannten Ethnien Myanmars nicht heterogener sind als die 1,340 offiziellen Minderheiten Indonesiens. Aus vielen historischen, geographischen und politischen Gründen sind diese beiden Ex-Kolonien aber nicht zu vergleichen, das zu erklären würde auch ein Buchformat erfordern.

Global Review: Die Rohingya-Krise und das Elend dieser Minderheit existiert großenteils weiter, zumal sie seitens der Burmesen anders als andere Minderheiten nicht Staatsbürgerrechte erhielten, Opfer des Bamar-Chauvinismus sind , die sie als Art „Zigeuner“ betrachtet und aufgrund ihres muslimischen Mehrheitsglaubens auch seitens Bamar Nationalisten und militanten buddhistischen Mönchsvereinigungen, die den Buddhismus als Leitkultur und Identität Burmas betrachten, verfolgt werden. Seitens Bangladesch sieht man sie entweder als Armutsflüchtlinge, die Geld kosten oder als islamistische Fanatiker, die zusammen mit Islamisten in Bangladesch und Indien beide Länder destabilisieren könnten, zumal ja das burmesische Militär einen Angriff islamistischer Rohingya-Guerillas auf eine Polizeistation als Vorwand für die ethnische Säuberung nahm. Sie sind zumeist nach Bangladesch geflohen, wo sie auch nicht willkommen sind und zuletzt sahen burmesisches und bangladeschisches Militär zu, wie sich befreundete Rohingya-Gruppen der islamistischen ARSA und der RSO bekämpften und Blutbäder anrichten. Welche politischen Gruppen gibt es bei den Rohingyas, welche politische Ziele haben sie und inwieweit sind sie Teil des Problems oder Teil einer möglichen Lösung? Wie stehen die ASEAN und andere asiatische Staaten als auch die Großmächte zur Rohingya-Frage?

Dr. Sachsenröder: Mit COVID und zunehmend auch der Ukraine-Invasion ist die Rohingya-Problematik fast gänzlich aus den internationalen Medien verschwunden. Da geht es den Opfern wie in vielen anderen Konflikten und Krisenherden, den Kurden in Syrien und der Türkei oder den Palästinensern, wie in Äthiopien oder dem Jemen und auch in der Region im Süden Thailands. In Anbetracht beschränkter Mittel wurde schon nach dem Ende des Vietnamkrieges den zahlreichen Bootsflüchtlingen wenig Hilfe zuteil. Die ASEAN-Länder sind nicht aufnahmebereit für Migranten und kontrollieren die Grenzen für Ausländer rigoros. Noch sind die Bevölkerungen relativ jung und ein Bedarf an Arbeitskräften wird nur in speziellen hochqualifizierten Bereichen gesehen. Da ist für die Rohingya keine Nische auszumachen, genauso wenig wie in Myanmar. Das Thema fällt in der Hoffnung unter den Tisch, dass es vergessen wird und sich damit von allein politisch erledigt.

Global Review: Wie entwickelt sich das Verhältnis der ASEAN zum sino-amerikanischen Konflikt und inwieweit spielen Chinas RCEP und das Projekt einer Neuen Seidenstraße, Bidens IPEF und B3W da eine Rolle? Gibt es seit Marcos jr. neuem Militärabkommen mit den USA auch Veränderungen innerhalb der ASEAN?

Dr. Sachsenröder: Wie anfangs erwähnt, sehe ich als charakteristisch für ASEAN als Dachorganisation den flexiblen und pragmatischen Ansatz für die meisten Themen der Zusammenarbeit und der Außenpolitik, einen Ansatz, den man sich wenigstens graduell auch für die EU wünschen könnte. Beim sino-amerikanischen Konflikt haben verschiedene ASEAN-Mitglieder sehr unterschiedliche nationale Interessen, die besonders stark bei den sich überschneidenden Ansprüchen an Hoheitsgewässer im südchinesischen Meer offenbar werden. Sobald es um Öl- oder Gaslagerstätte unter dem Meeresboden geht, wird es für die Anrainer Vietnam, die Philippinen, Malaysia und Brunei kompliziert, und sie können dabei auch nicht immer auf die Hilfe der restlichen Staaten setzen. Aber alle miteinander können sich natürlich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen. Der Koloss China ist zu nah und wirtschaftlich für alle zu wichtig, vielleicht mit Ausnahme des durch seinen Ölreichtum unabhängigen Brunei. Auf der anderen Seite sind die USA militärisch omnipräsent, um  im eigenen Interesse die wichtigen Schifffahrtsrouten zu sichern. Der naheliegende Versuch, sich aus dem Konflikt herauszuhalten und mit beiden Seiten ein gutes Verhältnis zu pflegen, ist mehr als verständlich, zumal aus den Eliten zahlreiche Kontakte, oft aus Studienzeiten, zu den USA bestehen und auf der anderen Seite, die chinesischen Minderheiten in den ASEAN-Ländern ideale Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit China bieten.

Eine kürzlich durchgeführte Studie des Institute for Southeast Asian Studies in Singapur, „The State of Southeast Asia 2023“ (The-State-of-SEA-2023-Final-Digital-V4-09-Feb-2023.pdf) zeichnet die Einstellungen von  repräsentativen Vergleichsgruppen in den einzelnen Ländern nach und bestätigt weitgehend die Vermeidung einer Festlegung.


Die neue Annäherung der Philippinen an die USA unter Präsident Marcos Jun. kann man als Korrektur der offen pro-chinesischen Politik seines Vorgängers Duterte interpretieren. Die Bevölkerung bleibt allerdings in dieser Frage gespalten, weil man wirtschaftlich von China mehr erwarten kann als von den USA. Man hofft allerdings, dass der Vertrag über die Nutzung einiger Marinebasen durch die US-Navy sich mit Investitionen und Arbeitsplätzen bezahlt macht. Im Übrigen wird die philippinische Wirtschaft seit vielen Jahren vor allem durch die Transferzahlungen von fast zehn Millionen oft hoch qualifizierten Arbeitnehmern im Ausland stabilisiert, die mit mehr als 30 Mrd. $ rund 10 % zum Inlandsprodukt beitragen. Viele sind auch in die USA ausgewandert, die Zahl chinesischer Migranten ist dagegen geringer als in den meisten Ländern der Region.


Die verschiedenen Handelsabkommen, B3W, IPEF und CPTPP dürften auf mittlere Sicht keine tektonischen Verschiebungen zugunsten der USA oder Chinas auslösen, sorgen aber innenpolitisch in einigen Ländern für Befürchtungen, dass Subventionen wegfallen und die heimische Wirtschaft der Konkurrenz nicht gewachsen sein könnte, etwa in Malaysia, wo die lange schwelende Regierungskrise und COVID für die Wirtschaft destabilisierend waren.    

Global Review: Welche Rolle spielt Indonesien , wie bewerten sie dessen Rolle beim G 20- Gipfel und den Geist von Bali? Und inwieweit gibt es in Indonesien eine zunehmende Islamisierung und wie wirkt sich diese im sino-amerikanischen Konflikt aus?

Dr. Sachsenröder: Als das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land der ASEAN strebt Indonesien unter Präsident Joko Widodo eine Führungsrolle an, die es allerdings nur ansatzweise durchsetzen kann. Wenn ich weiter oben die Kultivierung von Grau- und Zwischentönen dem westlichen Schwarz-Weiß-Denken gegenübergestellt habe, würde ich hier hinzufügen, dass Indonesien darin der Regionalmeister ist. Damit war Indonesien der ideale Gastgeber für den G20 Gipfel im November in Bali, was sich ja zum Teil auch ausgezahlt hat. Die Absage Putins und die frühe Abreise Lawrows konnte die indonesische Diplomatie nicht beeinflussen, ebenso wenig wie eine längere Wirkung des Xi-Biden Treffens. Augenscheinlich bleibt die Biden-Administration mittel- und langfristig auf einem Kollisions- oder Konfrontationskurs, obwohl dieser in den USA innenpolitisch umstritten bleibt.


Die Islamisierung im größten islamischen Land der Welt, Indonesien, ist ein komplexes Phänomen. Mit rund 30 Millionen stellen die Christen fast ein Zehntel der Bevölkerung, daneben gibt es noch eine Vielzahl von Naturreligionen, wobei die Christen öfter Pogromen ausgesetzt sind wie auch die chinesische Minderheit. Finanzhilfen und Moscheebauten aus Saudi-Arabien und wahhabitische Mission haben seit mehr als drei Jahrzehnten eine muslimische Erweckungsbewegung ausgelöst, die oft von islamischen Internaten ausgehend bis in die Universitäten reicht. Fundamentalismus und Extremismus waren die bedauerlichen Begleiterscheinungen, etwa die Bomben in zwei Nachtclub auf Bali 2002, mit denen 202 Touristen aus 21 Nationen getötet wurden. Bali ist nicht muslimisch, sondern hinduistisch, aber permissive Verhaltensweisen, Alkohol und Drogen regen die Extremisten immer wieder zu Gewalttaten an.

Die staatliche Gegensteuerung bleibt schwierig, weil der politische Einfluss der zahlreichen islamischen Organisationen enorm ist. Die größte, Nahdlatul Ulama, mit geschätzten 90 Millionen Mitgliedern, ist eigentlich karikativ ausgerichtet und versucht, eine eher moderate Interpretation des Glaubens zu fördern. Trotzdem gibt es nach neuesten Untersuchungen rund 600 radikale Webseiten, die aggressiver und dadurch erfolgreicher posten als die moderaten und bei der erreichten Sättigung mit Internet und Mobiltelefonen jederzeit ihre Klientel erreichen. Politik,  Gesetzgebung und Justiz sind gezwungen, diesen islamischen Zeitgeist zu berücksichtigen. Das Verbot von Pornographie und außerehelichem Sex ist auch in Deutschland von den Medien herausgestellt worden, dabei sind diese Tendenzen liberalen Indonesiern peinlich. Den Islamisten gelten auch die USA als des Teufels, allerdings hat diese Haltung noch nicht die politische Entscheidungsebene erreicht.

Global Review: Was hat sich seit den letzten Wahlen in Malaysia geändert und was bedeutet dies sowohl für die ASEAN und das Verhältnis zu den USA und China?

Dr. Sachsenröder: Die Parlamentswahl im November hat die politische Landschaft erheblich umgekrempelt. Die islamistische Parti Islam Se-Malaysia (PAS) ist zur stärksten Partei geworden, während die United Malays National Organisation (UMNO), die über sechs Jahrzehnte an der Macht war, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Nach Intervention des Königs kehrte sie dennoch in einer Koalition mit mehreren ehemaligen Oppositionsparteien in die Regierung zurück. Der neue Premierminister, Anwar Ibrahim, der 1989 als Vizepremier gefeuert worden war, kehrte mach 24 schwierigen Jahren an die Macht zurück. Wie seine frühere Partei UMNO steht er für die Bevorzugung der malaiischen Mehrheit, was von der großen chinesischen Minderheit und der kleineren indischen als rassistische Politik kritisiert wird. Anwars Koalition ist nicht sehr stabil, für viele Malaysier verkörpert er aber eine Hoffnung auf mehr Demokratie und weniger Korruption. Für die ASEAN-Partner ist Anwar ein alter Bekannter und berechenbar. Was China und die USA angeht, sehe ich für Malaysia keine großen Änderungen in die eine oder andere Richtung.

Global Review: Gibt es eine Art ASEAN- Indochina oder unterscheiden sich die politischen Positionen zwischen Vietnam, Kambodscha und Laos? Wird Vietnam prochinesischer oder geht es eher um eine Stabilisierung der Macht der KP Vietnams gegenüber westlichen und liberalen Einflüssen, vergleichbar mit der KP China unter XI?

Dr. Sachsenröder: Die alte und etwas anzügliche Faustregel zu Indochina lautete: Die Vietnamesen pflanzen den Reis, die Kambodschaner schauen zu wie er wächst und die Laoten horchen, wie er wächst. Das sind natürlich Klischees, es bleibt aber dabei, dass Vietnam sowohl das bevölkerungsreichste als auch dynamischste unter den drei Ländern ist. Wirtschaftlich geht es aber auch in Kambodscha unter dem autokratischen Premier Hun Sen aufwärts, der seit 1985 mit eiserner Faust sein Amt wahrnimmt und offenbar seinen Sohn, der derzeit bereits Armeechef ist, auf die Nachfolge vorbereitet. Laos ist im Vergleich noch etwas im Dornröschenschlaf, wird aber mit seiner fast unerschöpflichen Wasserkraft immer mehr zur „Batterie Südostasiens“, das heißt es kann grünen Strom in großen Mengen exportieren. Die neue Laos-China-Bahnverbindung, gerade erst im Dezember letzten Jahres eröffnet, steht für den Einfluss Chinas und wird Laos stärker an China und die Region anbinden. Die drei Länder in Verbindung mit Thailand haben ein erhebliches gemeinsames Drogenproblem, wobei das traditionelle Opium samt Heroin inzwischen durch Methamphetamine abgelöst worden ist. Die endlosen Grenzen untereinander und mit Indien und China haben die lukrativen Drogengeschäfte weitgehend unkontrollierbar gemacht, wobei die „precursor chemicals“ genannten Rohstoffe aus Indien und Bangladesch eingeführt werden, teilweise auch aus Deutschland und den Niederlanden. Zu diesem Thema habe ich im letzten April ein Buch veröffentlicht. Der Titel lautet: From Opium to Methamphetamines – The Nine Lives of the Drug Industry in Southeast Asia (World Scientific)

Kommentare sind geschlossen.