Finanzkrisen, Bankenfusion, Too big to bail und das Niederstwertprinzip

Finanzkrisen, Bankenfusion, Too big to bail und das Niederstwertprinzip

Diesmal ein sehr detaillierter und gut recherchierter ZEITartikel über die Bankenderegulierung und systemische Banken, wobei hier vor allem die Credit Suisse/UBS, Bank Santander und JP Morgan ins Auge fallen. und ein Beitrag im Münchner Merkur vom ehemaligen Vorsitzenden des Münchner Ifo- Institut Prof. Sinn.  Conclusio: Die too big to fail-Banken sitzen vor allem in Europa und nicht in den USA und China. Wahrend alles über die unzureichende Regulierung in den USA spricht, dem Rollback des Dodd-Frank Acts und anderem, wurde hier nach 2008 verdrängt, dass die EU ebenso neoliberal weiter dereguliert hat. Darauf hat auch Prof. Sinn hingewiesen ,wobei er meinte,  inzwischen seien einige europäische Banken sogar so groß, dass sie nicht nur too big to fail, sondern diese auch too big too bail(out) seien. Er schlägt eine altbewährte deutsche Bilanzierungsart ,die Niedersttwertbilanz vor, die nicht so zum Spekulieren wie das US- amerikanisches Bilanzsystem oder das jetzige EU- Bilanzsystem und zu Finanz- und Wirtschaftskrisen in 1929er oder 2008er Dimensionen einladen würde. In den deutschen Medien erfährt man jedoch nichts über Chinas neue Regulierungsbehörde und deren Regulierungs- und Bilanzsystsem.

„Zu groß für den Untergang

Die größten Geldhäuser der Welt mögen in den USA oder China sitzen. Doch too big to fail gilt vor allem für Großbanken in Europa: Ihre Bilanzsummen sind enorm gewachsen.

Eine Analyse von Marlies Uken

30. März 2023

Die jüngste Zwangsfusion der Schweizer UBS und Credit Suisse hat eine neue Diskussion über too big too fail ausgelöst, also ob Banken nicht zu groß sind und ein Staat sie überhaupt pleitegehen lassen kann. Eine aktuelle Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass dies vor allem ein Problem der Großbanken in Europa ist. Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte, hat dafür die Bilanzsummen der 30 größten systemrelevanten Banken der Welt ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ihres Heimatlandes gesetzt.  

Danach entspricht die Bilanzsumme der neuen UBS/Credit Suisse beeindruckenden 243 Prozent des Schweizers BIP. Die spanische Banco Santander käme auf 127 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung. Auf den ersten sechs Plätzen finden sich ausschließlich europäische Banken (ING/Niederlande, BNP Paribas/Frankreich, HSBC aus Großbritannien und Credit Agricole aus Frankreich). Ihre Bilanzsummen – vereinfacht gesagt sind das die aufaddierten Kredite, Guthaben und Vermögenswerte – sind fast genauso groß wie das Bruttoinlandsprodukt ihres jeweiligen Heimatlandes oder sogar noch größer. Entscheidend für den Ausgang einer Bankenkrise ist, wie finanzstark die Volkswirtschaft im Hintergrund ist, die eine Bank im Notfall retten muss. Und natürlich welche Werte sich hinter der Bilanzsumme verbergen: Sind es faule Immobilienkredite oder an sich sichere Staatsanleihen?

„Solche großen Finanzinstitute lassen sich im Fall einer schweren Schieflage nicht mehr nur mit Privatkapital retten“, sagt Schäfer. Es sei klar, dass der Staat bei diesen Großbanken als Anteilseigner mit Steuergeldern einsteigen müsse. Die Diskussion über das Erpressungspotenzial von Großbanken wurde jüngst angeheizt durch die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter, die vor zwei Wochen die Rettungsaktion der Credit Suisse orchestrierte. Sie warnt davor, dass die Regeln zur Abwicklung von systemrelevanten Großbanken nicht funktionieren würden. Wäre man nach dem offiziellen Regelwerk vorgegangen, hätte das „eine internationale Finanzkrise ausgelöst“.

Auffällig ist, dass die amerikanischen Großbanken auf den hinteren Plätzen des Rankings landen. Die internationale Überwachungsbehörde, das Financial Stability Board aus der Schweiz, listet etwa JP Morgen Chase mit einer Bilanzsumme von 3,7 Billionen US-Dollar als einzige systemrelevante Bank in der Risikogruppe 4 von 5: Kein anderes Finanzinstitut ist also weltweit so stark mit anderen Banken vernetzt und so systemrelevant, dass es besonders hohe Anforderungen ans Eigenkapital erfüllen muss. Setzt man die Bilanzsumme allerdings ins Verhältnis zur amerikanischen Wirtschaftsleistung, landet JP Morgen Chase auf Platz 22 der systemrelevanten Banken. Die weltgrößte Bank der Welt, die Industrial and Commercial Bank of China, kommt wegen der Größe der chinesischen Volkswirtschaft auf Platz 17.

Allein die Bilanzsumme der Intesa Sanpaolo, einer der größten Banken Italiens, stieg seit 2010 um beachtliche 85 Prozent. Französische Institute wie die Group Credit Agricole, die Group BPCE und die Group Credit Mutuel wuchsen um mehr als 50, teilweise sogar mehr als 60 Prozent. „Die Banken standen in den vergangenen Jahren nicht mehr im Fokus, man hat sie machen lassen und die Regulierung nicht weiter verschärft“, sagt Schäfer. Zwar gibt es auf europäischer Ebene eine Regelung, um Banken ohne Steuergelder abzuwickeln. Sie ist allerdings noch nie angewandt worden. Auch eine europäische Einlagensicherung lässt auf sich warten – auch weil sich deutsche Sparkassen und Volksbanken dagegen wehren. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und die Covid-Lockdowns haben nach Ansicht Schäfers ebenfalls ihre Spuren hinterlassen: Weil die Kreditnachfrage enorm war und Banken mit Sparguthaben überschwemmt wurden, wuchsen die Bankbilanzen immer weiter an. Viele Banken kauften Staatsanleihen und haben nun entsprechend mit dem Zinsrisiko zu kämpfen.

Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren nur zwei große Finanzinstitute in der Eurozone geschrumpft: Neben der italienischen UniCredit ist das vor allem die Deutsche Bank, deren Bilanzsumme seit 2010 um 30 Prozent geschrumpft ist. Sie musste sich nach zahlreichen Skandalen radikal umbauen und hatte vor allem das Investmentbanking kräftig zurechtgestutzt.  „

https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/bankenkrise-europa-grossbanken-too-big-to-fail

Professor Sinn hingegen sieht das Patentrezept gegen Dinanzkrisen im altbewährten deutschen Niederstwertbilanzystem.

„Kampf dem Kasino-Kapitalismus

Erstellt: 29.03.2023Aktualisiert: 29.03.2023, 21:13 Uhr

Von: Prof. Hans-Werner Sinn

Der Untergang der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse haben die Finanzmärkte weltweit erschüttert. Prof. Hans-Werner Sinn plädiert eindringlich für eine rasche Änderung der Bilanzierungsregeln.

München – Die Pleite der Silicon Valley Bank, die Einlagen von Start-ups eingesammelt und sie in Wertpapiere investiert hatte, erinnert an den sogenannten Gründerkrach des Jahres 1873, der von den deutschsprachigen Ländern ausgegangen war und die ganze Welt erfasst hatte. Damals entstammten die wichtigsten Start-ups dem Verarbeitenden Gewerbe, z.B. aus den Bereichen Eisenbahn, Elektrik und Chemie. Es ließen sich aber auch viele neue Banken und Finanzunternehmen mit der Flut treiben.

In der Tat waren es solche Unternehmen, die nach dem Platzen einer gewaltigen Wirtschaftsblase aus dem Ruder geraten waren und eine Bankenkrise hervorgerufen hatten. Als Reaktion auf die Krise gab es in Deutschland eine wichtige Reform des Bilanzrechts, die auch heute wegweisend sein könnte.  

Unter dem Schutz des Aktienrechts, das Firmengründer von einer Privathaftung freistellte, waren im deutschen und im österreich-ungarischen Kaiserreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr viele neue Investmentbanken gegründet worden, die Einlagen einsammelten, um Wertpapiere zu erwerben. Der auch daraus resultierende Börsenaufschwung erwies sich letztlich als Wirtschaftsblase. Die Blase platze im Mai des Jahr 1873, wenige Tage, nachdem sich die Österreichische Creditanstalt, die damals bedeutendste Bank Österreich-Ungarns, wegen aufkommender Konkursgerüchte von einem sehr großen Portfolio an Wertpapieren getrennt hatte. Der Börsencrash am „Schwarzen Freitag“ des 9. Mai und eine Konkurswelle ungeahnten Ausmaßes waren die Folge. In Österreich-Ungarn und Deutschland ging ein erheblicher Teil der neu gegründeten Aktiengesellschaften des Finanzgewerbes in Konkurs. Adele Spitzeneders Bank, die genau dasselbe Geschäft wie später Charles Ponzi oder Bernard L. Meadows in den USA betrieb, steht nur stellvertretend für die windigen Geschäfte vieler neuer Institute der Finanzwirtschaft jener Tage.

Laxe Zinspolitik der Zentralbanken führt zu Bewertungsblase

Die Parallelen zur heutigen Krise sind natürlich begrenzt, denn die Geschichte wiederholt sich bekanntlich niemals exakt. In der Tat wurde die neue Bankenkrise nicht nur durch eine irrationale Übertreibung der Märkte erzeugt, sondern auch durch vorhersehbare Konsequenzen einer Bewertungsblase, die in Folge der Null- und Negativzinspolitik der Zentralbanken entstanden war. Die beispiellose Geldmengenausweitung, die die Zentralbanken durch den Kauf von Staatspapieren hervorriefen, hatte für gut ein Jahrzehnt traumhafte Wertzuwächse bei bereits am Markt befindlichen älteren Staatspapieren und auch bei Aktien erzeugt.

Diese Wertzuwächse lockten immer mehr Investoren an. Im Gefolge der Pandemie und einer ausufernden Staatsverschuldung entstand dann eine sehr starke Inflation, der die Notenbanken mit einer drastischen Zinswende die Kraft nehmen wollen. Die zuvor aufgeblasenen Marktwerte langfristiger Wertpapiere kollabierten daraufhin. Das brach der Silicon Valley Bank und wenige Tage später der Credit Suisse, einer der größten Banken der Welt, das Genick.

In den USA wie seinerzeit auch in Deutschland trug die Bewertung von Anlagen zu Marktwerten (Mark-to-Market- oder Fair-Value-Prinzip) zur Überhitzung und zur Blasenbildung bei. Diese Bewertungsmethode machte die Bilanzen volatil und verstärkt die Zyklen. Im Aufschwung entstehen Wertzuwächse auf die Anlagen der Firmen, die rechnerisch das Anwachsen von Eigenkapital suggerieren. Der anwachsende bilanzielle Eigenkapitalbestand gaukelt eine zunehmende Bonität der Firmen vor, die sie in die Lage versetzt, Einlagen und Kredite aufzunehmen, um damit Dividenden zu bezahlen. Im Umfang der Dividenden fehlt freilich Eigenkapital, wenn die Blase platzt und die Werte der Anlagen wieder auf das Normalniveau zurückkehren. Das Auf und Ab der Kurse führt systematisch zur Aushöhlung der Firmen und erhöht so die Konkursgefahr.  

Banken: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste

Im Verein mit der Haftungsbeschränkung der Aktiengesellschaften veranlasst das Mark-to-Market-Prinzip die Firmen der Finanzwirtschaft zudem, übermäßig riskante Geschäftsmodelle zu wagen. In der Hoffnung auf steigende Kurse erwerben sie im Aufschwung Anleihen und andere Finanzprodukte. Wenn sich die erhofften Gewinne einstellen, werden sie an die Aktionäre ausgeschüttet. Und wenn die Blase platzt, verliert man im schlimmsten Fall nur das bisschen Eigenkapital, mit dem man dank einer laschen Regulierung operieren durfte. Heute hofft man mit gutem Recht zudem, vor dem Konkurs durch staatliche Bail-out-Aktionen gerettet zu werden. Aus der Privatisierung der Gewinne beim Aufbau der Blase und der Sozialisierung oder zumindest Verlagerung der Verluste auf Dritte bei deren Platzen entsteht über die Zeit hinweg ein betriebswirtschaftlicher Gewinn auch dann, wenn ein echter ökonomischer Gewinn gar nicht erzielt wurde.

Deutschland hatte im Jahr 1874 auf den durch die Mark-to-Market-Methode erzeugten Kasino-Kapitalismus reagiert, indem es das Niederstwertprinzip in sein Bilanzrecht einführte (vgl. Sinn, Casino Capitalism, Oxford University Press 2010, Chapters 5 and 7). Nach diesem Prinzip sind die Firmen verpflichtet, immer den niedrigsten möglichen Wertansatz für ihre Aktiva zu wählen: entweder den aktuellen Marktwert oder den historischen Ankaufswert, was immer geringer ist. Das Niederstwertprinzip hat dazu geführt, dass die Firmen nach einem Aufschwung stille Reserven in ihren Bilanzen aufwiesen, mit denen die Verluste im Abschwung abgefedert werden konnten. Es hat dem deutschen Bankwesen grundsätzlich ein hohes Maß an Stabilität verschafft.

Niederstwertprinzip contra Kasino-Kapitalismus

Das Niederstwertprinzip gilt im deutschen Handelsrecht zwar noch immer für nicht an Börsen gehandelte Aktiengesellschaften und andere Kapitalgesellschaften. Es wurde jedoch durch EU-Beschlüsse seit 2004 für Konzerne sukzessive durch die Regelungen des International Financial Reporting Standard (IFRS) mit seiner Mark-to-Market-Methode ersetzt. In den USA und vielen anderen Ländern der westlichen Welt gilt die Mark-to-Market oder Fair-Value-Methode ganz generell als zentrales Element der Allgemeinen Buchhaltungsrichtlinien (GAAP) für alle Arten von Firmen.

https://www.merkur.de/wirtschaft/kasino-kapitalismus-finanzkrise-credit-suisse-svb-pleite-bankenkrise-hans-werner-sinn-stimme-der-oekonomen-niederstwertprinzip-zr-92180198.html

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