Chaosmanagement bei Staatszerfall Russlands: Das klassische Stabilitätsdogma der bisherigen Realpolitik wird abgeräumt
Schon vor dem Wagnerputsch machten sich Autoren der Foreign Policy Gedanken, wie die Post- Putinära zu gestakten sei, auch im Falle eines Bürgerkriegs oder Staatszerfall der nun nach dem Putsch als noch wahrscheinlichere Entwicklung gesehen wird. So heute auch Selenskys Sicherheitsberater in der heutigen BILD:
„Selenskyj-Berater sagt Zusammenbruch voraus: Russlands Kollaps „nicht mehr aufzuhalten“
Von: Paul Ronzheimer und Giorgos Moutafis (Fotos)
02.07.2023 – 19:21 Uhr
Kreml-Diktator Wladimir Putin (70) hat die Kontrolle über sein Land verloren. Das sagt Oleksij Danilov (60), Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine.
Danilov zählt zu den wichtigsten Beratern des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (45). BILD traf ihn zum Interview.
Der Putsch-Versuch von Söldner-Boss Jewgeni Prigoschin (62) habe gezeigt, „dass Russland kein Staat ist“, sagt Danilov. „Der Westen muss begreifen, dass Russland zersplittert und es keine Kraft gibt, die es zusammenhalten kann.“
Der Ukrainer fordert: „Wir müssen uns darauf vorbereiten. Wir sprechen schon seit einem Jahr darüber. Bedenken Sie, dass die Prozesse, die in Russland bereits begonnen haben, nicht mehr aufzuhalten sind.“
Heißt: „Russland wird zersplittert sein, und die Welt muss sich darauf vorbereiten.“
Man habe gesehen, „dass in Russland jede militärische Gruppe unabhängig agieren kann, jede Nuklearanlage, jede Atomwaffe beschlagnahmen kann und dass die Lage in Russland bereits außer Kontrolle geraten ist“.
Die Situation könne sich „in einen sehr gefährlichen explosiven Prozess verwandeln, der absolut unkontrollierbar sein wird“, sagt Danilov zu BILD. Für ihn steht fest: „Das Russische Reich ist zusammengebrochen.“
Der Westen müsse sich von der Illusion, dass Russland in der aktuellen Form fortbestehe, verabschieden. Der Kreml „kann ein so großes Gebiet nicht kontrollieren, sie haben keine Möglichkeit“. Auch die russischen Streitkräfte könnten dies nicht gewährleisten: „Die zweitstärkste Armee der Welt – es gibt sie nicht.“
Danilov erzählt, dass die Ukraine während des Söldner-Aufstands analysiert habe, wie in den russischen Regionen damit umgegangen werde. „Wir haben Analysen darüber, wie die Regionen während des Prigoschin-Aufstandes reagiert haben. Ich kann Ihnen sagen, dass Sie anhand dieser Analysen sagen können, wie Russland nach dem Zusammenbruch aussehen wird“, so der Sicherheitsexperte.
Seine Prognose: „Tatarstan wird separat sein, Dagestan wird ein separates Land sein, das nichts mit Russland zu tun hat. Das sind Kolonien der Russischen Föderation.“
Alexander Motyl forderte schon lange vor dem Wagnerputsch in der Foreign Policy schon einen Sperrriegel oder eine Art neuen Eisernen Vorhang vom Baltikum bis nach Zentralasien, um Russlands Instabilität oder Staatszerfall, den der Westen nicht beeinflussen kann, nicht überspringen zu lassen. Hier noch der Link zu seinem Artikel in der Foreign Policy:
Nun geht Luke Coffey vom Hudson Institute noch weiter und überlegt, wie man sich bei einem russischen Staatszerfall mit dem Selbstbestimmungsrecht der russischen Teil- und Minderheitenrepubliken umgehen sollte, wie auch mit Moldawien, Georgien, Belarus und Bergkarabach. Seltsamerweise erörtern beide Autoren die wichtige Frage der Kontrolle der Atom- und Massenvernichtungswaffen mit keinem Wort.
Ein ehemaliger deutscher NATO- General meinte das noch so erklären zu können.
„Mich überrascht die Nicht-Berücksichtigung der Atomwaffen-Sicherheit nicht. Vermutlich haben amerikanische Autoren besseren Zugang zu Informationen über die bis 2004 wohl gut funktionierende amerikanisch-russische Zusammenarbeit einschließlich Technologie-Transfer zu Permissive Action Links und Code Management System. Ich gehe davon aus, dass Unbefugte Nuklearwaffen als solche nicht verwenden könnten, allenfalls das radioaktive Material zu terroristischen Aktionen nutzen könnten.“
Tja, was aber, wenn aus Unbefugten Herrschende und damit Befugte werden und falls nicht ist radioaktives Material zu terroristischen Aktionen ja auch nicht ganz ohne. Aber vielleicht Kleinvieh, wenn man in Dimensionen von begrenzter oder globaler nuklearer Abschreckung un/oder Atomkriegen zu denken gewohnt ist.
Doch zurück zu Luke Coffeys Artikel in der Foreign Policy:
„Bürgerkrieg droht: Die USA müssen sich auf Chaos in Russland vorbereiten
Erstellt: 03.07.2023, 05:15 Uhr
Auch wenn die politischen Entscheidungsträger nur begrenzte Möglichkeiten haben, den Ausgang der inneren Unruhen in Russland zu beeinflussen, gibt es einige Dinge, die getan werden sollten. In erster Linie sollten die US-Entscheidungsträger die Ukraine nicht aus den Augen verlieren. Ja, die Ereignisse, die sich in Russland abspielen, sind historisch, aber der Westen hat kaum die Möglichkeit, sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Stattdessen sollte die oberste Priorität Washingtons darin bestehen, die Gegenoffensive Kiews zu unterstützen und der Ukraine zu helfen, auf dem Schlachtfeld gegen Russland zu gewinnen. In der Ukraine können die Vereinigten Staaten den größten Einfluss auf die Lage in Russland ausüben: Eine starke, siegreiche Ukraine ist das beste Bollwerk gegen verschiedene Szenarien von Unordnung, Gewalt oder Zerfall weiter im Osten.
Zweitens sollten die politischen Entscheidungsträger der USA akzeptieren, dass die sehr reale Möglichkeit eines russischen Bürgerkriegs nicht bedeutet, dass Washington sich für eine Seite entscheiden muss. Lassen wir die verschiedenen Machtzentren innerhalb Russlands gegeneinander antreten. Der Beinahe-Erfolg von Prigoschin ist eine gute Erinnerung daran, dass derjenige, der Putin stürzt, wahrscheinlich genauso nationalistisch und autoritär sein wird wie sein Nachfolger. Der Westen sollte aufhören, auf einen vermeintlich gemäßigten russischen Führer zu hoffen, der Frieden mit seinen Nachbarn und Reformen im eigenen Land anstrebt – und entsprechend planen.
Der Umkehrschluss ist ebenfalls richtig: Nur weil wir nicht wissen, wer Putins Nachfolger wird und wie gewaltsam der Übergang sein wird, bedeutet das nicht, dass der Westen ein Interesse an der Stabilität des Putin-Regimes hat. Der Westen sollte aus den Fehlern lernen, die er in den 1990er Jahren gemacht hat, als er aus Angst vor Instabilität zögerte, die Unabhängigkeit neuer Staaten anzuerkennen, die aus der zerfallenden Sowjetunion hervorgingen. Stattdessen hofften westliche Entscheidungsträger in naiver Weise auf eine demokratische Regierungsführung und wirtschaftliche Reformen in Russland, die nie eintraten.
Russland könnte zunehmend im Chaos versinken – selbst ein Bürgerkrieg scheint möglich
Schließlich liegt es im Interesse der Vereinigten Staaten, dass innenpolitische Unruhen nicht auf Russland übergreifen. Dies bedeutet, dass die bilaterale Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern auf der eurasischen Landmasse verstärkt werden muss, um die militärische Bereitschaft, die Grenzsicherheit, die Strafverfolgung und die nachrichtendienstlichen Fähigkeiten zu verbessern. Es ist dringend notwendig, die regionale Diplomatie zu verstärken: Die Länder Zentralasiens und des Südkaukasus werden eine Schlüsselrolle für die Stabilität der Region spielen, sollte Russland im Chaos versinken, und mit dem schwindenden Einfluss Moskaus dürfte auch das Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und dem Westen zunehmen. Washington sollte sich dies zunutze machen.
Putin mag einen kurzfristigen Deal mit Prigoschin gemacht haben, aber der russische Führer hat jetzt ein langfristiges Problem, um seine Autorität zu bewahren. Das sprichwörtliche Blut ist jetzt im Wasser, und die Haie werden bald kreisen. Sollte es zum Zusammenbruch der Zentralregierung oder zum Ausbruch eines Bürgerkriegs kommen – zwei Szenarien, die durch Wagners praktisch ungehinderten Marsch auf Moskau nur allzu deutlich geworden sind –, müssen die US-Politiker vorbereitet sein. Dazu müssen jetzt einige schwierige Fragen darüber beantwortet werden, wie auf verschiedene Szenarien zu reagieren ist.
Die Zeit nach Putin: Der Umgang mit künftigen Machthabern muss gut geplant werden
Wie sollten die Vereinigten Staaten zum Beispiel am besten eine internationale Reaktion auf die Rufe nach Unabhängigkeit oder Autonomie koordinieren, die wahrscheinlich in ganz Russland aufkommen werden? In vielen Regionen Russlands gibt es nicht-russische, nicht-slawische indigene Völker mit eigenen Kulturen und Sprachen sowie einer langen Geschichte der Unterwerfung und Ausbeutung durch Moskau. In einigen dieser Gebiete gibt es bereits kleine Unabhängigkeitsbewegungen und sogar Regierungen im Exil. Da Russland immer mehr in Unordnung gerät, sollten westliche Politiker damit rechnen, dass einige dieser Regionen Sicherheit und Stabilität in der Unabhängigkeit suchen werden. Die Vereinigten Staaten müssen mit ihren Partnern zusammenarbeiten, um eine Antwort auf diese Rufe nach Selbstbestimmung in einer Weise zu koordinieren, die mit den Interessen der USA und dem Völkerrecht in Einklang steht.
Formularende
Die politischen Entscheidungsträger in den USA sollten auch darüber nachdenken, wie sich die internen Kämpfe in Russland auf die verschiedenen ungelösten Konflikte auswirken könnten, die Russland in der gesamten Region angezettelt hat. Nicht nur Russlands Krieg in der Ukraine könnte durch den Ausbruch eines Bürgerkriegs beeinträchtigt werden. Die russische Besetzung der moldawischen Region Transnistrien sowie von Südossetien und Abchasien in Georgien könnte unhaltbar werden und diesen Ländern die Möglichkeit bieten, ihre territoriale Souveränität wiederherzustellen. Wenn Putin stürzt, könnte die Macht des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko über sein Land schwächer werden. Aserbaidschan würde auch versuchen, die russischen Friedenstruppen, die nach dem zweiten Berg-Karabach-Krieg dort stationiert wurden, zu entfernen. Jedes dieser Szenarien könnte einen Wandel herbeiführen, und keines von ihnen sollte den Westen überraschen.
Zum Autor
Luke Coffey ist ein leitender Mitarbeiter des Hudson Institute.
Der neue Hauptmainstream ist jetzt. die Stabilitätserwägungen -und Maximen der bisherigen Realpolitik als Leitmaxime der bisherigen Außenpolitik hätten ausgedient, da sie nur Despoten und deren Expansionen ermöglicht hätten ,wie auch diese System tendenziell instabil sind, weswegen das keine Realpolitik sei. Neue Devise: Man muss das Chaos eindämmen, da man es nicht beeinflussen kann. Chaosmanagement statt Krisenmanagement. Auf demokratische Regime changes hofft keiner mehr. Weder auf Chodorkowsky oder Nawalny. Momentan bezieht sich diese neue Sichtweise noch auf Russland. Und wie sieht das dann mit China und Xi aus? Auch nur Scheinstablität, die zur Expansion dränge (was ja so aussieht) und dann im Chaos und Instabilität innerhalb Chinas führen wird? Das ist vor allem die Sichtweise der Peakpower-Theorie. Bei diesen Betrachtungen scheinen aber westliche Diplomatie und Handlungen als Faktoren großteils als irrelevant erklärt zu werden, wie auch die Frage ist, inwieweit denn Bush seniors Irakkrieg, bei dem er Saddam Husein an der Macht ließ besser war, als Bush jrs. Neoconkrieg, der im Greater Middle East und dem Irak die Büchse der Pandorra und der ganzen Instabilität der Region bewirkte .Im Falle Russlands und Chinas ist nicht von den USA initierter direkter Krieg auf beide Länder zu erwarten, zumal sie Atomwaffenmächte sind. Aber ein Konflikt um das Südchinesische Meer und u Taiwan, könnte China dann doch instabli werden lassen, insofern man es jetzt nicht schon als instabil und tendenziell immer instabiler ansieht.
Interessant sind hierbei auch die Reaktionen und die Debatten chinesischer Netizens zum Wagnerputsch in Russland und der Frage inwieweit slch ein Szenario auch in China denkbar wäre,in den sozialen Medien, wie ihn die taz ganz plastisch schildert. .
China über Wagner-Chef Prigoschin: Nicht wirklich beste Freunde
Der russische Machtkampf beherrscht auch die öffentliche Debatte in China. Interessant ist, welche Meinungen zugelassen werden und welche nicht.
Nichts erregt die Gemüter rund um die Welt heute mehr als Jewgeni Prigoschins kurzlebige Rebellion gegen den Kreml. Das gilt auch für China. Scheinbar unaufgeregt gab eine Außenamtssprecherin in Peking zu verstehen, Peking sei für eine schnelle Wiederherstellung der Ordnung in Russland. Kein Wort zu Wladimir Putin, Xi Jinpings gutem Freund. Kein Glückwunsch, dass die unverschämte Rebellion niedergeschlagen wurde. Der klare Subtext: Egal wie, Hauptsache, es stört uns in China nicht.
Daraufhin erregen sich die Gemüter umso buntscheckiger: „Egal wie, geht schon mal gar nicht“, schrieb einer, der mit dem Prinzip in China hochzufrieden ist, schließlich „herrscht bei uns die Doktrin: Immer beherrscht die Partei die Gewehre, niemals umgekehrt. Jetzt seht ihr, was passiert, wenn die Gewehre die Partei beherrschen würden. Wie dumm sind die Russen?“
Und ein anderer schießt zurück: „Wie naiv bist du? Versuch mal, unsere Soldaten nicht zu bezahlen, da wirst du sehen, was daraus wird. Es geht ums Geld. Wie heißt es noch einmal: Mit Geld kannst du nicht alles machen. Ohne kannst du nichts machen. Nichts, du Idiot. Prigoschin will mehr Geld.“ Der Dritte wirkt etwas ausbalancierter: „Wichtig ist aber: Was wird daraus? Wird die Ukraine die Rebellion zu ihrem Nutzen ausschlachten, die Krim zurückholen? Wenn ich Selenski wäre: Ich würde es tun.“
Ihn ermutigt der Vierte: „Na dann, mach unserer Führung den Vorschlag, wir Chinesen sollen versuchen, die Schwäche von Putin auszuschlachten – wie wäre es damit, Wladiwostok zurückzuholen? Das liegt gut 8.000 Kilometer weit weg von Moskau und dürfte Putin wesentlich weniger wehtun als Prigoschin. Der Bursche war schon mal wesentlich näher dran.“
Nicht wirklich beste Freunde
Ein Fünfter protestiert: „Ach, unsre Schlafmützen da oben. Die haben noch nicht mal bemerkt, dass Putin in der Krise zuerst Nordkorea und Kasachstan angerufen hat, nicht unser Politbüro? Der beste Freund von Putin ist China ja nicht. Der Zar kann sich auf uns nicht verlassen. Und wir sollten uns selbst auch nicht allzu ernst nehmen – der Russen wegen schon mal gar nicht.“ Von allen ist der Sechste der Tollkühnste.
Er fragt, was passieren würde, „wenn inmitten eines sagen wir Krieges gegen Taiwan auch bei uns so einer daherkommt und verlangt, den Verteidigungsminister und Generalstabschef einen Kopf kürzer zu machen, quasi so ein Prigoschin à la chinoise?“ Keiner antwortet auf ihn, oder keine Antwort auf ihn, wie auch immer sie aussehen mag, schafft es, im chinesischen Internet zu erscheinen. Nur hörbarer kocht die Gerüchteküche um den angeschlagenen Kremlchef.
„Wenn der Großkaiser Putin keinem mehr befehligen kann?“ „Würde der Großkaiser nun doch seinen Verteidigungsminister abservieren?“ Und: „Weiter kommt er in der Ukraine dennoch nicht?“ Hier entsteht der Eindruck, dass es schlecht aussieht für Putin und seinen Krieg. Vielsagend ist, dass kein Kommentar wegen ablehnender Haltung gegenüber Putin zensiert wird, obschon der doch ausdrücklich ein guter Freund von Xi Jinping sei.
Der unauffälligste Kommentator ist einer, der sich fragt, was mit Prigoschin passiert ist oder noch passieren kann: „Ich vermute, dass der morgens entschlossen war, die Macht im Kreml an sich zu reißen. Unterwegs aber fällt ihm ein, dass ihm das Kochen wichtiger ist. Also dampft er nach Belarus ab und führt dort ein Dreisternerestaurant. Wie wäre es damit? Das Volk hält seinen Magen für das Wichtigste.“
Niemand nimmt Anstoß daran, dass der Mann eventuell böse auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise in China anspielen könnte. Auch das fällt auf.