Interview mit General(a.D.) Domroese über den Ukrainekrieg: „Verhandelbar ist grundsätzlich alles““Ein Kriterium könnte das sogenannte „operative Minimum“ sein.Die Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umzustellen, das will vermutlich keine Nation“
Global Review hatte die Ehre mit General a. D. Domroese ein weiteres Interview über den Ukrainekrieg, die Lage in Russland nach dem Prigoschinmarsch und eine mögliche Waffenstillsordnung zu führen.
General Hans-Lothar Domröse ist ein ehemaliger General des Heeres der Bundeswehr. Er war Kommandeur des Alliierten Joint Force Command Brunssum (2012-2016). 2011 wurde General Domröse zum deutschen Militärvertreter MC / NATO und EU in Brüssel ernannt. Er übernahm das Kommando des Eurokorps in Straßburg (2009-2012). Während eines Einsatzes in Afghanistan im Jahr 2008 war er Stabschef des ISAF-Hauptquartiers. General Domröse erhielt während seiner Militärkarriere eine Vielzahl von Auszeichnungen und Ehrungen. Er ist Senior Berater in der Consultingfima Friedrich 30, zu der auch Ex-BND-Präsident Schindler gehört und im Globalen Netzwerk der Agora Strategy Group der Munich Security Conference.

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Global Review: General Domroese, wenn Sie sich den bisherigen Verlauf der Ukraineoffensive sehen, wie beurteilen Sie diese? Braucht sie noch etwas Zeit, um sich zu entfalten, die vielzitierten 3 Monate , die einige Militärexperten meinen, um ihre volle Dynamik zu entfalten und dann auch den Donbass und die Krim zu befreien und einen „Sieg“ der Ukraine wie dies Ben Hodges für August/September kommen sieht? Die Ukrainer verstärken ja gerade ihre Angriffe im Süden und auf die Krim, der ukrainische Geheimdienstchef erklärte gar, bald schon würden ukrainische Truppen die Krim „betreten“, wobei Hodges ja noch zuvor etwas zurückruderte und von einer Blockade, Abschneiden und Quasiaushungern der Krim sprach. Ist dies bei dem derzeitigen Stand erwartbar oder bräuchte es dazu noch andere Waffenlieferungen und sogenannte game changer we die Kampfflugzeuge oder ATAMCS? Wie groß sehen sie die Gefahr, dass Putin doch noch eskalieren würde, vielleicht noch nuklear oder ala Bomber Harris mit Flächenbombardements von ukrainischen Städten?
General Domrorese: Ihre Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn beide Seiten definieren Erfolg sicherlich unterschiedlich. What does winning mean? Was ist das strategische, politische Ziel, zu dem Soldaten beitragen sollen ? Ziel des russischen Überfalls vom 24. Februar 2022 war es die Ukraine zu entwaffnen, zu entmündigen und in russischer Diktion zu „entnazifizieren“. Kurz: zum „hörigen Vasallen“ zu machen. Die Ukraine will ein souveräner Staat in den Grenzen von 1991 bleiben und deshalb will sie alle besetzten Gebiete zurückerobern oder zurückbekommen. Mathematisch ein klassisches Null-Summen-Spiel bei dem jede Seite das Gleiche will – aber eine politische Verhandlungslösung scheint derzeit ausgeschlossen. Eine militärische Lösung soll erzwungen werden.
Daran gemessen haben beide Kriegsparteien ihre Ziele noch lange nicht erreicht, obwohl Russland seit 2014 erhebliche Landstriche der Ukraine weggenommen hat. Gemessen an ihren begrenzten militärischen Möglichkeiten hat die Ukraine mit der Gegenoffensive seit Anfang Juli 2023 durchaus Erfolge erzielt und die Initiative zurückgewonnen. Das allein ist schon ein Erfolg – die Russen sind in die Defensive gezwungen worden und müssen darüberhinaus Schläge in Russland und sogar in Moskau hinnehmen. Dies zeigt: Russland ist verletzbar. Das russische Territorium ist kein Sanktuarium mehr; Goliath wankt (ein bisschen). David kämpft leidenschaftlich und könnte mit high-tech, highly sophistocated systems den in der Ukraine eingesetzten russischen Streitkräften erheblichen Schaden zufügen und deren Nachschub unterbinden. Und weil das so ist und weil der Kreml das weiß, droht er mit Eskalation, wie von Ihnen beschrieben.
Global Review: Wie beurteilen sie den Prigoschinmarsch. War das ein Putschversuch, nur die Forderung die Kriegsstrategie zu ändern und Schoigu und andere Militärs abzusetzen oder war dies eine konzertierte arbeitsteilige Aktion zwischen Putin und Prigoschin, gibt es „keine Risse im System Putin“ wie BND- Chef Kahl behauptete oder schon, aber noch nicht tief genug, u Putin zu stürzen, obgleich die ukrainische und britische Propaganda ja ständig einen Bürgerkrieg oder einen Putsch in Russland sieht? Wie sehen sie zudem die zukünftige Rolle und Stellung von Wagner und Prigoschin?
General Domroese: In der Tat ist die zwar erfolglose Rebellion vom 16./17. Juni aus meiner Sicht trotzdem ein Desaster für den Kreml und Präsident Putin. Die dilletantischen Verlautbarungen zeigen: das war nicht abgesprochen. Allein schon die Strafandrohung von rund 20 Jahren ist ein Witz, vergleicht man sie mit den drakonischen Strafen gegen Kreml-Gegner wie Nawalny, Kara-Mursa, Skripal oder andere . Worte können einen zig Jahre in den Gulag bringen Straftaten und Verbrechen, wie Mord, Schüsse auf die eigene Truppe, wie im Bürgerkrieg, Aufmarsch und Aufruhr hinnehmen und sogar Straffreiheit gewähren – wenn das kein Chaos beschreibt, wenn das kein Reputationsverlust für Putin ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren soll. General Popov hat sich den kritischen Worten Prigoschins angeschlossen – er wurde nach Syrien oder in den Ruhestand versetzt. General Dwornikow , der „Schlächter von Syrien“ wurde wegen Erfolgslosigkeit in der Ukraine abgelöst – nach nur 3 Monaten. Prigoschin „pendelt“ ungestört zwischen Weißrussland und St. Petersburg. Das zeigt: es knirscht in der Führung, insbesondere im Verteidigungsministerium, wo Minister Schoigu und Generalstabschef Gerassimov unter Druck stehen, weil Erfolge ausbleiben, die im Herbst annektierten vier südöstlichen Provinzen der Ukraine noch immer nicht vollständig kontrolliert werden, die russische Hauptstadt und die Krim „ungeschützt“ und viele Tote zu beklagen sind. Ein Gefühl von Unsicherheit breitet sich in der Bevölkerung aus. Die „Spezialoperation“ hat sich längst in einen veritablen Krieg mit Tod, Verwundung und Elend verwandelt. Und was macht der Präsident? Er verschanzt sich, er reist nicht mehr, er hält Hof, er säubert und setzt auf personelle Loyalität vor Kompetenz. Er hat offenbar keine Vision, wie ein Sieg zu erreichen ist. Damit ist er aus meiner Sicht „angeschlagen“ – a declining star.
Gänzlich anders die Rolle der Wagner-Söldner: man braucht den skrupellosen „Auslandsdienst“ in Mali, Niger und Sudan, um nur drei Länder in Afrika zu nennen, wo diese Kräfte Putschisten unterstützen. Erst kürzlich hatte der russische Außenminister Lawrow die Wagners als Friedenstruppe für den Sudan vorgeschlagen. In Belarus bilden die Wagners Streitkräfte aus und schleusen Migranten zur polnischen Grenze mit dem Ziel, den Westen zu destabilisieren. Das alles zeigt: Pack schlägt sich – Pack verträgt sich…
Global Review: Putin scheint ja nicht mehr ins Ausland zu reisen, hat sich nun schon desöfteren per Video zuschalten lassen. Scheinbar befürchtet er weniger, dass er wegen des internationalen Haftbefehls von Baerbock verhaftet werden könnte, sondern dass er einen Flugzeugabsturz ala General Lebed erleiden könnte, ein Attentat oder wie damals König Sihanouk durch einen Putsch und Machtwechsel Lon Nols in seiner Abwesenheit gestürzt werden könnte, ja dann vielleicht bestenfalls noch in China oder Nordkorea Exil bekommen könnte. Täuscht der Eindruck und von welcher Seite könnte solch ein Szenario durchgeführt werden?
General Domroese: Sie beschreiben das klassische Putsch Szenario – so ein Umsturz würde „von innen“ angezettelt. Die Dienste stehen im Ruf, so etwas machen zu können: Giftspritzen, Hausarrest, Verkehrsunfälle. Gemeinsam mit „den Oligarchen“ und den „Medwedevs“, die weiter „oben“ bleiben wollen. Das wäre aber kein Regime change – lediglich Personalwechsel in unveränderter Diktatur. Nach dem Motto: der Mann hat seine Schuldigkeit getan…er kann gehen – und sich auf der Datscha ein schönes Leben machen. Gorbatschow, Jelzin und andere haben Ähnliches erfahren…
Global Review: General Vad sieht zwischen dem Afghanistankrieg und dem Ukrainekrieg einen wesentlichen Unterschied: „Die Ukrainer, von denen wie in RUS sich auch tausende dem Wehrdienst entziehen, sind keine Mudjaheddin, keine Stammesgesellschaft mit ihrer hohen, religiös fundierten Kampfmoral und der Bereitschaft, den Kampf in die Länge zu ziehen nach dem Motto : ihr habt die teuren Uhren, wir haben die Zeit !Und : im Unterschied zu AFG kann RUS aus strategischen Gründen den Donbass und die Krim nicht aufgeben. Es wäre ihr Ende als Weltmacht. Daher halte ich einen langen Abnutzungskrieg oder eine Korealösung für wahrscheinlicher. Es könnte aber auch sein, dass RUS vorher doch noch die Region Odessa, ohne die die Westukraine allein nicht mehr lebensfähig ist, besetzt, zumindest als Faustpfand für Verhandlungen. Aus Russlands Sicht wäre das die perfekte militärische Position für spätere Verhandlungen.“ Aber wäre Odessa für den Westen und die Ukraine, was die Krim für Putin ist. Ist das überhaupt verhandelbar?
General Domroese: Vergleiche sind nicht so einfach. Der Abzug aus Afghanistan war ein Fehler – für die Russen und auch für die Amerikaner. Die Fehleinschätzung, „AFG sei strategisch nicht wichtig“ hat genau zu dem geführt, was wir heute sehen. Das Land ist geopolitisch Spielball zwischen Iran, Pakistan und China . Und innenpolitisch ein menschenverachtendes Regime ohne Rechte für die Bürger. Frauen und Mädchen sind am Härtesten getroffen. Es ist ein Jammer.
In der Ukraine muss das nicht so kommen: Erstens leisten die Ukrainer bewundernswert Widerstand – vorbildlich angeführt von ihrem Präsidenten – in Afghanistan hat Präsident Ghani als Erster sein Land verlassen! Zweitens werden sie von den NATO-Nationen und weiteren G-20 Ländern unterstützt „so lange, wie nötig“ und drittens ist der Donbass de-industrialisiert, völlig zerstört und menschenleer. Warum das Gebiet für Russland strategisch nicht verzichtbar wäre, erschließt sich mir nicht. Die Krim ist zugegeben der „weiße Elefant“ im geopolitischen Raum. Allein die russische Schwarzmeerflotte verlöre ihren safe haven in Sewastopol. Das wäre ein Schlag für Russland. Man kann jedoch an der russischen Gegenküste etwa bei Kertsch einen neuen Marinestützpunkt errichten. Selbst mit der Aufgabe aller besetzten Gebiete bliebe Russland noch P5-Member und atomare Weltmacht, so wie die USA nach erfolglosem Vietnam-Krieg.
Gänzlich anders die Auswirkungen für die Ukraine: Sie wäre bei Wegnahme der Region Odessa in der Tat a „land-locked country“, wie Afghanistan. Ein Land ohne Zugang zu den Meeren – das ist deutlich unerträglicher als die Rückgabe der Krim durch Russland. Die Ukrainer werden daher den Verlust von Odessa militärisch zu vereiteln wissen. Insofern ordne ich den Vergleich mit dem flotten Spruch von Peer Steinbrück ein: „…hätte, hätte, Fahrradkette“.
Verhandelbar ist grundsätzlich alles.
Die Grenzen der Ukraine von 1991 waren völkerrechtlich anerkannt – auch von Russland! Warum soll man das nicht eines Tages erneut erreichen können? Oder warum soll die angegriffene Ukraine auf eigenes Territorium verzichten? Wer ist Opfer – wer Täter?!
Im sog. Helsinki-Prozess hat man vor 50 Jahren festgelegt, dass Grenzen im beiderseitigen Einverständnis, aber nicht mit Gewalt verändert weren dürfen.
Global Review: Professor van Ess stellte noch folgende zentrale Frage: „In der Ukraine wird ein großes Ding gedreht. Deutschland mit AM Steinmeier hatte 2015 versucht, das zu verhindern, musste aber sehen, dass seine Einflussmöglichkeiten begrenzt waren, als Joe Biden an die Macht kam. Seitdem tobt der Kampf zwischen Amerikanern und Russen, und wir nehmen nur noch Flüchtlinge auf – und zahlen für sie und dafür, dass die Russen Leo 2’s zerstören dürfen. Erschreckend war aus der Analyse des Afghanistan-Artikels, dass die Amerikaner erst nach 7 Jahren die Waffen lieferten, mit denen die Luftherrschaft der Russen gebrochen und der Krieg gegen sie entschieden wurde. Vorher war Abnutzungskrieg, der Mudschaheddin und den Russen beiden schadete. Wie sieht das heute aus? Haben wir uns auf ein paar Jahre Abnutzung einzustellen, am Ende derer dann der Gamechanger kommt? Oder ist die Sache doch anders, weil der Krieg verlustreicher und außerdem Russland selbst direkt betroffen ist?“
General Domroese: Ich gebe zu, dass ich zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 von „einem 6-Tage-Kriegs-Szenario“ ausgegangen bin und dachte, eine Weltmacht würde mit groß angelegten joint operations die Ukrainer rasch in die Knie zwingen. Und heute? Wir sehen eine Streitmacht, die ihr Handwerk nicht beherrscht, marodiert, brandschatzt, vergewaltigt und undiszipliniert vor sich hin „stottert“ – numehr seit anderthalb Jahren – ohne, dass ein baldiges Ende erkennbar wäre. Insofern müssen wir uns in der Tat auf einen längeren Kriegsverlauf einstellen.
Da die Ukraine heute ausschließlich von westlichen Waffenlieferungen abhängig ist, werden die „Westmächte“ ein Wort mitsprechen, denke ich. Ein Kriterium könnte das sogenannte „operative Minimum“ sein, das wir selbst für uns nicht unterschreiten dürfen, wenn wir uns auch weiterhin selbst verteidigen können wollen. Es ist auch eine Frage der Produktion von Munition, Waffen und Gerät – derzeit verbrauchen die Kriegsparteien mehr, als wir produzieren. Die Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umzustellen, das will vermutlich keine Nation. Zudem wird in Europa und den USA nächsten Spätsommer gewählt – auch das kann den Kriegsverlauf beeinflussen. Ich vermute, dass der Westen letztendlich mehr leistungsfähigere Waffen und Systeme liefern wird, um das Überleben der Ukraine zu ermöglichen. Nicht, um Russland zu vernichten. Klar allerdings ist: Goliath ist viel größer und kann länger durchhalten.
Weisheit ist also gefordert, wenn beide Seiten militärisch nicht weiterkommen und nur noch Tod und Elend herrschen. Dann sollte man die Kampfhandlungen einstellen und verhandeln. Gefangenenaustausch, Übergabe Gefallener und Vermisster wären erste Schritte. Vor einem Waffenstillstand müssen jedoch der Ukraine Sicherheitsgarantien zugestanden werden, damit die Russen die Pause nicht als Erholung vor einem erneutem Angriff nutzen. Das Beispiel Israel hat den Vorteil, dass man nicht Sicherheitsgarantie-Truppen in der Ukraine stationieren muss, sondern starke Kräfte „over the horizon“ bereithält für den schlimmsten Fall. Zusätzlich könnte man mit Luftstreitkräften air policing, wie im Baltikum, übernehmen. Die koreanische (und deutsche) Variante zwingt zu sofortiger Stationierung starker US und europäischer Bataillone an der „Waffenstillstandslinie“. So oder so würden dann jahrelange, zähe Friedensverhandlungen – unter der UN oder US-CHN co-chair – starten.
Global Review: General Vad, General Kujat und der ehemalige Putin- und Gazpromberater Dr. Rahr waren letzte Woche zum Amreetag der VBA in der chinesischen Botschaft in Berlin zu einem Gespräch mit dem chinesischen Botschafter. #. Soweit Dr. Rahr es schilderte, ging mehr konkret um das Getreideabkommen und Afrika ging. Zumal Afrika, vor allem Südafrikas ANC-BRICS- Ramaphosa sich auf dem Afrika- Russland- Gipfel in Sankt Petersburg nicht mit Putins Versprechungen von Getreidelieferungen und eines Schuldenerlasses zufrieden geben wollte sondern auch eine umgehende Beendigung des Ukrainekrieges forderte, zumal unter Berufung auf die afrikanische und chinesische Friedensinitiative. Laut Rahr erhofft sich China hier Zugeständnisse Russlands und nach dem Fall Nigers von Putin eine Grundsatzrede über eine neue multipolare Weltordnung. Ob noch mehr besprochen wurde, wurde mir nicht mitgeteilt. Laut Vad hofft China auf eine deutsch-französische Ukraineinitiative, die mit Chinas GSI kompatibel sein soll. Eigentlich klingt da raus, dass Putin- Russland dann eben auch nur noch als Hilfskraft und unausgesprochen Regionalmacht mit Atomwaffen für seine eigenen Ambitionen und als junior partner sieht, der sich wegen Wagnertruppen und ein paar gemeinsamen SCO- und Marinemanövern noch ein bisschen als Weltmacht und Sowjetunion halluzinieren darf und Hilfsdienste für China in Afrika und andernorts verrichten darf, zumal Putin behauptete mit 40 Staaten Militärverträge nach dem Putsch im Niger abgeschlossen zu haben. Wie schätzen sie das ein?
General Domroese: Zunächst will ich Ihre Erwartungen an eine multipolare Weltordnung etwas dämpfen, wenn ich darf. Ich sehe weiterhin eine bi-polare Welt, nämlich USA und CHINA als DIE jeweiligen Führungsmächte. Diese beiden Staaten sind einzig in der Lage – gut oder schlecht – MACHT im globalen Maßstab durchzusetzen. Insofern bleibt es bi-polar. Das zeigt: Russland gehört nicht mehr zu den „Ganz Großen“ – so wie die Mittelmächte England und Frankreich bleiben sie aber P5-Member. Kein Grund, einen Krieg „vom Zaun zu brechen“.
Wir erleben gerade mit, wie schwer sich europäische Sicherheit inmitten globaler Machtverschiebungen garantieren lässt. Am Beispiel der Ukraine sehen wir überdeutlich: es sind die Amerikaner, die Europa retten – nicht wir Europäer. das sollte uns zu denken geben. Das müssen wir ändern! Wenn wir uns nicht selbst verteidigen, dann werden die Amerikaner es auf Dauer auch nicht mehr tun. Allein schon, weil sie an anderer Stelle auch gebraucht werden. Die Brennpunkte sind klar und gleichen einem Dreieck: Taiwan, Iran, Russland. Es geht um Freiheit oder Zwang, um Rechtstaatlichkeit oder Diktatur.
Die russische Invasion in die Ukraine ist quasi der Brennpunkt einer größeren Herausforderung, die den globalen Süden weiter extrem benachteiligt und uns alle sehr belastet. Ein „unheiliges Trio“ von Putin, Xi und Raisi fordert uns heraus.
Ambiguität erschwert dabei eine transparente Lösung für alle Beteiligten: was für China Taiwan ist, ist für die Ukraine die Krim. Der Westen unterstützt die Ukraine „so lange, wie nötig“, aber nicht „mit allem Nötigen“. Wir haben unsere Botschafter in Peking, nicht in Taiwan. Russland unterstützt China diesbezüglich, will aber eigennützig die Krim besitzen und führt deswegen sogar Krieg. Iran will Israel nicht anerkennen, vielleicht sogar vernichten – wir betrachten Israel als Staatsräson und stehen dennoch für eine Zwei-Staaten-Lösung.
Anbetracht dieser und weiterer globaler Herausforderungen wie die des Klimawandels, der Ernährungsknappheit und der Migration ist es Zeit, konkrete Vorschläge für ein partnerschaftliches Miteinander gemeinsam zu erörtern. Nullsummenspiele funktionieren geopolitisch nicht. Wir brauchen eine Art „KSZE 2.0“. Vor allem aber müssen wir die „ungewollten Nebenwirkungen“ unserer häufig zweideutigen Aussagen überwinden, wollen wir glaubwürdig sein.
Global Review: Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass ein internationaler gamechanger, wie ein Wahlsieg Tumps oder Le Pens oder sinomaerikanischer Konflikt um Taiwan oder im Indopazifik oder ein Nahostkrieg zwischen Iran und Israel da ein gamechanger werden könnte?
General Domroese: Nun, wie ich bereits ausführte sind die drei Alleinherrscher eine besonders große Gefahr, wenn sie ihre Aktionen abgestimmt durchführten. Klar für mich ist, dass die USA für uns alle diese Gefahr als Lead-Nation abwehren muss. Europa ist dazu nicht in der Lage. Leider. Aber wir müssen die USA tatkräftig unterstützen. Eine Verschlechterung der amerikanisch-chinesischen-Beziehungen könnte zu US-Sanktionen führen, die Deutschland (und Europa +) mittragen müsste – die negativen Konsequenzen für unsere Wirtschaft sind offensichtlich. Dabei spreche ich noch nicht von einem Waffengang. Das wäre der worst case: kriegerische Auseinandersetzungen an allen drei Brandherden gleichzeitig. Das wäre Weltkrieg – den glücklicherweise niemand will, weil keiner gewinnen würde.
Würde Le Pen in Paris regieren, dann wäre das nicht gut – aber NICHT das Ende der EU/Europas. Käme Trump zurück in’s Weiße Haus, dann würden nationalistische Fliehkräfte unsere Lebensform erheblich unter Druck setzen. Allein auf sich gestellt, wäre Deutschlands bzw Europas Sicherheit, Freiheit und damit Wohlstand stark gefährdet – mit allen unerwünschten Folgen.
So what? Da wir weder auf die amerikanischen, noch die französischen Wähler Einfluss ausüben können, gilt es unsere Souveränität im Kreise gleichgesinnter Partner auszubauen und zu festigen. Motto: das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein. Aber auch ohne Trump und Le Pen müssen wir mehr dazu beitragen, um die globalen Herausforderungen meistern zu können. Wir gehen von einer Ära des Überflusses in eine Ära der Knappheit.
Global Review: Biden hat der Ukraine nun eine Israellösung in Aussicht gestellt, da eine NATO -Mitgliedschaft im Moment nicht möglich oder gewollt sei. Aber ist das sinnvoll? NATO-Mitgliedschaft nicht jetzt, sondern als Perspektive schon , aber eine Israellösung ist ja auch keine reale Sicherheitsgarantie, zumal die Ukraine anders als Israel ja keine Atomwaffen hat, sondern nur eine permanente US -und NATO-Coalition of the Willing-Militärbasis in einer mit Meereszugang geteilten Ukraine als Stolperdraht und Abscheckungsbollwerk mit US- Atomschutz für Russland, vielleicht nach General Milleys angedeutete „Korealösung“? Alles andere könnte doch dazu führen, dass Russland nach einer Erholungspause erneut einen Krieg beginnt. Aber will Biden oder Trump oder De Santis das oder machen Sie da denselben Fehler wie beim Budapest Memorandum und Dean Achesons fehlender Garantie für Südkorea kurz vor dem Koreakrieg, den Stalin, Mao und Kim gerne ausnutzen wollte, wie dies Xi und Putin bei dem angeblich mit Irak- und Afghanistanrückzug im Rückzug befindlichen Westen mittels Ukrainekrieg, den sie hofften in 3 Wochen zu gewinnen, die historische Schlappe der NATO und damit den Durchbruch zur multipolaren Welt unter ihrer Hegemonie zu erreichen? Warum nicht Japanmodell mit US- Atomschutz, bilateralem Sicherheitsvertrag und Militärbasen statt strategic ambuiguity ala Taiwan oder diese Neobudapester „Israellösung“?
General Domroese: Aus meiner Sicht war eine sofortige Aufnahme der Ukraine in die NATO nicht einstimmig erreichbar – auch, weil man dann ja sofort den Verteidigungsfall gehabt hätte. Insofern ist die feste Zusage „für danach“ glaubwürdig und zielführend. Mit Blick auf diedie sogenannte „Israel-Lösung“ bin ich nicht der Auffassung, dass das nichts bringt. Mit glaubwürdigen Ankündigungen und kampfstarken Truppen „over the horizon“ könnte man auf Russland durchaus abschreckend wirken. Unter anderem auch deshalb, weil es bei Verletzungen ja automatisch zur Stationierung käme. Russland befände sich dann keinen Schritt weiter. Im Gegenteil: dann stünden wieder Panzer gegen Panzer, wie einst im geteilten Deutschland am Checkpoint Charlie. Die Korea- oder Japan-Lösung würde Russland sichtbar den gewaltsamen Zugang zur Ukraine verwehren, aber zugleich die Amerikaner und Europäer „fixieren“. Machbar, aber nicht ideal.
Global Review: Wie sehen sie die mittel- und langfristige Optionen? Soll man eine europäische Nachukrainekriegsordnung mit oder ohne Russland oder gegen Russland etablieren? Alexander Motley ist in einem programmatischen Artikel in der Foreign Policy der Ansicht, dass man unabhängig, wer in Russland die Nachfolge Putins übernimmt, einen Sperrriegel vom Baltikum über die Ukraine bis nach Zentralasien errichten sollte, auch ist in einigen US-Expertenkreisen von einem New Iron Curtain die Rede, den z. B. Ben Hodges aber wieder ablehnt, zudem auch unklar ist, was das genau bedeuten soll und ob der Westen da überhaupt die Finanzen und die Kraft und Ausdauer hat, diesen zu etablieren und zu halten? Andere Vorstellungen gehen von einer selektiven Kooperation mit Russland aus, zudem auch mit der Wiederbelebung Chinas Neuer Seidenstrasse, die mit der europäischen Seidenstrasse Global Gateway der EU kombiniert werden könnte?
General Domroese: Ich glaube nicht, dass wir Russland – dieses riesige Land mit seinen 140 Millionen Einwohnern – ignorieren und als „schwarzes Loch“ hinnehmen können. Denken Sie alleine an die Arktis oder die langen gemeinsamen Grenzen von Finnland bis zur Ukraine. Wir müssen mit unserem schwierigen Nachbarn friedlich zusammenleben – nicht ganz einfach nach Georgien, Krim und der laufenden Invasion. Gleichwohl setze ich auf Deterrence & Dialog. Rein wirtschaftlich braucht uns Russland mehr als umgekehrt. Eine Nuklearmacht sollte niemals „unkontrolliert im Orbit“ schweben. Das erfordert Geduld, Besonnenheit, Konsequenz und vor allem Ausdauer. Es kann und es muss uns gelingen.