Hamaskrieg in der deutschen Zeitenwende: Deutsche Geißel, Kiwis Elitesoldat und weitere menschliche Betroffenheiten
Es bleibt abzuwarten, wie sich der Hamaskrieg auf und in Deutschland auswirkt, wenn Islamisten und Israelhasser demonstrieren, Israel den Gaza in die Steinzeit zurückbomben sollte und es zu islamistischen Terroranschlägen in Deutschland käme. Ifo- Fuest und ein anderer Ökonom beruhigen die Deutschen, dass anders als im Ukrainekrieg keine wirtschaftlichen Folgen zu erwarten seien, da die Lage anders als im Yom Kippurkrieg 1973 und die OPEC auch nicht mehr so mächtig sei. Israelsolidarität scheint also billig und preisgünstig zu bleiben. Es sei denn der Iran greife ein und das Ganze eskaliert.
Momentan scheint vor allem der Fall einer deutschen Geißel auf dem Technopartymassaker in Israel die Gemüter zu erregen.
„Männer mit motorisierten Gleitschirmen griffen Techno-Festival an: Die Hamas verschleppt eine junge Deutsche in den Gazastreifen
Die 22-jährige Shani Louk wurde in den Gazastreifen entführt. Sie ist sowohl deutsche als auch israelische Staatsbürgerin. Was bekannt ist und was nicht.“
Deutscher und israelischer Pass. Das verbindet. Der einfach halber: Eine Deutsche und damit ein Fall für das AA Baerbock oder auch Scholz? Da wird wie bei der Schleierentführung wieder die Frage kommen: Hart bleiben und die Geißel opfern oder nachgeben und sich erpressen lassen, wie man das noch bei der Entführung des CDU-Politikers Lorenz durch die RZ machte, was die RAF dann so richtig erst auf den Geschmack brachte. Aber Schleier und Lorenz waren Deutsche und keine Juden. Zumal auch ohne doppelte Staatsangehörigkeit und Doppelpass Ansonsten kämen bei Misslingen wieder ungute Erinnerungen an Olympia und Fürstenfeldbruck 1972 und das Massaker an den israelischen Sportlern auf. Darf der deutsche Staat über jüdisches Leben entscheiden, das auch deutsches ist? Oder wegen der deutschen Geschichte besser nicht oder gerade deswegen? Oder übernehmen dies doch lieber die Israelis besser selbst? Die GSG 9 hat ja seit Bad Kleinen auch nicht mehr so einen guten Ruf. Interessanterweise ist heute auch in der Jerusalem Post ein Artikel, der behauptet, der jetzige Hamaskrieg sei letztendlich auf die nachgiebige Haltung der israelischen Regierung damals im damaligen Entführungsfall des IDF-Soldaten Gilat Shalit zurückzuführen. Scheinbar wird wohl in Israel diskutiert ,ob man dieses No hostage is left behind, zumal auch im Austauschverhältnis 1 israelische Geißel gegen 1000 Dschihadisten noch so beibehalten kann und will.
Dann als besonders schlimm ein Massaker auf einer Technoparty, wo die doch alle immer so eskapadisch-hedonistisch-unpolitisch
sind, ja gerade nix von Politik und der sonstigen Welt wissen wollen, bis die sie dann einholt. Eva,Hermann würde da wahrscheinlich wie Peter Hahne bei dem Loveparadeunglück wieder die Strafe Gottes für Sodom und Gomorah und die Spaßgesellschaft sehen wahrscheinlich auch einige orthodoxe Rabbis und Juden, andere einen modernen Lifestyle, der den Kern des Westens und der Freiheit ausmacht.Da dürfte viel Israelsoli auch von Seiten der Berliner Technoclub und LGBTIQ-Szene zu erwarten sein, was wiederum Islamisten als Beweis des dekadenten Westens sehen werden, während die Regenbogenaktivisten zumal auch Hauptfeind nicht nur Orbans, Putins, sondern auch der unwoken Hassgegner von der AfD sind. Oder werden eher Vergleiche zum Bataclan gezogen?
Weitere persönliche prominente und damit medial-deutsche Betroffenheit als menschliche Illustration ist auch die Moderatorin des ZDF-Fernsehgartens Andrea Kiewel, die mit einem Elitesoldat der israelischen IDF verheiratet ist, der nun in den Krieg zieht: Während sie sich einen Auftritt der Partei DIE PARTEI in ihrer Sendung verbat, die auf den Krieg in Nagorny- Karabach hinweisen wollte, verhält sich dies im Falle Israels dann doch wieder anders.
„ZDF-Fernsehgarten-Moderatorin Kiewel erlebt Krieg in Israel – ihr Mann geht an die Front
Stand: 08.10.2023, 18:34 Uhr
Von: Bettina Menzel
Der Überfall der radikalislamistischen Hamas traf Israel augenscheinlich unvorbereitet – und veränderte auch das Leben der in Tel Aviv ansässigen Fernsehmoderatorin Andrea Kiewel auf einen Schlag.
Tel Aviv – Am Sonntag (8. Oktober) flimmerte ab 12 Uhr eine Aufzeichnung des ZDF-„Fernsehgarten“ mit Andrea Kiewel über die Bildschirme in Deutschland. Währenddessen befand sich die Fernsehmoderatorin mitten im Krieg in Israel. In der Jüdischen Allgemeinen berichtete Kiewel in einem Liveblog über ihre Flucht vor den anfliegenden Raketen in den Schutzraum ihrer Wohnung – und wie sich ihr Leben in Tel Aviv von einem Moment auf den anderen veränderte. Ihr Partner – ein ehemaliger Elite-Soldat – hat bereits die Jeans gegen die Uniform getauscht und kämpft.
Israel-Krieg: Fernsehmoderatorin harrt während Luftalarm in Tel Aviv in Bunker aus
Die radikalislamische Hamas startete am Samstag überraschend einen großangelegten Angriff auf Israel, bei dem mindestens 600 Menschen starben (Stand: 8.10.2023, 15.00 Uhr). Morgens um 7 Uhr bekam die Fernsehmoderatorin eine Nachricht von ihrer Schwiegermutter. „Are you good – geht es dir gut?“ Kiewel wunderte sich kurz und antwortete offenbar nichtsahnend: „Oh ja. Wir hatten so einen lustigen Abend bei Freunden.“ Dann ging es los und die Sirenen heulten in Tel Aviv. „Dieser Ton. Er geht durch Mark und Bein. Tief ins Herz. Und er öffnet alle Schleusen. Ich weine“, beschrieb die 58-Jährige den Moment als sie im kleinen Schutzraum – genannt Mamad – in ihrer Wohnung sitzt, neben sich der Hund.
„Die Sirene stoppt, und es macht ‚Bumm Bumm‘“, so die Moderatorin über das Geräusch als das israelische Schutzschild Iron Dome die anfliegenden feindlichen Raketen abschießt. Zunächst sei sie von einem weiteren Angriff aus Gaza ausgegangen. Doch kurze Zeit später spricht Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu von „Krieg“, am Sonntag ruft das israelische Sicherheitskabinett offiziell den Kriegszustand aus. „Der Krieg, der Israel durch eine mörderische Terrorattacke aus dem Gazastreifen aufgezwungen wurde, hat am 7. Oktober 2023 um 06.00 Uhr begonnen“, hieß es vom Büro des Ministerpräsidenten.
Andrea Kiewel über die große Solidarität in den ersten Stunden des Israel-Kriegs
Die Solidarität der Menschen in den ersten Stunden des Krieges war offenbar groß. Das Handy der Moderatorin stand kaum still, Nachrichten aus Deutschland und Israel – und in der WhatsApp Gruppe des Hauses der Moderatorin. Manchmal schimpfe man, weil einer der Nachbarn seinen Müll tagelang im Hausflur hat stehen lassen, so Kiewel und ergänzt: „In Situationen wie an diesem Samstagmorgen ist das alles vergessen. Wir wollen sicher sein, dass alle sicher sind.“ Als die Sirene kurz stoppte, entschloss sich die Moderatorin mit ihrem Hund kurz Gassi zu gehen. Während sonst alle Menschen auf der Straße in ihr Handy starren, grüßten an diesem Tag laut Moderatorin alle. Man mache sich gegenseitig Mut.
Gleichzeitig übte die 58-Jährige auch Kritik an der amtierenden Regierung in Israel. Seit Monaten gebe es Auseinandersetzungen im Westjordanland, so Kiewel in der Jüdischen Allgemeinen. „Araber gegen Siedler. Siedler gegen Araber. Terror. Mord. Tote. Verletzte. Es wird gezündelt und Öl ins Feuer gegossen.“ Doch die israelische Regierung spreche kein Machtwort zu ihren gewaltbereiten Siedlern. „Wie auch? Deren Partei ist in der Regierung“, so Kiewel. Damit würden sie sich selbst ins Bein schießen, glaubt die 68-Jährige.
Das Unverständnis über den Terrorangriff sei groß. Alle im Land würden sich fragen, wie Israel, genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg, erneut so angreifbar sein kann, berichtete die Moderatorin. Ganz Tel Aviv sei von Kameras überwacht. Wenn man falsch parke, bekomme man innerhalb von zehn Minuten einen Strafzettel – per E-Mail, mit Foto. „Wie also kann es sein, dass die Grenze zu Gaza so schändlich vernachlässigt wurde? Warum kann dieser Terroranschlag so blutig und gewalttätig über die Bühne gehen? Wieso haben weder Mossad noch Schin Bet* etwas geahnt? Warum sind wir so unvorbereitet?“ Es klinge aus ihrer Sicht wie ein Totalausfall des israelischen Sicherheitsapparates.
ZDF-Fernsehmoderatorin im Israel-Krieg: „Nahe zusammenrücken, wenn alles auseinanderfliegt“
Ihr Mann habe bereits die Jeans gegen die Uniform getauscht und sei im Kriegseinsatz. „Noch gestern sangen und tanzten wir. Es ist absurd. Makaber. Unrealistisch“. Ihr Partner sei ein Fels in der Brandung. „25 Jahre als Elite-Soldat haben ihn viele schlimme Ereignisse erleben und überleben lassen.“ Es werde noch ein paar Raketen geben, habe er zu ihr gesagt. Und: Die Ruhe sei nur eine Atempause. Damit hatte er offenbar recht behalten. Seinem Auto habe sie lange nachgewunken, auch als es längst um die Ecke gebogen war. „Ich winke und winke. Und ertrinke in meinen Tränen“, schilderte die Moderatorin den Abschied.
Indes schreiben Menschen in Tel Aviv Briefe an Soldatinnen und Soldaten, Reservisten und Freiwillige, die in den Krieg zogen, um ihr Land zu verteidigen – den einzigen jüdischen Staat weltweit. Auch Andrea Kiewel ist unter denjenigen, die Botschaften an die Front richten. „All meine Liebe, ich bin so stolz auf euch“, liest man auf einem Zettel, den die Moderatorin ins Bild hält. In der Bildunterschrift heißt es: „Wenn alles um dich herum auseinanderfliegt, wenn Hamas-Terroristen Kinder, Frauen, Männer ermorden, foltern, vergewaltigen, abschlachten, demütigen, entführen, dann muss man ganz nah zusammenrücken. […] Ich bin mittendrin. Und rücke ganz nah zusammen. Bin ein bisschen weniger allein.“
Während viele Leute nur noch plakative menschliche Einzelschicksale interessiert, „betroffen“ sein wollen, irgendwie „Wahnsinn“ und „Die Menschheit lernt nichts“ jammern, sich eher echauffieren können, ob man nach der Brennpunktsendung im ARD dann „Verstehen Sie Spaß?“ senden solle, hier noch eine ganz gute weltpolitische Einordnung auch des Hamaskrieges gegen Israel als Lesetip:
„Dieser Herbst könnte als unselige Scharnierzeit in die Geschichte eingehen
Der politmediale Zirkus gastierte in Bayern und Hessen und präsentierte seine Sensatiönchen: Rote Karte für die Ampel! Dass Putin gerade seinen Krieg gegen die Ukraine gewinnt und Europa auch in Israel angegriffen wird, gerät da glatt zur Nebensache. Eine Kolumne.
08. Oktober 2023 , aktualisiert 09. Oktober 2023, 08:22 Uhr
Es ist gut möglich, dass der Herbst 2023 einmal als unselige Scharnierzeit, als Kette von verhängnisvollen politischen Wendemomenten in die europäische Geschichte eingehen wird. Als ein historisches Fenster, das Deutschland und Europa entschieden hätten aufstoßen müssen – das sich in Wahrheit aber langsam schloss. So langsam, dass zwar alle politischen Akteure es bemerkten, aber dennoch nichts unternahmen: aus Furcht vor der Zugluft der Weltgeschichte.
Der Kontrast zwischen den dramatischen Wochen in diesen Tagen und einem anderen Schicksalsmoment der deutschen Geschichte vor 100 Jahren könnte größer nicht sein: Während die Ruhrbesetzung und der „Deutsche Oktober“, der Hitler-Putsch und die Hyperinflation als ereignisdichte Entladung polit-ökonomischer Probleme die junge Weimarer Republik in ihren Grundfesten erschütterten, nehmen wir von den Vorbeben der politischen Selbstzerstörung Europas in diesen Wochen allenfalls beiläufig Notiz.
Der Unterschied: In der Weimarer Republik mussten die Regierenden (und die Deutschen) spätestens im Oktober 1923 um die Labilität der Demokratie und die Verletzlichkeit des Friedens in Europa wissen. In der Berliner Republik wollen die Regierenden (und die Deutschen) im Oktober 2023 davon nichts wissen. Es regiert ein Kindergartenkabinett, das sich der Realität nicht stellt, sondern sich vor ihr versteckt: Schnell, schnell, die Hände vor die Augen – und hoffen, dass die Welt noch so ist, wie sei einmal war, wenn man sich beizeiten traut, durch die Finger zu blinzeln.
SPD, Grüne und FDP erleben bei den Wahlen in Bayern und Hessen einschneidende Niederlagen. Der rechts-konservative Rand wächst. Lohnt es sich noch, von der Bundesregierung einen Neustart einzufordern? Ein Kommentar.
von Max Haerder
Alles, was noch wächst in diesem Land, sind Defizite in puncto geopolitischer Strategie und Lücken vorausschauenden außenpolitischen Handelns – sind Illusionen über den wirtschaftlichen Einfluss in der Welt und realisierte Machtverluste an den geografischen Rändern des Kontinents, sind Zerfallserscheinungen europäischer Solidarität und Blindstellen eines geschichtlichen (Selbst-)Bewusstseins, das Konsequenzen aus den Dimensionen der „Zeitenwende“ zöge.
Also lieber den Blick nach innen wenden, sich ablenken, sich gut unterhalten lassen. Man nimmt Platz im Zirkuszelt der Partei- und Provinzpolitik, der Umfragen und Wahlergebnisse, lässt sich einlullen von ein bisschen Polittheater in Bayern und Hessen: Hereinspaziert ins Phantasialand der Sensatiönchen! Rote Karte für die Ampel! Die Quittung für Nancy Faeser! Ein Desaster für die Söder-CSU! Als ob das im Moment wirklich auch nur von marginalem Interesse wäre.
Schon mitbekommen? Russlands regierender Menschenschlächter Wladimir Putin ist gerade dabei, den Krieg gegen die Ukraine und die EU zu seinen Gunsten zu wenden. Und allen voran die Deutschen verschanzen sich einmal mehr hinter der Formel „Es darf keinen Diktatfrieden geben“, statt dafür zu sorgen, dass es ihn tatsächlich nicht geben wird.
Dafür müsste Deutschland der Ukraine einmal mehr zügig(er) Waffen liefern, diesmal, um die russisch besetzte Krim angreifen zu können, müsste Munitionsfabriken am Fließband bauen und die eigenen Bestände laufend auffüllen, die Bundeswehr mit drei Prozent des BIP aufrüsten und sich gewiss auch eine europäische Nuklearstrategie überlegen. Wie sonst will man Putin an den Verhandlungstisch zwingen? Wie sonst meint man nach einem Waffenstillstand als künftige Schutzmacht der (Rest-?)Ukraine gegenüber Russland glaubhaft auftreten zu können?
Bundeskanzler Olaf Scholz amtiert all‘ diesen politischen Anforderungen hinterher, bestenfalls – denn offenbar ist die größte Sorge im Kanzleramt noch immer, dass Russland sich gedemütigt fühlen und eine militärische Niederlage des Putin-Regimes unkontrollierbare Zerfallsprozesse im Riesenreich zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok zur Folge haben könnte. Anders gesagt: Im Kanzleramt regieren noch immer eine hypothetische Angstprojektion und eingebildete Eskalationssorge – zugunsten der realen Gebietsgewinne und Machtzuwächse des Kreml, der hybriden Kriege und Destabilisierungsoffensiven Russlands, die tatsächlich zum Fürchten sind.
Man durfte im Frühjahr beinahe annehmen, der Kanzler habe nach zwölf Monaten des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine endlich verstanden, dass Russland fürs Erste ein Feind Europas und Deutschlands sein will und als ein solcher Feind behandelt zu werden verdient. Man konnte. Beinahe.
Jetzt, im Frühherbst 2023, im 21. Monat des Krieges, nach unzähligen Kriegsverbrechen Moskaus – zuletzt am Donnerstag der Angriff auf das ostukrainische Dorf Hrosa – weiß man: Scholz bleibt dabei. Moskau darf seinen asymmetrischen Krieg gegen die Ukraine so lange fortsetzen und brutalisieren, bis das Land zerstört und ausgeblutet ist. Und Kiew darf diesen asymmetrischen Krieg erdulden, aber nicht gewinnen – nicht mal auf eigenem Boden.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Deutschland und Europa befinden sich in der Defensive. Und es fehlt an Einsicht, Willen und Kraft, die „Zeitenwende“ geostrategisch, politisch und militärisch zu gestalten. Es spricht derzeit viel dafür, dass Deutschland und Europa in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts nur noch Zaungäste der Weltgeschichte sein werden – wenn sich das Blatt nicht in den nächsten 12, 14 Monaten entscheidend wendet.
Erstens: Es läuft nicht schlecht für Putin. Er hat sein Hauptziel, den Untergang der Ukraine, nicht erreicht und wird es wohl auch nicht erreichen; dafür leistet Kiew zu entschlossen Widerstand. Aber innenpolitisch sitzt Putin nach dem Prigoschin-Aufstand anscheinend recht fest im Sattel. Militärisch sind die Fronten zugunsten Russlands geklärt: Die Nato hat sich darauf festgelegt, dass der Krieg nicht auf russischem Boden stattfindet; Moskau allein verfügt über die Eskalationsdominanz; der Westen verweigert der Ukraine Waffen, mit denen sie in die Offensive kommen könnte.
Auch außenpolitisch findet Russland wieder Anschluss: China hält dem Kreml die Treue, bei den G-20- und BRICS-Gipfeln ist Moskau präsent – und an der Seite des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zieht Putin die Grenzen im Kaukasus fest (Armenien/Aserbaidschan) – und schickt die EU dabei auf die politische Zuschauertribüne. Selbst wirtschaftlich läuft es für Russland besser als von vielen angenommen.
Zweitens: Es läuft nicht gut für Europa – und auch nicht in Europa. Im Gegenteil. Wohlmeinende Transatlantiker aus den USA bitten Deutschland seit drei Jahrzehnten, mehr Verantwortung in Europa, eine geostrategische Führungsrolle in der EU zu übernehmen – vergeblich. Jetzt stressieren China und Russland über ihren engen Verbündeten Iran den Mittleren Osten: Die USA sind nach dem Angriff der von Teheran unterstützten Hamas auf Israel nunmehr in der Ukraine und in Israel gefordert – das schwächt die finanziellen und militärischen Kräfte der einstigen Supermacht, übrigens auch mit Blick auf Taiwan.
Auch der Zeitpunkt der Eröffnung einer „zweiten Front“ ist denkbar ungünstig. Trumpistische Republikaner in den USA und sozialnationalistische Links-Rechts-Populisten in Europa spielen die (Überlebens-)Interessen der Ukraine inzwischen routiniert gegen die (Lebensstandard-)Interessen der einheimischen Bevölkerung aus. Der US-Kongress ist nach dem Putsch antidemokratischer Kräfte gegen den „Speaker“ Kevin McCarthy vorerst entscheidungsunfähig. X-Chef Elon Musk baut unterdessen eine Armee von „citizen journalists“ auf, die mit ihren Smartphones „der Wahrheit“ auf der Spur sein sollen – ein Frontalangriff auf die professionelle Verarbeitung und geprüfte Distribution nachrichtlicher Informationen.
In der Slowakei stellt Wahlsieger und Russland-Freund Robert Fico weitere Ukraine-Hilfen infrage. In Serbien lässt Präsident und Putin-Freund Alexander Vucic Soldaten an der Grenze zum Kosovo aufmarschieren – und es braucht einmal mehr die USA in Europa, damit er sie wieder zurückpfeift. Aus den Sahel-Ländern wird Europa nach etlichen Militärputschen nachgerade vertrieben, um dort russischen und chinesischen Interessen zu weichen. Den erzwungenen Abzug von gut 100.000 Armeniern aus Aserbaidschan (Berg-Karabach) kann Europa nur hilflos beurkunden. Und der tunesische Präsident Kais Saled treibt die EU mit immer neuen Geldforderungen vor sich her – so er denn überhaupt noch Interesse an einem Migrationsabkommen hat.
Es wäre naiv, in vielen dieser Entwicklungen nicht auch Erfolge von Russlands Destabilisierungsstrategien zu erkennen. Auch über die belarussische Grenze scheinen wieder Menschen nach Europa geschleust zu werden. Die Einwanderung wiederum belastet (das politische Klima in) Deutschland, entzweit die EU und stärkt rechtspopulistischen Kräfte, die sich als Putins Handlanger missbrauchen lassen oder ihm aus Überzeugung zu Diensten sind – weil sie am Abbau der Demokratie arbeiten und die EU auf den Müllhaufen der Geschichte wünschen.
Drittens: Vier Wahlen sind in den nächsten 12, 14 Monaten wegweisend – und sie alle haben nicht mit Bayern und Hessen zu tun. Am 15. Oktober wählt Polen: eine Richtungswahl für das Land – eine erste Schicksalswahl für Europa. Im Januar 2024 wählt Taiwan – und es spricht viel dafür, dass China das Ergebnis als Beleg dafür deuten wird, dass die Zeit für eine „Wiedervereinigung“ zunehmend knapp wird. Im Juni 2024 wählt Europa – traditionell eine Protestwahl. Ist das Migrationsproblem bis dahin nicht gelöst, droht ein Vormarsch der EU-Skeptiker und -Feinde in Brüssel. Und im November 2024 wählen die US-Amerikaner einen neuen Präsidenten. Sind Europa und Deutschland nicht vorbereitet, je: gerüstet für einen Trumpisten – dann sind die Weichen für die Marginalisierung des Kontinents im 21. Jahrhundert gestellt.