Ökonomie und Ideologie/ Unter- und Überbau: Extremismus und Islamismus als Armutsphänomen, der demokratische und kapitalistische Frieden und das Ende der Geschichte
Zur guten alten Frage, wie der Überbau vom Unterbau, Ideologie von den Produktionsverhältnissen und der Ökonomie bestimmt werde, gibt es massig Literatur, wobei einige Vertreter kulturellen und politischen Faktoren mehr Priorität geben als ökonomischen oder umgekehrt. Linke, wie auch sozialpädagogische Autoren versuchen zumeist einen Zusammenhang zwischen Armut und Extremismus, sei es Faschismus, Kommunismus oder Islamismus herzustellen und meinen, dass durch wirtschaftliche Entwicklung und Sozialstaat dies zu verhindern sei, ähnlich wie Bismarck den Kommunismus und ein deutsches 1917 mittels des Sozialstaats in Deutschland verhindert hätte.
Daniel Pipes vertritt die gegenteilige These, dass der Islamismus nicht ein Armuts- sondern ein Wohlstandsphänomen sei und klassenmäßig eher von Mittelschichten, Akademikern und auch Oberschichtenangehörige dominiert werde, die alte prosperierende islamistische Reiche zurückwünschten. Er widerspricht der These, dass Islamismus eine Folge von Armut und Prekarisierung sei. Dennoch räumt auch er der Ökonomie damit unter anderem Vorzeichen eine bedeutende Rolle ein, wenngleich er die Rolle der Ökonomie auch nicht zugunsten von kulturellen und politischen Faktoren überbewerten will:
„Imame in Nadelstreifen
von Daniel Pipes
Die Zeit
31. Januar 2002
Die Allerweltsweisheit, nach der wirtschaftliche Not den militanten Islam hervorbringe, hat viele einflussreiche Verfechter. Sogar einige Islamisten argumentieren so. Zum Beispiel meint Mahmud az-Zahar, ein Hamas-Führer in Gaza: „Es genügt, die verarmten Außenbezirke von Algier oder die Flüchtlingscamps in Gaza zu sehen, um zu verstehen, was die islamische Widerstandsbewegung stark macht.“ Aus diesem Grund, und um Anhänger anzulocken, bieten die islamistischen Organisationen breit gefächerte soziale Fürsorge an. Und sie propagieren eine „islamische Wirtschaft“ als „das barmherzigste gesellschaftliche Solidarsystem“.
Aber nicht nur die Islamisten, auch viele säkulare Muslime wie der ehemalige türkische Ministerpräsident Demirel sagen, die Armut sei die Quelle des militanten Islam. Linke im Mittleren Osten stimmen zu und deuten den Aufstieg des Islamismus als Ausdruck von Pessimismus: Weil die Menschen verzweifelt seien, flüchteten sie ins Übernatürliche. Der Sozialwissenschaftler Hushang Amirahmadi, ein Gelehrter iranischer Herkunft, behauptet, dass „die Wurzeln des islamischen Radikalismus außerhalb der Religion gesucht werden müssen: in der realen Welt kultureller Verzweiflung, ökonomischen Niedergangs, politischer Unterdrückung und geistigen Aufruhrs, in der sich die meisten Muslime von heute befinden“.
Bei westlichen Politikern findet diese Argumentation ebenfalls Anklang. Für den früheren US-Präsidenten Bill Clinton „speisen sich diese Kräfte der Reaktion aus der Desillusionierung, der Armut und der Verzweiflung“, und Israels Außenminister Schimon Peres stellt kurz und knapp fest, dass „der Fundamentalismus eine Form des Protests gegen Armut, Korruption, Unwissen und Diskrimminierung“ darstelle.
Doch die Tatsachen belegen kaum diesen behaupteten Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Lage und militantem Islam. Ökonomische Kriterien erweisen sich als untauglich, wenn man voraussagen will, wo der Islamismus erstarken wird und wo nicht. Nehmen wir das Beispiel Ägypten: 1980 interviewte der Soziologe Saad Eddin Ibrahim im Rahmen eines Forschungsprojekts Islamisten in ägyptischen Gefängnissen und fand heraus, dass das typische Mitglied dieser Gruppe „jung ist (Anfang zwanzig), aus ländlichen Gegenden oder kleinen Städten stammt, der Mittelschicht oder unteren Mittelklasse angehört, über hohe Leistungsfähigkeit und Motivation verfügt, außerordentlich mobil und mit einer wissenschaftlichen oder technischen Ausbildung ausgestattet ist sowie aus einer normalen intakten Familie kommt“.
Mit anderen Worten: Diese jungen Männer lagen „deutlich über dem Durchschnitt ihrer Generation“, sie waren „ideale oder modellhafte junge Ägypter“. In einer nachfolgenden Studie fand Ibrahim heraus, dass von 34 Mitgliedern der gewalttätigen Gruppe At-Takfir w’al-Hijra nicht weniger als 21 ihre Väter im öffentlichen Dienst hatten, fast alle in mittleren Positionen. Kürzlich entdeckte der kanadische Geheimdienst, dass die Führung der militanten islamischen Gruppe Al-Dschihad „zum großen Teil akademisch gebildet ist und ihren sozialen Hintergrund in der Mittelklasse hat“. Sie sind keineswegs Kinder von Armut und Verzweiflung.
Das fand auch die amerikanische Journalistin Geraldine Brooks heraus. Sie war völlig überrascht, als ihre Assistentin in Kairo zur Islamistin wurde: „Ich hatte angenommen, dass die Hinwendung zum Islam eine Verzweiflungshandlung armer Leute sei, die nach himmlischer Tröstung suchten. Aber Sahar (die Assistentin) war weder verzweifelt noch arm. Ihr Platz war irgendwo nahe der Stratosphäre der peinlich genau geordneten ägyptischen Gesellschaft.“ Bezeichnend ist ebenso die Einschätzung des Journalisten Hamza Hendawi: In Ägypten „bringt eine neue Sorte von Predigern in Nadelstreifenanzügen und mit Handys eine wachsende Zahl von Reichen und Mächtigen vom westlichen Lebensstil ab und macht den religiösen Konservatismus für sie attraktiv. Diese modernen Imame halten ihre Seminare an Festtafeln in einigen der luxuriösesten Häuser von Kairo und in Ägyptens Badeorten, um die Stil- und Bequemlichkeitsbedürfnisse der Wohlhabenden anzusprechen.“
Was für Ägypten gilt, trifft auch in anderen Ländern zu: Wie in den Hochzeiten des Faschismus und Marxismus-Leninismus zieht der militante Islam in großem Maße kompetente, motivierte und ehrgeizige Individuen an. In dieses Schema von finanzieller Sorglosigkeit und gehobener Ausbildung passen selbst jene Islamisten, die das letzte Opfer bringen: ihr Leben. Eine überdurchschnittliche Zahl von Terroristen und Selbstmordattentätern verfügt über höhere Bildung und arbeitet häufig in Ingenieurberufen oder in den Wissenschaften. Diese generelle Feststellung gilt für palästinensische Selbstmordattentäter ebenso wie für die Anhänger Osama bin Ladens, die am 11. September mit entführten Flugzeugen die Anschläge von New York und Washington verübten. Dieses Fazit leuchtet ein, sobald man begreift, dass die Selbstmordattentäter ihr Leben nicht wegwerfen, um gegen materielle Entbehrungen zu protestieren, sondern um die Welt zu verändern.
Martin Kramer, der Herausgeber des Middle East Quarterly, schreibt, der militante Islam sei „das Instrument von Gegeneliten, die nach Maßgabe ihrer Ausbildung und/oder ihres Einkommens potenzielle Mitglieder der Elite sind, aber aus dem einen oder anderen Grund von ihr ausgeschlossen wurden. Vielleicht fehlt ihrer Berufsausbildung ein entscheidendes, prestigeträchtiges Element, vielleicht stammt ihr Reichtum aus trüben Quellen. (…) So sind sie zwar ausgebildet und wohlhabend, hegen aber dennoch einen Groll. (…) Der Islamismus ist für solche Leute von besonderem Nutzen – nicht zuletzt, weil es dank seiner tiefgreifenden Manipulationsmethoden möglich ist, Anhänger unter den Armen zu sammeln, die dann ein wertvolles Fußvolk abgeben.“
Die so genannten anatolischen Tiger – Geschäftsleute, die eine dubiose Rolle bei der Unterstützung der türkischen islamistischen Partei spielen – sind für Martin Kramer das Paradebeispiel für eine solche Gegenelite.
Was für Individuen gilt, zeigt sich auch in den Gesellschaften. Vier Thesen dazu:
Erstens: Reichtum immunisiert nicht gegen den radikalen Islam. Die Kuwaiter haben Einkommen auf westlichem Niveau (und verdanken dem Westen sogar ihre staatliche Existenz) – und dennoch erringen die Islamisten bei Parlamentswahlen unter allen Gruppierungen regelmäßig den größten Anteil der Sitze (gegenwärtig 20 von 50). Der radikale Islam gedeiht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in Nordamerika. In den USA genießen die Muslime als Gruppe einen höheren Lebensstandard als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Und unter diesen Muslimen haben die Islamisten im Allgemeinen die höheren Einkommen.
Zweitens: Eine florierende Wirtschaft immunisiert nicht gegen den radikalen Islam. Die heutigen militanten Islamistenbewegungen begannen ihren Aufstieg in den siebziger Jahren – genau zu einer Zeit, als die Erdöl exportierenden Staaten außergewöhnlich hohe Wachstumsraten verzeichneten. Der Libyer Muammar al-Ghaddafi entwickelte damals seine exzentrische Version eines frühen militanten Islamismus; fanatische Gruppen in Saudi-Arabien besetzten gewaltsam die Große Moschee in Mekka – und Ayatollah Khomeini übernahm die Macht im Iran (wobei sich allerdings die dortige Wirtschaft schon einige Jahre vor dem Umsturz im Abschwung befand). In den achtziger Jahren verzeichneten mehrere Länder, deren ökonomische Entwicklung besonders erfolgreich war, einen Boom des militanten Islam. Jordanien, Tunesien und Marokko kamen in den neunziger Jahren wirtschaftlich gut voran – doch ebenso gut entwickelten sich die extremistischen islamischen Bewegungen. Die Türken erfreuten sich unter Turgut Özal eines eindrucksvollen Wirtschaftswachstums und traten doch in wachsender Zahl den militanten islamischen Parteien bei.
Drittens: Nicht Armut bringt den militanten Islam hervor. Es gibt viele sehr arme muslimische Staaten, aber die wenigsten von ihnen wurden zu Zentren des Islamismus: weder Bangladesch noch der Jemen noch Niger. Wie ein amerikanischer Experte zu Recht feststellte, ist „wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit, die häufig als Nährboden des politischen Islam angeführt wird, im Mittleren Osten ein seit langem vertrauter Zustand“. Wenn der militante Islam also mit Armut zu tun hat, warum stellte er dann in früheren Jahren, als die Region ärmer war als heute, keine nennenswerte Kraft dar?
Viertens: Eine notleidende Wirtschaft im Niedergang ist nicht der Auslöser für militanten Islamismus. Der Crash in Indonesien und Malaysia hat keine islamistische Welle erzeugt. Die Einkommen im Iran sind seit der Errichtung der Islamischen Republik 1979 um die Hälfte gesunken – doch denken die Menschen nicht daran, die radikale Ideologie des Regimes zu verstärken. Im Gegenteil, die Verelendung hat sie dem Islam entfremdet. Den Irakern geht es noch schlechter. Abbas Alnasrawi schätzt, dass ihr Pro-Kopf-Einkommen seit 1980 um fast 90 Prozent und damit auf den Stand der vierziger Jahre gesunken ist. Doch weder hat es im Irak einen Aufstand des Islamismus gegeben, noch ist er der vorherrschende Ausdruck regimekritischer Stimmungen geworden.
Würde Armut den militanten Islam verursachen, wäre umfassendes Wachstum die Lösung des Problems. Und in der Tat plädieren die Verantwortlichen in so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten und Deutschland dafür, den Schwerpunkt bei der Bekämpfung des militanten Islam auf die Entwicklung von Wohlstand und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu legen.
Das hat praktische Konsequenzen. Ein Beispiel: Vor dem Osloer Abkommen 1993 hatten die Israelis darauf bestanden, dass die Vorbedingung für die Beilegung des Konflikts die dauerhafte Anerkennung des jüdischen Staates durch die Araber sei. Also setzte man sich das Ziel, den Lebensstandard der Araber zu verbessern – in der Hoffnung, dies würde die Anziehungskraft des militanten Islam und anderer radikaler Ideologien verringern. Eine Starthilfe für ihre Wirtschaft sollte das Interesse der Palästinenser am Friedensprozess steigern und zugleich die Attraktivität der Hamas und des Islamischen Dschihad reduzieren. Westliche Länder und Israel stellten deshalb den palästinensischen Behörden Milliarden von Dollar zur Verfügung.
Doch Wohlstand beseitigt keine Hassgefühle. Ein wohlhabender Feind ist unter Umständen bloß ein Feind, der besser Krieg führen kann. Die Hoffnungen des Westens und Israels wurden enttäuscht: Sie hatten erwartet, dass die Palästinenser wirtschaftlichem Wachstum allen Vorrang einräumen würden. Doch für die Palästinenser war das nur ein untergeordnetes Anliegen, wesentlich stärker zählten für sie Fragen der Identität und der Macht.
Wenn also Armut nicht die Triebkraft des militanten Islam ist, folgt daraus: Wohlstand ist nicht die Lösung des Islamismusproblems, und mit Wirtschaftshilfe lässt es sich nicht bekämpfen. Einen Ausweg bietet auch nicht die Verwestlichung der Gesellschaften. Im Gegenteil: Viele herausragende islamistische Führer kennen die westliche Lebensart nicht nur aus eigener Anschauung, sondern sind darin bereits regelrechte Experten. Mitunter scheint es, als fördere die Verwestlichung geradezu den Hass auf den Westen. Zudem gilt: Wirtschaftliches Wachstum führt nicht notwendigerweise zu verbesserten Beziehungen mit muslimischen Staaten.
Wäre es also möglich, dass der militante Islam ein Kind des Wohlstands ist und nicht der Armut? Ja. Denn immerhin gibt es das universelle Phänomen, dass Völker ein größeres ideologisches wie politisches Engagement entwickeln, wenn sie einen gewissen Lebensstandard erreicht haben. Wie schon oft bemerkt, finden Revolutionen erst statt, wenn sich eine wirkliche Mittelklasse entwickelt hat. Dazu gesellt sich ein spezifisch islamisches Phänomen: die historische Verbindung des Glaubens mit dem weltlichen Erfolg.
Von den Zeiten des Propheten Mohammed bis zum Osmanischen Reich tausend Jahre später hatten Muslime meist größeren Reichtum und mehr Macht als andere Völker. Sie waren auch gebildeter und gesünder. Islamischer Glaube wurde deshalb mit weltlichem Wohlbefinden gleichgesetzt. Das scheint manchmal noch heute zu gelten. So profitierten vom Ölboom der siebziger Jahre vor allem Muslime. Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass der gegenwärtige Islamismus damals begann. Weil sich die Islamisten als Pioniere einer Bewegung sehen, die eine Alternative zur westlichen Zivilisation bietet, brauchen sie ein starkes wirtschaftliches Fundament. Arme Muslime neigen eher dazu, sich anderen Glaubensrichtungen zu öffnen. Über Jahrhunderte hinweg verlor die Religion gerade dann an Einfluss, wenn die Verhältnisse schlecht waren. Kurz: Vieles spricht dafür, dass der militante Islam eher aus dem Erfolg denn aus der Niederlage erwächst.
Islamisten rücken die Frage des Wohlstands selten in den Mittelpunkt ihrer Reden. Ayatollah Khomeini sagte: „Wir haben keine Revolution entfacht, um den Preis für Melonen zu senken.“ Wohlstand steht bei ihnen nicht für das gute Leben, sondern dafür, besser zum Krieg gegen den Westen gerüstet zu sein. Geld dient Islamisten dazu, Kader auszubilden und Waffen zu kaufen, nicht aber, um ein größeres Haus oder das neueste Automodell zu erwerben. Reichtum ist für sie ein Mittel, kein Zweck.
Es ist ein Mittel zur Macht. Ali Akbar Mohtaschemi, ein führender Scharfmacher im Iran, hat prophezeit, dass „der Islam am Ende die dominierende Macht werden wird“. Und Mustafa Maschhur, ein ägyptischer Islamist, verkündet, der Kampfruf „Gott ist groß“ werde anschwellen, „bis sich der Islam überall in der Welt verbreitet hat“.
Erst wenn wir die ökonomische Dimension des Islamismus nicht mehr überbewerten und stattdessen seine religiöse, kulturelle und politische Dimension stärker beachten, erst dann beginnen wir wirklich, die Ursachen des militanten Islam zu verstehen.
LMU- Professor van Ess, der aus einer alten Orientalistenfamilie stammt und den Greater East samt China intensiv studiert hatte, kommentierte den Pipses-Artikel derfolgt:
„Mit einem hat der gute Pipes ja recht: Der Aufstand wird nicht von den Armen gemacht. Auch mein Vater sagte immer: Die islamistischen Proteste in Tunesien wurden von jungen Ingenieuren getragen, denen man viel Hoffnungen gemacht hatte, dass Bildung ausreichen würde, um den Aufstieg zu schaffen und das Land zu modernisieren. Es stellte sich nur leider heraus, dass die Rechnung nicht aufging, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Den Zusammenhang zwischen Armut und Islamismus so zu verwischen, wie Pipes das tut, erscheint mir ein bisschen arg simpel. Natürlich sind die Anführer Leute aus der Mittelschicht, aber die Bewegung hätte ohne die Verarmung weiter Teile Ägyptens keine Möglichkeit sich zu entfalten – und diese Verarmung ist auch der Grund, warum die Leute aus der Mittelschicht diese Bewegung überhaupt anstoßen. Ich frage mich ja, ob Herr Pipes sich mal in Elendsvierteln von Kairo umgesehen hat.
Wer an der Armut schuld ist, das ist natürlich die eigentlich wichtige Frage. Da dürfte es einen Mix aus sehr unterschiedlichen Gründen geben, unter anderem auch die Bevölkerungsexplosion.“
Global Review hatte mit dem Autorenkollektiv Ali Kant ähnliches im Manifest des Linken Counterjihads ausgeführt, wobei wir schon auch die Rolle karikativer Sozialstaatsersatzfunktion der Islamisten erwähnten:
„Manifest des linken Counterjihad
(…) Zumal erzählten ja viele, dass Khomeini nur Schiiten als Vorbild dienen könnte und diese eine Minderheit in der islamischen Welt sind, während der Großteil der muslimischen Welt Sunniten und daher nicht ansteckbar seien. Das übersah, dass es islamistische Vordenker und Massenorganistaionen islamistischer Provinienz schon lange vor Khomeini auch im sunnitischen Raum gab, vor allem auch die Muslimbrüder, die sich auf die Lehren ihres Gründers Hassan Al-Banna seit 1928 beriefen und sich verfeinerten und radikalisierten in dschihaddistischen Elaboraten ala des Vordenkers Qutb.
Hamed Abdel Samad spricht im Zusammenhang mit der Muslimbrüderschaft auch von Islamofaschismus, da Strategie und Wahl der Mittel sich an denen der Faschisten orientiert. Samad weist darauf hin, dass die Muslimbrüder über einen eigenen Geheimdienst wie auch Milizen verfügen. Sie können jederzeit von mehr pseudodemokratischer Taktik auf gewalttätigen Putschismus umstellen – alles nur eine Frage des zeitgemäßen Einsatz des jeweiligen Mittels. Sie zielen aber mehr auf eine parlamentarische Machtübernahme einer Massenpartei, sowie der breiten Verankerung in der Gesellschaft durch zivilgesellschaftliche und karikative Organisationen ab.
Auch Hitler erkannte nach seinem Putsch im Jahre 1923, dass der militärische Weg nicht zielführend war, sondern man über die Parlamente, SA-Suppenküchen und außerparlamentarische Massenaufmärsche und Demonstrationen wirken müsse .Selbiges beherzigen auch die Muslimbrüder inzwischen, aber man sieht, dass sich aus ihren Reihen auch schnell Absplitterungen ergeben, die eben auch die Form der Al Kaida annahmen. Al Kaida rekrutierte sich nicht nur aus Saudis und Salafisten, sondern eben auch aus ehemaligen Muslimbrüdern aus Ägypten und anderen sunnitischen Staaten. Die Übergänge zerfließen bei der Radikalisierung.
Die Muslimbrüder verübten ein Attentat auf Nasser und wollten schon in den 50er Jahren einen islamofaschistischen Gottesstaat errichten, eine Abspaltung der Muslimbrüder ermordete Sadat 1979 und wollte eine Machtergreifung in Ägypten durch Islamisten herstellen und kurz später versuchten die Muslimbrüder in Syrien mittels eines bewaffneten Aufstands das Assadregime 1982 zu beseitigen, was dieser mittels der faktischen Auslöschung der Stadt Hama bewerkstelligte und diesen Islamisten klar zeigte, dass er die Macht nicht so locker abgibt. Alle damaligen Putschversuche schlugen fehl, es zeigt aber, dass der Islamismus in sunnitischen Gefilden sich durch die Machtergreifung Khomeinis in schiitischen Gefilden nun erst recht ermutigt sah, was zu seiner Ausbreitung von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Afghanistan und Pakistan, ja auch Indonesien führte, als die US-CIA diese Verrückten noch gegen die Sowjetunion unterstützten, was zielgerichtet zu 9-11 führte.
Jihad –Made by the West?
Als Ali Jinah Pakistan gründete, wollte er vor allem einen säkularen muslimischen Staat, der demokratisch sein sollte. Doch zumeist wurde Pakistan von Militärregierungen regiert, die sich zudem in zwei Kriege mit Indien über Kaschmir begaben und immer noch islamistischen Terroristen, die Kaschmir zurückerobern wollen, Ausbildungslager und Rückzugsräume in Pakistan gibt, wie auch die afghanischen Taliban unterstützen. Zudem muss man sehen, dass während des Kalten Krieges unter dem Militärdiktator Zia Ul-Haque mit Unterstützung der USA eine breite Islamisierung der pakistanischen Gesellschaft, wie auch Teilen des Militärs betrieben wurde.
Im Buch der jungen pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala „Ich bin Malala“ erfährt sehr viel über die Geschichte Pakistans und Afghanistans wie auch dem Islam. wie auch über die Islamisierung des Landes nach der Ermordung des säkularen Politikers Zulfikar Ali Bhuttos, die bis heute anhält und sich eher noch verschlimmert:
„Um das Volk zur Unterstützung der Militärregierung zu veranlassen, startete General Zia eine Kampagne zur Islamisierung, die uns zu einem anständigen islamischen Land machen sollte, und ließ unsere ideologischen wie geographischen Landesgrenzen von seiner Armee verteidigen. Er erklärte unserem Volke, es sei Pflicht seiner Regierung zu gehorchen, weil sie islamische Prinzipen vertrat. Zia wollte uns sogar vorschreiben, wie wir zu beten hatten, in jedem Distrikt setzte er salats ein, Gebetsausschüsse, sogar in unserem abgelegenen Dorf, und ernannte 100 000 Gebetsinspektoren. Davor waren Mullahs fast so etwas wie Witzfiguren gewesen– mein Vater sagte, auf Hochzeitsfeiern hätten sie bloß in einer Ecke herumgehangen und seien bald gegangen. Aber unter Zia wurden sie einflußreich, und man berief sie, unter ihnen meinen Großvater, als Erzieher und Prediger nach Islamabad. Unter Zias Regierung wurde das Leben der pakistanischen Frauen noch stärker eingeschränkt. Unser Staatsgründer Muhammed Ali Jinnah hatte einmal gesagt: „Kein Kampf kann gewonnen werden, ohne dass die Frauen den Männern zur Seite stehen. Es gibt zwei Mächte auf der Welt; die eine ist das Schwert, die andere ist der Schreibstift. Es gibt aber noch eine dritte Macht, stärker als die zwei, nämlich die Macht der Frauen“.
Aber General Zia führte Gesetze ein, nach denen die Zeugenaussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel galt wie die eines Mannes..(…) Eine Frau konnte ohne Erlaubnis des Mannes nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. (…) Damals wurden viele Madrasa-Schulen eröffnet. Den Religionsunterricht, den wir denyat nennen, wurde durch einen Islamunterricht ersetzt, der für pakistanische Kinder bis heute Pflicht ist. Unsere Geschichtsbücher wurden neu geschrieben, darin wird Pakistan als eine „Festung des Islam“ bezeichnet, als gäbe es diesen Staat schon länger als erst seit 1947. Die Geschichte wurde überhaupt neu erfunden, so dass es so aussah, als hätten wir die drei Kriege gewonnen, die wir gegen unseren großen Feind Indien geführt und verloren haben. “
Geschildert wird auch, wie die USA den islamistischen Militärdiktator aktiv bei der Indoktrinierung der Jugendlichen und Männer für den Dschihhad unterstützte:
„Mein Vater meint, Dschihad, der heilige Krieg gegen Nicht-Muslime sei in der Region stark von der CIA unterstützt worden. Die Kinder in den Flüchtlingslagern erhielten sogar von einer amerikanischen Universität eigens für afghanische Flüchtlinge herausgegebene Schulbücher, in denen sie Rechenaufgaben lösen mussten wie: „Wenn von zehn russischen Ungläubigen fünf von einem Muslim getötet werden, bleiben fünf übrig.“
(Malala Yousafzai: Ich bin Malala, Knaurverlag 2013, S. 50-52)
Interessant in dem Buch auch die Schilderung des Werdegangs von Malalas Vater, der zwischen islamistischen und säkular-sozialistischen Identitäten schwankte:
„Der ältere Talib sprach in solch ruhmreichen Worten vom Dschihad, dass mein Vater sich begeistern ließ. Er wies meinen Vater permanent darauf hin, dass das Leben auf Erden kurz sei und dass es für die jungen Männer im Dorf wenige Möglichkeiten gebe. Unsere Familie besaß kaum Land, und mein Vater wollte nicht nach Süden gehen und sich in den Kohlebergwerken verdingen wie viele seiner Klassenkameraden. Das war harte, gefährliche Arbeit, und die Särge derer, die bei Einstürzen der Schächte ums Leben kamen, trafen mehrmals im Jahr bei uns ein. Das Beste, das die meisten Dorfjungen sich erhofften, war, nach Saudiarabien oder Dubai zu gehen und auf dem Bau zu arbeiten. Daher hörte sich die Vorstellung vom Paradies mit 72 Jungfrauen verlockend an. Jeden Abend betete mein Vater zu Gott: „O Allah, bitte lass es zwischen den Muslimen und Ungläubigen Krieg geben, damit ich in deinem Dienst sterben und ein Märtyrer werden kann.“
Eine Zeitlang schien ihm seine Muslim-Identität wichtiger zu sein als alles andere in seinem Leben. Er schrieb sich nun Ziauddin Panpiri-die Panpiri waren eine religiöse Gruppierung- und ließ sich einen Bart wachsen. Heute sagt er, es war eine Art Gehirnwäsche. Er glaubt, er hätte womöglich sogar daran gedacht, ein Selbstmordattentäter zu werden, hätte es die damals schon gegeben.
Aber er war von früh auf ein skeptischer Junge, der selten etwas für bare Münze nahm, obwohl unsere Ausbildung in den staatlichen Schulen in sturem Auswendiglernen bestand und es den Schülern nie erlaubt war, Fragen zu stellen.
Etwa zu der Zeit, als er darum betete, als Märtyrer in den Himmel zu kommen, lernte er den Bruder meiner Mutter kennen, Faiz Mohammed. Bald ging er in seiner Familie ein und aus, er wurde regelmäßiger Gast in der Hujra ihres Vaters. Dort sprach man über Lokalpolitik. Es trafen sich dort Mitglieder mit pakistanisch-nationalistischen Zielen, die gegen den Krieg waren. Damals gab es ein berühmtes Gedicht von Rahmat Shah Sayel, dem Dichter aus Peshawar, der ein Gedicht über meinen Namen geschrieben hatte. Er bezeichnete das Geschehen in Afghanistan als „Krieg zwischen zwei Elefanten“ – USA und Sowjetunion. Es sei „nicht unser Krieg“. Seiner Ansicht nach waren die Paschtunen nur „das Gras, das von den stolzen Tieren zertreten wurde“. Mein Vater hat mir dieses Gedicht oft vorgetragen, als ich noch klein war, aber ich habe damals nicht begriffen, worum es ging.
Mein Vater war stark beeindruckt von Faiz Mohammed. Er fand, es habe Sinn, was er sagte, wo es um die Abschaffung des feudalistischen und kapitalistischen Systems in unserem Lande ging. Dieselben großen Familien würden seit Jahrzehnten alles beherrschen, während die Armen immer ärmer wurden. Er war hin- und hergerissen zwischen den zwei Extremen, zwischen Säkularismus und Sozialismus auf der einen Seite, militantem Islam auf der anderen Seite Er landete irgendwo in der Mitte.“
(Malala Yousafzai: Ich bin Malala, Knaurverlag 2013, S. 54-56)
Das Beispiel zeigt eigentlich ganz gut, wie gewisse Identitäten von seiten von Großmächten und Staaten zur Durchsetzung ihrer imperilaistischen Ziele, sowie zur innenpolitischen Stärkung der staatlichen Macht gefördert werden und wie auch seitens des Rezipienten die soziale Stellung und die Lösung der sozialen Frage, die durch eine gewisse Identität als Lösungsweg erhofft wird, eine fundamentale Rolle spielt. Es zeigt auch, dass Identitäten gemischt sein können, eklektizistisch, ja synketrisch, nicht immer etwas Fixes, sondern Prozesshaftes und Reversibeles sein können, insofern man es nicht mit einem Unbelehrbaren und Fanatiker zu tun hat.(…)
Sozialstaat und Klassenkämpfe gegen den Islamismus und Neoliberalismus
Neoliberale und Rechte sehen die Möglichkeit den Sozialstaat durch religiöse charity-Organisationen zu ersetzen oder ihn zu deren Gunsten oder reichen Philanthropen abzubauen. Ebenso sehen sie in der Religiosität einen gesellschaftsstabilisierenden Wert, wie auch teils ein kapitalismuskompatibles Element. In ihrem Buch „God is Back-How the Global Revival of Faith is changing the world“ der Economstjournalisten John Micklethwait und Adrain Wooldridge priesen sie, dass religiöse Menschen abstinent sind, stabliere Beziehungen und Ehen haben, fleissiger wären. Ähnlich beschrieben neoliberale Autoren auch die Wählerbasis der AKP, die neue grüne religiös-konservative Mittel- und Unternehmerschicht wie in der Musterstadt Kaiseri, der in Analogie zu Max Weber calvinistisch-protestantische Arbeitsethik diesmal im islamischen Gewande attestiert wurde und daher als modern und kapitalismuskompatibel gesehen wurde. Freilich übersahen die Neoliberalen dabei, dass diese Abreitsethik eben noch lange nicht Liberlaität oder Aufgeschlossenheit zu einem säkularen Staat bedeutet, sondern die AKP-Basis wie auch ihre Führung evolutionäre Islamisten sind, die einen islamofaschistischen Staat herbeiführen wollen. Selbiger Denkfehler wurde bei der islamistischen Gülenbewegung gemacht, die aufgrund ihres konfuzianisch anmutenden Bildungsideals für eine moderne, kapitalismuskompatible Form des Islams und wie die AKP als eine Art islamische CDU angesehen wurde. Neoliberale, Konservative und Rechte sehen nicht die Gefahr, dass mit dem Ersatz des säkularen Sozialstaats durch religiöse Organisationen und Gruppen gerade die Basis für die Abschaffung des säkularen liberal-demokratischen Staats zugunsten eines autoritär- religiösen Staats gelegt werden kann, wenn diese religiösen Gruppen dann auch politische Parteien gründen oder diese unterstützen. Von daher lehnt die Linke es ab den säkularen Sozialstaat auf religiösen Wohlfahrtsorganisationen aufzubauen, bzw. diesen zugunsten dieser Gruppen abzubauen oder gar zu ersetzen.
Islamistische Parteien und Bewegungen füllen mit ihren karikativen Organisationen die Lücken fehlender Sozialorganisationen säkular-linker Organisationen oder fehlenden Sozialstaats oder Abbau des Sozialstaats infolge neoliberaler Politik säkular-demokratischer und säkular-autoritärer Regierungen aus. In ihrem Buch beschreibt die Sadatwitwe die karikativen Wohlfahrtsorganisationen und sozialen Netzwerke der islamofaschistischen Muslimbrüder, für die sie damals auch sammelte und Sympathien hatte, bevor sie Jungoffizier Sadat kennenlernte-von kostengünstigen Apotheken, Ärzten und kostenfreier Behandlung, billigen Anwälten für Rechtsberatungen, Lehrern für Nachhilfe, Seelsorge organisierten die Islamisten ein breites soziales Netz. Weswegen sie auch Sympathien gewinnen können und fälschlicherweise mehr als karitative Sozialbewegung eingeschätzt werden. Dass die Muslimbruderschaft karitative Institutionen unterhält, ist richtig, aber es wäre genauso zu sagen: Die NSDAP hatte eine SA und die SA hatte Suppenküchen sowie Winterhilfswerk und deswegen wäre die SA die dominante Richtung und nur eine sozialkaritative Organisation gewesen.
Wohlfahrtsinstitutionen aufzubauen, um einen Staat im Staate zu etablieren und zur Rekrutierung von Anhängern zu nutzen, die den säkularen Staat unterminieren und stürzen wollen, ist der eigentliche Zweck, nicht Humanität. Da werden Zweck und Mittel ein wenig verwechselt. Islamophile verklären Islamisten somit zu einer sozialkarikativen Caritas und blenden den Kontext und das Ziel aus, in dem und zu dem diese Sozialarbeit betrieben wird: Einer islamofaschistischen Ideologie und zur Errichtung eines Gottesstaats. Von daher nutzt es nichts nur Klassenkämpfe für Sozialstaat, gegen Sozialabbau, sozialer Lebensbedingungen zu führen oder um die Wette Gelder für Bedürftige zu sammeln, womöglich noch gemeinsam mit den Islamisten für die gute und soziale Sache, sondern man muss bei den sozialen Kämpfen die ideologischen und machtpolitischen Ziele und Gesellschaftsziele der Islamisten propagandistisch genauso angreifen wie die neoliberalen Verursacher der Zustände.
(…)
Religion, Islam als patriachalische Ideologien, die Bevölkerungsexplosion und die Frauenfrage
Religionen entspringen historisch zumeist aus feudalistischen oder agraischen Gesellschaften, die eben vor allem patriachalisch strukturiert waren, zumal es Matriachate bestenfalls bei einigen wenigen Naturvölkern gab oder eben als sagenumwobener Mythos wie die Amazonen. Daher befürworteten Religionen auch die Herrschaft des Mannes über die Frau, zumal Frauen auch als satanische Verursacher von Sünden oder gar Naturkatastrophen oder Epidemien gesehen wurden, ob nun als Hexen in Europa oder in Afrika. Zudem ist die Frau in ihrer Rolle als Gebärerin menschlichen Lebens gleichzeitig Garant des jeweiligen Staats- oder Reichsvolkes, wie auch in damaligen Zeiten die Großfamilie als die zentrale Einheit der Reproduktion wie auch Altersvorsorge gesehen wurde, also zugleich auch Sozialsystem der damaligen Ordnung war, wobei die Frau eine dienende Funktion hatte. Mit der Entwicklung des Kapitalismus, seiner Globalisierung veränderte sich die Rolle der Frau, der Familie, wie auch der Sozialsysteme. In den kapitalistische Ursprungsländern ging die Entwicklung aufgrund der Veränderung der Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse weg von der Großfamilie hin zur Kleinfamilie und nun zunehmend zu Patchworkfamilien, alleinerziehenden Müttern oder Singlehaushalten, während es einen Sozialstaat und Altersheime gibt, die die traditionellen Familienfunktionen weitgehendst ersetzen mit zumal inhumanen Pflegenotständen . In seinem Werk „Der Ursprung der Familie“ analysiert Engels hervorragend die Änderung der gesellschaftlichen Ordnung und der Familie aufgrund der sich ändernden Produktionskräfte- und mittel, wenngleich Teile seiner Ausführungen auch nicht ganz korrekt sind. Ebenso sank infolge der politischen und religiösen Liberalisierung, der sogenannten „sexuellen Revolution“, der Ausweitung des Bildungssystems, der immer zunehmenden Einbeziehung von Frauen in den kapitalistischen Arbeitsprozess und daraus resultierender geringerer materieller Abhängigkeit und finanzieller Selbständigkeit, ,der Pille, wie auch der sich geänderten Anspruchshaltung der Nachkriegsgeneration die Geburtenrate, wurden Kinder nicht mehr so sehr unter der Rubrik der Erhaltung des Staatsvolks und der Altersvorsorge gesehen, sondern zunehmend als Kostenfaktor und Einschränkung persönlicher Freiheiten.
Da die Globalisierung heute aber auch jene Weltteile erfasst, die immer noch oder gerade aus patriachalischen Agrar- und zum Teil Stammesgesellschaften herauswachsen, drohen aus der Sicht von Konservativen und Religiösen, ja Islamgelehrten und Islamisten ähnliche Verhältnisse wie in den westlichen und zum Teilöstlichen Industriestaaten, vor allem die Gleichberechtigung der Frauen, die zunehmend aufbegehrten und sich liberaler gaben. Der Islamismus ist daher auch eine Gegenreaktion oder präventive Verhinderung von allzuviel Frauenrechten und die Hoffnung, man könne die alte islamische Ordnung wiederherstellen, die eben die Frauen unterjocht, sie als gefügige Dienerin einer patriachalischen Ordnung macht und zudem einen Geburtenjihad führt, der die Zahl der Muslime und potentiellen Missionare und Krieger erhöht.“
Dennoch wollten wir auch dem Klassenautomatismus hinsichtlich Islamismus und Terrorismus nicht so verabsolutieren, wie dies viele Marxisten, Bildungsbürger, sozialdarwinistische Rechte und Linke tun:
„Die Banlieues und der Islamismus-Heimatgefühl mal anders
Zu den Pariser Attentaten melden sich nun auch viele Soziologen, Politikwissenschaftler, Psychologen und Sozialarbeiter zu Wort mit dem Hinweis, dass Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung durch die Gesellschaft, Rassismus und neoliberale Politik und deren Verelendungstendenzen samt Arbeitslosigkeit Terrorismus und Islamismus hervorbringen. Das klingt geradezu nach einem Automatismus. Die umgekehrte Frage wäre aber auch einmal, der dabei gar nicht nachgegangen wird: Warum machen das hunderttausende und Millionen ausgegrenzte Jugendliche in den Banlieues und vergleichbaren Ghettostadtteilen der Welt eben nicht? Warum greifen sie nicht zum Terrorismus und Islamismus, sondern bleibt dies auf eine absolut kleine Minderheit beschränkt, die jedoch volle Medienaufmerksamkeit erheischt? (…)
Auch sollte man sehen, dass der Islamismus und Terrorismus keineswegs nur ein Unterschichtenphänomen ist. Dschihadisten gibt es auch aus Mittelschichtsfamilien, viele haben auch eine Ausbildung oder gar ein Studium. Betrachtet man sich die Liste der Attentäter der letzten 20 Jahre, dann sind eben es nicht nur entrechtete Minderheiten ohne Arbeit und Perspektive. Sogar ein sehr großer Teil davon waren Studenten oder Menschen mit einem abgeschlossenen Studium. Ingenieure, Ärzte, Dolmetscher mit Sprachstudium usw. usf. Die absolute Mehrheit tauchte völlig unauffällig in den Gesellschaften unter, und zwar nicht nur den Parallelgesellschaften. Flugscheine zu machen ist für unterdrückte Armutspopulationen nicht nur schwer umsetzbar sondern schlicht unmöglich. Osama Bin Laden war kein prekarisierter Prolet, sondern Sproß und gar nicht so schwarzes Schaf einer Oberklassenfamilie im IS-Unterstützenden Saudiarabien. Die meisten Muslimbrüder sind Mittelschicht, Rechtsanwälte, Ärzte, selbst der Vorgänger Erdogans, Erbakan studierte in Deutschland Maschinenbau.
Zudem auch der Glaube, wenn einer Naturwissenschaften studiert, ihn dies von totalitären Weltbildern oder religiösem Fanatismus abhalten würde, hirnsrissig ist. Der Ideologe sieht als Ingenieur eben seine gesellschaftliche Wunschvorstellung in totalitären Analogien der perfekten Maschine und der Menschen als reibungslosen, funktionierenden Zahnräder, der Biologe und Mediziner gesunde Volks- oder Ummahkörper und Oppositionelle als Krebszellen und Viren, der Kybernetiker alles unter dem Aspekt der Regelkreisläufe und des Funktionieren des Systems, das dann eben als religiöses Regelwerk der Scharia alle als Subsytseme unterordnet, etc.
Den Terrorismus und den Islamismus nur an Klassengrenzen aufzumachen oder daran ob einer Naturwissenschaften studiert hat und daher nicht religiös sein könne, geht da ziemlich in die Irre. Mit derselben Berechtigung, mit der Sarkozy die Banlieues oder man in Belgien Moellenbek als Brutstätten des Terrorismus und Islamismus säubern will, könnte man dies auch in Mittelschichtstadtteilen oder eben gegen Saudiarabien und Katar. Das würde wohlweislich jedoch keiner machen.
Aber Underdogs zur Stigmatisierung machen sich da immer besser als auch die Unterstützer aus bessergestellten Gesellschaftskreisen oder gar reiche Ölscheiche anzuvisieren und in einem Punkt treffen sich Islamisten und Bürgertum: Dass die Banlieues Sodom und Gomorah sind, die ordentlich gesäubert werden müssen. Während also solch bürgerlichen Elitesatiremagazine wie Charlie Hebdo titeln „Scheiß drauf, wir trinken jetzt Champagner“ und das bürgerliche Unterhaltungslokal „Bataclan“ als westlicher Lebensstil erhoben und verteidigt wird, so doch eben die ganzen hedonistischen, westlichen Subkulturen in den Banlieues nicht. Die werden samt dem ganzen Viertel, das dadurch integriert wurde als Hort der Armut, der Verwahrlosung, des Terrorismus und des Islamismus geoutet gegen die die Staatsmacht und gegen das ihr Bürgertum entschieden vorgehen müsse, um den vermuteten bildungsfernen „Sumpf“ trockenzulegen.
Das zeigt nur, dass gerade diesen bildungsbürgerlichen, sozialdarwinistischen Hedonismusbegriff, der Love Parades, Bataclan und Charlie Hebdo als den richtigen Hedonismus sieht, jedoch denselbigen in Armenvierteln, der ja eben eine derartig moderierende Rolle auf den Extremismus spielt sich nur als bildungsfern und extremistisch, ja islamistisch vorstellen kann. Und gerade in diesem Punkt treffen sich unsere Bildungsbürger mit den Islamisten, die Paris als Hauptstadt von „Unzucht und Dekadenz“ sehen und selbiges eben auch in den Banlieues.“
Ähnlich deterministisch und ideologisch waren auch viele Demokratisierungs- und Freihändlertheorien, die auch den homo economicus setzten, meinten, dass Agrargesellschaften und Diktaturen wie die KP China ab einem gewissen wirtschaftlichen Entwicklungsgrad und einem bestimmten BSP/Kopf als tipping point sich wegen des „No taxation without representation“ und ausbildender Mittelklasse politische Rechte fordern würden, es zu einer Liberalisierung, Demokratisierung und Integration Chinas in die bis dahin Pax Americana- regelbasierte Weltordnung kommen würde. Zum einen gab e Illusionen über die KP China, wie aber auch die Annahme, dass chinesische Oligarchen oder Mittelklassenneureiche schon liberal, demokratisch und nicht chauvinistisch sein würden oder könnten. Eine Art historischer Materialismus der Mittelklassenideologie vergleichbar dem Histomat des Marxismus, nur dass statt dem Proleatriat nun die Mittelschicht und das Bürgertum die teleologische Rolle des Weltrevolutionärs einnahm, der eine weltweite Demokratisierung hervorbringen würde, wie dies Fukuyama in seiner Endzeitschrift „Das Ende der Geschichte“ dann zusammenphantasierte.
Dazu noch ein alter GR- Beitrag:
„Demokratisierung Chinas; „Als China gelb wurde“ –eine Erklärung der political fiction
Die political fiction „Als China gelb wurde“ skizziert die worst-case-Szenarien einer möglichen Demokratisierung Chinas. Es soll dazu dienen, zu zeigen, dass eine Demokratisierung keineswegs eine reibungslose Angelegenheit mit garantiertem Erfolgsergebnis sein muss, sondern auch sehr negative Konsequenzen hervorrufen kann wie politische Instabilität, außenpolitische Krisenkompensation und Abenteuertum zur Schürung eines einigenden Nationalismus, der in einem Krieg kulminieren kann und, dass auch eine Demokratie in China zu einer neuen autoritären Herrschaft führen kann, falls sich etwa die führerzentrierte Falungong oder eine andere neoautoritäre Bewegung zu einer Massenpartei politisieren würde. Ohnehin wird in der Sinologie und den Politikwissenschaften die Möglichkeit, dass sich die Falungong zu einer politischen Massenpartei umwandeln könnte,- mit Ausnahme Thomas Heberers- völlig negiert und die einzigen bedeutenden politischen Kräfte in säkularen, demokratischen Parteien und Zusammenschlüssen vermutet. Dabei liegt diese Entwicklung nahe, wenn man sich die Entstehung der Muslimbruderschaft, der türkischen APK oder der indischen BJP betrachtet. Warum sollte es nicht möglich sein, dass sich ebenso wie im politischen Islam oder politischen Hinduismus mit der Falungong auch ein politischer Buddhismus-Daoismus herausbildet, der politische Macht anstrebt. Warum sollten immer nur die Mittelschichten die aktive Rolle für sich in der Geschichte beanspruchen und z.B. nicht die abergläubischen Bauern und ländliche Bevölkerung, die zum einen in die Städte dringt und das Dorf mit sich bringt, zum anderen für die Inaussichtstellung eigenen Landbesitzes ein gehöriges Mobilisierungspotential aufwiesen dürfte. Zwar hat sich die Falungong noch nicht zu einer politischen Massenpartei mit politischen Forderungen umgewandelt, aber in einer solchen Entwicklung könnte ihre Zukunft liegen, wenn sie nicht in die Bedeutungslosigkeit versinken möchte. Zumindestens existiert mit dem Falungongbuch „Die 9 Kommentare zur Kommunistischen Partei Chinas“ ein Manifest, in dem offen zum Sturz und Austritt aus der KP China aufgerufen wird. Diese Variante einmal durchzuspielen, soll das erste Kapitel , das als political fiction gehalten ist, ermöglichen. Dabei werden auch die autoritären Züge der Falungong (Massensekte mit Führerstruktur, wertekonservativ, manäichistisch) herausgestellt und die Möglichkeit, dass der demokratische Traum der Opposition auch in einem neototalitären Fiasko enden kann.
Zu glauben, die politische Entwicklung in China würde sich primär auf die Mittelschichten stützen, ist angesichts des breiten Kontingents an Bauern, Wanderarbeitern und Arbeitern eine recht exklusive, idealtypische und vereinfachende Denkweise. Eher wahrscheinlich sind hier schon Bündnisse zwischen diesen Schichten und Klassen, wie es auch wahrscheinlich ist, dass diese Schichten und Klassen gar nicht so als geschlossene, homogene Blöcke auftreten. Auch zeigt etwa die Entwicklung in Thailand, in der die neuen Mittelschichten und die alten Eliten (ja sogar eine Prinzessin ist beteiligt)in der antidemokratischen Volksfront antidemokratische Forderungen gegen die populistische, demokratisch gewählte Regierung Samak stellen (Abgeordneten sollen ernannt und nicht mehr vom Volk, vor allen den Bauern gewählt werden), dass das elitäre Bewußtsein der neuen Mittelschichten nicht unbedingt eine demokratische Beteiligung der Bauern und Arbeiter wünscht, d.h. das Bürgertum auf eine demokratische Standesgesellschaft hofft, in der diese Stände von politischer Partizipation ausgeschlossen werden. China müsste erst einen doppelten Emanzipationsprozess durchlaufen, um eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu werden: Den seines Bürgertums/seiner Mittelschicht gegenüber der KP China, sowie der der Bauern- und Arbeiterklasse gegenüber beiden.
Hierbei ist es durchaus möglich, dass sich die neuen Mittelschichten mit den alten Eliten wie nach der gescheiterten Revolution 1848 in Deutschland gegen die Arbeiter und Bauern verbünden, zumal ein beträchtlicher Teil der neuen Mittelschicht aus kollektiveigenen Eigentumsmischformen mit dem Staat und in organischer Verbindung mit diesem hervorgegangen ist und unabhängige Klein- und Mittelunternehmer erst ein neueres Phänomen sind. Zudem vertragen sich die Unternehmerinteressen dieser neuen Mittelstandes partiell sehr gut mit denen der KP China; da letztere die Rechte und Löhne der Arbeiter in großem Umfange beschneidet. Selbst Sun Yatsen glaubte nicht an eine Demokratisierung Chinas in einem Schritt, sondern wollte als zweite Stufe eine Erziehungsdiktatur dazwischenschalten, in der sich zum Staat loyale Bürger herausbildeten und auch die Arbeiter und Bauern im staatskundlichen Sinne erzogen würden.
Die potentiellen Kollateralschäden einer möglichen Demokratisierung Chinas werden oft kaum beachtet bei Befürwortern des demokratischen, bzw. kapitalistischen Friedens, sondern hier dominiert ein Zukunftsoptimismus der sich am Modell der friedlich und unblutig verlaufenen „soft revolutions“ im Gebiet des Warschauer Paktes 1989 und Nachfolgezeit orientiert oder von einer „friedlichen Evolution“ ausgeht, wonach sich mit den wirtschaftlichen Liberalisierungen zwangsläufig langfristig auch die politischen Liberalisierungen und eine von der Mittelschicht getragene Demokratie einstellen werde .Die Mittelschicht nimmt in diesen Modellen eine Rolle als Subjekt und Träger des historischen und gesellschaftlichen Fortschritts ein, die sonst nur dem der Arbeiterklasse beim historischen Materialismus des Marxismus gleichkommt. Überspitzt könnte man sagen: Die Ideologie der Mittelschicht als Träger einer demokratischen Transformation ist der historische Materialismus des Bürgertums. Dabei wird die historisch negative Rolle der Mittelschichten und des Bürgertums ausgeblendet, sei es wie sie im aufsteigenden Deutschen Reich unter Wilhelm 2 vorherrschte und in der Figur und im gleichnamigen Roman von Heinrich Mann “Der Untertan“ verkörpert wird, oder ebenso vergessen scheint die unterstützende Rolle des Kleinbürgertums und der Mittelschichten bei der Machtergreifung faschistischer Diktaturen in Deutschland, Italien und anderen europäischen Ländern, d.h. seiner Radikalisierung durch die Wirtschaftskrise 1929. Dass hier nationalistisch verblendete, aggressive, innenpolitisch antidemokratische und autoritäre Mittelschichten hervorgehen, die bereitwillig und mit Hurrah in zwei Weltkriege hetzten, wird unterschlagen. Vorbild ist vor allem das anglosächsische Bürgertum und dessen Mittelschichten (middle class), das sich relativ totalitarismusimmun erwies und—mit Ausnahme des Mc Carthyismus- nicht den autoritären Makel des deutschen Bürgertums hatte und die Klassen soziologisch in einer geradezu missionarischen Mittelschichtenideolgie auflöste. Kurz: Das Bürgertum und die Mittelschichten werden in den Demokratisierungstheorien als vorwiegend liberal und demokratisch portraitiert und die neuen Debatten um eine Neue Bürgerlichkeit versuchen den unter den 68ern als Protofaschisten gescholtenen Bürger samt einhergehender kleinbürgerlicher Familie wieder zu rehabilitieren. Lipsets Theorie der Radikalisierung der Mitte wird wieder hintenangestellt, der Bürger als Träger der liberalen Gesellschaft gesehen.“
Weitere westliche Ideologien, die ausgiebig in Studenten- und Akademikerhirne an den Eliteunis reingepaukt wurden waren die Theorien des „demokratischen Friedens“ und des „kapitalistischen Friedens“. Ersterer behauptete, dass demokratische Staaten nie Kriege gegeneinander geführt hätten und führen würden und eine Demokratisierung der Welt den Weltfrieden bringen würde, sei es durch Demokratisierung durch wirtschaftliche Entwicklung oder durch Demokratisierungskriege, wie sie die Neocons eben auch im Irakkrieg 2003 erhofften. Inzwischen stellt aber der offensive Realismus von John Mearsheimer auch das paradigma, wonach demokratische Staaten nicht Kriege gegeneinader führen würden infrage.
Vertreter des „kapitalistischen Friedens“ gingen davon aus, dass wenn die gesamte Welt kapitalistisch sei, der Weltfrieden hergestellt würde, sei es durch Wirtschaftsreformen, Freihandel oder eben Ausschaltung von kommunistischen und planwirtschaftlichen Staaten.Globalisier4ungsfanatiker Thomas Barnett gar machte in seinem „Blueprint for the Pentagon“ das Kriterium von Core- Saaten mit kapitalistischer Connectivity und globaler Vernetzung , zu denen er auch China zählte und Gap- Saaten auf , wie etwa Irak oder Nordkorea, die man mittels Kriegen und Revolutionen für die internationale Arbeitsteilung, die Globalisierung und den Freihandel öffnen müsse, damit der kapitalistische Weltfrieden und dann dank wirtschaftlicher Entwicklung auch Demokratisierung und demokratischem Weltfrieden . Wie die nun neue Formel von China als „Partner, Konkurrent und systemischer Rivale“ zeigt, etwa bei der EU, ist man nun von diesen Vorstellungen weggekommen oder versucht doch da zumindestens drei Faktoren oder Theorien etwas synkretisch zu verbinden Wobei eben auch die rage ist, ob China nun ein kapitalistischer Staat ist oder nicht, die Heritage Foundation dies mit ihrem Economic Freedom Index bestreitet, aber eben China eben auch keine Planwirtschaft mehr ist, sondern eher Lenins NÖP und Kontrolle über die Kommandohöhen der Wirtschaft nebst privaten Unternehmen und Markt zulässt. Doch am kapitalistischen Frieden ist auch schon falsch, dass die Welt vor der russischen Revolution 1917 kapitalistisch war, zumindestens die imperialistischen und kolonialistischen Metropolen , aber trotzdem der 1. Weltkrieg kam. Auch zur Frage, ob heute keine Weltkriege mehr möglich wären, noch abschließend einen älteren Global Review- Beitrag:
Weltkriege sind auch heute möglich-zu 3 gegenlautenden Prämissen