Interview mit Prof. van Ess über Deutschlands Chinastrategie: „Sie ist auch keine Strategie, sondern ein Versuch, festzustellen, wo Deutschland im Verhältnis zu China eigentlich steht.“

Interview mit Prof. van Ess über Deutschlands Chinastrategie: „Sie ist auch keine Strategie, sondern ein Versuch, festzustellen, wo Deutschland im Verhältnis zu China eigentlich steht.“

Global Review: Da Deutschland eine Chinastrategie beschlossen hat, wie ist sein eigenes Gewicht in der Welt zu beurteilen? Inwieweit überschätzt die Ampelkoalition da den Einfluß Deutschlands in der Welt und auch in und von der EU? Das US- Magazin “The Atlantic titelt zudem:” The End of German Exceptionalism”

https://www.theatlantic.com/international/archive/2023/07/germany-national-identity-afd-party-political-instability/674786/

Exceptionalism hatten doch bisher nur die USA und China für sich in Anspruch genommen. Der Atlanticautor sah das auch im Falle Deutschlands, aber nun sei dieses nicht mehr exceptional. Henry Kissinger formulierte ja mal: Deutschland sei zu groß und bedeutend , um eine Mittelmacht zu sein, aber zu klein, um eine Weltmacht zu werden“- auch wenn es dies 2 mal versuchte. Zudem haben sich ja auch die Kräfteverhältnisse seit Ende des Kalten Krieges verschoben,ist auch die BRICS, SCO entstanden und haben sich auch die ökonomischen Kraftzentren mit China und dem Asian Pivot verschoben. Dennoch hat man bei den Grünen und Teilen der FDP etwas den Eindruck, dass sie immer noch etwas glauben, dass Deutschland exceptional wäre. Während Marcel Fratzscher vom DIW meint, dass die Chinastrategie Ausdruck dessen sei, dass sich Deutschland seinen begrenzten Einflusses bewußt sei.  Wie beurteilen Sie das?  

Professor van Ess: Ich denke nicht, dass diese Strategie Ausdruck des Bewusstseins von irgendetwas ist außer der Sorge, dass Deutschland in Zukunft vor einem Problem stehen könnte, weil China sein größter Handelspartner geworden ist. Sie ist auch keine Strategie, sondern ein Versuch, festzustellen, wo Deutschland im Verhältnis zu China eigentlich steht. Mit German Exceptionalism meint der Atlantic vor allem, dass die Deutschen sich zu lange im Verhältnis zu China nicht um die gut gemeinten Ratschläge aus den USA geschert hätten, sondern munter weiter Handelsaustausch betrieben und dabei immer reicher wurden. Dieses Modell sei nun vorbei, und Deutschland müsse sich der Gefahren bewusst werden sein, die damit für den eigenen Wohlstand aber auch die politische Stabilität verbunden sind. Tatsächlich deuten die stetigen Verweise in der China-Strategie auf die Europäische Union darauf hin, dass Deutschland in außenpolitischer Hinsicht das Risiko lieber mit der EU teilen möchte, anstelle es selbst zu tragen. Das könnte man schon als Aufgabe deutschen Exceptionalisms interpretieren. Allerdings vergisst das Papier dabei, Stellung zu Differenzen innerhalb der EU auszubuchstabieren. Macron hat sich zu Taiwan zum Beispiel deutlich anders positioniert. Umgekehrt kann man die herausragende Betonung des Klimas als gemeinsamen Nenners der EU mit China durchaus als German Exceptionalism verstehen, denn andere europäische Länder würden vermutlich andere Akzente setzen. Hier bleibt vieles im Unklaren.

Global Review: Politikwissenschaftler Dr. Thomas Jäger kritisiert in einem Gastbeitrag im Focus, dass die Chinastrategie und auch Nationale Sicherheitsstrategie die Formulierung und Prognose einer multipolaren Welt übernommen habe, die recht harmonisch, friedlich, bunt, vielfältig, idyllisch klinge, faktisch die Zukunft aber auf eine sinoamerikanische Bipolärität herauslaufe, da nur China und die USA  das Potential hätten Weltmacht zu sein oder zu werden, während der Global South, der zumal auch nicht einig sei, die EU und nun auch Russland dies nicht mehr habe, ja diese sich in diesen Konflikt unter einem der beiden Hegemonen unterordnen müssten.  

Professor van Ess: Das Wort Global South war schon immer ein Schwamm. Eine der offenen Fragen dabei ist ja, ob China dazu gehört oder nicht. Ist der „Süden“ nur noch eine merkwürdige Metapher für Armut, weshalb China nicht mehr dazugehören soll? Ist Brasilien Teil des Global South? Es wäre vernünftig, diese verwirrende Begrifflichkeit aufzugeben und stattdessen eher in Verbünden zu denken, zum Beispiel den BRICS, bei denen auch ein ausgesprochen nördliches Land dabei ist. Wenn man das aus dieser Perspektive sieht, dann gibt es da mehr Polarität, als Thomas Jäger denkt, auch wenn China wirtschaftlich stärker ist als die anderen Glieder der Verbindung. Zur Multipolarität gehört auch die EU dazu, und diese hat zwar momentan mit einer ganzen Reihe von zum Teil hausgemachten Problemen zu kämpfen, aber sie ganz abzuschreiben, halte ich doch für übertrieben. Auch die USA und China kämpfen im eigenen Land mit massiven Widersprüchen, die man nicht kleinreden sollte. Multipolarität ist überdies nicht nur ein politischer Begriff. Sie hat ja auch mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen zu tun, in denen Gedanken anders formuliert werden als auf Englisch oder Chinesisch. Und in diesem Sinne ist Multipolarität eine gute Sache: Es bedeutet etwas dafür zu tun, die kulturelle Vielfalt auf der Welt zu erhalten.

Global Review: Professor van Ess, im zeitlichen Umfeld zur erste deutschen Nationalen Sicherheitsstrategie wurde nun auch Deutschlands erste Chinastrategie veröffentlicht. Die USA und China heschließen alljährlich eine neue NSS, wenngleich sie in den USA veröffentlicht wird, in China geheime Verschlusssache bleibt. Wie haben frühere Regierungen ohne NSS und Chinastrategie Politik betrieben? Sind solche Strategien überhaupt nötig und wozu könne sie oder sollten sie dienen? Abgeshen zwischen inhaltlicher Kritik wird ja auch bezweifelt, dass man außer einigen Allgemeinplätzen und catchphrases keine tiefergehenden Analysen erwarten dürfe und auch wird entgegnet, dass diese keine 5 oder 10- Jahrespläne mit konkreten Maßnahmen sein können, da man sich so eine gewisse Flexibilität bewahre und seine Pläne etwaigen Konkurrenten oder Gegnern nicht verraten solle. Was kann man also von einer Chinastrategie erwarten und was nicht? Und wie beurteilen Sie nach diesen Kriterien und Ihren eigenen die vorliegenden erste Chinastrategie der Ampelkoalition? Empfinden Sie sie als realistisch, ausgewogen, zu einseitig, zu vage?

Professor van Ess: Solange man vorhat, auf den gewohnten Pfaden zu wandeln, ist eine Strategie überflüssig. Eine Strategie braucht man erst, wenn man ein Gegenüber als ein Risiko erkannt hat, mit dem man anders umgehen muss als bisher. Da dies vor allem aus der Perspektive zweier Ampelpartner der Fall war, war es auch logisch, über eine Strategie nachzudenken. Eine allgemeine NSS braucht man dann, wenn man meint, dass man bestimmten Bedrohungen ausgesetzt ist. Deutschland dachte dies seit dem Ende des Kalten Krieges nicht, die USA schon. Bei den USA ging es immer darum, die nationale Vormachtstellung abzusichern, China überlegt umgekehrt, wer es aufhalten will und wie es dem begegnen soll. Deutschland hat sich über diesen Punkt nie Gedanken gemacht, weil es nicht politisch dachte, sondern wirtschaftlich. Und solange die Welt deutsche Güter brauchte, brauchte Deutschland keine Sicherheitsstrategie. Jetzt, wo der Ukraine-Krieg das deutsche Wirtschaftsmodell und den deutschen Wohlstand infrage gestellt hat, ist es natürlich an der Zeit, über die Risiken nachzudenken, mit denen wir konfrontiert sind. Allerdings halte ich es für einen groben Fehler, diese einzig auf China zu konzentrieren. Wenn man tatsächlich über die Frage nachdenken möchte, wie es mit Deutschland weitergeht, dann müsste man auch viel ausführlicher auf unser Verhältnis zu den USA, zu den einzelnen europäischen Partnern und zu den BRICS eingehen. Da gibt es nämlich überall Plus und Minus. Kurz, ich halte es für grundfalsch, China als den einzigen Problemfall herauszugreifen. Der erste Problemfall sind wir ja selber. Eigentlich ist man die Sache falsch herum angegangen. Zuerst wäre eigentlich die Nationale Sicherheitsstrategie mit der Verortung Deutschlands in der Welt nötig gewesen, dann hätte China folgen können, wenn man nach einer Gesamteinschätzung zu dem Schluss gekommen wäre, dass China tatsächlich für uns eine größere Herausforderung darstellt als andere Probleme. Man merkt der „China-Strategie“ den Spagat zwischen Herausforderung und notwendigem Partner jetzt zu sehr an. Was einer Strategie auch schadet, das ist, wenn am Ende klar ist, dass die einzelnen Beteiligten, die mitgeschrieben haben, die Lage immer noch unterschiedlich beurteilen. Das bedeutet, dass sie sich nicht auf eine Strategie haben einigen können. Der Grund ist in diesem Fall der oben beschriebene: Man hat nicht versucht, die Lage Deutschlands in der Welt unvoreingenommen zu diskutieren und dann zu überlegen, welche Rolle China in dem ganzen Geflecht spielt. So bemerkt man da eher diffuse Ängste und umgekehrt das Eingeständnis, dass man China eben doch für bestimmte Dinge braucht (vor allem für den Kampf gegen den Klimawandel). Das wirkt als Ganzes auf mich unausgegoren, weil die Strategie eher auf Emotionen basiert als auf nüchterner Analyse der realen Sachverhalte.

Global Review: Die Chinastrategie betont ja immer, dass sie sich an der Chinastrategie der EU und auch an der EU und Bündnispartnern orientieren und diese auch einbinden und konsultieren wolle. Dabei wird auch die diplomatische Formeltriade von China als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ übernommen. Speziell über den Begriff über den „systemischen Rivalen“ gibt es Differenzen. Einige mehr sinophile Experten sagen, die KP China sei keine Sowjetunion, habe keine Ideologie, noch wolle sie eine proletarische Weltrevolution, wolle ihr Gesellschaftsmodell nicht exportieren und sei zudem kapitalistisch, wie auch anders als der alte Systemkonkurrent Sowjetunion eine wirtschaftliche Weltmacht. Dies wird seitens der Befürworter des Systemgegensatzes geleugnet: Zum einen, da China eine neototalitärer autokratische Diktatur, nun zunehmend mit Personenkult und der Ideologie der Xi- Jinpinggedanken sei, die einen Weltherrschaftsanspruch habe und nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch Weltmacht sein wolle samt Export seines Gesellchaftssystems, vorerst in den Global South. Andere Systemtheoretiker bezweifeln zudem auch, dass China eine Marktwirtschaft oder ein echter Kapitalismus ist, sei es die Heritage Foundation oder das American Enterprise Institute, zumal unter Zuhilfenahme eines Economic Freedom Indexes. Und wenn man etwas folgenden Grundsatzartikel der Deutschen Kommunistischen Partei in „Unserer Zeit“ liest, in dem die KP  China und ihr Wirtschaftssystem als die Verwirklichung Lenins und des Marxismus angesehen wird, scheint dies das ja zu untermauern: So Niki Müller, Kiel, zur Steuerung der chinesischen Wirtschaft durch Partei und Staat

„Kontrolle der Kommandohöhen der Wirtschaft ist entscheidend!

UZ vom 10. Februar 2023  

  • Niki Müller

„Wird die Abschaffung des Privateigentums mit einem Schlage möglich sein? Nein. (…) Die aller Wahrscheinlichkeit nach eintretende Revolution des Proletariats wird (…) nur allmählich die jetzige Gesellschaft umgestalten und erst dann das Privateigentum abschaffen können, wenn die dazu nötige Masse von Produktionsmitteln geschaffen ist.“ Diese Einschätzung lieferte 1847 Friedrich Engels. Lenin beschäftigte sich später mehrfach mit der Frage, ab wann die Voraussetzungen für die Abschaffung von Privateigentum, Markt und Geld, für die Überwindung der Warenproduktion geschaffen sind. In „Über ‚linke‘ Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit“ schrieb er:

„Der Sozialismus ist undenkbar ohne großkapitalistische Technik, die nach dem letzten Wort modernster Wissenschaft aufgebaut ist, ohne planmäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung und Verteilung der Produkte anhält.“

Später führte er aus: „Die Hauptfrage jeder Revolution ist zweifellos die Frage der Staatsmacht. Welche Klasse die Macht in den Händen hat, das entscheidet alles.“ Und weiter: „Wenn die Kommandohöhen der Wirtschaft unter Kontrolle der Arbeiterklasse stehen, dann ist es kein gewöhnlicher Staatskapitalismus mehr, sondern bereits der Beginn einer sozialistischen Republik.“ Lenin benannte auf diesem Kongress explizit das Eigentum von Grund und Boden als ein Kriterium.

Die KPCh hat versucht, aus den Erkenntnissen der Klassiker und den eigenen Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus zu lernen. Die bereits aus der klassischen Planwirtschaft unter Mao Zedong hervorgegangenen Staatskonzerne dominieren und kontrollieren die wesentlichen Produktionsstätten in den Bereichen Transport, öffentliche Versorgungsgüter, Forschung, Bahn, Post, Ölindustrie, Pharmazie, Kernenergie, Montanindustrie, Forstwirtschaft, Telekommunikation, Chemie, Kohle, Luftfahrt und Raumfahrt. Ganz wesentliche Produktions- und Versorgungsbereiche sind also in den Händen des Staates beziehungsweise unter Kontrolle der KPCh. Das Außenhandelsmonopol und – besonders wichtig – das Bankwesen werden ebenfalls vom Staat kontrolliert. Denn auch nach der Verabschiedung des Geschäftsbankgesetzes von 1995 sind die Banken das Fundament der makroökonomischen Steuerung durch Regierung und Partei. Die Vorsitzenden der großen Banken sind auftragsgebundene Politiker, die allerdings über das nötige Fachwissen verfügen müssen. Merkmal ist eine einheitliche Parteidisziplin. Kredite der Staatsbanken gehen hauptsächlich mit Vorzugskonditionen an Staatsbetriebe, die das ökonomische Fundament des Staates bilden. Hier findet derzeit eine die Produktivkräfte beschleunigende Zentralisation des Kapitals statt.

Rückgrat der wirtschaftlichen als auch der politischen Basis der KPCh beziehungsweise des chinesischen Staates sind ein paar Dutzend staatseigene „mächtige“ Betriebe in den genannten Schlüsselsektoren. Diese werden von der Partei dominiert, die Entscheidungsfindung in den Unternehmen und die interne Aufsicht werden über diese vollzogen.

Xi Jinping weist immer wieder darauf hin, dass absolute Priorität der Reformen sei, die Führung der Partei zu erhalten. Dies sei die Voraussetzung des Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften: „Die Staatsbetriebe werden zur Partei, sie werden zum zuverlässigsten Pfeiler des Staates, und sie werden die zentrale Kraft, um die Entscheide und Anweisungen des Zentralkomitees entschlossen umzusetzen.“

Dazu schrieb das „Wall Street Journal“ vom 20. September 2021: „Es wird immer deutlicher, dass Xi Jinpings Kampagne gegen Privatunternehmen weitaus ehrgeiziger ist, als man denkt. Der chinesische Präsident versucht nicht nur, ein paar große Technologie- und andere Unternehmen zu zügeln und zu zeigen, wer in China der Boss ist.“
Also sind sowohl quantitativ als auch qualitativ Staat und Partei der dominierende Faktor im ökonomischen Bereich.

  Was ist also von der Einschätzung eines systemischen Rivalen zu halten?

Professor van Ess: Ich bin überzeugt, dass diese Einschätzung stimmt, und ich bin auch davon überzeugt, dass die KPCh meint, dass China ein systemischer Rivale für die westlichen repräsentativen Demokratien ist. Wang Huning hat ja schon vor 20 Jahren gesagt, dass die amerikanische Demokratie am Ende sei, und die nachlaufenden Entwicklungen in Europa haben viele chinesische Parteiideologen in ihrer Meinung bestätigt, auch wenn sie das westliche System als Rivalen schon noch ernstnehmen. Ich glaube nicht, dass die Chinesen ihr System in den Westen exportieren wollen – sie denken eher: Wenn die mit ihrem System weitermachen wollen, sollen sie sehen, wie weit sie damit kommen. Wir konkurrieren mit unserem System. Mal sehen, wer stärker ist. Meine Auffassung ist, dass die westliche repräsentative Demokratie sich von China vor allem deshalb so sehr herausgefordert sieht, weil sie sich ihrer selbst nicht mehr so sicher ist wie noch vor zwanzig Jahren. Daher werden jetzt in den USA und Europa auch immer mehr die immateriellen „Werte“ betont und nicht mehr die offensichtliche Überlegenheit des eigenen Systems.

In Afrika und in Südamerika sieht die Sache anders aus. Dort besteht für die westlichen Demokratien die ganz reale Gefahr, dass sich Eliten von den Vorzügen des chinesischen Weges überzeugen lassen und andere Wege gehen als diejenigen, die ihnen der Westen vorzeichnet. Das Problem wird verschärft durch die koloniale Vergangenheit, die in den Eliten Indiens und Afrikas sehr ambivalente Gefühle hinterlassen haben. China ist da ja weitgehend unbelastet.

Global Review: Sie meinten, dass China sich genauso als systemischen Rivalen sieht, aber nicht aktiv sein Gesellschaftssystem exportieren möchte, zumal es glaubt, dass dieses überlegen ist und da sehr zuversichtlich und selbstgewiss ist, zudem auch als Marxisten die Widersprüche des westlichen kapitalistisch-imperialistischen und demokratischen Systems genau kennt, das ja richtigerweise dazu neigt sich selbst zu rekonstruieren, zu schwächen und auch vielleicht sogar untergehen zu lassen. Das ist richtig, genauso wie die AfD oder viele Rechtsradikale ja auch sich auf die eigenen Fehler der liberalen Demokratie und des Kapitalismus verlassen können, sei es von Demokratisierungskriegen bis hin zu Finanzkrisen, die ja wahrscheinlich auch systemisch sind. Oder wie Horkheimer mal sagte: Wer zum Kapitalismus schweigt, soll nicht vom Faschismus reden .Dennoch hört sich dies eher als passive Abwarteposition im quasi bequemen Sonnenstuhl an in der Erwartung, dass sich die Gegenseite selbst erlegt und dann in das Vakuum zu stoßen .Aber ganz so passiv ist es doch nicht. Die Einheitsfront der KP China ist doch sehr aktiv dabei, diese Widersprüche anzuheizen wie dies auch Putin versucht,  rüstet selbst auf, treibt die Neue Seidenstraße wie Deutschland damals mit der  Baghdadbahn ins Herz des British Empires und nun des US Empires wie  sie auch  aufrüstet auf hoffte nach dem Rückzug der USA in Irak und Afghanistan nun mittels Putins Ukrainekrieg die USA und die NATO samt den Westen in Chaos zu stürzen, um die sinozentrische multipolare Weltordnung aktiv und aggressiv zu befördern. Dies als Gegennarrativ zu der Einschätzung eines passiven Abwartens, bei dem einen dann die Trauben vom morschen westlichen Baum in den Mund fallen. Was sagen Sie dazu?

In der deutschen Chinastrategie ist zudem ebenso die Rede, dass Deutschland und die EU möglichst schnell Freihandelsabkomnen mit Indien, der ASEAN und dem Mercusor, vielleicht auch den USA vorantreiben sollten, ja vielleicht auch TTIP revitalisieren sollten, zudem unausgesprochen China ja neben der Global Development Initiative mit Kern Neue Seidenstraße BRI auch noch die größte Freihandelszone RCEP gegründet hat. TPP ist nur in der Warteposition, dass sich die USA wieder beteiligen, aber seit Trump scheinen multilaterale Freihandelsabkommen unter protektionistischem Vorbehalt zustehen und nicht mehr die Hauptagenda der USA zu sein .Die USA versuch unter Biden mit B3W und die EU mit Global Gateway keynesianistische Neue Seidenstraßen Chinas nun zu kopieren, aber die deutsche Liebe für Freihandelsabkommen wie in der Chinastrategie und seitens der  EU erhofft Scheinen nicht auf amerikanische Gegenliebe zu stoßen. Hat China bei allen Derisking und Decoupling da nicht einen strategischen Vorteil, da es mindestens zweigleisig mit BRI und RCEP fährt, ja nun auch den Asiaten angeboten hat beim TPP- Nachfolger einsteigen zu wollen, falls sie nicht noch ewig auf die USA warten wollen, zumal die USA ja solche Abkommen seit Trump auch schnell wieder kündigen können?

Professor van Ess: Gegen die USA wetten ist bisher noch niemals gut ausgegangen. Insofern würde ich mit dem Begriff eines strategischen Vorteils von China sehr sparsam umgehen. Die umliegenden Länder sind von Vietnam angefangen über Korea, die Philippinen bis hin nach Indonesien alle eher vorsichtig, zurückhaltend und auch ablehnend, was Chinas Ansprüche in der Region angeht. Natürlich versucht die VR China, die ja von der vielleicht auch nicht ganz unberechtigten Angst beseelt ist, die USA versuchten sie einzukreisen, auf der ganzen Welt Regime zu stützen und durch Unterstützung zu etablieren, die ihr genehm sind. Das ist aus ihrer Sicht aber zunächst einmal eine Gegenstrategie gegen die Einkreisung. Genauso natürlich freut sich die Führung der VR China, wenn Staaten in ihre Richtung kippen und hofft dabei auf einen Domino-Effekt in wirtschaftlich schwächeren Ländern, die an die Einflusszone der USA heranreichen. Aber ich glaube nicht, dass sie vermessen genug ist zu glauben, sie könnte Einfluss auf das politische System der NATO-Mitglieder nehmen, auch wenn manche von deren demokratisch regierten Ländern ihr ideologisch vielleicht viel näher stehen, als das manchem hierzulande lieb ist. Polen zum Beispiel steht fest an der Seite der USA und sieht in Russland den tödlichen Feind – daher wird es sich auch nicht auf ein Bündnis mit China einlassen.

Die Verbünde, in die China eingetreten ist bzw. die es selbst geschaffen hat, sind wirtschaftlicher Natur, allen voran BRI und RCEP. Es geht dabei um Infrastruktur und um die Beseitigung von Handelshemmnissen. Da machen viele Länder mit, die politisch ansonsten wenig mit China gemein haben.

Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass China gehofft hat, dass mithilfe des Ukraine-Krieges der Westen noch stärker ins Chaos gestürzt wird. Im Gegenteil glaube ich, dass die KP fest an der Seite der russischen Erzählung steht, dass dieser Krieg von den USA provoziert worden ist, um damit Russland, möglicherweise auch das energietechnisch von Russland abhängige Westeuropa und langfristig auch China ins Chaos zu stürzen, und dass es deshalb wichtig ist an Russlands Seite zu stehen, um diesen Angriff energisch abzuwehren, auch wenn das eine ganze Reihe von unangenehmen Konsequenzen hat – die ausbleibenden Weizenlieferungen aus der Ukraine sind nur eine davon. Würde diese chinesische Strategie aufgehen, dann könnte man sich über den Punkt noch einmal unterhalten, denn dann würden sich für China tatsächlich Türen in Europa auftun. Im Augenblick geht es der KP China aber meiner Beobachtung nach erst einmal darum, Einfallstore zuzuhalten.

Global Review: Was halten Sie eigentlich von der These, dass die KP China aufgrund ihrer marxistischen Theorie und Kenntnisse des Marxismus und eigenen Erfahrungen mit dem Kommunismus, Imperialismus  und Kapitalismus, diesen, seine Bewegungsgesetze und auch dessen Management  vielleicht besser versteht als die meisten westlichen Politiker und Kapitalisten die keine marxistische Theorie kennengelernt, und Das Kapital und andere Klassiker von Lenin, Trotzki, etc. nie gelesen haben?

 Professor van Ess: Die erste Frage ist natürlich, ob Marx die Bewegungsgesetze des Kapitalismus wirklich alle verstanden hatte. Das war mit Sicherheit nicht der Fall. Auch fragt sich, ob die Sicht von Marx auf den Kapitalismus nach Bismarcks Sozialgesetzgebung und dem Godesberger Programm der SPD eigentlich noch passt. Lange Zeit erzählten Chinesen einem ja gerne, dass Deutschland viel sozialistischer sei als China – und das hat durchaus einige Plausibilität: Bei uns glaubt man an hohe Steuern, mit denen der Staat die Malaise des Kapitalismus repariert. Wie sehr das auf China zutrifft, fragt sich.  

Aber in der Tat glaube ich, dass die KP-Kader sich aufgrund ihrer Schulung natürlich im Durchschnitt viel besser mit den Systemen auskennen als westliche Politiker. Beide Seiten habe aber Defizite: Während die weitgehende Theorieblindheit europäischer Politiker dazu führt, dass in vielen ja eigentlich sehr wichtigen Ministerpositionen völlig ahnungslose Personen sitzen, die über kaum theoretische Kenntnisse und oft keinerlei Fachwissen verfügen, aber meinen, dass sie das alles mit ein paar Überstunden im Büro kompensieren (hoffentlich!) können, wird gut geschulten Kadern der KP China durch zu viel Marx-Lektüre manchmal die spontane Sicht auf die Entwicklung der Dinge auch verstellt. Man muss ja die Fähigkeit erwerben, sich auch von den Schablonen zu lösen, die man gelernt hat. China hatte hier mit seinem Sozialismus chinesischer Prägung einen Vorteil gegenüber der Sowjetunion, weil man in China immer nach den Hintertüren gesucht hat, während die Sowjetunion an Verknöcherung und zu guter Theorieausbildung zugrunde ging. Aber wer das China der 80er Jahre noch kennt, weiß, dass die Theorie auch dort der Praxis oft im Wege stand. Insofern ist der Weg Xi Jingpings zurück zu Marx gefährlich.  

Global Review: Chinas erste Reaktion auf die deutsche Chinastrategie fiel auffallend zurückhaltend aus. Sie wurde als „Kompromiss zwischen Transatlantikern und Pragmatikern in der Regierung und  zwischen den USA und Europa“ betrachtet. Vor allem das „Derisking“ stört die KP China, obgleich ja „Decoupeln“ ausgeschlossen wurde.. In einem Kommentar der Global Times weist die KP China darauf hin, dass die deutsche Chinastrategie sich sehr an der EU-China-Strategie ausrichten und abstimmen würde und zitiert nun EU-Außenkommisar Michael Borell, der erklärte das Derisking sei „nicht gegen China gerichtet“.

“‘De-risking’ doesn’t target China, says EU foreign policy chief; positive remarks reflect good momentum in China-EU ties: analysts.

https://www.globaltimes.cn/page/202307/1294429.shtml

Scheinbar scheint sich die KP China besser von EU-Außenkommisar Borell verstanden zu fühlen, dessen Aussage „Derisking doesn’t target China“ und „The EU is not supporting Taiwan Independence“ wie auch Betonung der europäischen Souveränität nun der deutschen Chinastrategie implizit entgegengestellt werden. Macron und Borell scheinen da die bevorzugten Ansprechpartner Chinas zu sein, wie auch innerhalb der Ampel Scholz und die SPD. Ob das Baerbocks Intention war oder nun eher ein unintended effect ist? Oder hat Scholz Baerbock die EU so in die Chinastrategie reinnehmen lassen, weil er wusste, dass Borell und Macron sie ausgebremsen werden? Aber was sagt EU- Kommissionspräsidentin von der Leyen dazu? Oder gewichten die Chinesen Borells Aussage nicht etwas zweckoptimistisch über?

Professor van Ess: Derisking ist meiner Ansicht nach ein Gedankengang, den die VR China sehr gut nachvollziehen kann. Nach chinesischer Logik sind es ja die USA, die in Asien zündeln und im südchinesischen Meer und in Taiwan für Unruhe sorgen, nicht die VR China. Dass da etwas schiefgehen könnte, was Europa nachhaltig ins Hintertreffen bringen würde, weil Europa sich mit China nicht mehr so austauschen kann, wie dies eigentlich für beide Seite vorteilhaft wäre, kann man in China sehr gut nachvollziehen. Die VR China macht sich natürlich selber Gedanken über eine eigene Derisking-Strategie. Dort geht diese in Richtung einer Rückkehr zur Autarkie. Man empfiehlt der Bevölkerung, sich darauf einzustellen, dass man den Gürtel enger schnallen muss, auch wenn man natürlich lieber weiter wirtschaftlichen Aufschwung durch Außenhandel hätte. Insofern sagt die VR China, dass sie eine europäische Derisking-Strategie, in die sich die deutsche nur einbettet, gut verstehen kann.

Mir scheint, dass die EU ein gemeinsamer Nenner ist, auf den sich alle Ampel-Beteiligten ohne weiteres einigen konnten. Die grüne Politik richtet sich ja nach meiner Einschätzung am Ende sowieso eher an die deutsche Wählerklientel, und da kann man markige Worte immer machen, wenn man weiß, dass der außenpolitische Schaden am Ende nicht so groß sein wird, weil die EU das auffängt.

Global Review: Zudem scheint China nun keine Angriffsfläche bieten zu wollen und auch eine gewisse Charmeoffensive zu verfolgen, auch um in Deutschland weiter investieren zu können, zumal sich Scholz und China bezüglich des Hamburger Hafens gegenüber Habeck durchsetzen konnten:

„Berlins China-Strategie : Warum Peking sich mit Kritik zurückhält

China wirbt um deutsche Unternehmen wie schon lange nicht mehr – diese Charmeoffensive will es nicht durch Poltern gegen Berlins China-Strategie stören.

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/pekings-reaktion-auf-deutsche-china-strategie-19037954.html

Jetzt scheint man Befürchtungen wegen des Foreign Relations Law und anderer strikter Gesetze durch eine „Charmeoffensive“ beschwichtigen zu wollen .Auch interessant, dass da auch die großen Vermögensverwalter wie Blackrock und Risikokapitalgesellschaften in China angesprochen werden.

„So umgarnt China die deutsche Wirtschaft

Weil sich ausländisches Kapital von China abwendet, kümmert sich die Regierung nun um private Investoren. Die Charmeoffensive erstreckt sich dabei längst nicht nur auf heimische Unternehmen.

  Um die flaue Konjunktur zu retten, betreibe Peking eine „Charmeoffensive“, hieß es vor Wochen aus der deutschen Wirtschaft in China: Allerlei Vertreter von chinesischen Lokalregierungen flögen nach Deutschland und besuchten Unternehmen, um für den Standort in Fernost zu werben. „Wie können wir euch helfen?“, heiße es dieser Tage gegenüber den ausländischen Investoren auch in China selbst, landauf, landab.

  Wie sich herausstellt, ist die Charmeoffensive noch nicht vorbei. Im Gegenteil. Wie aus übereinstimmenden Berichten unter Verweis auf Teilnehmer hervorgeht, hat sich Pekings oberster Finanzmarktregulator am Freitag mit einigen der größten Wagniskapitalgeber und Private-Equity-Investoren der Welt getroffen, um Sorgen zu zerstreuen, China sei politisch und wirtschaftlich zu riskant geworden, um weiter Milliardenströme in das längst nicht mehr so schnell wie früher wachsende Land zu lenken.

  So hat sich demnach Fang Xinghai, stellvertretender Chef der Börsenaufsicht China Securities Regulatory Commission (CSRC), mit Vertretern von mehr als 30 ausländischen Finanzgesellschaften getroffen, darunter KKR, Blackstone, Carlyle, Warburg Pincus und Hong Shan, Nachfolger der ehemaligen chinesischen Niederlassung des kalifornischen Wagniskapitalgebers Sequoia. Gleichzeitig hatte das Handelsministerium ebenfalls mehr als 30 Abgesandte ausländischer Unternehmen und Vertreter diverser ausländischer Lobbyvereinigungen geladen.

  Der stellvertretende Handelsminister Chen Chunjiang schmeichelte den Investoren, Peking habe sie stärker in den Fokus genommen und wolle im Gegensatz zu früher verlässlichere Geschäftsperspektiven schaffen. Tatsächlich hat die Unsicherheit über Pekings Politik sowie über das Wohlergehen der chinesischen Wirtschaft zu einer regelrechten Abkehr ausländischen Kapitals von ihrem früheren Hoffnungsmarkt geführt. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres waren die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) im Jahresvergleich um drei Viertel eingebrochen, so viel wie seit Ende der Neunzigerjahre nicht mehr.

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/so-umgarnt-china-die-deutsche-wirtschaft-19055922.html

 Zum einen erklärt die KP China, dass sie sich weiter wirtschaftlich öffnen und Reformen durchführen wolle, zum anderen aber konterkariert sie dies mit dem Foreign Relation Law, dem neuen Spionagegesetz und restriktiveren Vorschriften und Eingriffen gegenüber ausländischen Betrieben, auch bei deren Informations-, Auskunfts und Berichtspflicht. Sind die ausbleibenden Investitionen Ausdruck der Sanktionen, der Wirtschaftskrise, des Derisking, der Maßnahmen der KP China, die trotz Rhetorik ein immer feindlicheres Investitionsklima für ausländische Unternehmen schafft-wie schätzen Sie das ein?

Professor van Ess: Meiner Einschätzung nach lässt sich dieses Gesetz aus drei Blickwinkeln verstehen. Zum einen ist es eine Retourkutsche gegen die China-Sanktionen der USA, die deshalb wirksam ist, weil auch viele amerikanische Unternehmen in China aktiv sind und auch nicht weg wollen. Man könnte bestimmte Klauseln dieses Gesetzes als Faustpfand für Verhandlungen einsetzen. Zum zweiten, und das ist damit verbunden, sind viele ausländische Großunternehmen in China investiert. Diese murren zwar, aber auf den chinesischen Markt verzichten wollen sie auch nicht. Insofern glaubt man, sich das leisten zu können. Und zum Dritten geht es um den Weg zur Autarkie: Auch China betreibt Derisking und glaubt, sich besser auf die eigene Industrie verlassen können zu müssen als auf zusätzliche ausländische Direktinvestitionen. Jede Direktinvestition bringt ja auch für China ein commitment mit sich. Die eigenen Unternehmen hat man viel besser unter Kontrolle als die ausländischen. Das Gesetz schränkt aus Chinas Sicht deren Privilegien ein.

Global Review: Experten behaupten, dass das Thema Taiwan kaum erwähnt oder ausgeführt wird. Wenn man an die pessimistischen Prognosen seitens Habecks Wirtschaftsministeriums erinnert, dass man sich auf einen Taiwankrieg spätestens 2027“ einstellen müsse, politisch, militärisch, wirtschaftlich, liest sich die Chinastrategie doch damit verglichen recht entspannt an. Ein Kritiker meinte auch im Focus: Man brauche keine Chinastrategie, sondern einen Chinafonds für deutsche systemrelevante Unternehmen wie VW, BMW, Mercedes, die BASF, u.a., um im Konflikt- oder Sanktionsfall einen Rettungsschirm aufzuspannen, da auch diese wie etliche Banken „too big to fall and fail“ seien .Eigentlich müsste man eine Liste strategischer Industrien, auch strategischer Finanzinstitute aufstellen, auch das Außenhandelsgesetz und die Wirtschaftsgesetze ändern, vielleicht auch Investmentmonitoring und Investitionslenkung mittels Kooperation von NATO- und EU- Organen vorbereiten, um im worst case auf eine „Kriegswirtschaft“ umzustellen. Ebenso wäre doch überlegbar, ob sich Deutschland oder die EU nicht eine strategische Lagerhaltung von Rohstoffen, Grundstoffen, Vor- und Halbfertigprodukten, Nahrungsmitteln, Medikamenten, etc. zulegt, um im Konflikt- oder Kriegsfalle mindestens 1 Jahr auszuhalten. Scheinbar wird solches aber gar nicht geplant oder beschlossen. Man scheint sich immer noch auf just- in – time trotz Lieferkettenproblematik zu verlassen. Verdrängt man die Gefahr, glaubt man nicht an solch einen worst case, verhindert das die FDP als marktliberale Kraft oder wäre das nicht finanzierbar oder befürchtet man Peking damit zu verärgern?

Professor van Ess: Was Taiwan angeht, so unterstreicht die Strategie das Ein-China-Prinzip und verpflichtet alle Beteiligten – einschließlich Taiwans – darauf, den Status Quo nicht zu verändern. Da können sich die VR China genauso wie Taiwan das von ihnen Gewünschte herauslesen. Auch hier sollte man immer im Blick haben, dass die VR China zwar militärisch massiv aufgerüstet hat, ihrer eigenen Rhetorik nach aber eine friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan wünscht. Sie sagte, dass die Gefahr eher davon ausgehen könnte, dass die USA Taiwan aufrüsten und dieses sich dann zu einer Unabhängigkeitserklärung ermutigt sieht. Das wäre dann aus ihrer Sicht eine einseitige Veränderung des Status Quo, den die deutsche China-Strategie halten möchte. Auch dahingehend kann man Derisking verstehen. Die Warnungen vor einem Taiwan-Krieg stammen vornehmlich von Analysen des amerikanischen Militärs, weniger von einer Veränderung der chinesischen Rhetorik.

Tatsächlich ist das Risiko, dass in der Taiwan-Straße etwas passiert – auf wessen Initiative auch immer – nicht klein. Und in der Tat ist es verwunderlich, dass in dieser Strategie keine Maßnahmen genannt werden, wie man für einen Ernstfall vorsorgen möchte.

Global Review: Während man in den meiste anderen Feldern China in der Chinastrategie als Wettbewerber, ja auch mal systemischen Rivalen sieht, hofft man seitens der Bundesregierung speziell im Bereich des Klimaschutzes wichtige Kooperationsfelder. In einem Beitrag i der FR wird heute dies spezifiziert und angemahnt, dass die Chinastrategie in Sachen Klimaschutz konkreter und schwerpunktmäßiger werden müsste, wobei sich fragt: Ist das die Vorstellung der Autoren, von NGOs oder den Grünen und Baerbock.Scholz soll den Klimaschutz in China zur zentralen Kooperationsaufgabe machen, die Kohlekraftwerke in China und die Beteiligung Chinas an Finanzausgleichszahlungen  für Klimaschutz für den Global South als Fokus nehmen, die die sensibelsten Themen seien. Gleichzeitig ist interessant dass China seitens Deutschlands den Status eines Entwicklungslands verloren hat , umgekehrt aber aus der Chinastrategie die Passage mit dem Lieferkettengesetz im. Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit von Uiguren rausgenommen worden sein soll. So schreibt die Frankfurter Rundschau:

„Deutschland will China beim Klimaschutz „zu ambitionierteren Zielen bewegen“  

Klimaschutz soll zu einem „Schwerpunkt der bilateralen Zusammenarbeit“ werden. Dabei will die Regierung auch den Kohleausstieg in China thematisieren. Klare Forderungen oder Angebote der Zusammenarbeit stehen nicht in der Strategie und wurden auch nicht bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen beschlossen. Denn das Thema ist sensibel: Kohle ist für Chinas Energiesicherheit von großer Bedeutung. Zudem gibt es eine starke Kohlelobby in der Volksrepublik. Auch will die Bundesregierung den Klima- und Transformationsdialog mit China nutzen, um „Industrieprozesse klimafreundlicher zu machen, die Energiewende zu beschleunigen, den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität zu erleichtern“.

China dürfe die Zusammenarbeit beim Klimaschutz aber nicht „als Druckmittel“ verwenden, um Interessen in anderen Bereichen durchzusetzen, warnt die Strategie, ohne weiter ins Detail zu gehen.  

Die Bundesregierung will auch erreichen, dass sich China an der sogenannten globalen Loss-and-Damage-Finanzierung über einen neuen Fonds beteiligt – also Finanzmittel zur Verhinderung und Anpassung an die Folgen der Klimakrise in ärmeren Staaten bereitstellt.(…)

Klimapolitik-Experte Weischer bemängelt jedoch auch einige Leerstellen der Strategie, wie „die Reduktion der Methan-Emissionen, die für die Einhaltung des 1,5 Grad Ziels wichtig seien. Auch werden kaum konkrete Maßnahmen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit genannt, „wie die Emissionen Chinas kurzfristig gesenkt werden könnten“.  

Es werde jetzt entscheidend sein, wie die Strategie umgesetzt wird, so Weischer. „Ich sehe da viele Arbeitsaufträge an das Auswärtige Amt und das Wirtschaftsministerium, beispielsweise zum Dialog zum Kohleausstieg oder Chinas Rolle in der Klimafinanzierung.“ Im AA und BMWK müssen jetzt neue Ressourcen bereitgestellt werden, um die Strategie mit Leben zu füllen.

https://www.fr.de/politik/tbl-china-klimapolitik-treibhausgas-emissionen-co2-klimawandel-cop-28-entwicklungsland-zr-92405505.html

Wie beurteilen Sie Chinas Interesse an Klimaschutz und hat die KP China da dieselbe Prognose wie die deutsche Regierung, was Ursachen, Folgen, Dimension und Mittel sowie Klimakatastrophe und tipping points, auch wenn Nordchina jetzt schon von Hitzewellen heimgesucht wird und einige Experten meinen, das s das chinesische Jahrhundert spätestens 2050 vorrüber sei, wenn die nordöstliche Ebene landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar und für eine 400 Millionen Bewohner dann nicht mehr bewohnbar sei? Oder steht da einfach Wirtschaftswachstum ohne Grenzen des Wachstums ala Club of Rome im Vordergurnd?

Professor van Ess: China hat ein hohes Interesse am Klimaschutz, denn das ist ein Frage, die die KP direkt betrifft. Teile der städtischen Bevölkerung machen sich über den Klimawandel große Sorgen. Allerdings muss man vorsichtig sein. Die E-Auto Strategie hat China zum Beispiel aus zweierlei Gründen beschlossen: Einerseits, weil sie dem Feinstaub in den großen Städten den Kampf ansagen wollte (und mit Erfolg gehandelt hat), andererseits, weil dies eine Chance darstellte, der deutschen und japanischen Vormachtstellung in der Automobilindustrie etwas entgegenzusetzen. Um Klimaschutz ging es dabei nicht, denn die E-Autos laufen auch in China nur mit Kohlekraft, und das wird auch mittelfristig so bleiben: E-Autos erhöhen den CO2-Ausstoß. China ist beim Umstieg auf E-Autos natürlich viel weiter als Deutschland, insofern wird man es nicht so leicht zu ambitionierteren Zielen bewegen können, denn es wird immer sagen: Ihr kommt ja selbst auf vielen Gebieten viel schlechter voran als wir.

Nach meiner Einschätzung sind in China sowohl in der Partei als auch in der Wissenschaft die Ansichten dazu, ob der Klimawandel menschengemacht sei, geteilt. Es gibt eine Reihe von chinesischen Klimawissenschaftlern, die meinen, dass die Temperaturen vor 800 Jahren noch höher gewesen sein müssen als heute und dass der Temperaturanstieg damals auch mindestens genauso schnell gewesen sei. Die Eroberung Chinas durch das kleine Volk der Mongolen folgte – und möglicherweise hing das auch mit Klimawandel zusammen – wir wissen all das (noch) nicht, die Physik stellt zwar Formeln bereit, die uns die Zukunft errechnen sollen, kann aber die Vergangenheit bisher nicht erklären. Also muss es nach Ansicht dieser Klimawissenschaftler auch andere Faktoren geben, die den Anstieg der Temperaturen treiben, und die Frage ist, ob man diese beurteilen kann. Ich bin ziemlich überzeugt, dass diese Wissenschaftler von der chinesischen Akademie der Wissenschaft auch Einfluss auf die Entscheidungen der chinesischen Politik haben.

Auch wenn ich nicht glaube, dass der Glaube an Katastrophenszenarien in China so weit verbreitet ist wie bei uns, heißt das nicht, dass man in China nicht über Hitzewellen mit Rekordtemperaturen besorgt ist, und auch nicht, dass man meint, nichts gegen CO2 unternehmen zu müssen. Deshalb baut China seine Windkraft-, Solarenergie und andere grüne Technologien auch mit großem Tempo aus. Selbst wenn man damit den Klimawandel nicht bekämpfen können sollte, was ja eine Möglichkeit ist, darf man doch nicht vergessen, dass man auf dem Gebiet vorankommen muss. Erstens kann es gut sein, dass das ein wirksamer Weg im Kampf gegen den Klimawandel ist, und zweitens ist sicher, dass dass sich die im Zuge dieser technologischen Neuerung erzeugten Produkte aus China international gut verkaufen lassen (wir erinnern uns, wie die deutsche Solarindustrie in die Knie ging, als hohe Subventionen den Einstieg in den deutschen Markt zu einem überaus lukrativen Geschäft machten).

Ein gewisses Risiko sehe ich darin, dass der Klima- und der Umweltschutz – Bereiche, die sich ja leider in manchen Bereichen widersprechen (Ausbau der Windkraft z.B., der in großen Flächenstaaten mit riesigen Landesteilen, die weitgehend menschenleer sind, wie den USA oder China viel leichter zu bewerkstelligen ist) – in der Strategie so stark gemacht wird, dass man den Eindruck erhält, ohne ihn würde man auf China als Partner am liebsten ganz verzichten und nur noch den Wettbewerber und den systemischen Rivalen sehen. Das lädt China geradezu dazu ein, den Kampf gegen den Klimawandel als Pfund in die Waagschale zu werfen, wenn es um andere Themen geht. Auch hier gilt ja, dass eine Strategie eigentlich auch Mittel dazu enthalten sollte, wie man glaubt, sein Ziel erreichen zu können. Diese Strategie ist aber nur ein Wunschkatalog und verzichtet auf Vorstellungen zu dessen Umsetzbarkeit.

Global Review: Interessant auch die Frage, wie man mit Chinas CO2- Emissionen und dem neuerlichen Beschluss zu den schon neuzubauenden Kohlekraftwerke noch einige hunderte zusätzliche darüber hinaus zu errichten, umgeht. Scheinbar will die KP China nun mittels der CO2- Speicherung die zusätzlichen Emissionen gleich abfangen und gar nicht an die Luft dringen lassen: Wenn China die ganzen neuen Kohlekraftwerke neu baut hat, fängt es dann die CO2-Emissione gleich ab und speichert sie? Dafür gibt es schon ein solches Kraftwerk und einige kleinere Pilotprojekte nebst einer speichernden Ölplattform. Habeck will scheinbar dem chinesischen Beispiel folgen trotz Bedenken zu möglichen ökologischen Schäden, Nachfolgewirkungen oder Verzögerungen beim Kohleausstieg:.

„China speichert sein CO₂ jetzt vor der Küste

16.07.2023, 08:00 2 Min.

Während Deutschland seit Jahren über das Für und Wider der CO₂-Speicherung diskutiert, gilt die Technologie in China längst als Teil der Lösung im Kampf gegen den Klimawandel

Um seine Klimaziele zu erreichen, treibt China parallel viele Technologien voran. Dazu gehört auch die Abscheidung und Speicherung von CO₂. Anfang Juni wurde die erste Offshore-Kohlenstoffspeicheranlage des Landes in Betrieb genommen.(…)

Während die Anlage im Südchinesischen Meer das Gas nur speichert, geht ein Projekt in der Provinz Jiangsu einen Schritt weiter. Auch dort fängt das Kohlekraftwerk Taizhou seit Juni gezielt CO₂ auf. Allerdings hat sich der Betreiber China Energy für eine Anlage entschieden, die das Treibhausgas nicht unterirdisch, sondern in speziellen Tanks speichert. Ziel ist es, 500.000 Tonnen CO₂ einzufangen und weiterzuverkaufen. Kunden aus der Schweißindustrie und der Lebensmittelbranche seien bereits gefunden.

Die größte chinesische CO₂-Speicheranlage steht in der Provinz Shandong. Dort fängt der chinesische Staatskonzern Sinopec in einer seiner Ölraffinerien jährlich eine Million Tonnen Kohlenstoffdioxid ab. Hinzu kommen landesweit zahlreiche kleinere Projekte.(…)

Im Dezember 2022 kündigte Wirtschaftsminister Robert Habeck daher an, ein neues Gesetz auf den Weg bringen zu wollen. Sein Ministerium betont, dass es trotz aller Anstrengungen „selbst nach 2045 noch Emissionen geben wird, die nicht durch die bislang verfügbaren oder sich in Entwicklung befindlichen Technologien vermieden werden können“. Um das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis dahin zu erreichen, müsse daher auch die CO₂-Speicherung vorangetrieben werden.“(…)

Während Befürworter also von einer wichtigen Brückentechnologie sprechen, besteht bei Kritikern zudem die Sorge, dass der Fokus auf die CO₂-Speicherung den Übergang zu nachhaltigeren Lösungen, wie erneuerbaren Energien und Energieeffizienz, verzögern könnte. China hat diese Frage für sich entschieden.

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/china-speichert-sein-co%E2%82%82-jetzt-vor-der-kueste-33647476.html

Wird China also gar nicht aus der Kohlekraft aussteigen, sondern diese zügig ausbauen und das CO2 dann einfach speichern oder weiterverkaufen?

Professor van Ess: China verfolgt schon seit langem den Ansatz, auf alle Technologien parallel zu setzen, und nicht einseitig auf eine oder zwei. Die deutsche Energiepolitik, die jetzt nur noch funktioniert, weil wir Strom teuer im europäischen Ausland zukaufen (ansonsten müssten wir Kohle- und Gaskraftwerke stärker laufen lassen und würden unsere CO2-Ziele noch mehr verfehlen, als das ohnehin schon der Fall), ist ja nun wirklich kein Vorbild. Man kann im „Agorameter“ sehr schön sehen, wie seit dem Atomausstieg der Strompreis immer dann fällt, wenn die deutschen Erneuerbaren genug Strom erzeugen, um exportiert werden zu können. Das ist nur leider nur noch ganz selten tagsüber der Fall (in der Nacht brauchen wir fast immer zusätzliche Energie). Fast immer kaufen wir zu und treiben damit dann in der Kurve ganz einfach nachlesbar den deutschen Strompreis, mit dem pfiffigen Argument, es sei doch klimatechnisch gut, wenn man überschüssigen Strom aus dem Ausland einkaufe. Das bedeutet aber auch, dass Deutschland die Strommärkte unserer europäischen Partner subventioniert, und zwar ganz egal, ob der Strom dort aus erneuerbaren Energien, Atomkraft, Gas oder Kohle kommt. So ein widersinniges System wird man in China sicherlich nicht etablieren, zumal es keine Partner gibt. Stattdessen herrscht dort Technologieoffenheit. Alle Energieformen funktionieren nebeneinander und ergänzen sich.

Sie dürfen nicht vergessen, dass der Sozialismus eine Fortschrittsideologie ist, die meint, der Mensch habe die Fähigkeit, die Natur zu beherrschen und das Leben für die Menschen besser zu machen. Deshalb wird man in China mit der Speicherung von CO2 sicherlich experimentieren. Hier gilt das Gleiche wie oben: ob uns das im Kampf gegen den Klimawandel weiterbringt, weiß kein Mensch, aber probieren kann man es ja.

Global Review: Das China- Institut der Deutschen Wirtschaft (CIDW) schreibt über die chinesischen Reaktionen auf die deutsche Chinastrategie in seinem neuesten Chinapolitan Newsletter:

„Heute schreiben wir aus Beijing, und noch einmal müssen wir uns mit der deutschen China-Strategie beschäftigen. Ganz oft wurden wir nämlich von unseren chinesischen Freunden in den letzten Tagen auf diese angesprochen. Schließlich ist Deutschland nach unserer Kenntnis der einzige Nationalstaat der Welt, der in Friedenszeiten eine solche, nur auf ein Land gerichtete Strategie veröffentlicht hat. Schon der Name „Strategie“ sorgt für Verwirrung. Viele chinesische Gesprächspartner waren sich unsicher was den Status des Dokuments angeht: Handelt es sich etwa um rechtliche Richtlinien, amtliche Anweisungen, oder um eine Kriegsstrategie? Im Chinesischen wird Strategie entweder als 战略 (zhan lüe: Kriegsstrategie) oder als 策 (ce: strategische Planung) übersetzt – beides hat einen konfrontativen Charakter.

Die Einschätzungen unserer Freunde gehen auseinander. Für manche ist das Papier nicht der Rede wert, da es keine konkreten Maßnahmen benennt und ja auch Kooperationen nicht grundsätzlich abgelehnt werden. Andere aber finden darin viel Verstörendes, insbesondere das sogenannte „De-Risking“. Dieser nach Auffassung unserer Gesprächspartner deutsche terminologische Beitrag zur westlichen Chinadebatte sei nichts anderes als die Absicht, China als Absatzmarkt zu erhalten, aber als Produktionsstandort zu liquidieren.

Ein Punkt aber wurde von allen kritisiert. Die deutsche Regierung spricht ja vom Dreiklang Partner, Rivale und Wettbewerber. Für unsere Freunde war klar: Kooperation und Wettbewerb schließen sich nicht aus, aber die Betonung der systemischen Rivalität sorgt für Beunruhigung. Zusammen mit dem in chinesischen Augen konfrontativen Begriff Strategie wird das Dokument im Grunde als eine grundsätzliche Richtungsänderung weg von Kooperation hin zu einer auf Konflikt ausgerichteten Politik verstanden. Diese oft vernommene Besorgnis kommt dabei nicht von unverbesserlichen Verfechtern des politischen Systems, sondern vielmehr von Menschen, die Deutschland seit langem in tiefer Freundschaft, und oft sogar Bewunderung für seine freiheitliche Ordnung verbunden sind. Sie befürchten, dass der menschliche Austausch zwischen China und Deutschland der Rivalität der Systeme zum Opfer fällt.

Erste Beispiele gibt es schon. So hat zum Beispiel die Universität Nürnberg-Erlangen beschlossen, die Kooperation mit dem China Scholarship Council zur Finanzierung von chinesischen Doktorandinnen und Doktoranden zu beenden. Begründung: Bei Stipendienvergabe müssten die Studierenden ihre Loyalität zu China erklären und versichern, nach der Promotion in Deutschland zurückzukehren. Das Programm existiert seit 20 Jahren. Tausende von chinesischen Doktoranden studierten damit in Deutschland. Auch interessant in diesem Zusammenhang: Die Universität Bielefeld hat zeitgleich einen Campus auf der Insel Hainan eröffnet. Die Kritiker ließen nicht lange auf sich warten und erklärten dieses Ereignis zur „Belastungsprobe“ der China-Strategie.

Wenn das Nürnberger Beispiel Schule macht, werden die langfristigen Auswirkungen erheblich sein. „Stellt Euch mal vor“, sagt unser Gegenüber in einem Restaurant in Shanghai, „in zwanzig bis dreißig Jahren wird es in der chinesischen Regierung dann kaum mehr jemanden geben, der in Deutschland promoviert hat. Das wird nicht nur für die weitere Entwicklung Chinas große Konsequenzen haben, sondern auch für Deutschland.“

Mit den besten Wünschen aus Beijing

Julia Haes und Klaus Mühlhahn“

Sollte die Chinesen da nicht etwas selbstkritischer fragen, warum es zu diesem Strategiewechsel kam , das aggressivere außenpolitische Auftreten, die Machtzentralisierung , das Foreign Relation Law und neue Spionagegesetz dazu nicht dazu geführt haben oder die KP China selbst zu dessen Deeskalation beitragen könnte? Und sind das nicht eher Schreckgespenster, die hier aufgebaut werden, z. B. im akademischen Austausch? Interessant ist auch, dass in der Chinastrategie mehr Chinakompetenz gefordert wird und dass dem MERCATOR-Institut da fast eine zentrale staatliche Monopolstellung zugestanden wird. Wie ist das zu beurteilen?

Professor Van Ess: Selbstkritik ist natürlich immer gut. Natürlich wäre es klug, wenn sich die chinesische Führung fragen würde, wie ihr eigenes Gebaren in der Welt wirkt – die Charme-Offensive, nach der Sie oben gefragt haben, zeigt, dass das auch stattfindet. Aber umgekehrt geht es bei einer Strategie ja darum, dass man für sein eigenes Land etwas Kluges tut. Und die Frage von Mühlhahn/Haes ist sehr berechtigt, ob wir nicht möglicherweise eine ungeheure Dummheit begehen, indem wir einerseits China-Kompetenz wollen, unsere Behörden und Universitäten andererseits aber den wissenschaftlichen Austausch zunehmend behindern, weil sie eine paranoische Angst vor Spionage haben, die auf sehr wenig faktischer Evidenz beruht. China-Kompetenz ohne Chinesen – und zwar ganz besonders im wissenschaftlichen System – wird nicht zu haben sein. Wir sollten nicht versuchen, die Politik der USA zu kopieren, die von einer völlig anderen Basis ausgehen. Dort gibt es hundertmal mehr China-Kompetenz in Gestalt von chinesischen Professoren, Doktoranden und anderen Wissenschaftlern als bei uns. Die Gefahr, dass man sich dieser Kompetenz beraubt, indem man Anti-Spionage-Maßnahmen beschließt, ist aufgrund des gänzlich anderen Zahlenverhältnisses sehr gering. Bei uns hingegen sind die China-Kontakte an vielen Stellen ein zartes Pflänzchen, das wir nicht abwürgen sollten. Auch das Argument, dass Deutschland in China ein paar Freunde haben sollte, halte ich für absolut richtig. Die VR China ist ohnehin schon sehr stark auf die USA ausgerichtet. Wir verstärken diesen Trend jetzt selbst. Das kann für Deutschland nicht gut sein.

Und ja: Das MERICS-Institut in allen Ehren. Aber es ist nur eine halb-wissenschaftliche Einrichtung, nach eigenem Bekunden mehr „Denkpanzer“ also, und es ist gefährlich, wenn man bei einer so wichtigen Frage wie der Einschätzung Chinas ein Monopol entstehen lässt und sich nicht auf heterogene Einschätzungen stützt. Das mag daran liegen, dass Wissenschaft in Deutschland weitgehend Ländersache ist und die Kompetenz deshalb auch weitgehend in den Ländern liegt, nicht beim Bund. Dass man sich dann aber so stark auf ein im Grunde externes Institut stützt, anstatt in der Strategie im Bereich Bildung und Wissenschaft zu sagen, dass eigene Kompetenzen zusätzlich aufbauen möchte (ein Institut hätte ja zum Beispiel in der Leibniz-Gemeinschaft oder in der Max-Planck-Gesellschaft durchaus Platz), das unabhängige Meinungen sammelt, ist ein Anzeichen dafür, dass es mit der Strategie eben doch nicht so weit her ist. Man könnte auch, wenn es billiger sein soll, bereits bestehende Institute durch Anbau von China-Kompetenz fördern.

Global Review: Angesichts KMT-Ma Yingjius innerchinesischen  Studentenaustausch werden nun seitens der DDP People to people exchanges infage gestellt und abgelehnt,zudem es sich bei den people nur um ausgewählte KP.-Kader der Einheitsfront handele, man einander kenne und je mehr Taiwanesen China kennengelernt hätten, desto mehr seien sie auf Distanz gegangen. Die Spannungen würden dadurch nicht abgebaut, erst wenn Xi seine Drohungen und das Ziel Taiwan zurückzuholen aufgebe. Kritisiert wurde auch ,dass Ma und die KMT von Taiwan nur als lokaler Kultur spricht, und die ganzen Diskussionen sich nur um den nostalgischen 1992er Konsens, wirtschaftliche Entwicklung und chinesische Kultur statt Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat, Diktatur,drehen.

“Notes from Central Taiwan: Do exchanges reduce tension with China?

Politicians like former president Ma Ying-jeou believe that exchanges across the Taiwan strait are a panacea for peace. The reality is very different

https://www.taipeitimes.com/News/feat/archives/2023/07/24/2003803645

Mal sehen, ob die Frage der akademischen Austausche und sogenannten people to people exchanges auch in Deutschland u d der EU ähnlich diskutiert wird.

In der Chinastrategie wird hingegen viel von Austausch und Zivilgesellschaft und.neuen Dialoge die neben den schon früheren folgenlosen alibimössigen Menschenrechts-und Rechtsstaatsdialogen geführt wurden,gesprochen,zudem auch mit inhaltlicher neuer Querschnittsmenge Frauenrechte und Völkerrecht,die dann als grüner Faden alle neu geschaffenen Dialoge durchziehen sollen. Istdas nicht naiv? Tauscht man da nicht in akademisch subventionierten Labertreffen die ewig altbekannten Positionen aus in einer Endloslaberhamsterschleife, lobt den Dialog als Selbstzweck, weil das besser als Schiessen sei und sagt die KP China dann eben im exponierten Fall wie bei Baerbocks Pressekonferenz, dass man keine westlichen Oberlehrer und Belehrungen brauche? Kann man sich diese Dialoge und Austausche, zumal unter Ausschluss jeglicher vielerhofften Zivilgesellschaft nicht gleich sparen? Die KP China hat das ja eine Zeitlang schon unter Schröder und Merkel  mitgemacht, zudem sie hoffte, dass dadurch im Sinne der Einheitsfront ihre Positionen eher den Westen infiltrierten und dieses window dressing des Dialogs um des Dialogs wegen als positiver good will aufgenommen wurde, die westliche Idealisten in Liberalisierungshoffnungen bezüglich der KP China einlullt? Wozu diese gegenseitige oder eben einseitige staatlich subventionierte Selbstverarschung? Zudem China alle Kontakte zu einer Zivilgesellschaft unter Spionageverdacht stellt und unter Xi da auch kein weiteres Interesse hat? Zudem Baerbock und die Grünen nicht nur traditionelle Feministinnen und Menschenrechtslibetale sind, sondern da mittels feministischer Außenpolitik nun auch noch fragmentierendere postkolonialen, postmodetren LQBTIQ-Genderfeminismus fördern wollen. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass Baerbock mehr im Sinne von Nye meint als eingebildete moralische world soft power über  Völkerrecht, Zivilgesellschaft, Lawfare wirken zu wollen als über Interessen und Hard power zu reden oder diese auch im Zentrum ihrer Überlegungen zu stellen, ja auch den Eindruck gewinnt,dass sie meint fehlende deutsche oder EU hard power in Wirtschaft, Technologie, Militär mittels sanfter, gar feministischer soft power zu kompensieren oder gar zu übertreffen meint? .Sollte man diese nutzlosen Dialoge und Austäusche mit der KP China und ihren Einheitsfrontlern  nicht gleich einstellen? Sollte man auf diesen ganzen Dialogzirkus nicht gleich verzichten, da das nur naive eigenorganisierte Selbstverarschung ist oder zielt Baerbock mit diesen Forderungen und etwaigen und absehbaren Zurückweisungen auf klare Carl Schmittsche Freund/Feindunterscheidung mit möglich gewollten Konflikten ab ,die man propagandistisch nutzen kann?

Professor van Ess: Diese Frage zielt darauf, ob Dialog nötig ist oder nicht. Ich würde schon sagen, dass es immer sinnvoll ist, wenn sich intelligente Menschen beider Seiten mit einander unterhalten. Man muss halt in Deutschland dann tatsächlich Menschen aufgrund ihrer Intelligenz und ihrer Verortung in bestimmten „gesellschaftlichen“ Aufgabenfeldern ausssuchen und sollte aus der sogenannten „Zivilgesellschaft“ nicht eine heilige Kuh machen – denn Zivilgesellschaft bedeutet ja oft eine vorherige Festlegung auf bestimmte gedankliche Positionen. Das kann einem unvoreingenommenen Austausch auch von deutscher Seite aus schaden. Der Unterschied zwischen „Gesellschaft“ und „Zivilgesellschaft“ sollte deshalb sehr ernstgenommen werden.

Global Review: Bezeichnend bei der offiziellen Vorstellung der Chinastrategie druch Barbock war auch folgendes:

„Die Strategie soll nun nach der Sommerpause im Bundestag debattiert werden. Während SPD-Außenpolitiker Nils Schmid das Papier lobte, konnte sich die Opposition einen Seitenhieb nicht verkneifen. Auch wenn der Plan in die richtige Richtung gehe, so Nicolas Zippelius von der CDU, hätte er die erste Diskussion über die deutsche China-Strategie lieber im Bundestag gesehen – statt in der Denkfabrik Merics. Auf eine Vorstellung in größerem Rahmen oder gar der Bundespressekonferenz hatte die Bundesregierung verzichtet – anders als bei der Präsentation der Nationalen Sicherheitsstrategie. Differenzen zum Kanzler wiegelte die Außenministerin ab. Zuletzt hießt es immer wieder, dass sie gegenüber China einen härteren Ton anschlagen würde als Scholz.“

https://taz.de/China-Strategie-der-Bundesregierung/!5943798/

Keine Pressekonferenz oder Vorstellung im Bundestag mit Opposition, sondern Vorstellung durch Baerbock bei Merics. China wird dabei auch der Status des Entwicklungslandes nicht mehr anerkannt.

Professor van Ess: Der Punkt mit Merics ist natürlich völlig richtig. Merics-Wissenschaftler wurden ja in Antwort auf die Xinjiang-Sanktionen mit Einreiseverbot nach China belegt. Das Institut liegt ziemlich direkt neben dem AA. Hat die Mercator-Stiftung clever eingefädelt.

Ja, Deutschland will diesen Status nicht mehr anerkennen. Aber hier gilt wie üblich: Was zählt so ein Bekenntnis aus Deutschland? Wie bei großen Teilen der Strategie: Sie ist keine Strategie, sondern eine Auflistung von Potentialen, Gefahren und Wünschen. Wie man bei den Wünschen zu einem Ergebnis kommt, bleibt offen. Hier wäre Diplomatie gefragt. Aber die ist in der China-Strategie weitgehend ausgeklammert worden.

 Auf S. 27 unter 3.5 (Stichwort Wunschzettel) steht: „Die unerlässliche internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz darf aus Sicht der Bundesregierung nicht als Druckmittel verwendet werden, um Interessen in anderen Bereichen durchzusetzen.“

Frau Baerbock sagt in ihrer Rede: „Wir zeigen, dass wir realistisch sind, aber nicht naiv“. Das Wort „naiv“ ist im China-Diskurs der vergangenen Jahre massiv überstrapaziert worden. Aber wenn man die beiden Sätze gegeneinander hält, dann fragt man sich, ob der erste nicht eben gerade Ausdruck großer außenpolitischer Naivität ist. In einer Strategie müsste man zur Durchsetzung eigener Ziele viel mehr darauf eingehen, was die Ziele der anderen Seite sind, und an welchen Stellen man auf sie zugehen könnte, um an anderer Stelle selbst etwas zu erreichen. Solange man sich dem verschließt, wird man kaum Erfolge erzielen, besonders wenn man nur eine Mittelmacht ist wie Deutschland, die ihre Interessen zwischen zwei großen Partnern ausbalancieren muss. Aber der zweite Partner wird kaum erwähnt, und wenn, dann nur bei „vertrauensvoller Zusammenarbeit“ und nicht als Macht mit eigenen Interessen. Na gut, so was kann man in Deutschland natürlich auch nicht schreiben. Aber der Gedanke, dass es hier um das Finden eines eigenen Weges gehen muss, der fehlt halt in dieser Strategie auch weitestgehend. Dafür dient der fast hilfesuchende Hinweis darauf, dass das alles in enger Abstimmung mit der EU passieren müsse. Deutschland versteckt sich da hinter dem Rockzipfel Brüssels.

Global Review: Xi und Putins strategische Partnerschaft zur Erreichung einer multipolaren Welt war ja anfangs sehr eng. Inwieweit gab Xi Putin bei der Winterolympiade in Peking grünes Licht in die Ukraine einzumarschieren, wie dies etwa Stalin Mao und Kim Il- Sung damals im Koreakrieg gegeben hatte, um US- Truppen in Asien zu binden, um freiere Hand in Europa zu haben, nun halt um US- Truppen in Europa zu binden, um freie Hand gegenüber Taiwan und im Indo-Pazifik zu haben? Zudem beide auch scheinbar gemeinsam dachten, dass nach dem Irak- und Afghanistanrückzug der Westen und die USA nun kriegsmüde und dem Untergang geweiht wären und man nun mittels Ukrainekrieg die NATO und den Westen in Chaos und Untergang stürzen könne und der Krieg nach 3 Wochen erfolgreich abgeschlossen sein würde. Damals titelte die Global Times dazu: „Yesterday Vietnam, today Afghanistan, tomorrow Taiwan?“. Das Kalkül ging aber vorerst nicht so wie erwartet auf und China speilt sich nun mit seiner strategischen Triade Global Security Initiative, Global Development Inititaive und Global Xivilization Initiative unter den Xi Jinping- Gedanken als Weltfriedenstaube auf, obgleich er selbst Blut an den Händen hat.Wie ist in diesem Zusammenhang die chinesische Friedensinitiative zu bewerten du inwieweit ist China überhaupt an einem Waffenstillstand in der Ukraine interesssiert?

Professor van Ess: Die Schlagzeile „Yesterday Vietnam, today Afghanistan, tomorrow Taiwan?“ bezog sich ja wohl auf einen potentiellen amerikanischen Einmarsch in Taiwan, nicht auf einen chinesischen Krieg dort, oder habe ich das falsch verstanden? Dass Putin Xi gesagt hat, dass er beabsichtigt, in die Ukraine einzumarschieren, könnte ich mir gut vorstellen. Dass aber dies eine gemeinsame Sache gewesen sein soll, um US-Truppen in Europa zu binden, halte ich für nicht sehr plausibel. Ein Krieg bedeutet immer ein Risiko, und auch die Chinesen werden gewusst haben, dass die USA seit Biden der Ukraine sehr massiv Waffen geliefert hatten und das also auch schiefgehen könnte, mit sehr hohen Risiken auch für das Gleichgewicht in Russland, an dem China hohes Interesse haben dürfte. Ein Fehlschlag in der Ukraine kann ja langfristig bedeuten, dass es in Moskau eine USA-freundliche Regierung gibt, und dann stünde an der langen Grenze plötzlich kein Verbündeter mehr. Das halte ich für eine viel wichtigere Überlegung als Spekulationen über Taiwan. Insofern denke ich, dass China eigentlich an einem Waffenstillstand in der Ukraine interessiert sein müsste. Wenn es am Krieg Interesse hat, dann wohl eher darum, weil dieser Krieg den ganzen Westen finanziell schwächt, und das ist zu einem Zeitpunkt, da es der chinesischen Wirtschaft auch nicht besonders gut geht, eventuell ein Vorteil. Insgesamt gilt aber, dass sich die KP über wirtschaftlichen Erfolg legitimiert hat und dieser Krieg der Wirtschaft schadet, also schädlich ist.

Und wo im Ausland hat Xi Blut an den Händen? Bisher ja wohl eher nicht. Die Chinesen betonen ja immer wieder stolz, dass sie anders als die USA keine Kriege im Ausland führen.

Global Review: Interessant ist auch folgendes chinesisch- ukrainische Treffen.

“Chinese, Ukrainian commerce officials eye deepening economic cooperation, expanding imports

China’s Vice Minister of Commerce and Deputy International Trade Representative Ling Ji met with Deputy Minister for Economic Development, Trade and Agriculture of Ukraine Taras Kachka in Beijing on Thursday, as both sides eye actively developing mutually beneficial bilateral economic and trade cooperation.

The meeting came as a follow-up to talks between the leaders of the two countries over the phone in April, as the two sides pledged to jointly promote mutual cooperation.

Speaking at the 7th meeting of the economic and trade cooperation sub-committee of the Chinese-Ukrainian Intergovernmental Cooperation Committee in Beijing on Thursday, Ling said that China is willing to promote the advancement of the strategic partnership.

China is willing to expand imports of high-quality products from Ukraine, explore a feasibility study for trade liberalization, and enhance cooperation within the framework of the World Trade Organization, the Chinese official said.

China is willing to establish a cooperative relationship between the investment promotion agencies of the two countries while continually expanding trade and investment cooperation, he said.

Ling also urged the Ukrainian side to effectively safeguard the safety of personnel and assets of Chinese enterprises and protect the legitimate rights and interests of Chinese companies in the country.

Kachka said at the meeting that Ukraine highly values the development of its economic and trade relations with China and is an important partner in jointly building the Belt and Road Initiative. Ukraine is also hoping to expand its agricultural product exports to China, the deputy minister said.

https://www.globaltimes.cn/page/202307/1294799.shtml

Sollte es zu einem Waffenstillstand kommen (insofern Putin nicht doch noch auf einen politische  game changer  Le Pen, Trump oder AfD hofft und solange durchhalten kann oder will), wird eine Debatte wie bei der deutschen Chinastrategie über die Nachkriegsordnung kommen, ob man die Restukraine als Sperrriegel gegen Russland und Chinas Seidenstraße wiederaufbauen soll, wofür wohl Röttgen-CDU, Grüne und FDP eintreten dürften oder Chinas BRI und Investitionen in der Ukraine beim Wiederaufbau willkommen sind, vielleicht auch als Belohnung  für die chinesische Friedensinitiative, wofür eher die SPD stehen dürfte. Jedenfalls scheinbaren die Ukrainer hohe Hoffnungen in China zu setzen und auch an der BRI interessiert sein. Zwar gefällt China, dass der Westen und die USA in der Ukraine momentan gebunden ist, aber die Rückwirkungen auf die Weltwirtschaft und Nahrungsmittelsicherheit ,sowie die Blockade ihres BRIs stört sie dann doch wieder. Zumal Melolni als Duca ihre eigene feministische Außenpolitik fährt und Italien für Chinas Seidenstraße blockiert hat und der Balkan sich etwas sperrig gestaltet. Meloni ist da bisher stramm transatlantisch, zudem sie nun auch im Weißen Haus von Biden empfangen wird und betont, dass sie BRI nicht wegen US- Druckes auf Eis gelegt habe.Da zahlt sich aus, dass Nixon, Kissinger und die CIA die italienische MSI damals über P2 und NATO-Gladio infiltriert und unterstützt haben, in der Meloni als kommende Young Leaderin mitgefördert wurde.

Professor van Ess: Über die Zukunft der Ukraine und die Rolle Chinas dort möchte ich im Moment ungerne spekulieren. Der Krieg scheint im Moment auf beiden Seiten festgefahren, es kann aber durchaus sein, dass der Ukraine, wenn das mit der Offensive in diesem Sommer nichts wird, irgendwann eher als Russland die Soldaten ausgehen. Natürlich ist die Ukraine ein wichtiges Transitland, und der Krieg dort hat BRI einen herben Schlag versetzt. Bei ein bisschen Nachdenken ist demnach offensichtlich, dass China ein Interesse daran haben wird, dass sich die Lage in der Ukraine beruhigt und die Kontakte nach Westen sich allmählich normalisieren. Ich kann mir umgekehrt nicht vorstellen, dass ein armes Land wie die Ukraine ein Sperrriegel gegen China werden sollte, denn das würde bedeuten, dass der Westen sie für Billionen Dollar aufbauen müsste. Nach aller Erfahrung aus früheren Kriegen (Iraq ist ein sehr lehrreiches Beispiel) wird das nicht passieren, sondern werden sich nach dem Krieg verschiedene wirtschaftliche Interessen dort nebeneinanderstellen, und in der Ukraine wird man dankbar nehmen, was man bekommen kann.

Global Review: Interessanter Artikel in The Economist, insofern  er denn zutrifft. Demnach wird die EU keine russischen staatlichen oder Oligarchenvermögen einfrieren und zum Wiederaufbau der Ukraine nutzen, da die EU einen Präzedenzfall im Völkerrecht schaffen würde, der dies auch gegen den Westen anwendbar machen würde. Das wird Selensky und Völkerrechtlerin Baerbock nicht stören, aber zahlreiche Wirtschaftskreise und EU-Politiker im Westen. Nachdem China sei neues Foreign Relation Law beschlossen hat ,ein durchaus denkbare Szenario. Insofern Russland nicht aus eigenem Willen bereit ist bei einem etwaigen Waffenstillstandsvertrag Reperationen zu zahlen, bleiben nur die USA, die EU, hier vor allem Deutschland und China als Wiederaufbaufinanziers Würde China damit nicht bei Gelingen der Friedensinitiative neue Ordnungsmacht in Europa und könnte ihr BRI gelichzeitig auch als Wiederaufbauhilfe und Friedensprojekt darstellen?

https://www.economist.com/europe/2023/07/20/why-the-eu-will-not-seize-russian-state-assets-to-rebuild-ukraine

Professor van Ess: Siehe oben. China würde natürlich dort mitmischen, genauso wie im Irak. Und die Oligarchenvermögen mögen ja hoch sein, aber das Geld würde ja nicht einmal im Ansatz ausreichen, um die Ukraine auf die Beine zu bringen. Eingefroren sind die russischen Vermögen ja schon. Nutzen könnte man sie vermutlich nur, wenn Russland ein eindeutiger Verlierer wäre. Wozu sollte man sich diese Probleme sonst an den Hals schaffen?

Global Review: Biden hat der Ukraine nun eine Israellösung in Aussicht gestellt, da eine NATO -Mitgliedschaft im Moment nicht möglich oder gewollt sei. Aber ist das sinnvoll? NATO-Mitgliedschaft nicht jetzt, sondern als Perspektive, aber eine Israellösung ist ja auch keien reale Sicherheitsgarantie, sondern nur eine permanente US -und NATO-Coalition of the Willing-Militärbasis in einer mit Meereszugang geteilten Ukraine als Stolperdraht und Abscheckungsbollwerk mit US- Atomschutz für Russland, vielleicht nach General Milleys angedeutetr „Koealösung“? Aber will Biden oder Trump oder De Santis  das oder machen Sie da denselben Fehler wie beim Budapest Memorandum und Dean Achesons fehlender Garantie für Südkorea kurz vor dem Koreakrieg, den Stalin, Mao und Kim gerne ausnutzen wollte,wie dies Xi und Putin bei dem angeblich mit Irak-und Afghanistanrückzug im Rückzug befindlichen Westen  mittels Ukrainekrieg, den sie hofften in 3 Wochen zu gewinnen, die historische Schlappe der NATO und damit den Durchbruch zur multipolaren Welt unter ihrer Hegemonie  zu erreichen? Warum nicht Japanmodell mit US- Atomschutz, bilateralem Sicherheitsvertrag und Militärbasen statt strategic ambuiguity ala Taiwan oder diese Neobudapester „Israellösung“? Wie stellt sich China wohl eine Lösung vor und wohl auch eine europäische Nachkriegsordnung?

Professor van Ess: Auch in dieser Frage steckt sehr viel Spekulation. Die Sache mit den 3 Wochen: Geschenkt, vielleicht bei Putin als Folge der langen Isolierung durch Corona, so dass er die Welt nicht mehr klar sah? Aber Xi? Wo kommt diese Annahme her?

Japan ist eine Insel, auf der nach dem Zweiten Weltkrieg ohne die USA in der Politik nichts ging. Außerdem etablierte man eine wunderschöne Militärbasis auf Okinawa. Europa war als Mitspieler faktisch machtlos. Ist das eine realistische Möglichkeit für die Ukraine? Sicherlich nicht, denn die europäischen und die amerikanischen Interessen in der Ukraine waren noch nie dieselben, vor allem 2014 nicht, worüber heute niemand mehr spricht. Israellösung hieße: Massive Militärhilfen, aber keine direkte Stationierung eigener Truppen und keine eigene Einmischung in die Politik, nach dem Motto „Ihr bekommt Geld“ (von uns, vor allem aber natürlich von der EU und Deutschland), müsst Euch aber selber verteidigen. Das ist ja wohl der Hintergrund dieses Vorschlags. Kann nur sein, dass die Rechnung da ohne den Wirt gemacht wird. China wäre wohl an einer neutralen Ukraine interessiert, mit der man gute Beziehungen haben kann.

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