Interview mit Thomas Lennartz (MEOSA) über den Greater Middle East und Afrika nach BRICS plus: „Das alte Europa wird kämpfen müssen, wenn es den von Ihnen zitierten Platz an der Sonne behaupten möchte“
Global Review hatte die Ehre und Gelegenheit, ein Interview mit Thomas Lennartz, Direktor (CO) von Middle East and Oriental Security Analysts and von dem Special Warfare Intelligence and Analysis Centre zu führen. Middle East and Oriental Security Analysts führt sicherheitspolitische Untersuchungen durch und liefert Analysen mit Hauptaugenmerk liegt auf dem Nahen Osten, Zentralasien, Nordafrika sowie islamisch orientierten Ländern und Gesellschaften weltweit. Ihre Forschungsergebnisse und Analysen stehen GO, NGOs sowie Industrie und Handel in den Staaten Nato, EU und West zur Verfügung. Middle East and Oriental Security Analysts ist der atlantischen Idee verpflichtet.
Global Review: Herr Lennartz, wir stellten Ihnen in einem früheren Interview die Frage:
„Mit dem Chef des Middle East Forums, Daniel Pipes ist Global Review hingegen der Ansicht, dass wir drei islamistische Gürtel sehen werden. Zum einen den AKP-Muslimbrüder-dominierten neoosmanische Gürtel von der MENA-Region über den Kaukasus zu Pakistan und Malaysia. Zum zweiten den vom Iran dominierten schiitischen Halbmond von Iran, Irak, Syrien, Libanon, Hamas, bis Bahrein, Yemen und Nordsaudiarabien, wie auch einen Boko Haram/IS/Al Shabab-dominierten Gürtel von Nigeria über den Sahel bis zu Somalia. Zuletzt der FAZ-Artikel „Warum sich immer mehr Menschen Boko Haram anschließen“ spricht doch für diese These, dass die westliche 5 G Sahel-Gruppe und Nigerias Sicherheitskräfte wohl am Scheitern sind. Stimmen Sie der 3-Gürteltheorie zu und was wären die strategischen Konsequenzen? Soll man die Islamisten gegeneinander ausspielen, vielleicht sogar den AKP-Muslimbrüder-dominierten Gürtel als Bollwerk gegen den IS-Gürtel nutzen, zumal die Türkei auch noch NATO-Mitglied ist. Ist das überhaupt möglich?“
In Bezug auf Afrika meinten Sie damals:
„Afrika ist ein Kontinent im Aufbruch, hier ist der Islam zurzeit noch in ethnischen Grenzen gefangen, genau wie der Kontinent noch an seiner kolonialen Vergangenheit krankt. Ob es islamistischen und dschihadistischen Bewegungen gelingen wird, sich über die ethnischen Grenzen hinaus zu einer afrikanischen Umma zu vereinigen, erscheint mir im Moment noch zweifelhaft, genau wie ein Überdauern postkolonialer Strukturen und Interessen auf Dauer. Ich neige eher zu der Ansicht, wir werden in einem Afrika der Zukunft ein Aufbrechen der postkolonialen Grenzen und eine territoriale Neuordnung sowie eine Rückbesinnung auf afrikanische Kultur und Religionen beobachten, die dann zu Lasten der abrahamitischen Religionen in Afrika gehen könnte.“
Inwieweit sehen sie angesichts der aktuellen Entwicklungen in der MENA-Region und Afrika diese Einschätzungen widerlegt oder bestätigt oder wie würden Sie die Entwicklung seitdem interpretieren und in der Zukunft erwarten?
Thomas Lennartz: Ich sehe meine Einschätzung von damals heute voll und ganz bestätigt.
Die Putsche und Putschversuche in Westafrika, die Hinwendung vieler afrikanischer Staaten zu Strukturen des sog. „Globalen Südens“, wie die BRICS-Organisation, zeigen einen deutlichen Abkehrwillen von westlichen Strukturen und Werten.
Dass sich die afrikanischen Staaten, wie übrigens auch die Staaten des arabisch geprägten Nordafrika, damit in eine neue koloniale Abhängigkeit von Staaten wie Russland und China begeben, scheint allerdings noch nicht in das Bewusstsein der Staatenlenker und auch der Bevölkerung gedrungen zu sein. Für die Zukunft erwarte ich für die BRICS-Organisation wenig Gutes, da sowohl Russland, als auch China diese Organisation zur Durchsetzung ihrer eigenen nationalen militärischen und wirtschaftlichen Interessen nutzen wollen, und dadurch, über kurz oder lang, aneinander geraten werden.
Fest steht leider auch, dass die Staaten des Sahel und Subsahara-Afrikas noch für lange Zeit unter Geißel des Dschihadismus leiden werden.
Eine Vereinigung der verschiedenen dschihadistischen Kampforganisation zu einer islamistischen Umma sehe ich allerdings auch heute noch nicht – im Gegenteil, die Kämpfe zwischen Boko Haram und ISWAP südlich des Niger-Flusses sprechen hier eine deutliche Sprache. Und die dschihadistischen Strukturen im nördlichen Mali und im nördlichen Niger sind hier durch die Tuareg eher ethnisch arabisch geprägt. Hinzu kommen politisch dominierte Strukturen, wie die Frente Polisario in der Westsahara und die Coordination des Mouvements de l’Azawad (CMA) in Mali, sowie die anglophonen Separatisten in Kamerun und die Biafra-Separatisten in Nigeria, die ebenfalls rein dschihadistisch geprägte Kämpfer davon abhalten werden, sich mit diesen zu vereinigen.
Global Review: Der Putsch im Niger erfolgte fast zeitgleich zum Russland- Afrika- Gipfel in St. Petersburg Zufall oder nicht? Nun droht die ECOWAS unter Führung von Nigeria mit militärischer Intervention und stellte ein erstes Ultimatum den demokratisch gewählten Präsidenten wiedereinzusetzen und die Demokratie wiederherzustellen, das die Junta verstreichen ließ und selbst mobilisierte, zudem sie Unterstützung seitens der Bevölkerung erfuhr. Algerien und die nigerianische Opposition warnten vor einer Invasion, da dies kein Spaziergang sei, sondern die ECOWAS-Truppen in einen langjährigen Kriegssumpf verstricken könnte, zudem dann auch die anderen Staaten Westafrikas destabilisiert würden, Nigeria selbst die Boko Haram und separatistische Kräfte hätte, die es selbst kaum unter Kontrolle bringen würde, zumal auch die angrenzenden nordafrikanischen Staaten grenzüberschreitend destabilisiert werden könnten, ja ein Flächenbrand zu erwarten sei. Auch würde die Rechnung ohne den Wirt, die Islamisten und die Boko Haram gemacht, die die lachenden Dritten im Falle einer Intervention sein könnten. Das Ultimatum verstrich die USA unterstützten keine Intervention nicht, schon gar nicht mit westlichen Truppen. Zuerst war die Überlegung, ob man eine Oppositionsguerilla wie in Myanmar die People´s Army unterstützen und das Regime so stürzen solle, wovon man aber auch nichts mehr hört. Was ist Ihrer Ansicht die sinnvollste weitergehende Vorgehensweise.
Thomas Lennartz: Ob die Gleichzeitigkeit des Petersburger Afrika-Gipfels zum Putsch in Niger Zufall war oder nicht, kann ich nicht beurteilen.
Die Drohkulisse der ECOWAS-Staaten ist zurzeit jedenfalls ins Leere gelaufen, die Krise der Sahel-Staaten ist auch eine Krise der ECOWAS, die Putschisten in Burkina Faso und Mali sind umgehend auf die Seite des Niger umgeschwenkt.
Obwohl die ECOWAS eigentlich ein Wirtschaftsbündnis ist, sehen ihre Regularien auch Einsätze zur Friedenssicherung vor. In den 1990er Jahren entsandten die ECOWAS-Länder eigentlich recht erfolgreich Truppen zur Beendigung der Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone. Auch in der Elfenbeinküste, in Guinea-Bissau und Mali intervenierte die ECOWAS. Als Gambias Präsident Yahya Jammeh sich 2017 weigerte, die Macht an seinen demokratisch gewählten Nachfolger Adama Barrow zu übergeben, schickte das Bündnis ebenfalls Soldaten.
2022 einigten sich die ECOWAS-Länder, eine dauerhafte gemeinsame Truppe aufzustellen. Bisher allerdings zeigt das Projekt wenig Erfolg. Die Schlagkraft der geplanten Truppe hängt entscheidend von den Finanzen ab. Eine freiwillige Finanzierung durch die Mitgliedsstaaten hat sich bisher nicht bewährt.
Im Moment verbleibt der ECOWAS neben Wirtschaftssanktionen als schärfstes Mittel die Suspendierung von Mitgliedern. So sind zurzeit alle vier Putschistenregierungen suspendiert. Doch damit ist der Spielraum weitgehend erschöpft.
Deutschland hat die Entwicklungshilfe für Niger ist vorerst eingefroren. Militärisch ist die Bundesregierung auf Niger als Drehkreuz angewiesen, um den Abzug der Bundeswehr aus dem Nachbarstaat Mali zu bewerkstelligen. Deshalb ist momentan erst einmal abwarten angesagt.
Wir brauchen allerdings strategische Klarheit darüber, was wir künftig im Sahel wollen, was ist uns das Engagement in der Region wert, wie robust wollen und können wir vor Ort sein?
Außenministerin Annalena Baerbock hat es so formuliert: „Ob wir es wollen oder nicht: Was im Sahel passiert, geht uns etwas an“, sagte sie mit Blick auf die Gefahr eines islamistischen Terrorismus, der sich in immer mehr Staaten ausbreitet. Und auch mit Blick auf den wachsenden Einfluss Russlands, das die Region weiter destabilisiert. Und zu guter Letzt auch wegen der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen, die nach Europa drängen.
Global Review: Die Putschisten in Mali, Burkina-Faso und Niger behaupten, dass die französischen und deutschen Truppen den Kampf gegen die Islamisten nicht effizient geführt hätten , die Regierungen korrupt seien und nicht für Stabilität sorgen könnte, weswegen das Militär nun selbst die Regie übernehmen müsse und Wagner als effiziente Counterinsurgency-Elitetruppe als Hilfskräfte kooptieren wolle. Hat diese Argumentation nicht eine gewisse Legitimität?
Thomas Lennartz: Ich komme hier auf meine Antwort auf Ihre erst Frage zurück. Die Putschisten können bisher, entgegen ihrer erklärten Absicht, selbst keine Erfolge im Kampf gegen den Dschihadismus vorweisen.
Die Söldner der Wagner Gruppe sind ja inzwischen weitestgehend obsolet geworden. Sie haben sich allerdings auch weniger im Kampf gegen dschihadistische Gruppen hervorgetan, als vielmehr in Abscheulichkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung und in der Plünderung von Bodenschätzen, insbesondere Gold.
Nach Beobachtungen des amerikanischen „Institute for the Study of War“ (ISW) versuchen aktuell der stellvertretende russische Verteidigungsminister, Generaloberst Yunus-Bek Jewkurow, und Teile der Hauptdirektion (GRU) des Generalstabs, sowie der offenbar wieder in Gnaden aufgenommene General Surowikin die Tätigkeiten der ehemaligen Wagner-Organisation im Nahen Osten und in Afrika neu zu ordnen, um weiter Zugriff auf die natürlichen Ressourcen der „Gastgeber“ zu haben
Global Review: Der ehemalige deutsche Botschafter in Russland von Studtnitz ist der Ansicht, dass Putin nicht wie die Sowjetunion agieren und systematisch Regierungen stürzen und Stellvertreter einsetzen wolle, sondern mit Wagner in Afrika vor allem destabilisierend wirken und Fluchtwellen produzieren wolle.
Sie hingegen sprechen von chinesischem und russischem Neokolonialismus und Neoimperialismus und schrieben:
„Wir beobachten weltweit schon länger eine neue Entwicklung.
Der „globale Süden“ und insbesondere Afrika, genauer Westafrika, beginnt dem Westen und seinen Werten, wie Demokratie und Menschenrechten, zu entgleiten. Vor allen das System Françafrique scheint am Ende.
China und Russland strecken ihre Hände nach diesen Ländern aus. Russland aktuell, um dem Westen seit seinem Überfall auf die Ukraine eine neue Front entgegen zu setzen, China will Bodenschätze. Wo Geldgeschenke aus Gewinnen mit dem Handel aus den westlichen Industriestaaten an die lokalen Kleptokraten, ob Weiße in Südamerika oder Schwarze in Afrika, nicht ausreichen, wird die Unzufriedenheit junger, teils auf Militärakademien in Russland und China ausgebildeter, Militärs genutzt, um Regierungen, die Frankreich oder dem Westen wohl gesonnen waren, wegzuputschen.
Hierbei gehen die beiden Mächte teilweise mit der gleichen schamlosen Offenheit vor, die die alten Kolonialmächte bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts selber an den Tag gelegt haben.
Inzwischen hat der Westen mit von eigenen westlichen interessierten Kreisen sorgsam gepflegtem schlechtem Gewissen und teilweise echtem Schuldbewusstsein Milliarden in den „globalen Süden“ vergeblich investiert. Die beiden Akteure Russland und China hingegen agieren mit den Begriffen Rassismus und Neokolonialismus, um ihren eigenen Rassismus und Neokolonialismus gegenüber der Bevölkerung in den Objekten ihrer Begierde zu kaschieren, der in dem russischen Kolonialreich gegenüber den nicht-russischen Ethnien eine lange Tradition hat und sich in China gegenüber den Uiguren und Tibetern seit Jahrzehnten Bahn bricht.Es wird Zeit, dass die Demokratien des Westens wieder vom Beobachter zum Akteur werden, selbst auf die Gefahr hin, dass sie – oft von ihren eigenen naiven Predigern und politischen Minderheiten – lautstark als Rassisten und Neokolonialisten diffamiert werden.“
Während alles auf Wagner fixiert ist und diese für eine regelrechte Wundertruppe hält, fällt doch auf, dass Sie ihr Augenmerk auf die angeblich zunehmende Ausbildung von Militäreliten des Global South oder Afrikas an russischen und chinesischen Militärakademien legen, auch im Rahmen von Cis Global Security Initiative. Ebenso war interessant, dass Putin beim Russland- Afrikagipfel in St. Petersburg davon sprach, dass er angeblich mit 40 afrikanischen Saaten Militärabkommen abgeschlossen hätte. Was ist daran? Ist eine neue School of America zu befürchten, in der die zukünftige Putschoffiziere nach amerikanischen Vorbild ausgebildet und gewonnen werden? Oder nach der zwischen Lenin und Sun Yatsen gegründeten Whampo-Akademie, in der KM-Truppen und KP-Truppe gemeinsam ausgebildet wurden unter Tschiang Kaitschek und Zhou Enlai?
Thomas Lennartz: Ich sehe ich hier keinen Widerspruch zwischen den Ansichten von Herrn von Studtnitz und meinen Ausführungen.
Wie ich ausgeführt habe, liegt es im Interesse Russlands, den Westen durch destabilisierende Maßnahmen, welcher Art auch immer, unter anderem, aber nicht nur, in Westafrika zu beschäftigen. Diese Tatsache habe ich mit dem Begriff „eine neue Front eröffnen“ verdeutlichen wollen.
Wie ich ebenfalls weiter oben bereits versucht habe darzustellen, ist die Wagner-Gruppe als Ganzes fast nicht mehr existent und Putin versucht, aus den Resten vor Ort etwas Neues zu formen.
Die Ausbildung junger Offiziere aus Drittstaaten, um sie zur Einflussnahme in ihren Heimatländern zu verwenden, hat, wie Sie ja selber in Ihrer Frage schreiben, eine lange Tradition, die sich keinesfalls auf Russland und China beschränkt. Uns muss sich hierbei immer nur die Cui-Bono-Frage stellen.
Global Review: Unklar bleibt, was die Schlussfolgerung ist? Soll der Westen neben Landes- und Bündnisverteidigung, die er gerade wieder in Europa und Deutschland mühselig und unter Finanznot und Verschuldung wieder aufbauen muss, die desaströsen Out-of-Area Demokratisierungskriege wie im Irak und Afghanistan wieder aufnehmen? Oder eine Art westliche Wagnertruppe wie Executive Outcome, Military Professional Ressources Inc (MPRI), Blackwater, etc. schicken oder prowestliche Putsche unterstützen oder AFRICOM, Green Berets und Special Forces, KSK oder was auch immer vermehrt einsetzen und inwieweit geschieht dies ohnehin nicht schon?
Thomas Lennartz: Auch hierzu habe ich schon etwas gesagt und Außenministerin Baerbock zitiert.
Ich würde allerdings die Einsätze im Irak und Afghanistan nichts als „Demokratisierungskriege“ bezeichnen. Bleiben wir bei dem Begriff „State Building“ und seiner anerkannten Definition.
Auch Wagner-Söldner, PMCs und Putschisten, welcher Couleur auch immer, mit AFRICOM, Green Berets und Special Forces und dem deutschen KSK quasi in einen Topf zu werfen, dahin möchte ich Ihnen nicht folgen!
Der Westen muss wissen, was und wohin er will. Eine werteorientierte Außenpolitik schließt eine interessensorientierte Außenpolitik nicht aus. Die Kardinalfrage lautet: „Was ist uns unsere Sicherheit und was sind uns unsere Wertvorstellungen wert?“
Hieran muss sich auch orientieren, auf welche Art und mit welchen Mitteln wir diese schützen und verteidigen wollen ohne unsere politischen Grundsätze zu verletzen. Das gilt sowohl für die Landes- und Bündnisverteidigung, als auch für Out-of-Area-Einsätze.
Global Review: China hat eine strategische Triade von Global Development Initiative mit Schwerpunkt BRI, Global Security Initiative und Global Civilization Initiative unter den Xi-Jin-Ping-Gedanken. Fehlt es dem Westen, den USA und Europa nicht an solch einer strategischen Gegentriade, wenngleich Biden B3 W als amerikanische Seidenstraße und die EU Global Gateway als europäische Seidenstraße gerade aufbaut?
Thomas Lennartz: China ist sowohl für die USA als auch für Europa ein wichtiger Handelspartner und wird erst seit einiger Zeit als „systemischer Rivale“ wahrgenommen.
China hat des Projekt der „Neuen Seidenstraße“ schon vor über 10 Jahren in Angriff genommen, und zwar nicht nur als Projekt für den Export, sondern auch als Infrastrukturprojekt. Der Westen hat lange unterschätzt welche geopolitische Relevanz diese Initiative hat.
Um China Konkurrenz zu machen, haben die G7-Staaten im vergangenen Jahr gemeinsam ein globales Investitionsprogramm angekündigt. Knapp 600 Milliarden Euro wollen sie bis 2027 weltweit investieren. Das Geld soll unter anderem dazu beitragen, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen wie Lithium zu sichern und dem Westen mehr globalen Einfluss sichern. Die Investitionen werden in der EU, wie Sie auch schreiben, über die Global-Gateway-Initiative bereitgestellt.
Beim G20-Gipfel im September 2023 stellten die USA, die EU sowie Indien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate eine Absichtserklärung für ein Projekt vor, das mit der Neuen Seidenstraße konkurrieren soll. Es sieht den gemeinsamen Ausbau von Bahnstrecken und Häfen im Nahen Osten und Südasien vor.
Das alles ist der Versuch einer Antwort, aber gegenüber den chinesischen Investitionen sind das noch eher überschaubare Projekte. Der Westen steht hier immer noch ganz am Anfang eines Nachholprozesses.
Allerdings wächst vor allem in demokratisch regierten Staaten, aber auch in Teilnehmerstaaten die Kritik: China nutzt das Projekt, um seinen geopolitischen Einfluss auszubauen. Hinzu kommt, dass sich viele Teilnehmerstaaten hoch verschuldet und dadurch von China abhängig gemacht haben. Experten warnen zudem vor einer militärischen Nutzung der Infrastruktur.
Global Review: Die BRICS wurden nun zur BRICSplus erweitert. Saudi-Arabien, Iran, Ägypten, die VAE, Äthiopien und Argentinien wurden neu aufgenommen. Weitere Länder haben ihr Interesse bekundet. Gleichzeitig kommt es zu erheblichen Spannungen zwischen China und Indien, da China Xi erstmals nicht dem G-20- Gipfel in Indien nicht beiwohnen möchte und eine neue Karte herausgegeben hat mit Gebietsansprüchen im Indopazifik und auch gegenüber Indien, was Modi erbost. Wie einig ist überhaupt die BRICS plus. Kann das überhaupt ein antiwestlicher Block werden, wenn die zwei größten Mitglieder sich schon so zerstreiten? Und welche Rolle spielt Russland darin?
Thomas Lennartz: Die Gruppe der BRICS-Staaten ist sehr heterogen – weder gemeinsame Ideologie, noch Geographie oder Kultur verbinden sie. Sie alle sind aufstrebende Mächte, die in ihren Regionen allein schon durch ihre Größe eine Führungsrolle beanspruchen und m.E. schon dadurch in einer natürlichen Konkurrenz stehen.
Diese Heterogenität wird sich durch die Aufnahme neuer Mitglieder noch verstärken. Politisch und wirtschaftlich existieren zwischen den Mitgliedern teils starke Unterschiede. Gemein ist ihnen nur das Interesse, sich gegen die aus ihrer Sicht bestehende Dominanz des Westens zu positionieren.
Russland und China betrachten die BRICS-Gruppe vor allem als Instrument ihrer eigenen geopolitischen Ambitionen.
Bei der Erweiterung hat sich vor allem China als wirtschaftlich stärkstes Mitglied durchgesetzt. Auf China entfallen derzeit 70 Prozent der in den BRICS-Staaten erbrachten Wirtschaftsleistung. Es soll darüber hinaus nach seinen eigenen Vorstellungen bis zum Jahr 2049 die weltweit führende Militär- und Wirtschaftsmacht werden. Dieses Interesse steht im Gegensatz zur Idee der immer wieder beschworenen Multipolarität der BRICS-Gruppe.
Für Russland ist in erster Linie von Bedeutung, dass mit China, Iran und Äthiopien nun drei der wichtigsten Unterstützer Russlands an einem Tisch sitzen.
Für mich ist offen, ob die zukünftig elf Staaten in der Lage sein werden, in globalen Fragen eine einheitliche Linie zu finden.
Global Review: Wie beurteilen Sie die neue geopolitische Rolle der Erdogan-Türkei? Inwieweit ist er mit seinem Neo-Osmanismus gescheitert oder wird er auch noch der BRICSplus und der SCO beitreten?
Thomas Lennartz: Ich glaube zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, dass er mit seinen Hegemonialbestrebungen gescheitert ist.
Erdoğan ist ein ambivalenter Politiker, der es vermeidet, sich auf eine Rolle festlegen zu lassen, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Er weiß um die geostrategisch günstige Lage seiner Türkei und versteht es, mit diesem Pfund zu wuchern.
Ein möglicher Beitritt der Türkei zur BRICS-Gruppe geistert schon seit Erdoğan 2018 erstmals als Gast an einem BRICS-Gipfel in Johannesburg teilgenommen hat und seit dem Treffen zwischen Putin und Erdoğan 2022 in Sotschi durch die Medien und es passt zu Erdoğan, dass er das nicht ausdrücklich dementiert.
Ebenfalls 2022 hat er an einem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Usbekistan teilgenommen und dort erklärt, die Türkei wolle dieser Organisation beitreten. Aktuell wird die Türkei von der SOZ als Dialogpartner geführt.
In beiden Organisationen könnte sich Erdoğan im Verein mit Großmächten präsentieren.
Im Westen sorgt dieser möglich Beitritt natürlich für Unruhe und das spielt Erdoğan ebenfalls in die Karten.
Ich würde hier Entwarnung geben. Wie bei der BRICS-Gruppe sind die Interessen der verschiedenen Partner in Sachen Außenpolitik zu unterschiedlich und teilweise auch gegensätzlich, um eine echte Blockbildung zu unterstützen. Ein Beispiel ist der schwelende Konflikt zwischen Indien und Pakistan, die beide Mitglied in der SCO sind.
Darüber hinaus ist die Shanghaier Organisation weit davon entfernt, eine Alternative zur Nato zu sein. Es ist hier wieder eher Russland, das versucht, die SOZ zu einem antiwestlichen Bündnis zu formieren
Global Review: Wie sehen Sie die Entwicklung des Greater Middle East nach dem Abzug aus dem Irak und Afghanistan, dem unter chinesischer Vermittlung erzielten Iran-Saudi-Arabien-Deal und die BRICSplus-Erweiterung um Ägypten, SA, Iran und den VAE? Im speziellen auch das Verhältnis zwischen Iran, SA und Israel?
Thomas Lennartz: Der Nahe Osten, Vorderasien und der Maghreb, das arabischsprachige Nordafrika, sind seit den US-Interventionen im Irak und in Afghanistan und dem Beginn des Arabischen Frühlings im Umbruch und werden auf absehbare Zeit m.E. auch nicht zur Ruhe kommen.
Die aktuell zu beobachtenden Bündnisverschieben und neuen Bündnisse, die jetzt auch Israel zum Teil mit einbeziehen, sind typisch für den Nahen Osten und man muss sorgfältig beobachten, ob sie mittel- und langfristig das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen…
Afghanistan, Irak und Syrien erleben zurzeit einen Aderlass an Menschen durch Fluchtwellen, der an diesen Staaten auch nicht spurlos vorüber gehen wird und die Länder des Maghreb leiden als Durchgangsländer unter den Migrationswellen aus Subsahara-Afrika und sehen sich sich dem steigenden Druck der Europäer ausgesetzt, diese Migrationsbewegungen aufzuhalten.
Am Persisch/Arabischen Golf ist die Frage der Rivalität zwischen Sunna und Schia trotz aller vorsichtigen Kontakte zwischen den Hauptakteuren Iran und Saudi-Arabien immer noch nicht ausgefochten und der Iran versucht eine „Achse der Schia“ zwischen dem Persisch/Arabischen Golf und der Levante herzustellen und berührt damit und mit seinem Atomprogramm die vitalen Interessen Israels.
In dieser Gemengelage sehen Staaten, wie China, aber auch Russland, einen fruchtbaren Boden zur Umsetzung ihrer spezifischen Interessen.
Die BRICS-Gruppe, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die „Neue Seidenstraße“ dienen hier – wie die vermittelten Kontakte und Verträge – als Vehikel.
Global Review: Zuletzt noch ein Ausblick des möglichen eurasischen Traums, dessen politischer Game Changer die Wiederwahl Trumps 2024 werden könnte:
“I had a dream“- a new German and Eurasian dream as the new heartland?
Ja ja, die guten alten Zeiten des eurasischen Platzes an der Sonne mit deutschem Sitz im UNO-Sicherheitsrat und einer multipolaren Welt von Gazprom-Gerd-Weltpolitik at it’s best und nun eben der neue AfD-Wunschtraum ,wenn Höcke und Gas-Gerd und Wagenknecht mit Putin und Xi zum Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts auf der Ehrentribüne bei der Militärparade zum glorreichen Großen antifaschistischen Vaterländischen Krieg auf dem Roten Platz zusammen thronen. Der Global South ist zu den BRICS übergelaufen, der Green Deal tot, das OPEC plus-Ressource-Empire und die Ölmultis blühen auf und haben Fridays for Future getötet, der Klimawandel wird offiziell für beendet erklärt und Xi finanziert das dann all diese schönen Tankstellen und Rohstofflagerstaaten, Nordstream 1 und Nordstream 2 werden wieder in Betrieb genommen, Nordstream 3 und 4 gebaut, CO2 wird in gigantischem Maße eingelagert oder die Sonneneinstrahlung und der Klimawandel mittels Geoengineering und richtigen Chemtrails verhindert.Natürlich sind die Amis dann vom Weltglobus verschwunden, haben MacKinder, Mahan und Brzezinski vergessen und zu den Akten in Geschichtsmuseen gelegt. Carl Schmitts Großraumordnung und „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ wird in Europa, Indopazifik und dem Global South durchgesetzt: Afrika den Afrikanern (Panafrikanismus) , Arabien den Arabern (Panarabismus), Umma und Panislamsimus (nach dem Saudi-Arabien-Iran-Deal und dem neuen Westfälischen Frieden zwischen Schiitentum und Sunnitentum unter Chinas Mediation aber mit Ausnahme des Islamischen Staats, Al Qaida und der Uiguren, ja vielleicht auch der Rohingyas), Asien den Asiaten (Panasianismus a la Parag Khanna „Die Zukunft ist asiatisch“), Lateinamerika den Lateinamerikanern (frei nach Bolivar und Che Guevara als umgedrehte Monroe-Doktrin „Yankee go home!“), Europe den Europäern (Paneuropa) oder Eurasien den Eurasiern (Eurasiansimus) und/oder Deutschland den Deutschen. Und alles ethnopluralistisch a la Alain Benoist. Xivilisation beendet dann den Clash of Civilizations. „Ami go home“ ( Titel von Oskar Lafontaines neuem Buch). Nicht mehr America first, sondern USA alone. Heritage Foundation, AEI, Brookings Institute, Jamestown Foundation, Hoover Institute werden von Konfuzius Instituten finanziert, altmodische liberale Demokratie und Menschenrechte endlich abgeschafft, die Dollarhegemonie ist gefallen und nach Trump machen die USA den NATO-Exit und verziehen sich friedlich auf ihre Insel, nachdem die Chinesen sie mittels Global Security Initiative, Global Development Initiative samt BRI ( das um neue Infrastrukturprogramm entlang der Neuen Seidenstraße für Konzentrationslager, Gefängnisse und Folterkeller erweitert wird, als auch um Katastrophenschutzbauten wegen des nicht mehr stattfinden zu habenden Klimawandels) und Global Civilization Initiative unter den Xi-Jin-Ping-Gedanken samt XI statt KI umzingelt und auch aus dem Indopazifik und dem Cyberspace und auch aus dem Weltraum raus gedrängt haben wie Brexit Global Britain und auch Australien bleibt dann Down Under auf seiner Insel, bis die ersten chinesischen Marines landen werden. The Eurasian dream,dies mal dann mit dem Chinese dream, Xivilisation und den Xi-Jin-Ping-Gedanken als das Heartland. Ein Vorgeschmack deutscher Traumforschung des German dream, der German Angst vertreibt.“
Für wie realistisch halten Sie das hier skizzierte Szenario?
Thomas Lennartz: Immer, wenn ich von Träumen und Visionen höre oder lese, fällt mir sofort Helmut Schmidt ein, der in seiner trockenen und nüchternen hanseatischen Art sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, aber das wäre zumindest Martin Luther King gegenüber zutiefst ungerecht.
Ich für meinen Teil muss zu Ihrem Szenario leider sagen, die „guten alten Zeiten“ gibt es nicht und hat es nie gegeben. Die Römer als geniale Realpolitiker haben es zusammengefasst in dem Satz „tempora mutantur et nos mutamur in illis“, die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen.
Was die Voraussagen für utopische oder dystopische Entwicklungen angeht, so leben hiervon ganze Wirtschaftszweige, die mehr oder weniger zuverlässige und/oder seriöse Analysen kommender Tendenzen abgeben.
Herauslesen kann man aus den aktuellen Entwicklungen allerdings eine Verschiebung des Epizentrums vom europäisch-atlantischen Raum hin zum Indopazifik und ein stärker werdendes Selbstbewusstsein der Schwellen- und Entwicklungsländer des sog. „Globalen Südens“ und damit einhergehend eine stärke Fragmentierung der Welt und der Weltwirtschaft.
Das alte Europa wird kämpfen müssen, wenn es den von Ihnen zitierten Platz an der Sonne behaupten möchte. Der Blick zurück sollte uns den Blick nach vorne schärfen. Wenn uns die Vergangenheit eines lehrt, dann dass der Bibelspruch „Alles hat seine Zeit“ eine unerbittliche Wahrheit beinhaltet. Dekadenz und Selbstzufriedenheit sind der Anfang vom Ende, aber auch die Angst vor Wagnissen und Herausforderungen.
Am Schlimmsten aber ist das Herumlungern im Hintergrund und alles besser zu wissen, ein nach meinen Beobachtungen leider zutiefst deutscher Wesenszug. Das, gepaart mit Jammern statt Anpacken und der Unfähigkeit zielgerichteten strategischen Handelns wird uns geradewegs in den Abgrund führen.