Ozeanien: Ende des pazifischen Regionalismus?

Ozeanien: Ende des pazifischen Regionalismus?

Autor: Dr. Anne-Marie Schleich

2021 sollte eigentlich ein Jahr der Feierlichkeiten im Pazifik sein, da das Pacific Island Forum (PIF) mit 18 Mitgliedsstaaten vor 50 Jahren im Jahr 1971 gegründet wurde, vier Jahre nach der Etablierung von ASEAN. Abgesehen von Australien und Neuseeland teilendie meisten anderen pazifischen Inselmitglieder ähnliche Herausforderungen wie kleineBevölkerungen, gefährdete Volkswirtschaften und Ökosysteme, knappe Ressourcen, Anfälligkeit für steigenden Meeresspiegel, verlängerte Dürreperioden und erhöhte Zyklonintensität.

Ein halbes Jahrhundert lang war das PIF ein regionales Forum für Dialogund Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Umwelt, Kultur, Wirtschaft und Handel. NachJahrzehnten der Konzentration auf eine stärkere regionale Integration der sehr verschiedenen Mitgliedsländer ist es eine starke Stimme und ein Verfechter der Fragen des Klimawandels bei den Vereinten Nationen geworden. Nach fünf Jahrzehnten erfolgreicher Zusammenarbeit sorgten im Februar jedoch zwei dramatische Ereignisse für Friktionen undhaben zwei regionale Institutionen im Pazifik bis auf die Knochen erschüttert.

Schock Nummer 1: Machtkampf im PIF

Das erste Ereignis war die Wahl des neuen PIF-Generalsekretärs. Jahrzehntelang gab es ein ungeschriebenes „Gentleman-Agreement“, wonach die Position unter Vertretern der dreiregionalen Untergruppen Melanesien, Mikronesien und Polynesien wechseln sollte. Nacheiner erfolgreichen sechsjährigen Amtszeit von Dame Meg Taylor aus Melanesien warMikronesien an der Reihe. Henry Puna, der frühere Premierminister der Cookinseln(Polynesien), gewann jedoch mit knapper Mehrheit von 9: 8 gegen Mikronesiens Kandidaten Gerald Zackios. Es wurde spekuliert, dass die Großmächte im PIF, Australien, Neuseelandund Fidschi, in der geheimen Abstimmung für Puna gestimmt hatten.

Die fünf mikronesischen Länder behaupteten, das langjährige Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern sei ernsthaft geschädigt worden. Nach einem virtuellen Gipfeltreffen de rmikronesischen Präsidenten am 8. Februar gaben alle fünf mikronesischen Länder (Kiribati, Marshallinseln, Bundesstaaten Mikronesien, Palau und Nauru) ihren Austritt aus dem PIF bekannt. Sie drückten „ihre große Enttäuschung über den Ernennungsprozess des Generalsekretärs des Pacific Islands Forum“ aus und leiteten den einjährigen Rückzugsprozess ein. Das PIF wird damit ein Drittel seiner Mitglieder auf der Pazifikinselverlieren und ist in massive Turbulenzen geraten.

Schock Nummer 2: Kampf um akademisches Missmanagement

Der zweite Schock für den pazifischen Regionalismus ereignete sich an der University of the South Pacific (USP). Mit seinem Hauptcampus in Fidschi ist die USP eine äußerst erfolgreiche Universität, die sich im gemeinsamen Besitz der Regierungen von 12 pazifischen Inselstaaten befindet und von Australien und Neuseeland stark finanziert wird.

USP-Vizekanzler und Whistleblower-Professor Ahluwalia wurde am 4. Februar 2021 auf Befehl von Fidschis Premierminister Banaimarama festgenommen und deportiert. Nach seiner Ernennung im Jahr 2019 hatte Ahluwalia Missmanagement unter seinem Vorgänger , einem Fijianer, aufgedeckt, der auch der fidschianischen Regierung nahestand. Nach einer Untersuchung seiner eigenen angeblichen Verfehlungen durch eine Kommission unter der Leitung eines fidschianischen Diplomaten wurde Ahluwalia von seiner Position suspendiert.

Der Sturz von Ahluwalia geschah, ohne dass Fidschi andere USP-Partnerregierungen konsultierte. Fidschis-Oppositionsparteien und zivile Organisationen verurteilten den Schritt der Abschiebung des Vizekanzlers. Die australische und die neuseeländische Regierung haben die Entwicklungen nicht kommentiert. Der samoanische Premierminister Tuila’epa kritisierte Fidschi und machte ein Angebot für Samoa als neues Zuhause für die USP.

Geopolitischer Hintergrund: China, Taiwan und Australien

Diese regionalen Reibungen könnten weitreichende geopolitische Auswirkungen haben. Der Kampf um Einfluss in der pazifischen Inselregion hat sich verschärft. Der Taiwan-China-

Konflikt ist in dieser Region virulent. Der Schritt von Kiribati und den Salomonen im Jahr 2019, ihre politische Loyalität von Taiwan nach China zu verlagern, ist ein Aspekt dieses geopolitischen Wettbewerbs. 2020 gab es auch eine konkurrierende Maskendiplomatie zwischen China und Taiwan in der Region. Der derzeitige Konflikt zwischen Australien und China hatte 2020 einen Tiefpunkt erreicht. Gleichzeitig vergrößert China seinen Fußabdruck bei der Entwicklungshilfe im Südpazifik, strebt einen diplomatischen und strategischen Halt an und hat in dringend benötigte Infrastrukturprojekte investiert. Der Pazifik ist ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI). China hat auch Australien als Handelspartner in einigen Inselstaaten übertroffen.

Die jüngsten politischen Neukalibrierungen und das stärkere Engagement von Australien bei seinem „Pacific Step Up“ und Neuseeland bei seinem „Pacific Reset“ waren als Antwort auf Chinas Herausforderung gedacht und bedeuteten mehr Engagement und Partnerschaft mit dem Pazifik. Sowohl Australien als auch China haben im Jahr 2020 die COVID-19-Hilfen als diplomatisches Instrument im Pazifik eingesetzt. Dennoch scheint Australien in Gefahr zu sein, seinen traditionellen politischen Einfluss dort zu verlieren. Auch Australiens ambivalente Haltung in Bezug auf Fragen des Klimawandels wird von den Inselstaaten, die ernsthaft vom Klimawandel bedroht sind, kritisch gesehen.

COVID-19, Klimawandel und hoffentlich ein zukünftiger pazifischer Kompromiss

Die USA haben eine strategisch wichtige historische Militärbasis auf den Marshallinseln Mikronesiens und einen Vertrag über freie Assoziation mit Palau, Mikronesien und den Föderierten Staaten von Mikronesien. In alle drei Länder schickte die USA kürzlich COVID- 19-Impfstoffe. Aber es gibt viel weniger US Entwicklungshilfe und Handelsbeziehungen zuden anderen pazifischen Inselstaaten.

Nationaler und subregionaler Egoismus dominierten in den letzten Monaten die pazifischen Angelegenheiten und deckten die Grabenlinien in der regionalen Architektur auf. In Zeiten von Pandemie und Klimawandel ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dringend erforderlich. Für die Region ist es wichtig, ausreichend COVID-19- Impfstoffe für ihre Bevölkerung zu sichern.

Ebenso dringend ist eine einheitliche PIF-Front in einem Jahr, in dem die nächste und sehr wichtige UN-Klimakonferenz im November in Glasgow stattfinden wird. Die Notlage der Atoll-Inselstaaten in Mikronesien, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, wird imMittelpunkt einiger Diskussionen stehen.

Der einjährige Prozess des Austritts aus PIF könnte dazu beitragen, mögliche Kompromisslösungen und Konfliktlösungsmechanismen zu finden, bei denen die Mitgliedstaaten und ihre Unterregionen wieder ihr Gesicht wahren und wieder zusammenfinden könnten. Am Rande dieser Diskussionen könnte auch eine Lösung für die USP-Saga gefunden werden.

Dieser Artikel wurde erstmals am 1. März 2021 im RSIS-Kommentar der S. Rajaratnam School of International Studies der Nanyang Technological University in Singapur veröffentlicht.

Über den Autor

Dr. Anne-Marie Schleich war eine deutsche Diplomatin, die in Singapur, Islamabad, Bangkok, London und Melbourne gearbeitet hatte. Zuletzt war sie deutsche Botschafterin in Neuseeland und gleichzeitig in sieben Ländern der Pazifikinsel. Seit ihrer Pensionierung ist sie Rednerin bei internationalen Sicherheitskonferenzen und Gastdozentin an der NationalUniversity of Singapore. Dr. Schleich hat auch eine Reihe von Artikeln über geopolitischeTrends in Asien verfasst.

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