Interview mit Thomas von der Osten-Sacken über den Greater Middle East: “ Panarabismus und Islamismus sind Zwillingsbrüder“ /“In Deutschland hat man kaum verstanden, worum es bei diesen Protesten eigentlich ging und warum sie trotz so vieler Backlashs bis heute weiter gehen“

Interview mit Thomas von der Osten-Sacken über den Greater Middle East: “ Panarabismus und Islamismus sind Zwillingsbrüder“ /“In Deutschland hat man kaum verstanden, worum es bei diesen Protesten eigentlich ging und warum sie trotz so vieler Backlashs bis heute weiter gehen“

Global Review hatte die Ehre Thomas von der Osten- Sacken über die Geschichte und Entwicklungen im Greater Middle East zu interviewen.

Thomas von der Osten-Sacken (* 6. August 1968 in Göttingen) ist ein deutscher Journalist und freier Publizist, der sich seit Anfang der 1990er Jahre schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten beschäftigt.Er studierte an der Wolfgang von Goethe Universität und arbeitete für ein Jahr als Gastwissenschaftler in Jerusalem.

Von der Osten-Sacken ist langjähriger Autor der Zeitschrift Konkret, be der er von 1999 bis 2004 über die Themen Israel, Palästina und Nahost sowie in der Reihe konkret texte publizierte. Seitdem berichtet er für die Wochenzeitung Jungle World sowie für die Welt über die neuere politische Entwicklung in Nordafrika und Nahost. Seit 2011 betreibt er den Hurriya Blog auf der Seite der Jungle World und ist Mitherausgeber mehrerer Bücher über den Nahen Osten.

Osten-Sacken ist Geschäftsführer der im Nahen Osten, insbesondere im Irak, tätigen Hilfsorganisation Wadi e. V., Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit, mit Sitz in Frankfurt am Main.

Global Review: Herr von der Osten-Sacken, wie haben sie den Anschlag von 9 11 in Erinnerung und waren sie überrascht, dass Islamisten die USA angriffen im Zentrum ihres Weltsymbols, des World Trade Center? Haben sie da an MIHOP oder LIHOP geglaubt, die aufgrund von Cheyneys Energieelipsenstudie und Netanjahus Blue Plan für die Neuordnung des Greater Middle East die Invasionen der USA auslösten und legitimierten? Was ist davon zu halten?

Thomas von der Osten-Sacken: Am 11.09.2001 war ich in Suleymaniah in Irakisch-Kurdistan und spielte mit einem Bekannten Backgammon in dessen Garten, als die ersten Bilder im Fernsehen kamen. Am nächsten Tag musste ich dann via Syrien nach Jordanien fahren. Das waren damals noch ziemlich beschwerliche Trips und natürlich war jeder völlig sprachlos. Erst in Jordanien konnte ich mich dann wieder einigermaßen informieren. Nun damals sagte ich zu irakisch-kurdischen Freunden: „Dies ist der Anfang vom Ende von Saddam Hussein.“ Oft erinnerten sie mich noch an diesen Spruch. Kurdistan stand damals ja schon außerhalb der Kontrolle des irakischen Regimes, quasi unter indirektem Schutz der USA und die Menschen hier waren immer recht proamerikanisch eingestellt. Einige Tage später bin ich dann, die Landgrenze war zu, von Amman nach Israel geflogen und gabe dann dort miterlebt, wie 9/11 aufgenommen wurde.

Natürlich war ich ob der Dimension dieses Terroranschlages geschockt, bis dahin hätte man sich nicht vorstellen können, dass Al Qaida etwas von so einem Ausmaß zu planen und auszuführen in der Lage war. Dass ich der Terror gegen New York und unter anderem das World Trade Center richtete überraschte mich dagegen weniger, es gab ja zuvor schon Versuche, es in die Luft zu sprengen. New York als Symbol eines „verjudeten“ globalen kapitalistischen System, das das „Belly of the Beast“ entzündete ja schon immer Hass. Die Tiraden Hitlers gegen diese Stadt unterscheiden sich da kaum von Äußerungen Al Qaidas. Auch gerade weil es diese Symbole traf, gab es ja weltweit eine erschreckende Welle von Sympathie mit diesem Terroranschlag, was heute gerne vergessen wird. Das reichte von gewissen linken Kreisen im Westen über Faschisten und Neonazis bis weit in die islamische Welt, wo es damals ja zum Beispiel diese Osama Figuren aus Gummi zu kaufen gab.

All dieses Verschwörungsgemunkel gehört zu solchen Reaktionen dazu. Egal ob es dann in linken Zeitungen hieß, ja das ist schlimm aber schließlich verhungern in der Dritten Welt jeden Tag Kinder oder eben diese ganzen Theorien, das sei Insider Job oder von den Israelis initiiert. Was davon zu halten ist? Nun, 9/11 hat die Bruchlinien sehr deutlich zu Tage gebracht, die zwischen Leuten, die aus welchen Gründen auch immer von Schadenfreude bis zu Sympathie mit den Tätern reagierten und die, die entsetzt und geschockt waren und oft zum ersten Mal überhaupt die Dimensionen des islamistischer Terrors begriffen. Bisher hatte der ja, wie meist sonst auch, irgendwo weit weg zugeschlagen.

Global Review: Der Islamismus hat sich ja spätestens seit 1979 bemerkbar gemacht infolge der iranischen Revolution der fundamentalistischen Khomeini- Schiiten im Iran und der fast zeitgleichen Besetzung der Moschee von Mekka.. Welche Bedeutung messen sie dem Jahr 1979 zu und wie sah die Vorgeschichte aus, die solche Revolutionen sich zusammenbrauen ließ?

Thomas von der Osten- Sacken: Ich denke 1979 war eine Zeitenwende, mehr noch als 1989 mit dem Zusammenbruch des Ostblock. Fast alle Konfliktlinien im Nahen Osten, die da in den letzten Jahrzehnten die Region geopolitisch enorm wichtig war, damit auch globale waren gehen auf 1979 zurück.

Beginnen wir mit einem Ereignis, dass Sie gar nicht erwähnen: Im Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen zur Unterstützung des dortigen Regimes in Afghanistan ein. Daraus entwickelte sich ein enorm blutiger Krieg, in dem die USA und Nato über Saudi Arabien und Pakistan diverse afghanische Mujaheddin Kämpfer unterstützte und aufrüstete. Afghanistan verwandelte sich bald in einen Jihad gegen den Sowjetkommunismus, der Kämpfer aus allen möglichen islamischen Ländern anzog. In diesem Zusammenhang entstand später auch Al Qaida und diese Afghanis, wie sie in der arabischen Welt bald hießen, stellten in unzähligen späteren Konflikten den harten Kern dschihadistischer Organisationen. Zugleich waren sie als vehemente Antikommunisten, die sich ja auch sind, Verbündete des Westens und wurden als solche hofiert. Dass sie ebensowenig mit irgendwelchen liberalen Vorstellungen hatten, spielte so wenig eine Rolle wie ja damals auch Pinochet, die Contras in Nicaragua oder andere ganz schlimme Finger irgendwie eben Verbündete waren. Ja, Konservative im Westen betonten sogar die Gemeinsamkeiten, Werte wie Familie, Heimat, Glaube, den man eben teile. Auch das ist heute fast vergessen, ständig wird über die Linke und Islam beredet und geschrieben, ganz so als hätte es nie diese massive Unterstützung durch US-Republikaner und CDU etwa für diese Kämpfer in Afghanistan gegeben. Das also war ein wichtiges Ereignis in 1979, parallel dazu übernahmen in Nicaragua die Sandinisten die Macht und nährten damit noch die westliche Paranoia von einem globalen Vormarsch der Kommunisten in einer Zeit, als es gerade um die angloamerikanische Welt ökonomisch und auch sonst nicht besonders gut stand.

Die iranische Revolution passte nicht mehr in die Logik des Blockkonflikts, sie nahm sozusagen sein Ende voraus.

Bis dahin ging in der Logik des Blockkonflikts von Islamisten keine wirkliche Bedrohung für den Westen aus (Israel ist da eine Ausnahme hat aber eben auch eine ganz eigene Geschichte). Ganz im Gegenteil betrachtete man Islamisten eher als Verbündete, bedingt auch durch das enge Bündnis mit Saudi Arabien etwa. Und diese Islamisten waren ja selbst erklärte Antikommunisten und standen oft in offener Opposition zu den Regimes in der Region, etwas Ägypten unter Nasser, die sich an die Sowjetunion anlehnten. Kurz: Bis 1979 erschien politischer Islam nicht als große Gefahr, dann fand die Revolution im Iran statt, die im Westen mehr oder weniger alle völlig überrascht und ein Stützpfeiler westlicher Geopolitik in der Region, das Regime des Schah von Persien stürzte in erstaunlich kurzer Zeit. Mit der islamischen Republik betrat ein ganz anderer Islamismus die Bühne der Weltpolitik, einer mit unzähligen Anlehnungen an antiimperialistisch kulturrevolutionäre Drittwelt Bewegungen, der teilweise sich zuvor auch mit ideologischen Versatzstücken der Neuen Linken angereichert hatten. Dafür steht die Person von Ali Shariati, der ja, beeinflusst auch von der französischen Linken, versucht hatte Islam und irgend eine Form von Sozialismus zu verbinden. Im Iran fand in der Tat eine islamische Revolution statt, während man zuvor Islam eher mit irgendwelchen reaktionären Sheikhs am Golf in Verbindung gebracht hat. Und diese Revolution, die vor allem von einer gebildeten, jungen urbanen Schicht getragen wurde, erschütterte nicht nur im Nahen Osten, sondern global die Verhältnisse und brachte sie, um Marx zu bemühen zu tanzen. Denn diese Revolution war ja gegen den Westen und den Osten gerichtet, auch wenn viele im Iran anfangs anderes erhofft hatten: Khomenei war eben auch ein in der Wolle gewaschener Antikommunist, was iranische Kommunisten, die mitgeholfen hatten, ihn an die Macht zu bringen, bald leidvoll selbst vor Exekutionskommandos und in Folterkellern erleben mussten.

Die iranische Revolution passte nicht mehr in die Logik des Blockkonflikts, sie nahm sozusagen sein Ende voraus. Abermillionen mit den verkrusteten Verhältnissen unzufriedener Menschen in der ganzen Region verfolgten damals mit leuchtenden Augen, was im Iran geschah. Sicher, die islamische Revolution ist nur vor dem Hintergrund der ganz spezifisch schiitischen Geschichte des Iran zu verstehen, die sich in vielerlei Hinsicht ganz grundlegend von der sunnitisch geprägter Länder unterscheidet, aber trotz allem: Da war es nach Jahrhunderten der Demütigung durch Kolonialismus und Westen, nach all den verlorenen Kriegen gegen Israel – so die Wahrnehmung – gelungen im Namen des Islam ein verhasstes prowestliches Regime zu stürzen und eine ganz genuine Revolution zu machen! Dies löste ein Erdbeben aus, vor dessen Folgen sich natürlich zuallererst natürlich die „alten“ Regimes im Nahen Osten zu fürchten hatten. Etwa das in Saudi Arabien, also die herrschende Saud Familie mit ihren engen Beziehungen zu den USA und ihrer traditionellen Bigotterie. Man denke nur an die in Luxus schwelgenden Prinzen an der französischen Mittelmeerküste, deren ausschweifend dekadenter Lebensstil wenig mit den zu Hause gepredigten Werten zu tun hatte und hat. Wobei Saudi Arabien bis 1979 keineswegs die prüde, religiöse Gesellschaft war, zu der es sich dann später entwickelte.

1979 nämlich besetzte eine Gruppe besonders strenggläubiger Wahabiten die Kaaba in Mekka, selten hat wohl das Haus Saud sich einer so existentiellen Krise gegenüber gesehen. Diese radikalen Wahabiten erfreuten sich in einigen Regionen des Landes großer Beliebtheit und dem Regime gelang es damals nur mit Gewalt und mit Hilfe französischer Gendarmen die Kaaba zurück zu erobern. Man muss sich das vorstellen: Das besetzen strenggläubige Muslime, deren Anführer sich als Messias (Mahdi) sah den heiligsten Ort des Islam und das Haus Saud, die Hüter der heiligen Stätten ruft Ungläubige zu Hilfe! Geht es noch schlimmer?

Und all das im Jahr, in dem im Nachbarland eine islamische Revolution erfolgreich war? Das Haus Saud und benachbarte Staaten befanden sich Ende des Jahres in einer umfassenden Sinn- und Legitimationskrise. Was also tun? Nun, wir kennen die Antwort: Sie lautete unter anderem Islamisierung nach innen und außen. Seitdem flossen aus Saudi Arabien erst Milliarden in den globalen Jihad und im Inneren verwandelte sich das Land in diesen strikt puritanisch-religiösen Staat, in dem es erst seit ein paar Jahren wieder vorsichtige Reformen gibt. Als erster Ort, um zu zeigen wie ernst man es mit dem Islam meinte, bot sich natürlich der Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan an.

Der Islamismus, wie er in den 20er Jahren etwa mit den Muslimbrüdern aufkam oder im indischen Subkontinent war eine Reaktion auf die Moderne

 

1979 war auch das Jahr, in dem im Irak Saddam Hussein zum mächtigsten Mann im Staat wurde und ein Jahr später den Krieg gegen den Iran beginnen sollte, dessen Folgen wiederum bis heute zu spüren sind.

Leider sind die Auswirkungen der Ereignisse dieses einen Jahres viel zu wenig bekannt, es gibt kaum Literatur, die sich mit diesem historischen Einschnitt befasst. Dabei gehen fast alle Konflikte, Probleme, Bruchlinien, die einen heuten täglich in der Region beschäftigen auf dieses Jahr zurück, egal ob Hizbollah im Libanon oder Islamischer Staat im Irak, ob die Kriege im Jemen oder die Taliban in Afghanistan, um nur ein paar zu nennen. Ohne 1979 gäbe es sie wohl so alle nicht. Und ja für den modernen Islamismus, egal ob schiitisch grundiert wie im Iran oder sunnitisch wie bei Muslimbrüdern, Salafisten, Al Qaida oder IS ist 1979 ein ganz zentrales Jahr.

Global Review: Viele Leute sagen, dass der Islamismus eine Reaktion auf das Vordringen des Säkularismus in der muslimischen Welt war. Zudem auch eine Gegenreaktion auf den Panarabismus , der die islamistischen Muslimbrüder und andere Parteien und Organisationen zurückdrängte und eine relativ freie Gesellschaft verglichen zu früheren Regimen schaffte. War der Panarabismus, der ja vom Westen, zumal unter Zuhilfenahme der Islamisten und Muslimbrüder bekämpft wurde, der Gegenentwurf zum Islamismus?

Thomas von der Osten-Sacken: Zuerst: Ich bin mit dem Begriff Säkularismus äußerst vorsichtig. Das ist einer der vielen Konzepte, die nur mit Blick auf europäische Geschichte, genauer der Geschichte des lateinisch-christlichen Westens wirklich Sinn machen und im islamischen Kontext wenig erklären. Genauer noch: Eigentlich ist das ein protestantisches Konzept, während Laizismus eher in katholisch geprägten Ländern das richtige Wort ist. Zuerst bedarf es da einer klaren Trennung zwischen Staat und Kirche, also einer Kirche, die wirklich Institution ist. So etwas existiert im Islam nicht, selbst dort, wo es einen eher unabhängigen Klerus gibt wie in der Shia kann man nicht von etwas sprechen, dass Kirche ähnelt. Auch existiert keine Tradition, die weltliche und religiöse Welten trennt. Nur wenn man von Säkularisierung spricht, also der Verstaatlichung von religiösen Einrichtungen gibt es Parallelen, etwa die Übernahme der Al Azhar Moschee durch die ägyptische Regierung im 19 Jahrhundert oder die Einrichtung des Diyanet in der kemalistischen Türkei. Man müsste, um diese Entwicklung wirklich zu fassen, neue Begriffe finden, ich finde da zum Beispiel den vom „zivilen Staat“, der nach 2011 in Ägypten aufkam sehr hilfreich, also ein Staat, der weder vom Militär kontrolliert wird noch auf Sharia Recht basiert. Denn letzteres ist hier das eigentliche Problem, also die Frage: Wer macht die Gesetze, Menschen oder Gott? Der Islamismus, wie er in den 20er Jahren etwa mit den Muslimbrüdern aufkam oder im indischen Subkontinent war eine Reaktion auf die Moderne, wie sich zunehmend auch in dieser Region durchsetze, ja. Aber er war auch Reaktion auf das Ende des Kalifats, das ja Atatürk in der Türkei mit einem Handstreich wegfegte. Und immer ging es um die Frage: Wieso sind wir in der islamischen Welt dem Westen derart unterlegen, warum hinken wir so hinterher, wo wir doch früher zur Blütezeit des Islam Europa so weit voraus waren? Woran liegt das? Und dann kommt immer diese Idee auf, man müsse zu den Ursprüngen zurück in eine Vergangenheit die als golden imaginiert wird. Wie etwa der italienische Faschismus auch war und ist Islamismus einerseits ganz Kind der Moderne und doch völlig rückwärts gerichtet.

Oft wird so getan als handele es bei Panarabismus und Islamismus über wirkliche Gegensätze, das war allerdings so nie der Fall.
 

Insofern ähnelt der Islamismus dem von Ihnen erwähnten Panarabismus oder arabischem Sozialismus, der sich zeitgleich entwickelte und den ich eigentlich als Zwillingsbruder betrachte. Nur fragten sich die Panarabisten: Warum waren wir Araber einst so erfolgreich und sind es heute nicht mehr? Träumten Islamisten von einer großen Umma, so wollten Panarabisten das alte arabische Imperium wieder ins Leben rufen. Dabei liehen sie sich Gedanken vor allem aus Deutschland und der ganzen völkischen Bewegung: Es ging ihnen darum sozusagen ein arabisches Volk zu schaffen und es von allen „Verunreinigungen“ zu befreien und das waren etwa persische und türkische Einflüsse und natürlich der westliche Kolonialismus. Auch wenn von Anfang an der Panarabismus sich auf die glorreiche arabische Tradition, die ja eine islamische ist, berief schloss er Christen mit ein, solange die sich als Araber definieren, was sie vorher nie so taten.

Oft wird so getan als handele es bei Panarabismus und Islamismus über wirkliche Gegensätze, das war allerdings so nie der Fall. Jamal Abdul Nasser etwa stand in seiner Jugend den Muslimbrüdern nahe. Beide Bewegungen teilten viel: Ihre Ablehnung des Westens, beide sind strukturell antisemitisch und totalitär. Und sie rekrutierten ihre Anhängerschaft beide aus den neuen urbanen Mittelschichten, vor allem dem Militär und standen in Opposition zu den alten Herrschaftseliten, die in der Regel mit den Kolonialmächten kooperierten. Und diese neuen Schichten bewunderten in den 30er Jahren die italienischen Faschisten und Nationalsozialisten und erhofften sich von ihnen Unterstützung gegen Briten, Franzosen und natürlich die Juden in Palästina.

Wo immer sie an die Macht kamen, ob als Baath-Parteien in Syrien und dem Irak oder eben mit der Armee in Ägypten, errichteten sie Diktaturen, die zwar gewissen, auch dem damaligen Zeitgeist entsprechenden, Modernisierungen anstießen und vor allem die alten Eliten entmachteten, sie schafften aber nirgends, wie es so oft heißt, säkulare Staaten. Ganz im Gegenteil galt im Ehe- und großen Zivilrecht weiter die Scharia.

Man hatte auch die gleichen Feinde und oft fiel und fällt es schwer, die Hasstiraden der Panarabischen von denen der Islamisten zu unterscheiden. Sicher, wenn Muslimbrüder die Herrschaft der Panarabischen in Frage stellten, wie in den 80er Jahren in Ägypten oder Syrien wurden sie brutal verfolgt – wie jede Opposition brutal verfolgt wurde. Solange sie dies nicht taten, ließ man sie gewähren, so dass sie in Ägypten ihr ganzes soziales Netzwerk ausbauen konnten und sowohl Syrien wie der Irak unter Saddam Hussein zu sicheren Orten für so ungefähr jede Terrororganisation werden konnte. Wie schnell dabei ideologische Mäntel ausgetauscht werden können haben wir nach dem Sturz Saddam Husseins gesehen, dessen Herrschaft sich ja vor allem auf die sunnitische Minderheit im Irak gestützt hatte, die mit seinem Ende auch am meisten zu verlieren hatte. Sehr viele Exmitglieder der Baath Partei schlossen sich dann erst Al Qaida an und halfen dann mit, den Islamischen Staat zu gründen.

Nein, Panarabismus ist kein Gegenentwurf zum Islamismus, sondern wie dieser Ausdruck einer furchtbar destruktiven Entwicklung in der Region. Gegenentwurf zu beiden war immer entweder etwas wie ein bürgerlicher Nationalstaat oder bis 1989 die Programme linker bzw. kommunistischer Parteien. Beide, Liberale wie Kommunisten waren dann in der Regel auch die erklärten Feinde sowohl der Panarabischen wie Islamisten – außer sie unterwarfen sich, wie in Syrien quasi als Blockparteien dem herrschenden Regime.

Global Review: Manche Leute sagen, man sollte Panarabisten und säkulare Diktatoren wie Assad, Hussein, Al-Sissi gegen die Islamisten und eine islamistische Diktatur unterstützen, da es keine demokratische Alternative in diesen Ländern gibt und auch die sogenannten Twittterrevolutionäre zu chaotisch, undiszipliniert und unerfahren waren, um überhaupt eine machtpolitisch- demokratische Alternative darzustellen. Soll man nicht besser auf säkulare Despoten setzen, um die Machtergreifung der Islamisten zu verhindern?

Thomas von der Osten-Sacken: Mal ganz abgesehen davon, dass ich kein Politiker bin und zum Glück solche Entscheidungen nicht treffen muss und auch nie treffen wollte, also irgend einen Folterknecht als vermeintlich „kleineres Übel“ zu unterstützen, glaube ich kaum, dass diese Politik je irgend etwas als mehr Unheil produziert hat. Wer war nicht schon alles „kleineres Übel“? Mal Saddam Hussein gegen den Iran, mal die Taliban gegen den IS, dann Assad gegenüber Al Qaida, Hamas gegenüber Fatah und/ oder vice versa in den 80er Jahren.

Alle Halsabschneider in der Region wissen, dass sie jederzeit nur  islamistischen Bedrohung warnen müssen, um gleich als kleines Übel zu gelten.

 

Und was alleine soll die Frage in Bezug auf Assad? Wer ist denn sein größter Unterstützer im Nahen Osten? Die Islamische Republik Iran und mit ihr die Hizbollah! Sind das keine Islamisten? Oder sind es bessere Islamisten als irgendwelche syrischen Jihadisten? Assad hängt völlig vom Iran ab und schiitische Milizionäre können im Land schalten und walten, wie sie wollen. Noch absurder wurde das Szenario nach 2014, als die USA und andere westliche Staaten de facto Seite an Seite mit dem Iran gegen den Islamischen Staat kämpften. Dabei wissen doch alle Halsabschneider in der Region auch noch, dass sie jederzeit nur vor einer islamistischen Bedrohung warnen müssen, um gleich als kleines Übel zu gelten. Das ging zum Teil so weit, wie im Jemen wo der damalige Präsident Saleh de facto Al Qaida ermunterte Teile des Landes zu übernehmen, um dann vor einer drohenden islamistischen Gefahr zu warnen, wobei es im in Wirklichkeit darum ging, sich angesichts von Massenprotesten im Sattel zu halten.

Nein, diese Politik ist nicht nur zynisch, sondern auch dumm und reproduziert die immer gleichen Fehler mit den selben Resultaten. Dazu gehört das Gerede, es gäbe keine demokratische Alternative. Nun, sicher nach Jahrzehnten der Verfolgung und Unterdrückung gibt es nirgends im Nahen Osten entsprechende Parteien, das ist richtig. Und die Millionen, die gegen ihre Regimes auf die Straße gingen, waren nicht organisiert. Auch das ist richtig. Das aber heißt nicht, dass es keine möglichen Alternativen gab und gibt. Zudem ist die Gleichung eigentlich eine ganz einfache: Die ganzen

Regimes und Systeme in der Region sind vollkommen bankrott, in jeder Hinsicht. Man schaue sich nur gerade den Libanon an. Mit diesem politischen Personal kann es einfach keine Zukunft geben, außer einer mit noch mehr Zerfall, Krieg, Elend und Perspektivlosigkeit. Da können sich irgendwelche Geostrategen noch so viele Gedanken machen, wen nun gegen wen unterstützen, die simple Wahrheit ist: Sie sind alle, wie es kürzlich ein irakischer Freund nannte, „System Failure“.

Weder USA noch EU wollten 2011 Assad loswerden, ganz im Gegenteil passte es im Westen eigentlich niemanden, dass auch in Syrien die Menschen auf die Straße gingen.


Dazu kommt, wenn man momentan Regierungen unterstützten wollte, die wiederum gegen Muslimbrüder gerichtete Militärputsche oder Coups unterstützen, so müsste man ausgerechnet Saudi Arabien oder die Emirate unterstützen, denn ob in Ägypten oder später Tunesien und Sudan sind sie es, die momentan die größten Förderer der „starken Mann“ Politik in der Region sind. Das ist Teil einer immer wieder unterschätzten regionalen Rivalität: Die Türkei und Qatar stehen eher auf Seiten der Muslimbrüder, die Saudi Arabien fürchtet, weshalb es früher Salafisten und heute eben Militärs unterstützt. Aber ist Saudi Arabien nun ein Staat, der sich als Verbündeter anbietet?

Global Review: Inwieweit war der Syrienkrieg nicht Produkt einer einfachen geopolitischen Überlegung. Man wollte Assad stürzen, um eine Pipeline von Katar bis in den Libanon zu legen und damit den iranischen Halbmond zu untergraben. Die Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) lud ja auch zu einer Konferenz in Berlin ein, wo de Exilopposition Syriens damit islamistischer Muslimbrüder eingeladen wurde, um eine neue Post-Assad- Syrienordnung u beschließen, was dann in einer neuen Verfassungsordnung namens der „The Day after“ beschlossen wurde. Inwieweit sind der Syrienkrieg wie auch die anderen Nahostkonflikte nicht durch das Zündeln westlicher oder östlicher Mächte initiiert?

Thomas von der Osten-Sacken: Haha. Pipelines. Nein, Sorry. Und wer ist man? Nun Deutschland wollte Assad mit der EU assoziieren, die USA nutzten syrische Knäste, um dorthin unliebsame Jihadisten loszuwerden. Niemand wollte 2011 Assad loswerden, ganz im Gegenteil passte es im Westen eigentlich niemanden, dass auch in Syrien die Menschen auf die Straße gingen. Wie zurückhaltend reagierten Politiker darauf. Dann entstand eine Dynamik, die niemand mehr aufhalten konnte. Auch die SWP hielt noch eine ganze Zeit am Konzept fest, dass der junge Assad eigentlich ein Reformer sei und wirkliche Unterstützung erhielt die syrische Opposition nicht. Als es dann 2013 trotz massiver iranischer Intervention so aussah, dass Assads Tage wirklich gezählt seien, veranstaltete man ein paar Konferenzen und inszenierte diese „Freunde Syriens“ Geschichte während vor Ort Saudi Arabien und die Türkei gezielt auf eine Islamisierung der Opposition setzen. Und dann ist es eher so, dass Assad sehr geschickt den Iran und Russland in diesen Krieg hineinzog, während auf der anderen Seite die Türkei, Qatar auf der einen und Saudi Arabien auf der anderen jeweils Muslimbrüder bzw. Salafisten unterstützten. Aus Massenprotesten wurde dann in der Tat ein internationalisierter Krieg, an dem am Ende unzählige Nationen beteiligt waren aber ich sehe nicht, dass der Anlass irgendwelche geostrategischen oder ökonomischen Kalküle gewesen waren. Das alles fand schließlich 2011 statt, als die gesamte Region sich in Aufruhr befand.

Und bis heute, denke ich, hat man in Deutschland kaum verstanden, worum es bei diesen Protesten eigentlich ging und warum sie trotz so vieler Backlashs bis heute weiter gehen. In der ganzen Region finden Erdbeben und Verwerfungen statt, die von niemanden wirklich kontrolliert werden können, besten- bzw. schlimmstenfalls irgendwie eingefrorenen oder in Bürgerkriege verwandelt. Deshalb stellen sich mir auch diese ganze geostrategischen Fragen nur bedingt, schließlich wackeln überall die Stühle der Herrscher, denen, angesichts der wachsenden Unzufriedenheit einer doch im Durchschnitt sehr jungen Bevölkerung, der sie nichts zu haben bieten, nichts weiter einfällt als noch repressiver zu werden.


Umgekehrt ist die eigentliche Frage, so zählebig diese Regime auch sein mögen, wie lange halten sie jeweils durch? Wer stürzt als erstes?

Das alles findet in einer Zeit statt, in der der Nahe Osten global immens an Bedeutung verliert. Die USA ziehen sich zurück, die EU ist außenpolitisch eh unbedeutend und sicher, ja Russland füllt da ein Vakuum. Die Europäer betrachten die Region inzwischen hauptsächlich als Hauptherkunfts- und Transitregion für Flüchtlinge, die es mit allen Mitteln daran zu hindern gilt, nach Europa zu kommen. Aber auch bei Russland sich doch die Frage: Was will Moskau eigentlich langfristig mit einem völlig zerstörten Land wie Syrien anfangen und wie will es da je wieder raus?

Umgekehrt ist die eigentliche Frage, so zählebig diese Regime auch sein mögen, wie lange halten sie jeweils durch? Wer stürzt als erstes? Wie lange hält sich Erdogan noch angesichts einer sich immer weiter verschlechternden ökonomischen Lage in der Türkei und wie lange die Mullahs in Teheran, wo längst klar ist, dass die überwältigende Mehrheit der dortigen Bevölkerung sie eigentlich nur noch los sein will?

Und was kommt dann, bzw. könnte es gar sein, dass der Libanon eine Entwicklung voraus nimmt, der ja de facto zusammen gebrochen ist, wo nichts mehr geht, nicht einmal mehr der Strom und doch irgendwie nichts passiert, weil die Menschen inzwischen so frustriert und resigniert sind, dass sie noch nicht einmal mehr auf die Straße gehen. Das haben sie vor zwei Jahren gemacht und zwar in Massen, nur ist danach eben nichts passiert, die komplett abgehalfterte herrschende Klasse hat sich einfach weiter bereichert bis das Land final in den Bankrott geschlittert ist. So etwas wäre durchaus auch für andere Ländern inzwischen denkbar.

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