Ukrainekrieg: Defensive Reaktion auf NATO-Erweiterung oder Putins offensive neoimperialistische eurasische Agenda für eine multipolare Weltordnung?

Ukrainekrieg: Defensive Reaktion auf NATO-Erweiterung oder Putins offensive neoimperialistische eurasische Agenda für eine multipolare Weltordnung?

Die grüne taz hat heute einen programmatischen Artikel zur Linken und ihrem Verhältnis veröffentlicht, der die Behauptung der These der Linken, dass Putins Ukrainekrieg nur eine defensive Reaktion auf die NATOerweiterung sei, berechtigterweise infrage stellt.

„Linke und der Ukrainekrieg: Die Nato-war-schuld-Linken

Einige Linke stecken noch immer in alten Denkmustern fest. Statt zu Putin auf Abstand zu gehen, beschuldigen sie weiter die USA und die Nato“.

Umdenken ist mühsam, anstrengend, mitunter auch schmerzhaft, weil man von einem Stück der eigenen Vergangenheit Abschied nehmen muss. Wenn Gewissheiten, die einem über Jahre oder Jahrzehnte beim Denken Halt gegeben haben, innerhalb von Tagen zerbröseln, geht das am eigenen Selbstbild nicht spurlos vorbei. Warum hat man die Welt bisher nur so gesehen, wie man sie sehen wollte – nicht so, wie sie ist? Wollte man sich vielleicht täuschen lassen? Und trägt man deshalb eine Mitverantwortung?

Wer den Krieg in der Ukraine immer noch mit der Nato-Osterweiterung erklärt, weigert sich dazuzulernen

Diese Fragen beschäftigen nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine viele Menschen, über die verschiedenen politischen Lager hinweg. Schaut man auf die deutsche Debatte, muss man aber feststellen: Der tiefe Einschnitt, den der 24. Februar 2022 darstellt, ist bei einem gar nicht so kleinen Teil der Linken noch nicht richtig angekommen. Gemeint ist jener Teil der Linken, der sich all die Jahre so sicher war, dass Russlands aggressives Verhalten nur als Reaktion auf die Ausdehnung der Nato erklärt werden kann. Und da geht es nicht nur um Sahra Wagenknecht.

Beobachten lassen sich die Widerstände gegen ein Umdenken zurzeit in vielen Texten und Wortmeldungen, die alle einem ähnlichen Aufbau folgen. Zu Beginn verdammen sie Wladimir Putin als Aggressor, meist mit dem Satz: „Dieser Angriffskrieg ist durch nichts zu entschuldigen.“ Dann folgt ein großes Aber – und dieselben Textbausteine, die man schon all die Jahre verwendet hat: der vermeintliche Wortbruch der Nato nach der Wiedervereinigung, das Vordringen des Bündnisses in „russische Einflusssphären“, der Militarismus der USA und die Demütigung des stolzen Russlands.

Dass dabei Länder wie die Ukraine oder Georgien zu reinen Pufferzonen degradiert werden, deren eigener Wille als vernachlässigbare Größe gilt und denen man aus Deutschland – oft von oben herab – die Neutralität empfiehlt, wird geflissentlich ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass es sich um eine klassische Täter-Opfer-Umkehr handelt, wenn man die Westorientierung der Ukraine nach dem Euromaidan 2014 für den russischen Überfall mitverantwortlich macht.

Wer den Krieg in der Ukraine immer noch mit der Nato-Osterweiterung erklärt, weigert sich entweder dazuzulernen – oder er hat Putin nicht wirklich zugehört. Ginge es dem Diktator im Kreml tatsächlich um die Nato, bräuchte er nicht die kruden historischen Phantasmagorien, mit denen er in seinen Begründungen für die Invasion immer wieder hantiert: Die Ukraine sei eigentlich keine echte Nation, die Bolschewiki hätten Russland ausgeraubt, als sie große Gebiete der Ukraine zuschlugen, Lenin hätte vor 100 Jahren einen fatalen Fehler gemacht und so weiter.

Für seine neoimperialen Visionen ruft Putin die Nato noch als Gegner auf – als Begründung, warum er das Nachbarland seinem Reich einverleiben will, braucht er sie aber nicht. Wer kann da wirklich noch glauben, er hätte sich mit einer neutralen Ukraine zufriedengegeben? Hinter der Erzählung von der Nato-Osterweiterung als geopolitischer Ursünde verbirgt sich sehr oft ein linker Antiamerikanismus, dem es wichtiger ist, sich an die eigenen Glaubenssätze zu klammern, als die Wirklichkeit angemessen zu beschreiben.

Die Kurzfassung der Erzählung lautet ja: Der Ami ist schuld. Welche Folgen das hat, konnte man auch im Umgang mit Syrien beobachten. Auf der Linken wurde ausführlich über die Rolle der USA bei der Entstehung des Krieges diskutiert. Und über die Frage, wie verheerend Barack Obamas Entscheidung war, beim Giftgaseinsatz erst eine rote Linie zu ziehen, das Überschreiten dieser dann aber nicht zu ahnden. Als Russland 2015 aber seine Bomber für Assad losschickte, herrschte in der deutschen Debatte weitgehend Schweigen.

Zurück zur Ukraine. Mit dem Beharren auf die Nato-Osterweiterung als Auslöser lässt sich ein Teil der Linken auch jetzt noch vom Kreml die Talking Points vorgeben und blickt ständig zurück. Es geht aber nicht nur um einen Streit darüber, wer im Nachhinein recht gehabt hat. Eine Linke, die sich an überkommene Denkmuster klammert, kann zur Debatte um die außenpolitischen Folgen der aktuellen Krise nichts Sinnvolles beitragen.

Putins Neo-Imperialismus

Denn die Erklärung mit der Nato-Osterweiterung verstellt den Blick auf das heutige Russland. Die Erzählung ist ja auch deshalb so bequem, weil der Westen sich dann nur mit sich selbst beschäftigen muss. Auch darum hat man in den vergangenen Jahren nicht genauer hingeschaut, wie der Kreml die stockende wirtschaftliche Modernisierung des Landes mit einer extremen Militarisierung konterte.

Wie Zivilgesellschaft und unabhängigem Journalismus seit dem nationalistischen Rausch der Krim-Annexion die Luft abgedrückt wurde, wie Putin das staatliche Fernsehen zu einer Hassmaschine umbaute und sich für seinen Neo-Imperalismus die Stichworte von dem rechtsextremen Denker Alexander Dugin lieh. Ein Festhalten an der Nato-ist-schuld-Erzählung behindert zum anderen aber auch eine ehrliche Debatte auf der Linken über den 24. Februar – und was daraus folgt.

Wladimir Putin führt in der Ukraine jeden Tag vor, wie er mit einem Land umgeht, das militärisch schwächer ist. Eine Linke, der daraufhin nur einfällt: „Aber die Nato …“ oder „Frieden schaffen ohne Waffen“, schließt sich selber aus dem Diskurs aus. Verdammt viele Menschen in diesem Land sind gerade sehr froh, dass es die Nato gibt. Weitere Länder werden jetzt in das Verteidigungsbündnis drängen. Und die deutsche Aufrüstung wird kommen. Das sind Fakten, mit denen man in den nächsten Jahren umgehen muss.

Linke Politik wird da nur einen konstruktiven Einfluss haben können – auch im Sinne, dass das Militärische nicht überhandnimmt –, wenn sie sich von überkommenen Denkmustern verabschiedet und sich nüchtern dieser neuen Welt stellt.

https://taz.de/Linke-und-der-Ukrainekrieg/!5834130/

Da ist einiges wahr dran.Aber zu behaupten,die NATO-Osterweiterung habe nichts mit dem Verhalten der Russen zu tun,halte ich auch etwas für übertrieben. Und auch die USA samt Irakkrieg oder den NATOkrieg in Jugoslawien und  in Lybien so reinzuwaschen, zeigt eben, dass es auch dogmatische und ideologische Transatlantiker bei der Grünen gibt. Eigentlich setzte die Neuorientierung der russischen Aussenpolitik schon unter Jelzin nach dem Kosovokrieg ein. Aber Jelzin galt noch als der Gute und da hat man überhört, wenn er mit Atomwaffen drohte oder sah dies zu exzessiven Wodkakonsum geschuldet und seine Chinareise blieb auch weitgehend unbeachtet.Und schon Jelzin begann einen Krieg in Tschetschenien, nicht erst Putin. Dennoch ist richtig, dass Putin eine neoimperiale Agenda verfolgt mit völkischem Eurasiertum aus dem Hause Dugin und anderer Eurasierschulen ,es sich also schon längst nicht mehr um eine defensive Reaktion handelt. Das macht auch spätestens der russische Vertragsentwurf klar,der einen Rollback der NATO vor 1997 fordert als ertsen Zwischenschritt, um die USA aus Europa zu drängen. .

Es stellen sich sehr grundsätzliche Fragen,die über die taktischen Kleinkleins und einzelnen Provokationen gegenseitig hinausgehen.Erstens:Was sind die strategischen Ziele der USA und Russlands in Europa und weltweit und der jeweiligen Europäer in der EU undNATO..Multipolate Welt versus pax americana und runtergebrochen Neue Internationale Sicherheits Archtitektur und dann Europäische Friedensarchitektur .

Zweitens :Inwieweit ist Putin noch realpolitisch oder der Ideologie des Eurasianismus ala Dugin verfallen. Dazu auch noch Mal eine kurze Geschichte des Eurasianismus und seiner wesentlichen 4 Strömungen. Zumal.das schon ab Primakows RIC und Jelzin nach dem Kosovokrieg begann und nicht erst unter Putin, wenngleich nicht alles deckungsgleich ist. Realpolitisch lässt sich Putins Verhalten nicht.mehr mit dem defensiven Realismus Kissingers erklären, sondern nur noch mit John Mearsheimers offensiven Realismus. Mearsheimer sieht in der NATOerweiterung eine „existential threat“ für Russland und gipfelt in der zugespitzten rhetorischen Frage,wie Großmächte,auch die USA reagieren würden: :If you poke a 800 Kilo Gorilla with your finger in his eye,how do you think he will react?“.Zu klären wäre erstens, inwieweit der Offensive Realismus sein Weltbild nur aus einem angenommenen Verhalten von Großmachtsnationalstaaten unabhängig von ihrem politischen und wirtschaftlichen System sieht und systemischen Gegensätzen zwischen ihnen dabei weitgehend ignoriert, also Yalta mit Interessensphären versus wertebasierte internationale Ordnung, die den USA eine weltweite Interessensphäre einräumt,  zum zweiten, ob die existentielle Bedrohung vor allem sicherheitspolitisch und militärisch gemeint ist, wie die Apologeten von Putins Verhalten als rein defensive Reaktion auf befürchtete langfristige NATOerweiterungen darstellen oder in einem doch mehr einer eigenen neoimperialistischen Agenda Putins ,die eine Neue multipolare Weltordnung anstrebt, zudem sich ideologisch vom Machtanspruch aus dem völkischen Eurasianismus auf dem Hause Dugin und anderer Eurasierschulen wie Primakovs RIC und antiliberaler Feindschaft zum Westen speist, zumal es nach dem russischen Vertragsentwurf ja offiziell nicht mehr um eine Verhinderung weiterer NATO-Erweiterungen, die mittelfristig gar nicht anstehen geht ,sondern um einen Rollback der NATO vor 1997 als erstem Zwischenschritt.

Zudem aktuell ob man Diplomatie und Verhandlungslösung in der Ukraine bevorzugen sollte und die Verhinderung von Massenmord und Zerstörung des Landes für den Preis einer neutralen Ukraine ohne Donbass und Krim und NATOmitgliedschaft, vielleicht EU-Perspektive der verbleibenden Rumpfukraine bevorzugen soll, die somit Putin belohnen und einen gesichtswahrenden Exit geben sollen oder auf einen Guerillaksmpf als Syrien oder Tschetschenien mit Massensterben bevorzugt, um Putin in ein zweites Afghanistan zu verwickeln und auf einen Regime Change hoffen soll, der aber auch nicht sicher ist. Und würde eine Verhandlungslösung bedeuten, dass Putin im Amt bleibt und sich dann erholt und so ermuntert als nächstes im Baltikum, Skandinavien oder dem Balkan zuschlägt? Und wer das Baltikumszenario für unwahrscheinlich hält ,weil dies ja NATO-Mitglieder sind,der lese das Buch von Michael O Hannon The Senkaku Paradox- Great Power wars on small stakes“

Wer aber die Annahmen O Hannons teilt, müsste dann wieder der existential threatthese auch militärisch seitens Mearsheimers und Putins zustimmen, da es bedeuten würde, dass man nicht die Annahme teilt, dass sollte der erste NATO-Soldat die russische Grenze überschreiten, es zum Atomkrieg kommen würde und die NATO und de USA das nicht riskieren würden, womit die „existential threat“ eine Schimäre wäre, sondern davon ausgehen könnte, dass die NATO das machen könnte in der umgekehrte Annahme, dass Russland nicht gleich mit einem Nuklearschlag reagieren würde. Somit wären die sicherheitspolitischen Bedenken Moskaus dann wieder logisch, da man keine NATOtruppen „300 Kilometer von Stalingrad“ (Scholl Latour) oder in unmittelbarer Grenznähe mit minimaler Entfernung zu Russlands Zentralstädten haben wolle. Ein wichtiges Detail wird auch immer wieder vergessen: Unabhängig, ob die angeblichen Versprechungen des Westens die NATO nicht nach Osten zu erweitern unter Gorbatschow gefallen sind oder nicht, vertraglich wurde ja nie etwas fixiert, hat Jelzin 1997 der NATO-Russland- Grundakte zugestimmt, die vorsah, dass die postsowjetischen Staaten ihre Zugehörigkeit zu einem Militärbündnis und damit auch  der NATO frei wählen können, aber umgekehrt glt, dass die NTO östlich von Deutschland keine permanenten Militärstützpunkte, Truppenkontingente oder Waffensystem unterhalten darf, nur Manöver in begrenzten  Umfang und auf Rotationsbasis, woran sich die NATO bisher gehalten hat. Nun hat Macron vorgeschlagen diese Grundakte zu canceln, was die NATOgrenze mit ständigen, umfangreichen und permanenten NATO-Truppen an dem neuen eiserenen Vorhang vom Baltikum über Polen bis zur Ukraine samt vorgeschobenen Militärstützpunkten und Waffensystemen und Raketen bedeuten würde. Doch noch ist es nicht soweit, hat die NATO, die USA und die europäischen Staaten dies als ultimative militärische Sanktion gegen Russland neben all den wirtschaftlichen Sanktionen noch nicht verhängt. Soviel „existential threat“ will die NATO bisher noch nicht sein.

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