Iran am „break even point“ ? Konkrete Forderungen der iranischen Opposition an die deutsche Regierung

Iran am „break even point“ ? Konkrete Forderungen der iranischen Opposition an die deutsche Regierung

Die Berichterstattung über die Massenproteste im Iran scheint abzuflauen, nachdem die EU nun Sanktionen gegen einige Vertreter der Sittenpolizei verhängte und es wird nun oftmals geklagt, dass sich die deutsche Regierung zu zurückhaltend verhalte und nicht kapiere, dass es sich hier um eine Revolution handele, die bald den „Break-even- point“ erreiche und die beste Chance sei, sich des Mullahregimes zu entledigen und eine Demokratie im Iran zu etablieren und damit auch eine Atommacht Iran ausschalten zu können. Bisher blieb aber unklar, welche konkreten Forderungen an die deutsche Regierung und den Westen seitens der iranischen Opposition gestellt werden.

Um da mehr Klarheit zu haben gibt es ein sehr interessantes Interview im Münchner Merkur mit der Deutsch- Iranerin und politischen Aktivistin Sahar Sanaie , bei dem Mal ganz konkrete Sanktionsforderungen aufgestellt werden, damit man weiß, was man unterstützen soll- von Wirtschaftssanktionen, zu Abbruch diplomatischer Beziehungen, UN Menschenrechtsbericht über den Iran bis zur Drohung des Abbruchs der Atomgespräche. Auch wichtig: Die Ausschaltung der sogenannten „Iranexperten“, die bisher die deutsche Iranpolitik bestimmten und die Gefahr einer „inneren Lösung“seitens des Irans, die in die Reformfähigkeit des Ajatollahregimes glaubt und wie es jetzt scheinbar der deutschen Regierung iranischerseits schmackhaft gemacht werden soll. Auch ein Ende des sogenannten „Kritischen Dialog“ und Hören auf die Exilopposition wird gefordert. Wobei die Volksmudjaheddin (MEK) im Nationalen Widerstandsrats der rinischen Exilopposition da scheinbar immer noch eine führende Rolle zu spielen scheinen.

„Was unterscheidet die Proteste in diesem Jahr von vorigen Demonstrationen?

Wir bewegen uns diesmal im Bereich eines Break-Even-Points, indem innerhalb der Bevölkerung die Wut gegen das iranische Regime und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft die Angst vor Repressionen übersteigt. Im Kern waren auch die Proteste der vergangenen Jahre gegen das System der Islamischen Republik gerichtet. In iranischen Medien wurde mehrmals das Szenario einer Revolution angesprochen und behandelt – natürlich in negativem Sinne. Dass frühere Proteste lediglich wegen erhöhter Benzinpreise und so weiter stattgefunden hätten, stammt aus der Feder von Regime-Apologeten im In- und Ausland.(…)

Teilweise deutet die iranische politische Elite an, über Reformen nachdenken zu wollen. So sprach sich ein ehemaliger Sprecher des Parlaments dafür aus, die Hidschab-Gesetzgebung zu überprüfen. Was halten Sie von solchen Äußerungen?

Das ist ein Ablenkungsmanöver des Regimes, um die Menschen erneut an der Nase herumzuführen und den eigenen Machterhalt zu sichern. Solche leeren Versprechungen haben die Iraner:innen in den letzten Jahrzehnten mehr als genug gehört durch Pseudo-Reformisten wie die Ex-Präsidenten Khatami und Rohani. Das iranische Regime hat mit diesem manipulativen Spiel nicht nur die Iraner:innen, sondern auch die Weltgemeinschaft getäuscht und damit ihre Regierungszeit verlängert. Man muss sich vorstellen, dass die strenge Kleidervorschrift die „Berliner Mauer“ des iranischen Regimes ist. Fällt sie, fällt das ganze Regime, denn es müsste befürchten, dass das Volk weitere Zugeständnisse einfordert. Ein zentraler Punkt des Fundamentalismus ist die Unterdrückung der Frauen, damit die Diktatur im Iran beibehalten wird.

Kritik an Iran-Berichterstattung und der deutschen Politik

Wie beurteilen Sie die Berichterstattung über den Iran – insbesondere mit Blick auf die jetzigen Unruhen?

Ich freue mich, dass die deutschen und globalen Medien nun verstärkt über die Proteste berichten. Leider war die Berichterstattung bei den letzten Protesten nicht so groß und ich denke, das liegt auch an der aktuellen Frauen-Thematik. Was mir bei der Berichterstattung fehlt, ist der Verweis auf die iranische Opposition und welche Möglichkeiten es für einen Iran nach den Mullahs gibt.

Leider werden immer noch zu viele sogenannte „Iran-Experten“ wie Adnan Tabatabai in den Medien herangezogen und bevorzugt angefragt. Die Analysen und Vorhersagen vieler dieser „Iran-Experten“ waren in den letzten Jahrzehnten allesamt falsch. Dies sind Menschen, die dem Regime nahe stehen und von der Alternative zum Regime ablenken wollen. Es müssten mehr Stimmen der Exil-Opposition zu Wort kommen, denn sie haben sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit dem Regime auseinandergesetzt und können ein realistisches Bild abgeben.

Deutschland scheute lange Zeit die Konfrontation mit den iranischen Machthabern. So hatte Bundespräsident Steinmeier 2019 dem Regime „auch im Namen meiner Landsleute“ zur islamischen Revolution gratuliert. Welche Fehler hat die Bundesrepublik bei der Iran-Politik begangen?

In Deutschland hat man sich seit den 1980ern von Leuten unter dem Deckmantel „Iran-Experten“ beraten und blenden lassen, die Ansichten vertreten haben, die direkt oder indirekt dem iranischen Regime das Überleben gesichert haben. Auch der sogenannte „Kulturdialog“ wurde häufig dazu ausgenutzt, die Narrative des Regimes zu verbreiten und das Regime zu relativieren. Zudem haben wirtschaftliche Interessen mit dem Regime eine größere Rolle gespielt als die Menschenrechtsverletzungen im Iran.

Die jahrzehntelange Desinformationskampagne gegen den iranischen Widerstand, produziert durch Regimemedien und Regimevertreter und eben die erwähnten „Iran-Experten“ hat dafür gesorgt, dass sich der iranische Widerstand in Europa kein Gehör verschaffen konnte, auch wenn immer mehr Abgeordnete und andere Würdenträger nach langer Überzeugungsarbeit den iranischen Widerstand unterstützten. Ich hoffe sehr, dass vor allem dieser Fehler in Zukunft abgestellt wird, denn der Sturz des Regimes durch das Volk und seinen organisierten Widerstand ist die beste und einzige Lösung aller Probleme, die Europa mit dem Iran hat. Dies muss in das Verständnis der deutschen Regierung übergehen. 

„Der Startknopf für den Umsturz ist bereits gedrückt“

Was fordern Sie nun von der deutschen Politik und der internationalen Gemeinschaft?

Mit schönen Worten und halbherzigen Sanktionen ist den Menschen im Iran nicht geholfen. Das Regime muss nun mit härteren Maßnahmen unter Druck gesetzt werden. Dazu gehört der Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die Schließung aller Botschaften des Regimes und die Anklage von iranischen Führungspersonen vor internationalen Gerichten wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie eine Listung der IRGC und des MOIS auf der EU-Terrorliste.

Auch der Abbruch der Atomverhandlung muss debattiert werden, ebenso muss Deutschland dafür werben, dass im UN-Sicherheitsrat das Dossier über die Menschenrechtsverbrechen im Iran debattiert wird. Es muss eine internationale Ablehnung des Regimes auf allen Ebenen geben.

https://www.merkur.de/politik/iran-proteste-demo-chamenei-interview-frankfurt-sahar-sanaie-exklusiv-zr-91865852.html

Bisher viel  verbale Unterstutzung und nun ein luxuriöser Streit wie feministisch denn Aussenpolitik zu sein habe oder ob sie das sei. In einem genervten Beitrag in der Zeit von Serap Güler fordert diese auf diesen Feministinnenstreit zu beenden und endlich zu handeln, wobei sie wie die SPD- Vorsitzende Esken oder der iranisch-stämmige FDP- Generalsekretär am Tabu des Atomdeals rüttelt.

„Nennt eure Politik, wie ihr wollt, aber handelt endlich

Europa tut genug, um zu sagen, dass der Westen nicht mehr das iranische Regime stützt. Doch es ist zu wenig, um den mutigen Menschen im Iran substanziell zu helfen.

Von Serap Güler

21. Oktober 2022

 einen Monat lang hat Europa mit einer Antwort auf die systematische Unterdrückung der iranischen Bevölkerung warten lassen. Mit dem Treffen der EU-Außenminister und -Außenministerinnen wurden Sanktionen gegen elf Personen und vier Organisationen verabschiedet. Man einigte sich darauf, Vermögenswerte einzufrieren und Einreiseverbote zu verhängen. Genug, um zu sagen, dass der Westen zumindest nicht mehr das iranische Regime stützt. Zu wenig allerdings, um den mutigen Menschen im Iran substanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.

Dass die Bundesregierung seiner im Koalitionsvertrag festgelegten „feministischen Außenpolitik“ nicht gerecht wird, ist offensichtlich. Man möchte nach all dem Druck der vergangenen Wochen einfach nur noch sagen: gut, geschenkt. Nennt eure Politik, wie ihr wollt: aber tut endlich was. Denn es geht längst nicht mehr nur um Begrifflichkeiten, es geht darum, wie die Bundesrepublik zielgerichtet die Protestierenden im Iran dabei unterstützen kann, einen Weg aus diesem verbrecherischen und menschenverachtenden System zu finden. Das Momentum war nie günstiger: Wir sehen eine so noch nie vorhandene Solidarität zwischen verschiedenen Ethnien und den Geschlechtern. Die Zivilgesellschaft ist stark wie nie.

Daher können wir unser Nichthandeln nicht mehr damit rechtfertigen, dass ein Atomabkommen im Raum steht, welches um keinen Preis scheitern darf. Denn wie glaubwürdig ist ein Deal mit einem Regime, das seine Bevölkerung niederprügelt? Das seine Kinder auf offener Straße erschießt? Das die strukturelle Entmachtung der Frau als Legitimation nutzt? Will sich die Bundesregierung ernsthaft mit diesen Leuten an einen Tisch setzen? Und glaubt sie wirklich, dass diese Regierung sich an irgendeine Art von Abmachung hält?

Einem künftigen Atomprogramm fehlt jegliche Grundlage

Ich bin mir sehr wohl der Gefahr bewusst, dass ein atomarer Rüstungswettlauf in dieser Region droht. Ich bin mir auch der internationalen Verantwortung Deutschlands bewusst, dieses Szenario mit allen diplomatischen Mitteln zu verhindern. Und trotzdem müssen wir ehrlich sein und uns eingestehen, dass einem künftigen Abkommen jegliche Grundlage fehlt. Wer garantiert uns denn die Bereitschaft der Iraner, ihr Atomprogramm transparent zu machen? Und selbst wenn sie es tun würden, was passiert nach der nächsten Wahl in Amerika? Die Wahl Trumps hat gezeigt, dass Abkommen an Regierungszeiten gebunden sein können. Ein Abkommen mit dieser Aussicht wird auch den Iranern nicht reichen.

Insofern wäre das Einfrieren der Gespräche über das Atomabkommen zwar auch nur ein Zeichen, aber eben ein weit wirkungsvolleres als das bloße Sanktionieren. Wir sollten auch dringend in Deutschland die Freunde des iranischen Regimes stärker in den Fokus nehmen: Das islamische Zentrum in Hamburg wird beispielsweise schon seit Langem vom Verfassungsschutz beobachtet und gilt als der verlängerte Arm Teherans. Daher kann die von den EU-Außenministern und -Außenministerinnen verabschiedete Erklärung auch nur ein erster Schritt sein. Noch einen Monat sollte die Bundesregierung nicht verstreichen lassen, bevor der nächste folgt. Denn die Uhr tickt für die Mullahs. Zeit ist das wertvollste Gut dieser Regierung. Sie pocht darauf, dass Europa wieder wegschaut, sobald es sich an die Zustände gewöhnt hat. Doch das dürfen wir nicht zulassen, denn diese mutigen Frauen und Männer verteidigen im Iran gerade das, was für uns selbstverständlich und die Basis unserer Werte ist: Freiheit.

In Berlin, Köln oder München auf die Straße zu gehen und für oder gegen etwas zu protestieren, erfordert wenig Mut. Es gehört zu unseren Rechten, die uns ein freier Staat ermöglicht. Mut ist das, was die Menschen gerade im Iran zeigen: gegen ein Regime zu protestieren, das ihnen die Freiheit vorenthält. Daher ist es unsere verdammte Pflicht, dass wir unsere wertegeleitete Außenpolitik auch konsequent zu Ende denken. Denn im Iran geht es schon lange nicht mehr nur um Reformen. Die Mehrheit der Menschen will nicht, dass die Gesetze verändert werden, sie will, dass sie abgeschafft werden. Und dafür verdienen sie unsere anhaltende Unterstützung.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-10/demonstrationen-iran-regime-gewalt

Ein Gespräch mit der aus dem Iran stammenden US-amerikanischen Journalistin Masih Alinejad über die anhaltenden Proteste gegen das Regime in der Jungle World vergleicht das Kopftuch mit der Berliner Mauer, kritisiert, dass der Westen nicht wie bei Putin scharfe Sanktionen ergreift und die Chance eines regime changes nutzt. Dennoch räumt sie ein, dass es ein langer Weg sein könnte und dass Khameini auch eine chinesische Lösung, ein Massaker bevorzugen könnte, zumal alles bisher nur auf der Hoffnung bestehe, dass sich das Militär und Teile des Sicherheitsapperates passiv verhalten oder zu den Demonstranten überlaufen würden. Dass da eventuell ein neues Syrien herauskommen könnte, wird jedoch zweckoptimistisch erst gar nicht thematisiert.

»Fällt das Kopftuch, fällt die Islamische Republik«

Auf den Straßen iranischer Städte verbrennen Frauen ihre Kopftücher – ein Kampf gegen die wichtigste Säule der Diktatur. Die anhaltenden Proteste seien der Anfang vom Ende des Regimes, sagt Masih Alinejad. Nach einer Festnahme verließ die 2009 den Iran, 2014 gründete sie die Facebook-Seite »My Stealthy Freedom«, auf der unverschleierte iranische Frauen Fotos von sich teilen.

Der Aufstand im Iran dauert schon einen Monat an. Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass er zum Ende der Islamischen Republik führen wird?

Ich denke, es liegt ein langer, harter Weg vor uns. Aber das ist der Anfang vom Ende.

Es gab bereits mehrfach große Proteste gegen das Regime, zum Beispiel im Jahr 2009 und 2019/2020. Was unterscheidet die derzeitige Revolte von vorherigen?

Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik verbrennen Frauen ihre Kopftücher in aller Öffentlichkeit auf den Straßen. Es handelt sich um eine große Anzahl von Frauen, überall im Iran. Das ist von höchster Bedeutung: Diese Frauen haben beschlossen, dem Regime der Geschlechterapartheid ein Ende zu setzen. Das Kopftuch ist alles andere als ein kleines Stück Stoff. Es ist die wichtigste Säule der religiösen Diktatur. Ab dem siebten Lebensjahr dürfen Mädchen nicht mehr zur Schule gehen, wenn sie ihren Kopf nicht bedecken.

 »In meinen Augen herrscht große Übereinstimmung darin, dass die brutale Ermordung Mahsa Aminis ein Wendepunkt für das frauen­feindlichste Regime der Welt ist.«

Ich sage immer: Der Kopftuchzwang ist die Berliner Mauer der Islamischen Republik. Der sogenannte Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, hat mich deshalb als eine US-amerikanische Agentin bezeichnet. Es muss aber festgehalten werden: Diese Bewegung, dieser Aufstand, diese Revolution wird von Frauen im Iran angeführt, die ihre Kopftücher verbrennen. Ich denke, Khamenei ist sehr wohl bewusst, dass es sich mit dem Kopftuch wie mit der Berliner Mauer verhält: Fällt es, fällt die Islamische Republik. Deshalb hat das Regime so große Angst vor Frauen.(…)

Dass es sich um einen von Frauen initiierten und angeführten Aufstand handelt, ist sicher das auffälligste Merkmal. Können Sie noch weitere Unterschiede zu zurückliegenden Protesten ausmachen?

Vergangene Proteste begannen in Großstädten wie Teheran oder Mashhad. Dieses Mal begann der Aufstand in Kurdistan und hat sich von dort auf andere Städte ausgeweitet. In der Vergangenheit hat das Regime stets versucht, die kurdische Bevölkerung des Iran als Fremdkörper abzustempeln und so einen geeinten Protest zu unterminieren. Aber dieses Mal zeigt die gesamte Bevölkerung des Iran, dass sie gemeinsam für dasselbe Ziel kämpft. Diese Einigkeit ist neu und einzigartig.

Lässt sich eine solche Einigkeit auch bei Exiliranern beobachten, unter denen es ja nicht nur einander freundlich gesinnte Fraktionen gibt?

Sie ist zurzeit auch bei den Iranerinnen und Iranern im Ausland zu beobachten. Es gab Solidaritätsdemonstrationen in mehr als 100 Städten außerhalb des Iran. Die internationale Reaktion auf den Aufstand ist ebenfalls etwas Besonderes: In meinen Augen herrscht große Übereinstimmung darin, dass die brutale Ermordung Mahsa Aminis ein Wendepunkt für das frauenfeindlichste Regime der Welt ist. Ich habe jahrelang vor den Gefahren des Kopftuchzwangs und der Moralpolizei gewarnt, wurde aber, wie andere auch, ignoriert. Oder mir und anderen wurde »Islamophobie« vorgeworfen, es wurde gesagt, das sei eben die Kultur im Iran, es handele sich um eine interne Angelegenheit des Lands.

Aber jetzt scheinen deutlich mehr Leute in aller Welt zu verstehen, was im Iran los ist. Sie scheinen zu verstehen, dass eine Revolution der Frauen stattfindet, die die Geschlechterapartheid abschaffen wollen. Es gibt also nicht nur große Einigkeit unter den Iranerinnen und Iranern im Ausland, sondern auch große Solidarität von Nichtiranern, darunter ­etliche prominente Persönlichkeiten.

In der vergangenen Woche verhängte die EU neue Sanktionen gegen den Iran. Zuvor hatten Kanada, die USA und Großbritannien ähnliche Schritte unternommen. Wie wirkungsvoll sind diese Maßnahmen?

Das sind gute Schritte, aber sie genügen nicht. Die Sanktionen treffen nicht die obersten verantwortlichen Schlächter der Menschen im Iran. Schritte gegen die Moralpolizei und Mitglieder der Revolutionsgarden sind zu begrüßen. Doch gleichzeitig versucht der Westen immer noch, einen Atomdeal mit diesen Mördern abzuschließen. Westliche Politiker verurteilen das brutale Vorgehen gegen die Menschen auf den Straßen, unterbinden aber nicht, dass das Regime weiterhin mit Milliarden versorgt wird. Sie unternehmen kleine Schritte und halten dennoch Verbindungen zu den Mördern aufrecht. Aber man kann doch nicht von Demokratie reden und zugleich diese Autokraten unterstützen. Dieser Widerspruch muss kritisiert und verurteilt werden. Mit diesem Verhalten hintergehen westliche Politiker auch die Öffentlichkeit, die zurzeit ihre Wut auf das iranische Regime zeigt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die US-Regierung hat Sanktionen gegen die Revolutionsgarden verhängt. Aber erst vor einem Monat hat sie ein Visum für ein Mitglied der Revolutionsgarden ausgestellt, das zu einer iranischen Delegation gehörte, die nach New York City kam. Wie kann man die Revolutionsgarden auf die Terrorliste setzen, aber zugleich einem ihrer Mitglieder ein Visum erteilen? Das ergibt keinen Sinn. Ähnliches geschieht in anderen westlichen Ländern. Es gibt Sanktionen gegen die Revolutionsgarden als Organisation, aber deren Mitglieder und wiederum deren Familienangehörige können sich weiterhin im Westen bewegen, können dort ein luxuriöses Leben führen und Geschäfte machen.

Wie beurteilen Sie die deutsche Rolle im Umgang mit dem Regime?

Deutschland muss sich jetzt die Frage stellen: Ist es für Demokratie oder für Autokratie und Diktatur? Die Iranerinnen und Iraner träumen von Freiheit und Würde, und sie bezahlen zurzeit einen hohen Preis dafür. Sie bitten die deutsche Regierung nicht darum, sie zu retten oder ihnen Demokratie zu bringen. Es ist ganz einfach: Sie wollen, dass die deutsche Regierung aufhört, die Mörder zu unterstützen, indem sie weiter Geld an sie fließen lässt. Die deutsche Öffentlichkeit muss diesen Skandal verurteilen. Dieses Regime ermordet Teenager auf den Straßen.

Haben Sie denn auch Unterstützung aus Deutschland erhalten?

Im Allgemeinen schon sehr, etwa als ich mich vor Jahren wegen meiner Kritik am Kopftuchzwang einer Hetzkampagne ausgesetzt sah. Ich dachte deshalb: Die Leute in Deutschland stehen auf der Seite der Iranerinnen und Iraner, sie tun unseren Kampf nicht einfach ab. Auch als ich 2015 Claudia Roth dafür kritisierte, dass sie sich auf einer Iran-Reise dem Kopftuchzwang gebeugt hatte, erhielt ich viel Zuspruch aus Deutschland. Deshalb appelliere ich jetzt an die deutsche Öffentlichkeit: Üben Sie Druck aus auf die deutsche Politik! Verhindern Sie, dass Geld an Khamenei und andere Terroristen fließt, etwa über das Islamische Zentrum in Hamburg! Zudem fördert das deutsche Außenministerium Leute wie Adnan Tabatabai.

Tabatabai war vor kurzem in den Schlagzeilen in Deutschland. Die Menschenrechtlerin Mina Ahadi sagte der Bild-Zeitung, er komme aus einer Familie, die dem Regime nahesteht, und versuche, diesem im Ausland ein freundliches Image zu verleihen. Der von ihm geleitete Verein Carpo wird vom Auswärtigen Amt bezuschusst. Registrieren die Menschen im Iran, dass solche Dinge in Deutschland vor sich gehen?

Die Iraner, die gerade sehen, wie Leute in den Straßen ermordet werden, sind wütend darüber, dass die deutsche Regierung jemanden wie Tabatabai finanziell fördert. Ich konnte das in den sozialen Medien sehen.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte vor drei Wochen: »Wenn die Polizei, wie es scheint, eine Frau zu Tode prügelt, weil sie aus Sicht der Sittenwärter ihr Kopftuch nicht richtig trägt, dann hat das nichts, aber auch gar nichts, mit Religion oder Kultur zu tun. Dann ist das schlicht ein entsetzliches Verbrechen.« Was würden Sie ihr entgegnen?

Es handelt sich um eine Religionsdiktatur, ob man es wahrhaben will oder nicht. Die Iranerinnen und Iraner haben sich längst entschieden: Sie wollen eine Trennung von Religion und Politik. Um das zu unterstützen, muss die deutsche Regierung die religiösen Fanatiker an der Spitze des iranischen Regimes boykottieren.

Es gibt auch noch die wirtschaftliche Seite: Deutsche Unternehmen machten in der Vergangenheit große Geschäfte im Iran. Seit 2018 hat sich das wegen der verschärften US-Sanktionen zwar etwas geändert. Die Wirtschaftswoche berichtete aber jüngst, die Zahl der deutschen Firmen, die weiterhin im Iran operieren, liege im dreistelligen Bereich. Das Fazit des Berichts: Im Iran sind weiterhin alle erdenklichen deutschen Produkte erhältlich. Sehen Sie Möglichkeiten, im wirtschaftlichen Bereich größeren Druck auszuüben?

Das ist schwierig. Aber glauben Sie mir: Handel und Geldfluss werden keine Stabilität und Sicherheit bringen. Deutschland hat doch bereits Erfahrungen mit dem Terror des islamischen Regimes gemacht, erinnert sei an das sogenannte Mykonos-Attentat in Berlin im Jahr 1992, bei dem der iranische Geheimdienst vier iranische Exilpoli­tiker ermordete. Das iranische Regime hält deutsche Staatsbürger beziehungsweise Personen mit deutsch-iranischer Staatsbürgerschaft in seinen Gefängnissen als Geiseln und als Druckmittel für Verhandlungen. Geld wird keine Sicherheit bringen.

»Wenn die demokratischen Staaten nicht konsequente Maßnahmen ergreifen, werden die Revolutions­garden den Aufstand mit einem großen Massaker niederschlagen.«

Die Welt sollte deshalb die iranischen Stimmen des Widerstands und der Revolution anerkennen, die die Diktatur abschaffen wollen. Es darf nicht vergessen werden: Diese Revolution dient nicht nur den iranischen Frauen. Die Menschen im Iran riskieren ihr Leben auch dafür, die Region und die Welt von einem der gefährlichsten Regime zu befreien. Ein weiteres Beispiel: Viele Drohnen, die Russland zurzeit gegen die Ukraine einsetzt, hat die Islamische Republik geliefert. Sie macht sich damit auch an Putins Kriegsverbrechen mitschuldig, die sich gegen ukrainische Zivilisten richten.

Sehen Sie weitere Verbindungen zwischen dem Kampf gegen den russischen und den iranischen Autoritarismus?

Wir müssen aus dem Ukraine-Krieg lernen. Jahrelang warnten Aktivisten vor Putin, sie forderten Boykotte, ein entschiedenes Vorgehen gegen den russischen Autoritarismus, kritisierten, dass Russland einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat erhielt. Diesen Leuten wurde vorgeworfen, sie seien Kriegstreiber, die einen Konflikt mit Russland heraufbeschwören wollten. Doch mittlerweile ist der Krieg da, Putin hat ihn begonnen. Ähnliche Erfahrungen habe ich gemacht. Auch mir wurde vorgeworfen, ich fordere einen Krieg gegen den Iran. Und nun führt das iranische Regime Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Man hat es bei Putin und Khamenei mit Kriegstreibern zu tun, die sich gegenseitig unterstützen. Es ergibt deshalb auch keinen Sinn, zwar gegen Putin vorzugehen, aber im Fall von Khamenei mit anderem Maß zu messen und diesem sogar weiterhin auf irgendeine Weise einen Atomdeal in Aussicht zu stellen.

Um noch einmal auf die Lage im Iran zurückzukommen: Hier und da gibt es in Zeitungsartikeln und den sozialen Medien Spekulationen darüber, ob sich Einheiten der ira­nischen Armee dem Aufstand anschließen und gegen das Regime wenden könnten. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Das ist eine große Hoffnung. Ich habe aber bislang nichts von einer solchen Entwicklung in der Armee gehört. Es gibt sogar Appelle an Mitglieder der Revolutionsgarden, ihre Waffen niederzulegen. Doch all das ist wie gesagt nur eine Hoffnung.

Gibt es andere Anzeichen, dass sich etwas bewegt?

Fatemeh Motamed-Arya, eine sehr ­bekannte Schauspielerin, die lange Zeit für eine Kunstinstitution der Revolu­tionsgarden gearbeitet und den Kopftuchzwang unterstützt hat, hat ein ­Video veröffentlicht, in dem sie sich ohne Kopftuch zeigt – aus Protest da­gegen, dass das Regime in den vergangenen Tagen ein Foto von ihr mit Kopftuch auf einer riesigen Anzeigetafel in Teheran verwendet hat. Im Video sagt sie: »Nein, ihr könnt mich nicht benutzen. Jetzt bin ich die Mutter derjenigen, die ermordet wurden.« Das ist eine neue Entwicklung. Auch Fußballer der Nationalmannschaft haben sich öffentlich geäußert und es sogar ab­gelehnt, weiterhin für die Nationalmannschaft zu spielen, während Kinder und Teenager auf den Straßen ermordet werden. Ölarbeiter streiken, Lehrer und Universitätsdozenten ebenfalls. Das sind große neue Entwicklungen. Vielleicht führen sie dazu, dass auch Soldaten der Armee sich auf die Seite der Revolution stellen.

Selbst wenn sich die Armee an dem Aufstand beteiligen würde, gäbe es noch die Revolutionsgarden. Sie sind schwer bewaffnet und verfügen über etwa 190 000 Soldaten. Wie lässt sich diese militärische Macht des Regimes besiegen?

Unsere große Sorge ist diese: Wenn die demokratischen Staaten nicht konsequente Maßnahmen ergreifen, werden die Revolutionsgarden nicht daran gehindert, den Aufstand mit einem großen Massaker niederzuschlagen. Die Welt muss dem iranischen Regime nun genauso entschieden entgegentreten, wie sie es bei Putin getan hat. Ich hoffe, sie wacht nicht erst auf, wenn das Massaker bereits geschehen ist.

In der grünen taz wiederum veröffentlicht der iranische Altoppositionelle Nirumand einen Appell, in dem er sehr siegesgewiss ist, aber in dem er auch zeigt, dass die momentane Entwicklung der Proteste noch nicht den break even point erreicht hat, sondern davon erst die Rede sein könne, wenn die Massenproteste auch die Arbeiter und die Bazarhändler und breite Teile der Bevölkerung erfasst und die Bewegung eine programmatsiche Alternative vorlegen muss, die auch an die sozialen, wirtschaftlichen und anderen  Interessen der Restbevölkerung über das Kopttuch hinaus ansetzt:

„Ab in die historische Mülltonne

Das iranische Regime ist nicht reformierbar und gehört abgelöst. Es braucht eine überzeugende Alternative und die Ausweitung der Proteste.

Die landesweiten, seit fünf Wochen andauernden Proteste in Iran stellen einen weiteren Höhepunkt des jahrzehntelangen mühsamen Kampfes für Freiheit, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit dar. Sie bilden im Vergleich zu den Protesten der letzten Jahre einen qualitativen Sprung. Jetzt geht es nicht mehr um einzelne wirtschaftliche oder soziale Forderungen, sondern um das gesamte System, um einen Regimewechsel.

Die schreckliche Geschichte der vergangenen 43 Jahre zeigt, dass dieses durch und durch korrupte Regime nicht nur nicht willens ist, den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung entgegenzukommen, es beharrt auch auf die Fortsetzung der ideologisch verbrämten und religiös getarnten Irrwege. Wie oft sind die Menschen, hoffend auf grundlegende Reformen, geduldig zur Wahl gegangen, wie oft haben sie auf den Straßen, in den Fabriken, an den Universitäten für die Durchsetzung ihrer Forderungen protestiert.

Doch alle ihre Rufe und Schreie stießen auf taube Ohren. Dieses Regime ist nicht reformierbar ist. Es gehört in den Mülleimer der Geschichte. Können nun die vorwiegend jungen Frauen und Männer, die mit bewundernswertem Mut, Tag für Tag ihr Leben riskieren, diese historische Entwicklung vorantreiben? Die Proteste sind spontan, es gibt noch keinen klaren Plan, keine Organisation, keine Führung.

Die Rebellierenden können ihr Ziel nur erreichen, wenn sie landesweit von Werktätigen, staatlichen Angestellten, vom Basar und anderen Bevölkerungsgruppen unterstützt werden, und wenn es ihnen gelingt, das Militär, die Revolutionsgarden, ja sogar Teile des Regimes zu spalten. Das ist bisher nur sporadisch geschehen. Zudem müssen sie eine für die Mehrheit der Bevölkerung überzeugende Alternative bieten.

Noch hat das Regime alle Hebel der Macht in der Hand und ist bereit, sie skrupellos einzusetzen. Es kann sogar – noch dazu mit Hilfe eines deutschen Unternehmens – das Internet und die sozialen Netzwerke sperren. Fest steht, dass es nicht freiwillig das Feld räumen wird. Fest steht aber auch, dass im Gebälk des Gottesstaates schon starke Risse sind. Das Regime, das einst über eine breite Basis in der Bevölkerung verfügte, steht wie eine fremde Besatzungsmacht einem Volk gegenüber, das jegliches Vertrauen verloren hat.

Gerade die Jugendlichen, die sich in diesen Tagen mit leeren Händen den bewaffneten Schergen entgegenstellen, die frei sein und selbstbestimmt leben wollen, haben dem Regime einen harten Schlag versetzt, von dem es sich nicht mehr erholen wird. Mag sein, dass dies noch nicht der letzte Schlag ist. Aber der Gottesstaat steht am Abgrund. Seine Tage sind gezählt.

https://taz.de/Proteste-in-Iran/!5887535/

Wahrscheinlich wird aber Scholz, Grossteile der SPD und die Iranexperten des  Aussenministeriums weitergehende Sanktionen gegen den Iran ablehnen, insofern sie nicht von den USA dazu getrieben werden und eher eine Positition wie Sabine Kebir im linksliberalen Freitag einnehmen:

„Bombe statt Abkommen

Iran Neue Sanktionen werden die Nukleargespräche endgültig zum Erliegen bringen und es wäre eine fatale Konsequenz endgültig gescheiterter Verhandlungen, wenn der Iran in den Besitz eigener Kernwaffen kommt (…)

Ausgabe 41/2022

Fatale Konsequenz

Dass die Verhandlungen seitdem stagnieren, ist vorrangig auf die derzeitige militärstrategische Situation zurückzuführen, die zu einer massiven Konfrontation der NATO mit Russland geführt hat. Der Iran steht hier nicht nur politisch an der Seite Moskaus, er liefert auch Waffen wie Drohnen des Typs „Shahed 136“. Überdies dürfte klar sein, dass Russland als Garantiemacht eines reaktivierten Abkommens aus der vom Westen betriebenen diplomatischen Isolation herausträte. So stehen derzeit weder eine Rückkehr zu vertraglich geregelten Zuständen noch der Verzicht auf Sanktionen an, sondern deren Ausweitung – und vielleicht wirklich die iranische Atombombe. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die islamische Ordnung der Mullahs zu Fall gebracht wird, eher könnten Reformer innerhalb der Theokratie an Boden gewinnen. Doch auch sie betrachten Kernwaffen im Fall des Falls als Sicherheitsgarantie.

https://www.freitag.de/autoren/sabine-kebir/sanktionen-gegen-teheran-sind-ein-sicherer-weg-ein-atomabkommen-zu-verhindern

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