Osama Bin Laden tot–der politische Islamismus lebt
Kaum, dass die Navy Seals Bin Laden in seinem Versteck gestellt und erschossen hatten, kam es weltweit zu recht unterschiedlichen Reaktionen. Zum einen bezweifeln Verschwörungstheoretiker, dass Bin Laden erschossen wurde. Während die einen davon ausgehen, dass er noch lebt, meinen die anderen, dass er schon 2001 in Tora Bora getötet wurde und die USA eine Art Medienphantom 10 Jahre aufrechterhalten hätten, um ihren War on Terror zu führen, das sie nun im Schatten der Finanzkrise selbst mittels einer Medieninszenierung der Marke Wag The Dog aus dem Verkehr gezogen hätten. Die kühnste Darstellung ist noch von Infokrieg, in der behauptet wird Bin Ladens Leiche sei 10 Jahre auf Eis eingefroren gewesen, um ihr jetzt einen Abgang zu verschaffen—Bin Laden on the rocks!(http://infokrieg.tv/wordpress/2011/05/02/insiderquellen-bin-ladens-leiche-lag-10-jahre-auf-eis/). Die geheime Beseitigung der Leiche auf See, sowie ein gefälschtes Photo, die Weigerung der US-Regierung, ein Photo vom toten Bin Laden zu veröffentlichen, die Erklärungen der US-Regierung, dass Bin Laden sich bewaffnet gewehrt hätte und dann wiederum, dass er unbewaffnet war,die Tatsache, dass er in einer Hochburg des pakistanischen Militärs hauste, heizen die Spekulationen nur an.Wie reagierten andere islamistische Gruppen darauf? Bezeichnend ist, dass weder die Muslimbruderschaft, noch die Hamas, die afghanische oder pakistanische Taliban oder Iran die Version der USA in Zweifel stellten. Die Erschiessung Bin Ladens wurde als Fakt genommen und dort nur unterschiedlich kommentiert. Während Al Kaida vorerst auffällig schwieg, sollen nun Internetankündigungen möglicher Racheanschläge erschienen sein (ohne konkrete Quellenmeldung).Während die afghanische Taliban recht distanziert schwieg, kündigte die pakistanische Taliban umgehend Rache an der pakistanischen Regierung und dem Militär an, die Hamas lobte Bin Laden als „heiligen Krieger“ und der Iran kommentierte das Ereignis mit der Forderung, dass es nun keinen Grund mehr für die US-Besatzung im Irak und in Afghanistan gebe und die USA sich aus dem Greater Middle East verabschieden solle. Saudiarabien reagierte mit offensichtlicher Erleichterung auf die Tötung ihres schwarzen Schafes, das das wahhabitische Scheichtum solange in Verruf gebracht hatte, wenngleich auch die Sister-in-law von Osama Bin Laden, Carmin Bin Laden meinte, in Saudiarabien sei man trotzdem der Ansicht, er sei ein „good Muslim“ (CNN). Die Muslimbruderschaft in Ägypten meinte, dass damit die Gründe für den Terrorismus nicht beseitigt wären, die diese in der US-Politik im Nahen Osten sieht und speziell in der Israelpolitik der USA. Sie fordert –wie Iran– einen Rückzug der USA aus Afghanistan und Irak und eine Neudefinition des Begriffes Terrorismus. Die Muslimbruderschaft unterscheidet den Terrorismus Bin Ladens von dem Terrorismus der Hamas, der sich nur gegen eine Besetzung des eigenen Landes richte. Auf ihrer Webseite schreiben die Muslimbrüder:
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Ansonsten blieb die arabische Strasse sehr gelassen und interessiert es auch viele Muslime gar nicht, da sie gerade ihre eigenen demokratischen Revolutionen durchführen und El Kaida für sie völlig uninteressant ist. El Kaida hatte im Gegensatz zu anderen Islamisten auch nie eine Massenbasis, sondern war eine grossteils isolierte Terrororganisation, die aufgrund ihrer Selbsmordattentate, bei der viele Muslime getötet wurden, sich auch selbst von den Massen entfremdete und zunehmend als Gefahr und Bedrohung für Muslime wahrgenommen wurde.
Während in den USA ein patriotischer Freudensturm tobte, wird dies in Europa mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Merkels Äusserung, dass sie Freude über Bin Ladens Erschiessung empfinde, wurde sofort mit humanitär-christlichen Grundsatzdiskussionen von SZ über FAZ und Taz gekontert, ob man sich über die Tötung seines Feindes freuen dürfte oder ob man in diesem Falle den Boden der Zivilisation verlasse und niederen Instinkten freien Lauf gebe. Desweiteren kam gleich völkerrechtliche Kritik: War dies eine Kill Mission oder aber warum hat man Bin Laden nicht verhaftet und vor ein Gericht gestellt? Sowohl in Europa, wie in den USA kommt nun die Diskussion auf, ob man den War on Terror zu seinem 10-Jahrestag beenden, sich aus Afghanistan und Irak zurückziehen und die Sicherheitsgesetze auslaufen lassen soll. Die jeweiligen westlichen Regierungskreise warnen jedoch vor einen vorschnellen Entwarnung, wie sie auch den Afghanistaneinsatz als eben nicht nur gegen Al Kaida gerichtet sehen, sondern zur Stabilisierung Afghanistans, damit sich dort keine Rückkehr der Taliban und wiederholte Rückkehr von Terroristencamps breitmacht. Afghanistan Präsident Karsai verwies darauf, dass der Terrorismus vor allem in Pakistan und nicht in Afghanistan hause und man daher dort eher den Kampf führen solle.Speziell in den USA wird nun auch die Rolle Pakistans in den Fokus genommen. Wie konnte sich Bin Laden in einer übersichtlichen Kleinstadt inmitten ranghoher pakistanischer Militärs, nächst der Sicherheitszone der nationalen Militärakademie und so nahe bei der Hauptstadt Islamabad so lange Zeit unentdeckt und ohne Unterstützung aufhalten?
Forderungen kommen nun auf, dass Pakistans Regierung hier eine grundlegende Reform ihres Geheimdienstes und Militärs vornehmen soll, wie auch als Drohung die Kürzung der Wirtschafts- und Militärhilfe für Pakistan nun offen in Kongresskreisen diskutiert wird. Ein Artikel des pakistanischen Ministerpräsidenten Zardari in der Washington Post, in der er die Unterstützung des War on Terrors durch Pakistan betont, konnte die Gemüter nicht abkühlen. Eine Folge der Bin Ladenerschiessung wird nun wohl sein, dass die USA eine weitergehende Demokratisierung Pakistans fordern werden.Der Afghanistankenner und Bundeswehrarzt Erös, der schon zu Zeiten des Kalten Krieges die Mudjaheddin in Afghanistan aufgerüstet hatte und auch Bin Laden persönlich kannte, erklärte auch, die wesentliche Gefahr gehe mehr von einer wahhabitischen Islamisierung des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes ISI aus als von Al Kaida. Hier kommt er auch auf den wesentlichen Punkt zu sprechen:
Al Kaida ist eine derart heterogene, fragmentierte und kleine Terrororganisation ohne jegliche Massenunterstützung, dass sie zwar einige Attentate begehen kann, nie aber einen westlichen Staat ernsthaft in dessen Existenz gefährden kann oder aber die Möglichkeit hätte selbst ein Kalifat oder einen ihr genehmen Gottesstatt zu errichten. Die wesentliche Herausfordeung für den Westen und die demokratisch-säkularen Revolutionäre in der muslimischen Welt ist der politische Islamismus mit Massenbasis—konkret: Khameini/Ahmadinedschads Iran, Muktadar el-Sadr in Irak, Hisbollah im Libanon, die Taliban in Pakistan und Afghnaistan, die Hamas in Palästina, die sich zunehmend islamisierenden pakistanischen Militärs und Geheimdienstoffiziere und die ganzen Muslimbruderschaften in der sunnitisch-arabischen Welt.Diese verfügen über eine Massenbasis und das Potential die Staatsgewaltzu erobern und das staatliche Gewaltmonopol sowohl innen- wie aussenpolitisch zu nutzen.Von daher ist es wichtig die demokratischen Revolutionen in den muslimischen Ländern zu fördern und die islamischen Bewegungen zu moderieren oder isolieren. Al Kaida wird sterben, aber es ist noch zu früh von einem „Untergang der islamischen Welt“ oder gar einem postislamistischen Zeitalter in den muslischen Staaten zu sprechen, denn der politische Islamismus mit Massenbasis existiert ungebrochen fort. Der eigentliche Kampf hat jetzt erst begonnen. Wobei man die drehbuchmässige Erschiessung des „bad guy“ Bin Laden auch keineswegs als Beginn eines Rückzuges lesen könnte, sondern ebenso als Ankündigung jetzt den War on Terror auch auf Pakistan auszuweiten.