Anschlag in Berlin–staatliche Verwicklung, zu lasche Gesetze oder lauter Behördenpannen?

Anschlag in Berlin–staatliche Verwicklung, zu lasche Gesetze oder lauter Behördenpannen?

Hier einmal zur Diskussion gestellt: Handelte es sich bei den sogenannten Behördenpannen um Anis Amri und das Berliner Attentat nur um unglückliche Zufälle oder eine bewusste staatliche Verwicklung des Sicherheitsapperates, die zum Ziel hat die deutsche Flüchtlings- und Sicherheitspolitik zu verändern? Handelt es sich gar nicht um Behördenpannen, sondern um zu lasche Gesetze wie der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Wendt meinte, der eine Verschärfung eben jener Gesetze forderte und auch schon in der rechtsradikalen COMPACT-Postille Jürgen Elsässers ein Interview gab, jenem Elsässer, der nun infolge des Anschlags eine Demo vor dem Bundeskanzleramt zum Sturz Merkels mit Götz Kubitschek, Gauland, Höcke und Pegidaleuten organisierte ? Jürgen Elsässer hatte schon während der Flüchtlingskrise 2015 einen offenen Brief an die Angehörigen der Bundeswehr und des Sicherheitsapperates geschrieben, die Gesetze in die eigene Hand zu nehmen und ohne Weisung der Bundesregierung den Schutz der Grenzen zu gewährleisten. Bezeichnenderweise folgte dem ein Papier von ungenannt bleibenden Mitgliedern des Sicherheitsapperates, der in der Welt veröffentlicht wurde und ebenso dazu aufrief, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, da Merkel eine Rechtsbrecherin sei. Heribert Prantl wiederum meinte, dass die Gesetze völlig ausreichend gewesen wären, um solche Gefährder wie Anis Amri in Untersuchungshaft zu stecken- wenn dem so wäre, warum geschah dies dann nicht? Ist dem überhaupt so oder stimmt, was Wendt sagt und Prantl hat unrecht? Wie weit gehen Wendts Gesetzesverschärfungen? Soll man Schutzhaft für die 597 Gefährder einführen, um diese tickenden Zeitbomben, die nicht rund um die Uhr observiert werden können aus dem Verkehr zu ziehen und alle Gefährdermoscheen- und vereine schließen und verbieten? Letzteres ist ja schon jetzt möglich.Wie verträgt sich dies mit dem Rechtsstaat? Schutzhaft gab es ja bei den Nazis gegen alle Oppositionellen von KPD, SPD, Zentrum, DDP bis hin zu eigenen NS-Dissidenten.Würde eine solche Schutzhaft, die zwar die Gefährder beseitigt, nicht den gesetzlichen Weg in die Gesinnungshaft ebnen, die dann auch sukkzessive ausgeweitet und auf andere Gruppen ausgeweitet werden kann, wenn man schon solch einen Präzendenzfall schafft? Zumal eben selbst in Frankreich im Ausnahmezustand auch nicht Schutzhaft, sondern Hausarrest und Fussfesseln gegen Gefährder verordnet werden. Und wie kam es, dass Pegidachef Lutz Bachmann noch vor der Regierung und den Medien von der Identität des Attentäters wußte-laut eigener Auskunft aus führenden Polizeikreisen?Und wie kann es sein, dass der marrokanische Geheimdienst den BND und das BKA mehrmals vor Anis Amri warnte, da er konkrete Attentatspläne hatte und darauf keine Reaktion erfolgte? Diese und andere Ungereimtheiten sollen hier einmal beleuchtet werden. Dazu zwei Artikel von der World Socialist Website, die die These einer gewollten Verstrickung des Sicherheitsapperates stützen und der Lihop (Let it happen on purpose)-These um 9-11 und um Pearl Harbour ähneln. Gegenargumente willkommen. Eines fiele mir schon ein: Wenn die Sicherheitsapperate solch ein Eigenleben führen würden, dann hätten sie schon längst eine geheime Gladio oder neue NSU organisieren und anleiten können, die die islamistischen Gefährder sukkzessive umbringt. Gegenargument wäre: Dass die beabsichtigte Änderung der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik breiter angelegt ist und es gar nicht um die Gefährder geht, sondern diese nützliche Idioten für einen sanften Staatsstreich sind. Ich selbst glaube nicht an diese Lihoptheorie, halte eher zu lasche Gesetze und Behördenversagen für ursächlich. Aber man will hier auch nicht andere Meinungen und Denkansätze zensieren, zumal das auch spannender als die müden Krimis im Fernsehen sind–Politthriller halt. Eine Dokumentation im deutschen Fernsehen brachte einen anderen Hintergrund. Amris Existenz als Gefährder und seine Verbindungen in der islamistischen Szene seien dem Pentagon,  der CIA und der NSA bewusst gewesen. Da Amri mit einem Führungskader des Islamischen Staates in Lybien per Handy telefonierte und in Verbindung stand, wollte man diese Daten zum Zwecke eines Drohnenangriffs auf die IS-Leute in Lybien seitens der CIA und des Pentagins nutzen, um sie zu orten und zu beseitigen. Daher habe die CIA die deutschen Geheimdienste, von BND über Polizei bis Landesverfassungsschutzämtern angewiesen, ihn weiter frei herumlaufen zu lassen, damit der Handykontakt erhalten und die Ortung möglich wurde. Die USA führrten dann auch den tödlcihen Drohnenangriff gegen Amris Kontaktleute in Libyen aus, aber Amris Anschlag auf den Weihnachtsmarkt war dafür der ungewollte Kollateralschaden dieser Aktion. Ein gewollter und erfolgreicher Auslandseinsatz des War on Terror zog demnach einen ungewollte, aber erfolgreichen Inlandsanschlag nach sich als Preis. Diskussion eröffnet.

Neue Hinweise auf staatliche Verstrickung im Anschlag von Berlin

Von Christoph Vandreier
24. Dezember 2016

In der Nacht auf Freitag wurde der flüchtige Anis Amri in Mailand von der Polizei erschossen. Es verdichten sich die Hinweise, dass der 24-jährige Tunesier den Lastwagen lenkte, der am Montag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen tötete und 50 verletzte. Die Umstände der Tat bleiben aber nach wie vor unklar und legen den Verdacht nahe, dass Teile des Staatsapparats in den Anschlag involviert waren.

Die Polizei präsentiert Amri zur Zeit als den Täter. Neben Ausweis und Mobiltelefon wollen die Ermittler auch dessen Fingerabdrücke an der Fahrertür des LKW gefunden haben. Zudem veröffentlichte die Presseagentur des Islamischen Staats ein Video, in dem sich Amri zu der Terrororganisation bekennt und zu „Anschlägen gegen Ungläubige“ aufruft. Das Video wurde vermutlich schon vor einigen Wochen in Berlin-Moabit aufgenommen.

Die Darstellung der Ereignisse und der Ermittlungen durch Behörden und Medien ist derart widersprüchlich und unglaubwürdig, dass man nichts für bare Münze nehmen kann. Nach allem, was bisher bekannt ist, wussten die Sicherheitsdienste seit langem, dass Amri terroristische Anschläge plante. Er saß in Italien im Gefängnis, wurde in Deutschland verhaftet und monatelang überwacht. Obwohl alle gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen, verzichteten die Sicherheits- und Justizbehörden aber bewusst darauf, ihn einzusperren.

Angesichts der Art und Weise, wie das Ereignis genutzt wird, um die Merkel-Regierung zu destabilisieren und die Politik in Deutschland weiter nach rechts zu verschieben, sollte man eine Beteiligung von Teilen des Staatsapparats nicht ausschließen – auch wenn der Anschlag nicht direkt von diesen gelenkt wurde, so wurden doch die Bedingungen geschaffen, unter denen Amri handeln konnte.

Das Blut der Opfer war kaum getrocknet, da erklärte CSU-Chef Horst Seehofer, dass man nun die „Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren“ müsse, über die er seit langem mit der Kanzlerin im Streit liegt.

Figuren der äußeren Rechten reagierten noch aggressiver. Der führende AfD-Politiker Marcus Pretzell twitterte: „Es sind Merkels Tote!“ Und der rechte Humboldt-Professor Jörg Baberowski forderte nur wenige Stunden nach dem Anschlag den Rücktritt des Bundesinnenministers und Merkel-Vertrauten Thomas de Maiziére.

Am Mittwoch verlangte dann der ehemalige Vize-Chef des Bundesnachrichtendienstes, Rudolf Adam, in er Zeitschrift Cicero den Rücktritt Merkels: „In einer Situation, wo jeder Bürger nach Orientierung, Selbstvergewisserung, Klarheit und Zuversicht schreit, räumt die Regierungschefin ein, dass sie keine Antwort hat. Ist sie dann die richtige Person für ein solches Amt?“, schrieb der Ex-Geheimdienstler.

Schon im Oktober letzten Jahres war in der Welt am Sonntag ein Artikel unter der Überschrift „Sicherheitsbeamte warten sehnsüchtig auf Merkels ‚Go‘“ erschienen. Er berichtete über „massiven Widerstand“ gegen Merkels Flüchtlingspolitik in Geheimdienstkreisen und Sicherheitsbehörden.

In dem Artikel wird unter anderem ein Papier zitiert, das in Geheimdienstkreisen zirkulierte und dazu aufrief, Flüchtlinge an den Grenzen zu stoppen, auch wenn die Regierung das Gegenteil anordne. „Entgegenstehende Weisungen sind rechtswidrig und führen zur Strafbarkeit“, heißt es darin.

Solche Äußerungen und Papiere unterstreichen, dass Teile des Staatsapparats ihre eigene politische Agenda verfolgen. Die bisherigen Erkenntnisse über den Tathergang und den Verdächtigen zeigen, dass der Anschlag ohne Unterstützung von Teilen des Staatsapparats kaum möglich gewesen wäre.

Heribert Prantl machte am Freitag in der Süddeutschen Zeitung darauf aufmerksam, dass Ausländerbehörden, Strafverfolger und Justiz Amri, der sich unter den Augen der Geheimdienste und der Polizei um Waffen bemüht und gegen Gesetze verstoßen hatte, problemlos hätten aus dem Verkehr ziehen können.

Sie hätten ihm „zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit“ strikteste Melde- und Aufenthaltsauflagen auferlegen und ihn bei Verstoß dagegen „in U-Haft nehmen und während der U-Haft die Papiere für die Abschiebung besorgen können“. Doch sie taten dies nicht. Das legt laut Prantl den Schluss nahe, dass die Behörden bewusst handelten. „Haben die Behörden das Risiko Amri in Kauf genommen, weil man sich von seiner Überwachung Erkenntnisse erhoffte? Und hat die überwachende Behörde anderen Behörden nichts gesagt, weil man die Erkenntnisse für sich haben wollte?“ fragt er.

Tatsächlich hatte Amri enge Verbindungen zu den Geheimdiensten. Bevor er nach Deutschland kam, saß er unter anderem wegen Brandstiftung vier Jahre lang in Sizilien im Gefängnis und war als Islamist bekannt. Die Gefängnispolizei hatte dem Antiterror-Zentrum einen umfangreichen Bericht über Amris „Radikalisierung und Bereitschaft zum islamistischen Terror“ geschickt.

Mitte 2015 konnte er dann aber trotzdem einer Abschiebung entgehen und reiste nach Deutschland weiter. Laut Süddeutscher Zeitung gelang dies nur deshalb, weil die italienischen Behörden seine Daten nicht fristgerecht in das europäische Informationssystem eingespeist hatten. Die italienischen Behörden bestreiten dies und bestehen darauf, dass sie die Informationen rechtzeitig übermittelt hatten.

In Deutschland schloss sich Amir umgehend einer islamistischen Gruppe um den Prediger Abu Walaa an. Laut Süddeutscher Zeitung hatte der Staatsschutz einen Spitzel in dieser Gruppe installiert und war bestens über ihre Aktivitäten informiert. Demzufolge wussten die Behörden, dass sich die Mitglieder darauf vorbereiteten, als Krieger den Islamischen Staat im Irak und in Syrien zu unterstützen oder in Deutschland Terroranschläge zu verüben.

Der Mitarbeiter des Staatsschutzes berichtete auch, dass Amri Teil dieser Gruppe sei und an Wanderungen mit schwerem Gepäck teilgenommen habe, die dem militärischem Training dienten. Er soll sich mit dem Anführer Abdul Rahman besonders gut verstanden und bei ihm gewohnt haben. Immer wieder soll Amri davon gesprochen haben, Anschläge zu verüben.

Kurz nachdem der Mitarbeiter des Staatsschutzes dies berichtet hatte, wurde Amri am 30. Juli dieses Jahres von zwei Polizisten in Friedrichshafen am Bodensee kontrolliert. Die Polizisten nahmen ihn fest, weil er nach Ablehnung seines Asylantrags bereits ausreisepflichtig war und sich unerlaubt außerhalb Nordrhein-Westfalens aufhielt. Er wurde in Ravensburg inhaftiert, am nächsten morgen aber wieder freigelassen, weil man ihn mangels Papieren nicht habe abschieben können.

Zu diesem Zeitpunkt war dem Staatsschutz auch aus der Überwachung von Telefonaten und Chats bekannt, dass Amri etwas Gefährliches plante. Bereits im März dieses Jahres befand sich laut Bayrischem Rundfunk in der Gefährderdatei für Terroristen ein Eintrag, dass Amri in ganz Deutschland bei anderen Personen darum werbe, „gemeinsam mit ihm islamistisch motivierte Anschläge zu begehen“. Er plane, sich „großkalibrige Schnellfeuergewehre über Kontaktpersonen in der französischen Islamistenszene zu beschaffen“, und es sei damit zu rechnen, dass er seine Anschlagsplanungen „ausdauernd und langfristig“ verfolgen werde.

Trotzdem schob der Bundesanwalt, der die Ermittlungen gegen die Gruppe um Abu Walaa im März 2016 übernommen hatte, den Fall Amri im Frühjahr an die Landesbehörde in Berlin ab. Die Berliner überwachten Amri rund um die Uhr, weil er verdächtigt wurde, Überfälle zu begehen, um Geld für Waffen zu beschaffen.

Doch im September dieses Jahres wurde die Überwachung unter nebulösen Umständen abgebrochen. Obwohl sein Kontakt zur Abu-Walaa-Gruppe vom Staatsschutz dokumentiert war und marokkanische Sicherheitsbehörden der dpa zufolge ihre deutschen Kollegen im September und Oktober vor Anschlagsplänen Amris warnten, fielen den Berlinern angeblich keine islamistischen Aktivitäten auf.

Man kann die Häufung solcher unerklärlicher Vorgänge nur damit erklären, dass Amri Unterstützung von zumindest einem Teil des Staatsapparats hatte. Dies legen auch die Ereignisse in der Folge des Anschlags nahe. Unmittelbar nach der Tat verhaftete die Polizei einen unschuldigen Flüchtling aus Pakistan aufgrund einer einzigen dubiosen Zeugenaussage und präsentierte ihn als dringend tatverdächtig, obwohl er weder Blut- noch Schmauchspuren aufwies.

Viele Stunden nach der Tat sickerten dann Medienberichte durch, dass der Ausweis von Amri in dem Tat-LKW gefunden worden sei. Erst dann gaben die Ermittler zu, dass der Flüchtling unschuldig sei und sie nun nach Amri fahndeten. Am Freitag wurde dann bekannt gegeben, bei einer erneuten Inspektion des LKW sei auch noch das Mobiltelefon Amris gefunden worden.

Die offizielle Version für den späten Fund des Ausweises ist bizarr: Angeblich hätten zunächst andere Untersuchungen durchgeführt werden müssen, bevor sich jemand in der Fahrerkabine umsehen konnte, in der sich neben dem Personalausweis auch die Leiche des Fahrers befand.

Weiter unterhöhlt wird diese Geschichte durch den Tweet eines der bekanntesten Rechtsextremisten Deutschlands, des Pegida-Gründers Lutz Bachmann. Dieser hatte nur zwei Stunden nach dem Anschlag auf Twitter geschrieben: „Interne Info aus Berliner Polizeiführung: Täter tunesischer Moslem.“

Wenn er nicht reinem Zufall entsprang, dann belegt dieser Tweet, dass die Ermittler schon früher wussten, wer eigentlich für die Tat verantwortlich war, und dass ausgerechnet ein Rechtsextremist frühzeitig darüber informiert wurde.

Die engen Verbindungen der Geheimdienste und der rechtsextremen Szene in Deutschland sind gut dokumentiert. So gibt es zahlreiche Hinweise, dass in den Anschlag auf das Oktoberfest von 1980 sowohl rechtsextreme Gruppen als auch staatliche Behörden involviert waren. In den 90er und 2000er Jahren verübte die rechtsextreme Terrorgruppe NSU mindestens zehn Morde unter den Augen der Behörden. In beiden Fällen wurden erhebliche Ressourcen und kriminelle Energien aufgewendet, um die Verbindungen zu vertuschen.

Die zumindest indirekte Unterstützung islamistischer Milizen in Libyen und Syrien durch die Bundesregierung hat auch die Verbindungen der deutschen Geheimdienste zu diesen Kräften gestärkt, die oftmals ungehindert von Europa in den Nahen Osten, nach Nordafrika und zurück reisen konnten.

Staatliche Provokationen zu politischen Zwecken haben in Deutschland eine lange Tradition. 1933 organisierten die Nazis den Reichstagsbrand und erklärten eine halbblinden holländischen Kommunisten zum Alleintäter, um die Kommunistische Partei zu zerschlagen und das Ermächtigungsgesetz zu erlassen, das Hitlers Diktatur sanktionierte.

Auch beim Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974 hatten die Geheimdienste die Finger im Spiel. Obwohl sie bereits wussten, dass sein persönlicher Referent Günter Guillaume ein Spitzel des DDR-Geheimdiensts war, ließen sie den ahnungslosen Brandt mit Guillaume in den Urlaub reisen, um ihn so völlig zu diskreditieren.

Nun wird der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt, bei dem die Sicherheitsbehörden eine ebenso unerklärliche wie undurchsichtige Rolle spielen, benutzt, um die gesamte offizielle Politik nach rechts zu rücken. So wird versucht, eine rechte, reaktionäre Regierung an die Macht zu bringen, die unter normalen Umständen niemals eine Mehrheit finden würde.

http://www.wsws.org/de/articles/2016/12/24/amri-d24.html

Geheimdienste attackieren Flüchtlingspolitik der Regierung

Von Ulrich Rippert
28. Oktober 2015

In der Welt am Sonntag erschien am Wochenende ein Artikel unter der Überschrift „Sicherheitsbeamte warten sehnsüchtig auf Merkels ‚Go‘“. Die Autoren berichten über „massiven Widerstand“ gegen die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Geheimdienstkreisen und Sicherheitsbehörden.

„Vor allem beim Verfassungsschutz, im Bundeskriminalamt, beim Bundesnachrichtendienst (BND) und der Bundespolizei wachsen angesichts des Kontrollverlustes und der planlosen Masseneinwanderung täglich die Bedenken“, heißt es in dem Artikel. Ein Spitzenbeamter im Sicherheitsapparat, der seinen Namen „aus Angst vor Repressalien“ nicht nennen wolle, wird mit den Worten zitiert: „Der hohe Zuzug von Menschen aus anderen Weltteilen wird zur Instabilität unseres Landes führen.“

Der Beamte wirft Merkel vor, ihre „Politik der offenen Grenzen“ führe zu einer unkontrollierten Zuwanderung von Extremisten. Das habe eine Radikalisierung der bürgerliche Mitte zur Folge, „weil sie diese Zuwanderung mehrheitlich nicht will und ihr dies von der politischen Elite aufgezwungen wird“.

Dann zitiert der Artikel aus einem „unterschriftslosen Papier“, das unter hochrangigen Sicherheitsbeamten kursiere. Darin heißt es, eine Integration „Hunderttausender illegaler Einwanderer in Deutschland“ sei angesichts bereits bestehender Parallelgesellschaften gar nicht möglich. Stattdessen „importieren wir islamistischen Extremismus, arabischen Antisemitismus, nationale und ethnische Konflikte anderer Völker sowie ein anderes Rechts- und Gesellschaftsverständnis“.

Das namenlose Rundschreiben greift die Bundesregierung scharf an und behauptet, die Warnungen der Sicherheitsbehörden vor unkontrollierbaren Problemen würden auf politischer Ebene bedenkenlos in den Wind geschlagen. Die Regierung hindere die Sicherheitsorgane daran, ihre Arbeit zu machen, zu der sie per Gesetz verpflichtet seien.

Der Vorwurf geht so weit, der Regierung gesetzwidriges Handeln vorzuwerfen. Auf die Feststellung, die Grenzbehörden seien verpflichtet, illegale Einwanderer zurückzuweisen, folgt in dem anonymen Geheimdienstpapier die Drohung: „Entgegenstehende Weisungen sind rechtswidrig und führen zur Strafbarkeit … wg Anstiftung oder Beihilfe zur illegalen Einreise von Ausländern im Wiederholungsfall (Einschleusen von Ausländern).“

Dann zitiert der Artikel den früheren Innen-Staatssekretär und BND-Chef August Hanning. Der 69-jährige, „bis heute in Deutschland und der Welt exzellent vernetzte Sicherheitsexperte“ hat in der vergangenen Woche ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, in dem er die Bundesregierung auffordert, in der „gegenwärtigen Migrationskrise“ zu einem gesetzlichen Handeln zurückzukehren.

Das Programm des Ex-Geheimdienstchefs, das er nach eigenen Angaben mit „aktiven und pensionierten Sicherheitsexperten“ abgesprochen hat, liest sich wie eine Anweisung an die Regierung. Es umfasst unter anderem folgende Punkte: Aufnahmestopp und Erklärung der Kanzlerin, dass die Aufnahmekapazität in Deutschland erschöpft ist; Weisung an die Bundespolizei, die Grenze für Migranten ohne Einreiserlaubnis sofort zu schließen und jeden Migranten ohne Einreiseerlaubnis konsequent und kompromisslos zurückzuweisen; sofortiges „Einfrieren“ der gegenwärtigen Migrationsströme auf dem Balkan; Beschränkung des Familiennachzugs; Residenzpflicht für Migranten, verbunden mit Leistungskürzungen und Ausschluss von Leistungen bei Verletzung der Residenzpflicht; sofortige Verstärkung der Sicherheitsbehörden.

Die Attacken der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden auf die Kanzlerin und die Bundesregierung richten sich gegen die demokratische Struktur der Gesellschaft. Sie zeigen, dass sich der Sicherheitsapparat mehr und mehr verselbstständigt. Obwohl er aus weisungsgebundenen Behörden besteht, handelt er eigenmächtig wie ein Staat im Staat.

Diese Entwicklung zeichnet sich seit längerem ab. Sie steht in direktem Zusammenhang mit der Rückkehr zu einer deutschen Großmachtpolitik, die Bundespräsident Joachim Gauck und die Bundesregierung vor zwei Jahren angekündigt hatten. Damals forderten sie ein Ende der militärischen Zurückhaltung und ein stärkeres deutsches Eingreifen in den Krisenregionen der Welt.

Das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das diese außenpolitische Wende vorbereitete, enthielt auch einen langen Absatz über die „innerstaatliche Dimension deutscher Außenpolitik“. Er befasste sich mit der Frage, wie „Legitimationsprobleme im Inneren“ und die Ablehnung durch eine „skeptische Öffentlichkeit“ überwunden werden können. Mit anderen Worten: wie sich der Widerstand gegen Militarismus und Krieg unterdrücken lässt.

Geheimdienste und Sicherheitsbehörden spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie hatten schon in der Weimarer Republik ein Eigenleben geführt und maßgeblich zu deren Untergang beigetragen. Sie hatten enge Verbindungen zur Führung der Reichswehr unterhalten, die sich den zivilen Behörden ebenfalls nicht unterordnete, sowie zu rechten Terrororganisationen.

Berüchtigt war die Organisation Consul (O.C.), eine geheime, rechtsextreme Terrororganisation, die engen Kontakt zur Reichswehr und den Geheimdiensten pflegte und die Weimarer Republik durch politische Morde destabilisierte. Zu ihren bekanntesten Opfern zählte Außenminister Walther Rathenau.

Ein Führungsmitglied der Organisation Consul, Friedrich Wilhelm Heinz, baute nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Geheimbund auf. Der nach ihm benannte Dienst (FHWD) arbeitete eng mit der Adenauer-Regierung zusammen und wurde Anfang der fünfziger Jahre in den Bundesnachrichtendienst integriert.

August Hanning, der das Zehn-Punkte-Programm formuliert hat, ist eine Schlüsselfigur der bundesdeutschen Geheimdienste. Bevor er 1998 die Leitung des BND übernahm, war er von 1986 bis 1990 Geheimschutzbeauftragter an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin und in dieser Funktion für den Häftlingsfreikauf aus der DDR zuständig.

Als BND-Chef organisierte er dann den Umzug der Geheimdienstzentrale von Pullach bei München nach Berlin und baute die Behörde zu einer Mammut-Institution im Zentrum Berlins mit engstem Kontakt zur Regierung auf.

Hanning verteidigte die Geheimdienste vehement, als immer neue Einzelheiten über ihre enge Verflechtung mit der rechtsextremen Szene bekannt wurden. So weiß man inzwischen, dass im Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der über sechs Jahre hinweg angeblich unbemerkt neun Migranten und eine Polizisten ermordete, mindestens zwei Dutzend V-Leute der Geheimdienste aktiv waren.

Als Hanning im November 2012 vom NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Verwicklungen des Geheimdiensts, zur Vernichtung von Akten und zur Behinderung der Aufklärung befragt wurde, erklärte er provokativ: „Bei neun toten Polizisten gäbe es keinen Ausschuss.“

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy reagierte entsetzt und rief Hanning zur Ordnung. Ein gutes Jahr später durchsuchte die Staatsanwaltschaft Hannover in Anwesenheit von Journalisten Edathys Wohnung und Büros und warf ihm vor, er habe kinderpornographisches Material bezogen. Der SPD-Politiker war damit politisch und persönlich ruiniert. Das Verfahren wurde später ohne Urteil eingestellt.

Die enge Verbindung der Geheimdienste mit dem Rechtsterrorismus, die Behinderung und Unterdrückung der Aufklärung dieser kriminellen Machenschaften und die jüngste Attacke des Sicherheitsapparat auf die Bundesregierung sind ein Alarmsignal, das ernst genommen werden muss.

http://www.wsws.org/de/articles/2015/10/28/krit-o28.html

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