EU-Kommissionspräsidentenwahl-no worries, nicht der Untergang des Abendlands

EU-Kommissionspräsidentenwahl-no worries, nicht der Untergang des Abendlands

SPD und Grüne lehnen die EU-Kommissionspräsidentschaftskandidatin des Europäischen Rats, die aufgrund eines Kompromisses zwischen Merkel, Orban , Salvini und Orban hervorgegangen ist, ab. Ihre Anhörung vor den EP-Fraktionen hat von der Leyen auch nicht beliebter gemacht, zumal Kritiker ihr ihre niederschmetternde Bilanz als deutsche Verteidigungsministerin vorrechnen und ihre Befürworter sie nur in Superlativen beschreiben und darauf hinweisen, dass von der Leyen die Erbschuld der Verteidigungsministervorgänger übernommen und eine Trendwende eingeleitete habe.

Die Grünen begründen ihre Ablehnung von der Leyens derfolgt:

„Einen Tag vor der Abstimmung im Europaparlament hat Ursula von der Leyen mit Briefen an die sozialdemokratische und liberale Fraktion, ihre Positionen zu vielen Themen erläutert. Dazu erklärt Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament:

 “Unsere Position zu von der Leyen hat sich durch ihre Briefe nicht geändert. Insbesondere bei den Themen Rechtsstaatlichkeit und Migration, sind ihre Pläne völlig unzureichend. Von der Leyen könnte Opfer ihrer eigenen Strategie werden. Man kann nicht gleichzeitig um die Stimmen von Pro-Europäern und Europafeinden werben. Von der Leyen kann nicht einerseits auf eine pro-europäische Mehrheit setzen und andererseits mit den Europagegnern flirten. Beim Thema Rechtsstaatlichkeit sitzt von der Leyen zwischen den Stühlen und spricht sich nicht eindeutig für die Fortsetzung der Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn oder Polen aus. Sie schweigt auch zur Lage in Rumänien und Malta. Das Haltungsproblem liegt auf ihrer Seite, nicht bei den Pro-Europäern, die ihre weiche Position bei der Rechtsstaatlichkeit kritisieren. Bei der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien darf die EU-Kommissionsspitze niemals wackeln. Die Europawahl wurde nicht von Rechtspopulisten gewonnen, trotzdem versucht es von der Leyen jetzt auch ihnen recht zu machen. Auch beim Thema Migration scheut von der Leyen einen Konflikt mit den Viségrad-Staaten und Italien. Sie hat sich weder eindeutig für eine faire Verteilung von Flüchtlingen in der EU ausgesprochen noch für die finanzielle Unterstützung der Flüchtlingsversorgung von Kommunen. 

In ihren Zugeständnissen an das Parlament, behält sich von der Leyen regelmäßig eine Hintertür offen. Höhere EU-Klimaziele für 2030 macht sie von internationalen Verhandlungen abhängig. Das ist zu wenig. Europa muss mit eigenen ambitionierten Ziele als globaler Vorreiter beim Klimaschutz vorangehen. Von der Leyen schlägt kein volles Initiativrecht für das Europaparlament vor. Aus einer Entscheidung des EU-Parlaments will sie kein gleichlautendens EU-Gesetz machen, sondern ihr eigenes Gesetz nach diversen grundsätzlichen Erwägungen formulieren. Auch das ist zu wenig. In der Handelspolitik lässt sie sich ebenfalls eine große Hintertür offen. Handelsverträge braucht nicht nur Nachhaltigskeitskapitel, sondern rechtlich verbindliche Umwelt- und Sozialstandards. Für uns Grünen ist von der Leyen auch nicht wählbar, weil sie keine Wende in der EU-Agrarpolitik will. Um das Artensterben und den Klimawandel zu bremsen, brauchen wir eine nachhaltigere Landwirtschaft. Dafür hat von der Leyen ihre Unterstützung in der Anhörung in unserer Fraktion verweigert.”

Umgekehrt meinen andere, dass eine Nichtwahl von der Leyen als Deutsche und Frau ein Untergnag für Europa und Deutschland wäre. So schrieb der Politikwissenschaftler Alexander Rahr mir noch:

Heute entscheidet sich, ob Europa künftig mitmischen kann, ja -eine Strategie entwickeln kann, oder nur Zaungast der Weltarena bleibt. Wenn von der Leyen durchfällt, was nicht unwahrscheinlich ist, kommt EU ins Stolpern. Niemand wird sie ernst nehmen. 

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Ich meine: Naja, so dramatisch sehe ich das nicht. Ist von der Leyen überhaupt solch eine strategische Denkerin, die eine EU-Stategie entwerfen könnte?Falls von der Leyen durchfällt, wird eben ein anderer zeitverzögert EU-Kommissionspräsident.Dennoch schrieb ich einem grünen Bekannten, der wie die Grünen von der Leyen ablehnt:

Mal umgekehrt gefragt:Welcher Kandidat schwebt denn den Grünen konkret vor,der zum einen ihre Zuele Rechtsstaatlichkeit und Klimaschutz vertritt UND mehrheitsfähig ist.Gibt es solch eine eierlegende Goldmilchsau? Und es wird auch nicht beachtet,dass ein Postenpaket verhandelt wird,also auch noch EZB-EP-Europaratund EUGHpräsident.Das geht nur mit Kompromissen. Natürlich ist es eine Sauerei erst mit dem Kandidatenprinzip und dem Demokratisierungsprinzip als Wahlkampfargument zu werben und dann die Wähler zu betrügen.Das wird sich bei den nächsten EPwahlen bei der Wahlbeteiligung rächen.Die Kritik an von der Leyen in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz, Freihandel, Initiativrecht und Demokratisierung des EPs sind berechtigt.Nur wer schwebt den Grünen konkret als Gegenkandidat vor,der all diese hehren Ziele verkörpert und dem Wahlergebnis (Sieger EVP)entspricht?Ska Keller müsste es,kann es aber nicht sein.Timmermanns?Kommt jemand Besseres sollte von der Leyen abgelehnt werden?

No worries–die EU hatte schon härtere Prüfungen als eine EU-Kommissionspräsidentinswahl. Die Deutschen und ihre Medien neigen dazu alles zur endzeitlich-welthistorischen Schicksalswahl aufzublasen. Von der Leyen ist eine mögliche und nicht einmal die schlechteste Kandidatin, wenn sie abgelehnt wird, stehen auch noch andere gute oder weniger gute Leute in Reserve. Es ist nicht der Oswald Spenglersche Untergang des Abendlands. Soweit einmal positiv gewendet, aber: Es scheint keine überzeugenden EU-Kommissionspräsidentschaftskandidaten zu geben, die von EU-Wählern und EU-Rat aufgrund einer EU-Strategie gemeinsam beschlossen werden können. Die jeweiligen Kandidiaten stellen eklizistische Minimal- und Maximalforderungen und gemischte Wahlprogramme auf wenigen Punkten cor, die zudem aufgrund von Kompromissen zerfleddertund relativiert werden. Dies ist auch Ergebnis der unklaren Erwartungen in die EU : Während die einen die Vereinigten Staaten von Europa wollen und direkt durch das Europaparlament gewählte EU-Kommissionspräsidenten samt Regierung und europäischen Zentralstaat, wollen andere lieber einen Staatenbund, bei dem vor allem die Nationalstaaten noch erheblich mitbestimmen wie über den Europarat. Faktisch ist die EU ein Zwitter aus beidem und erklären sich daher diese Diskrepanzen. Und die Nationalisten und Faschisten wollen die EU ohnehin zerstören, selbst das EP auflösen und nur noch ein Binnenmarkt ohne Schengenraum und Euro und Personenfreizügikeit sein, der durch Nationalregierungen vertreten wird und vielleicht nicht einmal mehr das. Aber die Nationalisten und Faschisten können die Zwitterexistenz der EU und die daraus resultierenden Widersprüche für sich nutzbar machen.

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