Kurznotiz: Afghanistan vor dem totalen Bürgerkrieg?

Kurznotiz: Afghanistan vor dem totalen Bürgerkrieg?

Man scheint sich in Afghanistan auf einen totalen Bürgerkrieg einzustellen.Der gleichnamige Sohn des Löwen vom Punjab und ehemaligen tadschikischen Führers der multiethnischen Nordallianz Ahmad Massoud,der in Sandhurst ausgebildet wurde,hat die Vereinigte Front/Nordallianz wieder revitalisiert.Zwar will man vorerst politische Bewegung sein,behält sich aber den bewaffneten Kampf im anderen Falle vor.Gestern haben 9 ehemalige US-Botschafter im Atlantic Council einen Offenen Brief veröffentlicht,in dem sie vor einem vorschnellen Abzug der US-Truppen warnen,da dies einen totalen Bürgerkrieg nach sich ziehen würde.Die Kandidaten der Demokraten haben im Fernsehduell hingegen fast unisono einen schnellen Abzug befürwortet.

Bei einem erneuten Bürgerkrieg in Afghanistan wird neben der Nordallianz auch wichtig sein,wie und wo sich Hektmatjar und das Haqqaninetzwerk positioniert.Hektmatjar hat ja schon mit der Taliban in einer Regierung gesessen,bevor er die Seiten wechselte.Besteht eigentlich das Haqqaninetzwerk nach dessen Tod noch oder hat es sich regruppiert? Neuer Akteur ist der Islamische Staat neben anderen Kriegsherren und Warlords wie etwa der usbekigstämmige Dostum. Dostum ist m.E. noch Vizepräsident mit wenig Einfluss. Ist viel in det Türkei zur medizinischen Behandlung.

Der ehemalige deutsche Botschafter in Afgghanistan Dr. Seidt beurteilt die Lage in Afghanistan derfolgt:

„Die Situation ist verfahren:

– Hekmatyar ist Präsidentschaftskandidat, also mehr oder weniger Teil des Systems.

– Haqqani-Netzwerk regruppiert, aktiv aus Wasiristan (PAK) heraus.

– IS aktiv, vor allem aber nicht nur im mittleren Kunar Tal.

Dostum betreibt sein eigenes Spiel, zunehmend assistiert von seinem Sohn, und konzentriert sich auf die Usbekengebiete. Er versucht aber gleichwohl, auf nationaler Ebene „anschlussfähig“ zu bleiben. Ein ganz schlimmer Typ!

Sowohl bei Hekmatyar, Haqqani und den Taleban (nennen wir sie mal so) sehe ich überall im Hintergrund den ISI, der verschiedene Eisen im Feuer hält. Sehr geschickt! Letztlich rekrutieren sich alle diese Parteien und Netzwerke aus der Ghilzai Stammesföderation.

Ihnen steht gegenüber die Nordallianz der Tadschiken, Hazaras, auch der Usbeken (obwohl Dostum oszilliert) in zunehmender Verbindung mit der paschtunischen Stammesföderation der Durrani, repräsentiert durch Karzai.

Das alles ist sehr, sehr holzschnittartig. Jeder afghanischen Politiker folgt allmorgendlich dem Leitsatz „Check your alliances.“! Wer da nicht aufpasst, der hat verloren! Das macht die Sache so schwierig.

Die USA werden in den nächsten 12 Monaten allenfalls 4000 bis 5000 Mann abziehen, das entstandene Defizit aber mit privaten Sicherheitsdienstleistern auffüllen. Sie werden sich auf Kabul, Baghram und Shindand beschränken, sich hier auf örtliche Machthaber stützen und den Rest Afghanistans seinem Schicksal überlassen. Baghram und Shindand werden ungefähr dieselbe regionale Rolle spielen wie Camp Bondsteel im Kosovo.

That’s it and that’s all!“

Wichtig wird auch sein, wie Putin-Russland zu den Taliban und anderen Akteuren steht.Es gab ja zum einen Berichte aus US-Kreisen,das Russland angeblich die Taliban unterstützen würden, auch als Kraft gegen die USA und die NATO. Unklar bleibt inwieweit diese Gerüchte einen wahren Kern haben oder Putinbashing sind.Zumal ja Russland auch mit dem Islamismus in Zentralasien in der SCO und den ehemaligen Sowjetrepubliken zu kämpfen hat. Heute weilten zumindestens Vertreter der Taliban in Moskau,nachdem die Trump-USA die Gespräche mit ihnen für tot erklärt hat. Bereits seit November 2018 gehört die Teilnahme von Taliban-Vertretern an Gesprächen unter RUS-Ägide zum offiziellen Format der von Samir Kabulow gelenkten Verhandlungen.Die Frage ist immer, um was für „Taliban“ handelt es sich? Es gibt „nationalistische“ Taleban, die grundsätzlichg bereit sind, an einer Lösung mitzuwirken, die ihren Interessen und Vorstellungen entspricht und die es ihnen ermöglichen würde, von der einseitigen Orientierung nach Pakistan wegzukommen (und mehr Geld zu bekommen). Aber wie einflussreich und autonom diese „Taliban“ (tatsächlich Kommandeure und Älteste von Großfamilien, Clans und Stammesverbänden) sind, die bei den Verhandlungen in Moskau dabei sind, ist unbekannt.

Über die Verhandlungen in Moskau berichtet der Guardian folgendes:

„A Taliban delegation has held talks with Russian officials in Moscow after US negotiations with the Afghan insurgents collapsed, the Russian foreign ministry has said.

“The Russian president’s special representative for Afghanistan … Zamir Kabulov, hosted a Taliban delegation in Moscow,” said a ministry spokesman, quoted by RIA Novosti state-funded news agency.

No date for the talks was given.

“The Russian side stressed the need to relaunch negotiations between the United States and the Taliban movement,” the spokesman said.

“For their part, the Taliban confirmed their willingness to pursue dialogue with Washington.”

An official from the Taliban said on Saturday the visit came as the insurgent group looked to bolster regional support, with visits also planned for China, Iran and Central Asian states.

“The purpose of these visits is to inform leaders of these countries about the peace talks and president Trump’s decision to call off the peace process at a time when both sides had resolved all outstanding issues and were about to sign a peace agreement,” said a senior Taliban leader in Qatar.

The Taliban leader, who spoke on condition of anonymity, said the purpose of the visits was not to try to revive negotiations with the US but to assess regional support for forcing it to leave Afghanistan.

Until a week ago expectation had steadily mounted of a US-Taliban deal that would see the US withdraw around 5,000 troops from Afghanistan in exchange for the Taliban offering security guarantees to keep extremist groups out.

But last week Trump revealed he had cancelled an unprecedented meeting between the Taliban and himself secretly scheduled for Camp David, and declared the talks with the militants “dead”.

In a tweet on Saturday, Trump said: “The Taliban has never been hit harder than it is being hit right now. Killing 12 people, including one great American soldier, was not a good idea. There are much better ways to set up a negotiation. The Taliban knows they made a big mistake, and they have no idea how to recover!”“

https://www.theguardian.com/world/2019/sep/15/russia-hosts-taliban-delegation-following-collapse-of-us-talks?CMP=share_btn_link

Während Moskau als sein offizielles Ziel die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den USA und den Taliban behauptet, erklären wiederum die Taliban, dass sie daran kein Interesse hätten und nur Unterstützung regionaler Mächte suchen würden, um einen US-Abzug zu beschleunigen.



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