Alle Jahre wieder: Der böse Kissinger

Alle Jahre wieder: Der böse Kissinger

Alle Jahre wieder oder in noch kürzeren Abständen erscheint ein Buch über Kissinger, das ihn zumeist in dunkelsten Farben seitens seiner Kritiker zeigt. So nun auch bei Bernd Greiner: Henry Kissinger. Wächter des Imperiums. Eine Biografie.(C.H. Beck Verlag, München 2020).

Die FAZ berichtet:

„An wohl kaum einem Politiker des 20. Jahrhunderts jenseits von Staats- und Regierungschefs haben sich Politologen, Historiker und Investigativjournalisten intensiver abgearbeitet als an Henry Kissinger. Unberührt hat er keinen seiner Biographen gelassen. Die einen verdammen den ehemaligen Sicherheitsberater und Außenminister der Vereinigten Staaten als zynischen Machtpolitiker und Selbstdarsteller, die anderen feiern ihn als Über-Staatsmann und Welterklärer. In „The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House“ kanzelte ihn der Journalist Seymour Hersh 1983 für seine Vietnam-Politik ab, sein Kollege Christopher Hitchens beschuldigte ihn 2001 in „Die Akte Kissinger“ sogar zahlreicher Kriegsverbrechen. Sehr viel gewogener dagegen ist ihm der britische Historiker Niall Ferguson 2016 in „Kissinger: The Idealist“, deckt auf 1120 Seiten allerdings nur die Lebensjahre 1923 bis 1968 ab – die Zeit vor seinem Regierungseintritt also. Sollte Ferguson in ähnlicher Detailverliebtheit weiterschreiben, dürfte er sogar Kissingers drei Memoirenbände von insgesamt 4000 Seiten übertrumpfen, quantitativ jedenfalls.

Bei Bernd Greiner, drei Jahrzehnte lang Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung, hat Kissinger keine Chance – nicht als Mensch, nicht als Wissenschaftler und erst recht nicht als Außenpolitiker. Schon mit den drei Großkapitel-Überschriften „Lehrling“, „Angestellter“ und „Pensionär“ distanziert er sich von seinem Protagonisten, der sich doch als Vordenker, Gestalter und ewiger Ratgeber der Mächtigen betrachtet. Zum Auftakt zeigt Greiner, wie der vor den Nazis nach Amerika geflüchtete Fürther Jude Heinz Alfred Kissinger durch harte Arbeit, unbändige Intelligenz, Selbstbewusstsein und Selbstdarstellung, aber auch durch die richtigen Förderer und durch Schmeichelei in jungen Jahren in die Spitze der außenpolitischen Community seiner neuen Heimat aufsteigt. Die neugeborene Weltmacht sucht händeringend nach Köpfen, die im Kalten Krieg Strategien ersinnen und Politiker anleiten können. Kissinger macht sich schnell einen Namen als Hardliner, der Moskau und Peking entschlossen entgegentreten und notfalls atomare Gefechtsfeldwaffen einsetzen will.

Von Harvard aus, das diese internationalistische Elite mit Verve und Geld aus Regierung und Wirtschaft ausbildet, streckt Kissinger seine Fühler immer tiefer in die Hallen der Macht hinein: als Autor politikrelevanter Studien, als Mitglied des Council on Foreign Relations, des Durchlauferhitzers für nach politischer Mitsprache gierende Akademiker, als Kurzzeit-Zuarbeiter von John F. Kennedys Nationalem Sicherheitsrat. Greiner zeichnet Kissinger als selbstbezogenen Megalomanen, ausbeuterischen Chef und prinzipienlosen Karrieristen, der sich so lange verschiedenen Herren andient, bis ihn endlich Richard Nixon 1969 ins Weiße Haus holt. Der neue Präsident übernimmt ein durch den Vietnam-Krieg zerrissenes Land, misstraut Bürokratien und Establishment bis hin zur Paranoia, ist konfliktscheu und bedarf ständiger Bestätigung: Alles Umstände, die Kissinger rasch zum zentralen außenpolitischen Berater Nixons, und, als der im Sumpf von Watergate versinkt, zum Dreh- und Angelpunkt von Washingtons Beziehungen mit der Welt werden lassen.

Greiner hält das für eine Katastrophe. Kaum ein Charakterdefizit, das er Kissinger nicht attestiert: Skrupellosigkeit, Ruhmsucht, Eitelkeit, Ignoranz, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Weinerlichkeit, Egomanie, Wetterwendigkeit.“

https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/henry-kissinger-neue-biographie-ueber-den-politiker-und-professor-16964413.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Es ist offensichtlich, dass es im westlichen Literatur- und Medienbetrieb bezüglich US-Politikern kaum mehr Publikationen und Produktionen gibt wie bei JFK und Henry Kissinger. Als sei Kissinger damals Präsident gewesen und würde heute noch herrschen. Es wirkt traumatisch. Nicht Nicon hat damals geherrscht oder selbst gedacht, sondern sein NSC-Berater und Aussenminister Kissinger, der ihm alles einflüsterte und ihn manipulierte. Nach dieser Logik wäre Nixon ohne Kissinger nie nach China gegangen ud wären die USA heute ihren neuen Supermachtkonkurrenten los. Kissinger als (jüdische) Verschwörungsspinne im Netz einer Politkabale, die alle Fäden zieht, nicht nur damals sondern auch heute, da er sich mal mit Trump traf und angeblich dessen Chinapolitik beeinflusst hätte. Bestenfalls hat Kissinger versucht Trump von seinem Konfrontationskurs abzubringen oder ihn da einzubremsen, aber er hat ihn davon nicht überzeugt, noch ist er nun das Mastermind der Chinapolitik Trumps. Jedenfalls scheinen US-Präsidenten nicht mehr verantwortlich oder selbst denkend zu sein , sondern nur Exekutivagenten ihrer angeblichen Masterminds Kissinger und Brzezinski, auch wenn diese schon Jahre außer Amts sind.

Kein Eisenhower, Nixon, Carter,Reagan, George W. Bush senior oder junior noch Obama oder gar Trump haben soviel Quote wie JFK und Kissinger. Wobei JFK für das gute, leuchtende, saubere Amerika steht, während Kissinger als dessen Schatten, dunkle Seite der Macht, morlaischer Abgrund und Prinz der Finsternis. So auch Greiners Biographie , wobei er jedoch den Schwerpunkt auf die angeblich charakterliche Verkommenheit von Henry Kissinger zu legen scheint, als wären die ihm zugeteilten Eigenschaften wirklich ein Alleinstellungsmerkmal von Kissinger und nicht auch ansonsten in Gesellschaft und Politik weit verbreitet, wobei eben die Frage ist, inwieweit diese denn nun Auskunft über seine Weltsicht des Realismus/ der Realpolitik und der damit einhergehenden Außenpolitk der USA geben. Wenn Kissingerkritiker Bücher verfassen über seine Politik, haben sie oft auch einen mehr moralischen als einen analytischen Rahmen, wird Kissinger vor allem als Kriegsverbrecher, Fürst der Finsternis aus einem düsteren Reich der Schatten und Unmenschen portraitiert wie auch schon 2016 in Greg Grandin „Kissingers langer Schatten“ (C.H. Beck Verlag, 2016) .

Zugegeben war Kissinger ein Realpolitiker, der keine Skrupel hatte bezüglich Kriegen, Militärdiktaturen, Putschen, Attentaten. Nur: Er war da bei weitem nicht der einzige Politiker, der dieses normale Instrumentarium der Politik draufhatte und dabei keineswegs so herausstechen würde, wäre er nicht Außenminister der größten Weltmacht, der USA gewesen, zumal die Sowjetunion und ihr KGB da noch viel skrupelloser agierten und Frankreich, Großbritannien und viele asiatische und nahöstliche Regime auch nicht ohne waren und sind bei der Wahl ihrer Mittel.Es wird von vielen Kritikern Kissingers immer vergessen, dass er es mit sehr skrupellosen und gewalttätigen Kontrahenten zu tun hatte und die Weltstaatengemeinschaft eben nicht aus pazifistischen Pfadfinderorganisationen besteht, die jeden Tag nur ein gutes Werk verrichten wollen, während nur der böse Henry sie davon abhielt, diese edlen Weltgeister hintertrieb und den täglich anstehenden Weltfrieden als der eigentliche Superschurke verhindert hat.

Auch muss man sehen, dass Kissinger für die Beziehung zwischen China und den USA und für die Chinesen eine wertvolle Rolle spielte. Im BR lief eine Dokumentation,  in der klar wurde, wo China 1976 zu Maos Tod stand. Keiner wusste, wo es hinging. Die Viererbande um Jiang Qing erwägte die Kulturrevolution wiederzubeleben, besuchte Pol Pot in Kambodscha und überlegte öffentlich in der Volkszeitung nun das Geld abzuschaffen und die Städte zu evakuieren. Sie dachte den kambodschanischen genozidalen Weg an. Ohne den Kissinger/Nixonbesuch hätte China kaum eine Perspektive gehabt, aus seiner außenpolitischen Isolation herauszukommen. Deng Xiaoping war dann die Konsequenz dieser Politik Kissingers: Mehr Freiheit als unter Mao, gleichzeitig Wirtschaftsreformen und Annäherung an den Westen. Das war Kissingers historisches Verdienst. Man stelle sich demgegenüber ein Pol-Pot-mässiges und isoliertes China vor. Das sind die Geschichten, die in dem Kissinger-bashenden Buch nicht geschrieben werden. Kissinger wird dementsprechend auch in China mehr geschätzt als in der westlichen Hemisphäre.Hunderte Millionen Chinesen, die einen erheblichen Teil der Menschheit ausmachen,  wissen, was sie ihm zu verdanken haben. Heute wird Kissinger nach der nun abgeebbten Chinaeuphorie eher im Rückblick der Vorwurf gemacht, den neuen Hauptrivalen der USA erst hoffähig und stark gemacht und China den Aufstieg zur konkurrierenden Weltmacht ermöglicht zu haben. Damals wurde die Entwicklungsperspektiven des damaligen Entwicklungslands China noch anders gesehen und konnte man das auch noch nicht so vorhersehen.

Desweiteren war es Kissingers Shuttlediplomatie zwischen Israel und den arabischen Staaten, vor allem Ägypten, die zu einem Ende des Yom-Kippurkriegs führten und die Weichen für Camp David, also dem Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel stellten. Also, wenn man Kissinger beurteilt, sollte man dies zum einen vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs tun, wie auch seine Aktionen in Indochina, Chile, Osttimor, Angola und Portugal, Spanien, sowie bei der Ermordung Aldo Moros in Italien , um das „historische Bündnis“ zwischen Italiens Christdemokraten und der eurokommunistischen Partei Italiens zu verhindern mit seinen Verdiensten aufwiegen.

Auch war Kissinger ein Unterstützer der Ostpolitik und des KSZE-Prozesses, die solche Gruppen wie Charta, Solidarnosc und alle Menschenrechtsgruppen im Ostblock die Wurzeln schlagen liessen, die dann unter Reagans Konfrontationspolitik mit der Sowjetunion Früchte trugen und für eine friedliche Revolution und Sturz des Kommunismus sorgten statt für einen Weltkrieg.

Kritiker Kissingers in den USA kommen zudem zumeist aus der rechten Ecke, die ihm seine Entspannungspolitik, den „Verrat an Taiwan und Vietnam“vorwerfen, behaupteten, dass er soft on communism gewesen wäre und zumal auch auf seine jüdische Herkunft anspielen und antisemitisch rumhetzen, wie auch seine allseits bekannten Verbindungen zu Rockefeller, den Bilderbergern, der Chase Manhattan Bank und dem Council on Foreign Relations zu verschwörungstheoretischen Geschichten einer geheimen NWO-UNO-Weltregierung unter einem Schattenweltenherscher Kissinger aufblasen. Kissinger ist da für Linke der Faschist, der unmoralische, menschenverachtende Zyniker der Macht, ein Metternich, Richilleau und Unmensch in einem und für Rechte die jüdisch-liberal-kommunistische Weltverschwörung in persona. Kissinger ist  für diese Kritiker eine Chiffre für das und alles Böse in der Welt  , denn der reale Realpolitiker, der er war.Sein Haupotinteresse war immer die „balance of power“ zwischen den Großmächten, damit es nicht zu ungewollten Eskalationen oder gar einem Weltkrieg kommen konnte. Diese auf machtpolitischen Ausgleich orientierende Realpolitik wurde ja seitens der Republikaner, die Reagan hochbrachten kritisiert, da Kissinger die Eskalation scheute und die Reaganleute sind ja auch der Ansicht, dass Kissinger und Nixon gegenüber der Sowjetunion zu soft on communism waren und nur Reagans Totrüstungs- Konfrontations- und Kriegsdrohungsstrategie im Sinne des damaligen NSC-Autors Colin S-Gray, wonach Kriege der USA it der Sowjetunion „führbar, begrenzbar und gewinnbar“seien erfolfreich war.

Während Kissinger den Irakkireg von George Bush senior 1990 unterstützte, da dieser mit realistischen Zielen unter Einbeziehung einer breiten internationalen UNO-Koalition geführt wurde, lehnte er den Irakkrieg 2003 unter George W. Bush jr und seinen Neocons ab, da dieser missionarische und völlig irreale Ziele einer Demokratisierung des Greater MIddle East mittels des Leuchtturm Iraks, der dann ausstrahle verfolgte, keine internationale Unterstützung hatte , die NATO in das alte und neue Europa spaltete und zumal auch die gesamte Region instabiler machen, wie auch die USA schwächen und ihre Gegner stärker machen würden.

Ähnlich steht Kissinger heute auch unter der Trumpregierung unter Generalverdacht, da sein Engagement mit China ja nur den Aufstieg Chinas brachte und man nun nicht mehr auf „balance of power“, sondern direkterKonfrontation mit China vom Handelskrieg bis Finanzkrieg und militärischer Stärke setzen müsste. Kissinger erklärte noch in einem Gespräch an der Harvarduniversität mit dem Autor des Buches „Is the US destined for war with China?“ Professor Graham Allsion, dass die USA sich auch weiterhin mit China engagieren sollten und auch Teil der Neuen Seidenstrasee werden sollten und dazu in die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) ininvestieren sollten.

NIcht nur unter Trump ist die Engagementpolitik gegenüber China out, sondern auch die Demokraten und die Republikaner sind bestenfalls für Congagement zu haben, um Containment oder gar einen direkten roll back zu verhindern. Kissinger stand und steht für Realpolitik, balance of power und Engagement it China-das ist vorbei und bringt ihm noch mehr Feindschaft. UNter anderem auch durch die neue Realpolitikschule des offensiven Realismus von John Mearsheimer , der den defensiven Realismus eines Kissinger frontal angreift und auch mehr auf Konfrontation mit China stat auf Ausgleich setzt. Allen Kissingerkritikern auf der Linken sei gesagt, dass es heftigere Fraktionen innerhalb der USA gibt als der ewig gescholtene Kissinger.

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