Gefahr von rechts und sogenannten „Alternativmedien“?

Gefahr von rechts und sogenannten „Alternativmedien“?

Global Review repostet zwei lesenswerte Artikel: Klaus Bachmanns „Reichsbürger, Querdenker und andere Spinner sind keine Gefahr für die Demokratie“ über die Frage, was „gespaltene Gesellschaft“ eigentlich bedeutet oder ob es sich dabei nicht eigentlich eben um Demokratie handelt, wie er auch die Gefahr von Rechtsradikalen durch vermeintliche Putschversuche relativiert.

Ganz interessanter Artikel von Klaus Bachmann, der das sehr gut differenziert. Auch diesen inflationären Gebrauch des Wortes „gespalten“. Zum Teil bedenkenswert, aber die „tiefe Spaltung“ mit Demokratie gleichzusetzen, heißt auch zu leugnen, dass sich in den letzten 10 bis 15 Jahren etwas massiv verändert hat in den Demokratien, und das ist, dass beide Seite einander wesentlich intoleranter und ideologischer gegenübertreten, als das früher der Fall war. Es gibt kein Verständnis für die andere Position, weil man überzeugt ist, moralisch im Recht zu sein. Und diese Überstrapazierung der Moral ist die eigentliche Krankheit unserer Zeit, die mit Demokratie sehr wenig zu tun hat. Bei dieser simplen Gleichsetzung „Spaltung“- „Demokratie“ hatte ich auch etwas Probleme. Vielleicht liegt es auch daran, dass es heute mehr Krisen auf einmal gibt ,die auch durch die Vernetzung der Globalisierung direkter und schneller interagieren, katalysiert durch eben die sozialen Medien oder wie der WEF in Davos es nannte: Die Polykrisenwelt. Aber versuchte Parlamentsstürme hatten wir in der Nachkriegs-BRD noch nicht, es gab auch noch nicht so viele Parteien und Fragmentierung von Partikularinteressen. Aber während des Kalten Kriegs waren die Leute auch nicht so tolerant, gab es auch Parolen wie Freiheit oder Sozialismus wie jetzt eben Wokeness oder Freiheit/ Ökosozialismus oder Freiheit/ Coronadikatur oder Freiheit, etc. , heftige Beschimpfungen im Parlament, hieß es schnell, man solle doch rüber gehen, wenn es einem nicht passt oder eben man sei ein kalter Krieger oder Antikommunist, Berufsverbote und Radikalenerlass, schaltete der BR schon Mal den Scheibenwischer von Hildebrand ab, gewalttätige Demonstrationen gegen die Lüderatz oder Berliner Sylvesternächte ein Pfadfindertreffen sind, Hausbesetzungen und militanter Häuserkampf, dann der ganze Links- und Rechtsterrorismus samt Deutschem Herbst und Oktoberfestattentat, konnte man für eine falsche politische Bemerkung im falschen Lokal schon Mal eine aufs Maul bekommen, Solingen, Hoyerswerda, Attentat auf Schäuble und Lafontaine, etc. Also da wird die gute alte Nachkriegsdemokratie doch etwas beschönigt und ist vieles in der guten alten Zeit vergessen. Und bei den Jahrzehnterückblicken The 70s, The 80s, The 90s, the 2000s im Fernsehen wird vor allem Musik, Mode und Lifestyle gebracht.

Zum zweiten hat Klaus Bachmann schon recht, wenn er auf die misslungenen Putschversuche oder was sich als solches begreift, hinweist und differenziert, aber er malt da etwas schön, denn Capitol Hill und Bolsonaros Putschversuch in Brasilien waren schon näher dran an einer Machtübernahme, als etwa deutsche Reichbürgerterrorzellen oder Querdenkerministürme. Hinzu vergisst er zu erwähen, dass eines Tages auch mal die Leute in Militär, Polizei und Sicherheitsapperat sich durchaus auf die Seite von Putschisten stellen könnten und das Zusammenspiel dann eher ein Chile 1973, Obristenputsch oder ähnliches hervorbringen kann. Aber die Hauptgefahr liegt eher in einer ganz legalen, demokratischen Machtergreifung, in der die AfD eine Mehrheit erringt oder mittels einer Koalition, die die vielzitierte demokrtaische Brandmauer einreisst. Hitler versuchte zuerst auch auf nichtparlamentarischen Weg und Hitlerputsch 1923 auf bei der Feldherrenhalle mit erhofftem Marsch auf Berlin nach Mussolinis Vorbild die Demokratie zu stürzen. Nach seinem Wellnessurlaub in Landsberg, in dem er Mein Kampf schrieb, besann er sich den legalistischen Weg über die Parlamente anzutreten, freilich mit Begleitung durch ausserparlamentarische Aktionsformen wie SA- Aufmärsche- und terror, Berliner Bahnarbeiterstreik , Volkssuppenküchen, etc. Hitler wurde im übrigen demokratisch gewählt und ihm dann sukkzessive seitens der Konservativen und Nationalkonservativen die Macht überlassen. Dennoch ist der Artikel von Klaus Bachmann ein wertvoller Kontrapunkt vor allzu hysterischen Betrachtungen rechtsradikaler Macht.

„Reichsbürger, Querdenker und andere Spinner sind keine Gefahr für die Demokratie

Die Medien regen sich gerne auf. Vor allem bei Straßenprotesten und Stürmen auf Parlamente. Doch richtig putschen will gelernt sein. Ein Einführungskurs.

Klaus Bachmann

22.01.2023 | 09:40 Uhr

Am 30. August 2020 lagen die Nerven blank. Mehrere Hundert Teilnehmer einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen zogen vor den Reichstag, durchbrachen eine Absperrung und „stürmten die Treppe hoch“, von wo sie von mutigen Polizisten, die hoffnungslos in der Unterzahl waren, wieder vertrieben wurden. In manchen Medien wurde das zu einem „Versuch, den Reichstag zu stürmen“.

Niemand konnte ahnen, dass so etwas einige Monate später tatsächlich geschehen würde – allerdings nicht im Reichstag in Berlin, sondern im Capitol in Washington. Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das sei ihm zugutegehalten, war das eine „rechtsextreme Pöbelei“ und ein „Angriff auf das Herz unserer Demokratie“, nicht auf die Demokratie selbst. Der Sturm aufs Capitol dagegen wurde zum Putschversuch, es gab ja immerhin Tote und Randalierer in kuriosem Outfit stürmten bewaffnet und auf der Suche nach Parlamentariern durch die Gänge.

Sind Länder wie Russland und China nicht tief gespalten?

Nun geschah etwas Ähnliches in Brasilia, wo praktischerweise alle zentralen Institutionen der brasilianischen Demokratie auf demselben Platz angeordnet sind: Parlament, Präsidentenpalast und Oberster Gerichtshof.

Liest man die Pressemeldungen, Agentur- und Onlineberichte seriöser Medien in den letzten zwei Jahren, so kommt man zum Schluss, die Demokratie ist weltweit in höchster Gefahr durch unberechenbare Mobs von der Straße, die meistens rechtsradikal sind und besonders gut gedeihen in Ländern, deren Gesellschaften „tief gespalten“ sind. Also fast überall. Denn welches Land ist heute nicht „tief gespalten“, angefangen von den USA über die Türkei, Ungarn, Venezuela, Polen, Italien, Frankreich, Post-Brexit-Großbritannien bis zu, natürlich, wie konnte ich das vergessen, der Bundesrepublik.

Nur Länder wie Russland, Belarus, China und Nordkorea sind seltsamerweise nicht tief gespalten. Obwohl die Demokratie dort selbst unter dem Mikroskop nicht mehr erkennbar ist. Sollte der Ausdruck „tief gespalten“ vielleicht nur ein anderes, sorgsam kodiertes Wort für „demokratisch“ sein?

Gehen wir der Sache nach: Sind Länder, die unsere Medien und Politiker für tief gespalten halten, auch wirklich tief gespalten? Ergibt sich daraus eine Gefahr für die Demokratie? Und wer macht diese Gefahr dann aus: Rechtsradikale Impfgegner, die eine Absperrung durchbrechen? Oder kommt die Gefahr vielleicht von ganz woanders …?

 Von den Vorteilen „tiefer Spaltung“

Wer ein Land tief spalten will, sollte ihm eine Verfassung verpassen, nach der sein Präsident direkt vom Volk mit absoluter Mehrheit gewählt werden muss und sehr weitgehende Kompetenzen hat. Das garantiert, dass sich selbst das komplizierteste Parteiensystem vor den Wahlen in zwei unversöhnliche Lager aufspaltet, von denen ja nur eines den Präsidenten stellen kann. Und jeder Wähler nur zwei Optionen hat: den einen Kandidaten zu wählen und den anderen abzulehnen.

Ersatzweise kann man auch das britische Modell anwenden: gar kein Präsident, aber ein Wahlsystem mit Einerwahlkreisen und Mehrheitswahlrecht, das garantiert, das aus jedem Wahlkreis nur ein Kandidat ins Parlament kommt und die auf seine Gegner abgegebenen Stimmen verfallen. Die Kombination aus beidem gibt es in Frankreich, weshalb Frankreich auch ein dankbares Beispiel für alle abgibt, die tief gespaltene Länder suchen.

Solche Wahlsysteme bringen mit ziemlicher Sicherheit immer die eine Hälfte der Wähler gegen die andere Hälfte auf, jedenfalls solange der Wahlkampf dauert. In manchen führt das sogar dazu, dass die Anhänger des einen Kandidaten versuchen, die Anhänger des anderen umzubringen. So geschehen 2007 in Kenia. Danach einigten sich beide Kandidaten aber auf die Bildung einer gemeinsamen Koalitionsregierung, die erstaunlicherweise sogar hielt und für Ruhe sorgte, die bis heute anhält. Ist Kenia also ein tief gespaltenes Land?

Warum sollte Deutschland tief gespalten sein?

In der Bundesrepublik haben wir nichts von alledem. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, manchmal sogar ganz ohne aussichtsreiche Gegenkandidaten, der Bundestag wird nach einem komplizierten Misch-System gewählt, das dafür Sorge trägt, das möglichst wenige Stimmen unberücksichtigt bleiben. Nur wer seine Stimme einer jener Parteien gibt, deren Werte in den Umfragen unter „andere“ abgehandelt werden oder die sich um die Fünf-Prozent-Hürde bewegen, geht das Risiko ein, seine Stimme zu verschwenden.

Aus den drei Parteien der Bonner Republik sind inzwischen sechs geworden, aber kein Präsidentschaftswahlkampf zwingt sie, sich in zwei feindliche Lager zu spalten. Anders als in den Niederlanden, die seit jeher so ein System haben, gibt es nicht einmal Volksabstimmungen, die die eine Hälfte des Volkes gegen die andere aufbringen könnten.

Warum also sollte Deutschland tief gespalten sein? Weil die Leute unterschiedlicher Ansicht sind, weil manche sich impfen ließen und andere nicht, weil circa 85 Prozent der Erwachsenen die AfD ablehnen und 15 Prozent nicht? Weil es die AfD überhaupt gibt? Erinnert sich noch jemand daran, wie es war, als die AfD noch linksradikal war und PDS hieß?

Damals war das Land wirklich gespalten, in Ost und West, mit unterschiedlich hohen Renten, Löhnen, Grundstückspreisen, Ersparnissen und Vermögensverhältnissen. Vielleicht sollte man für solche Verhältnisse einen neuen Begriff einführen: ein zu allertiefst gespaltenes Land? Selbst so eines kann aber demokratisch sein und bleiben. Und selbst eine Allertiefstspaltung führt seltsamerweise nicht dazu, dass Leute mit Reichsfahnen und Aluhüten die Demokratie in Gefahr bringen, indem sie auf den Reichstag zutorkeln.

Nein, davon geht vielleicht eine Gefahr für die öffentliche Ordnung aus, aber nicht für die Demokratie. Das erkennt man, nimmt man diese Befürchtung ernst und rechnet sich aus, was denn geschehen wäre, wenn die Demonstranten im August 2020 in den Reichstag ein- statt nur zu ihm vorgedrungen wären, was geschehen wäre, wenn der Mob in Washington das Capitol dauerhaft besetzt hätte und wie die Randalier-Orgie in Brasilia hätte aussehen müssen, um ein richtiger Putsch zu werden, also etwa so, wie der fehlgeschlagene Militärputsch in der Türkei 2016. Das lässt dann auch den jüngsten sogenannten Putschversuch, in dessen Mittelpunkt ein verwirrter Adliger, ein ehemaliger KSK-Offizier und eine ehemalige AfD-Abgeordnete standen, in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Ein Putsch, direkt von der Straße?

Nehmen wir also nicht nur an, die Demonstranten von 2020 wären tatsächlich in den Reichstag eingedrungen und die angeblichen Putschisten aus dem vergangenen Jahr wären sogar unter ihnen gewesen. Und sie hätten unter den Abgeordneten Geiseln genommen, um die Sicherheitskräfte auf Abstand zu halten. Was dann? Was tun, wenn die Vorräte im Lampenladen, der Kantine und dem Käfer-Roof-Top aufgebraucht sind, sich draußen die SEK häuslich eingerichtet hat, alle Fernsehanstalten es ablehnen, die Forderungen der Besetzer zu senden, und die sich nicht einigen können, was sie überhaupt fordern sollen: den sofortigen Abschuss aller Chemtrails über dem Berliner Himmel, den Rücktritt Steinmeiers und Merkels, die Einsetzung eines Prinzen als Reichsverweser und Konkursverwalter der Deutschland GmbH oder die Wiedereinsetzung von Kaiser Wilhelm II., der zur Zeit nicht vorzeigbar ist, weil er seit 1933 in den Niederlanden vor sich hin modert? Die sofortige Abschaffung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, weil es eine allgemeine Impfpflicht, deren Abschaffung man fordern könnte, ja gar nicht gibt?

Weil keine Regierung solche Forderungen erfüllen würde, selbst wenn sie es könnte, müsste man damit rechnen, dass die Besetzer etwas unwirsch werden und beginnen, die eine oder andere Geisel zu misshandeln oder sogar umzubringen. Worauf der Reichstag ein zweites Mal, dafür aber professionell, gestürmt wird und die überlebenden Reichsbürger und Chemtrail- und Impfgegner für einige Jahre hinter Gitter wandern.

Ein gelungener Putschversuch führt selten zu Strafen

In Washington war die Lage da etwas angespannter, denn niemand weiß, wie sich Donald Trump in so einer Lage verhalten hätte. Immerhin war die alte Regierung noch im Amt und Trumps Innen- und Verteidigungsminister hätten auch einfach Anweisung geben können, abzuwarten, ob die Metropolitan Police mit den Besetzern fertig wird. Daran – und an den Ereignissen in Brasilia – sieht man: Es spielt nicht wirklich eine Rolle, wie radikal ein Mob randaliert und was er in Trümmer legen will, entscheidend ist, wie gut er organisiert ist, wie sich die Institutionen verhalten: die Polizei, die Armee, die Regierung, die Medien.

Die Chance, dass eine mehr oder weniger zufällige Meute eine funktionierende demokratische Regierung stürzt, ist gleich null. Wo das gelungen ist, waren die Proteste nicht spontan, sondern von Teilen des politischen Establishments organisiert, wie bei der Orangenen Revolution in der Ukraine, während des Arabischen Frühlings und während des Euromaidan in der Ukraine 2014. In diesen Fällen hielten sich die Sicherheitskräfte zurück, stellten sich gar auf die Seite der Protestierenden oder sie waren gespalten, wie 2016 in der Türkei, wo eine Minderheit in der Militärführung gegen die Mehrheit putschte.

Auch der angebliche Putschversuch in Brasilia hätte Erfolg haben können, wenn er gut vorbereitet gewesen wäre, die Armee ihn unterstützt hätte und Javier Bolsonaro rechtzeitig aus Florida zurückgekommen wäre, um sich an die Spitze des Aufstands zu stellen. Dann allerdings hätte es die Randalierer gar nicht gebraucht – sondern nur eine entschlossene und einige Militärführung wie 1973 in Ruanda, 1999 in Pakistan und 2006 in Thailand, wo die Machtverhältnisse nach dem Putsch so eindeutig waren, dass es gar keine Unruhen gab, die das Militär hätte unterdrücken können.

Straßenrandale sieht bedrohlich aus, liefert jede Menge Fernsehbilder und Material für Aufregung und Panik in den sozialen Medien, aber sie ist keine Gefahr für die Demokratie. Juristisch ist das übrigens irrelevant: Der seltsame Prinz und der Mann im Bison-Kostüm im Kapitol sind nicht deshalb unschuldig, weil ihr Putschversuch keine Chance auf Erfolg hatte. Das macht sie zu lächerlichen Figuren, aber nicht zu Unschuldslämmern, denn der Versuch des Umsturzes ist strafbar, nicht das Gelingen. Das Gelingen eines Putsches ist für die Putschisten in den seltensten Fällen strafbar.

Die Gefahr kommt aus den Institutionen

Das bedeutet nicht, dass die Demokratie nicht in Gefahr ist. Seit Jahren geht die Zahl der demokratischen Staaten weltweit zurück und in vielen demokratischen Staaten geht die Demokratie langsam, aber sicher vor die Hunde. Da genügt ein Blick auf die Entwicklung in Venezuela, der Türkei, Ungarn, Polen. Dort wird die Demokratie nicht von Straßenmobs, sondern vom politischen Establishment selbst ausgehöhlt, in der Regel, weil die Herrschenden nicht an die Macht, sondern von der Macht, die sie haben, immer mehr wollen.

Das beste Beispiel dieser Tage kommt aus Israel und es hat kaum etwas damit zu tun, dass dort nun die seit 1948 rechtsradikalste, religiös fanatischste und gleichzeitig nationalistischste Koalition an die Macht gekommen ist. Es hat dagegen alles damit zu tun, dass diese nun darangeht, die Gewaltenteilung auszuhebeln, um ihre Macht zu erweitern. Früher jagten Politiker mit diktatorischen Ambitionen Parlamente auseinander oder zerschossen sie sogar, sie sperrten Abgeordnete und politische Gegner ein und ermordeten sie. Das sind alles spektakuläre Aktionen, die das Ausland aufbringen, das Risiko bergen, neutrale Bürger zu erbosen und die Opposition zu mobilisieren.

Sie schrecken Touristen und Investoren ab, jagen die Zinsen in die Höhe, drücken die Börsenwerte und den Kurs der Landeswährung in den Keller und erschweren es, das Land mithilfe von ausländischen Krediten wieder ruhigzustellen. Will man das vermeiden, attackiert man eine Macht, die sich nicht wehren kann: die Justiz. Deren Angehörige sind darauf trainiert, apolitisch bis zur Selbstverleugnung zu sein. Man kann sie politisch, medial und sogar körperlich angreifen und dabei sicher sein: Sie werden sich nur juristisch dagegen wehren.

Man kann sogar die Öffentlichkeit auf die eigene Seite ziehen, indem man ihr – wie seit 2016 in Polen, seit 2010 in Ungarn und jetzt in Israel – einredet, Richter usurpierten ihre Macht, weil sie ja niemand demokratisch gewählt hat. Und dann wechselt man Richter, Staatsanwälte und Polizeioffiziere aus, bis Recht und Ordnung mit dem übereinstimmen, was die Regierung will. Danach kann man einfache Gesetze erlassen, die gegen die Verfassung verstoßen und die das ausgewechselte Verfassungsgericht dann für verfassungskonform erklärt – das ist die polnische Version dieser Art von „Demokratie“.

Die israelische ist, das Parlament den Obersten Gerichtshof einfach überstimmen zu lassen, wie es das in Polen früher auch gab – in der Verfassung der kommunistischen Volksrepublik. Man kann natürlich auch – das ist die ungarische Variante – mit einer entsprechenden Parlamentsmehrheit einfach die Verfassung so ändern, dass sie anschließend nicht mehr demokratisch ist, dann entgeht man dem Problem, etwas Undemokratisches zu tun, das gegen die Verfassung verstößt. Und man kann, das ist die Maduro-Methode, einfach ein Gegenparlament wählen lassen, wenn einem die Zusammensetzung des bestehenden Parlaments nicht passt und man Grund zur Vermutung hat, dass die nach Neuwahlen auch nicht besser wird.

Spinner sind keine Gefahr für die Demokratie

Das alles sind Methoden, die langfristig zur Erosion und Abschaffung der Demokratie führen, aber das Risiko minimieren, das Ausland auf die Palme und die eigene Bevölkerung auf die Straße zu treiben. Wobei Letzteres noch das kleinste Übel ist, denn, wie man jetzt ja weiß: Ein Mob kann noch so wütend sein, er kann die Regierung nicht stürzen, solange sie einigermaßen funktioniert und Armee und Polizei bei der Stange bleiben.

Das letzte Mal, als man das in einem zutiefst, ja sogar zu allertiefst gespaltenen Land beobachten konnte, war während der Gelbwestenproteste in Frankreich 2018, in denen manche Kommentatoren schon die Vorboten einer neuen französischen Revolution sahen. Aber ob die Wutbürger auf der Straße rechts- oder linksradikal, Reichsbürger, Impfgegner, QAnon-Anhänger oder Linksradikale sind, ob sie Aluhüte oder gelbe Westen tragen, spielt eigentlich keine Rolle.

Wichtig ist nur: Wie gut sind sie organisiert, und können sie damit rechnen, dass wenigstens ein großer Teil von Polizei, Justiz, Armee und Öffentlichkeit mit ihnen sympathisiert? Wenn nicht, sind sie vielleicht im juristischen Sinne staatsgefährdend, aber trotzdem keine Gefahr für den Staat oder die Demokratie.“

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/reichsbuerger-querdenker-und-andere-spinner-sind-keine-gefahr-fuer-die-demokratie-li.309525

Zum zweiten ein Artikel von Matthias Meisner, sogenannt freier Journalist, der auch für die grüne taz mal schreibt, zumal einem Projekt der Liberalen Moderne anzugehören scheint und einen Überblick über sogenannte „freie Medien“ und „Alternativmedien“ gibt, den wir unterschreiben können aufgrund eigener Erfahrung und Erleben ihrer Autoren. Dennoch sollte sich der Autor etwas Distanz von Neocon-Grünen wie Fücks Liberale Moderne bewahren, denn Fücks fiel unter anderem als Mitglied der Heinrich- Böll-Stiftung dadurch auf, dass er den Aggressionskrieg der Bush jr.- Regierung gegen Saddam Husseins Irak 2003 rechtfertigte und auch eine NATO- Mitgliedschaft Israels forderte, um Europa auch noch in den Neocon- Feldzug reinzuziehen. Hier kann man berechtigterweise von einem Bellizisten sprechen. Die Kritik an den genannten alternativen Fakenewsmagazinen  und dieser Sorte genannter Alternativlügenpresse teilen wir, wenngleich man das Zitieren von Brzeinskis Chessboard und die Erwähnung einer Mitschuld der USA und der NATOerweiterung am Ukrainekrieg nicht gleich als Verschwörungstheorie oder prorussische Propaganda generell verdammen sollte. Das ist dann wieder ein Totschlagargument grüner Bellizisten wie Fücks und seiner Liberalen Moderne.„

„Alternative“ Medien

Verkehrte Parallelmedienwelt

29.01.2023

Sie nennen sich „alternative“ oder „freie“ Medien – und sind weder das eine noch das andere. Die Bandbreite reicht von NachDenkSeiten bis zum Compact-Magazin. Oft verschwimmen dort rechte und linke Ideologien, Coronaverharmlosung und pro-russische Propaganda. journalist-Autor Matthias Meisner hat sich intensiv mit diesem Spektrum beschäftigt – mit der Folge, dass er selbst immer wieder Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt ist.

Parallelmediewelt: „In verschwörungsideologische Diskurse verabschiedet.“

Das Imperium schlägt zurück. Tichys Einblick sieht in mir einen „Desorientierungsspezialisten“. Der Blogger Boris Reitschuster nennt mich „Karl-Lauterbach-Fan“ – und meint das nicht nett. Das Portal Telepolis setzt meine Berufsbezeichnung „Journalist“ in Gänsefüßchen. Vom Magazin Cicero bekomme ich den Titel „publizierender Aktivist“. Die NachDenkSeiten schreiben, ich sei bekannt für meine „intriganten Artikel gegen Sahra Wagenknecht“.

Es sind dies Auszüge aus einer reichen Sammlung an Anwürfen, mit denen ich konfrontiert bin, seitdem ich mich intensiv mit „alternativen Medien“ beschäftige. Ich versehe diesen Begriff tatsächlich mit Gänsefüßchen. Parallelmedien nennen sich „alternativ“ oder „frei“. Aber sie sind in der Medienlandschaft in aller Regel so wenig eine Alternative wie die AfD in der Parteienlandschaft. Mag das ein oder andere Portal gestartet sein, um eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen, so haben sich die meisten spätestens mit Beginn der Coronapandemie in verschwörungsideologische Diskurse verabschiedet.

Der Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat diese bedenkliche und teils demokratiefeindliche Entwicklung noch verschärft. In der Mehrzahl – es gibt Ausnahmen – sind die „alternativen“ Portale, ob rechts oder links oder Querfront, sehr nah an Deutungen des Kremls. In sogenannten Alternativmedien – hier konkret den NachDenkSeiten – ist zu lesen: „Russland handelt auch aus Notwehr.“

Coronaverharmlosung und pro-russische Propaganda gehen zuweilen nahtlos ineinander über. Dann zum Beispiel, wenn an einem Adventswochenende auf dem Supermarkt-Parkplatz einer Gemeinde in Brandenburg aus einem grünen Kastenwagen ein Podcast des in der EU nach Beginn des Kriegs verbotenen Senders RT DE übertragen wird. Ein Aktivist der Querdenker-nahen Partei Die Basis mit langem Bart und Uschanka-Mütze spricht die Leute an, in seinem Kraftfahrzeug hängt eine DDR-Flagge neben der von Russland. Es ist Agitation zu einer Jahreszeit, die nach dem Willen der „alternativen Medien“ als „Wut-Winter“ in die Geschichte eingehen soll.

„Mag das ein oder andere Portal noch gestartet sein, um eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen, so haben sich die meisten spätestens mit Beginn der Coronapandemie in verschwörungsideologische Diskurse verabschiedet.“

Dass die Parallelmedien ihr eigenes Bild von Gut und Böse zeichnen, habe ich erstmals vor vielen Jahren selbst erlebt. Als Tagesspiegel-Redakteur gehörte die Berichterstattung über die Partei Die Linke zu meinen Themengebieten. Inbegriffen war die regelmäßige Lektüre der NachDenkSeiten, von dem früheren SPD-Politiker Albrecht Müller gegründet als kritische Antwort auf die Agenda-Politik von Gerhard Schröder. Die Leute vom Blog wiederum lasen, was ich schrieb, und 2013 bescheinigte mir Müller: „Dieser Autor Matthias Meisner gehört zu einer Gruppe von Berliner Journalistinnen/en, bei denen man getrost annehmen kann, dass sie sich zum Ziel gesetzt haben, eine linke Alternative zu Angela Merkel zu verhindern.“ 2017 schrieb er, es gebe in der Hauptstadt „kampagnenmäßig arbeitende“ und „einflussreiche“ Medien, die mit „offenbar abgesprochenen und schrägen Argumenten“ speziell gegen die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht arbeiten würden. Ich wurde namentlich erwähnt.

Von „Lügenpresse“ zum „Infokrieg“

Die Sache mit den „Alternativmedien“ begann mich zu interessieren. 2017 verpflichteten Heike Kleffner und ich für den von uns herausgegebenen Sammelband Unter SachsenAndreas Raabe und Paul Simon vom Leipziger Stadtmagazin Kreuzer zu einem Text über Jürgen Elsässer und sein Compact-Magazin. Bei den Pegida-Aufmärschen in Dresden wurde zu jener Zeit „Lügenpresse“ skandiert, der aus Baden stammende Elsässer zog von Leipzig aus in den „Infokrieg“, als rechter Agitator gegen „Umvolkung“, „Volkszerstörung“, „Globalismus“ und „Mainstreammedien“, wie Raabe und Simon notierten. Die AfD sei für ihn „der Stock, mit dem wir die Blockparteien prügeln müssen, bis sie grün und blau sind“, wurde Elsässer zitiert. Die Autoren berichteten, dass immer wieder der Verdacht laut werde, Compact werde vom Kreml finanziert.

„Coronaverharmlosung und pro-russische Propaganda gehen zuweilen nahtlos ineinander über.“

Heute streiten das rechte Compact-Magazin und die links gestarteten NachDenkSeiten mit fast identischen Argumenten für eine neue Querfront-Partei, die dann mutmaßlich sehr national und sozial, russlandfreundlich und latent autoritär wäre, idealerweise mit Wagenknecht als Leitfigur. Elsässer hob die Linken-Politikerin auf die Titelseite des Dezember-Hefts, Überschrift: „Die beste Kanzlerin – eine Kandidatin für Links und Rechts“. NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger schrieb in einem Aufsatz: „Es wäre wohl wirklich besser, sie gründete ihre eigene Partei.“

Elsässer stand politisch mal weit links, er ist inzwischen am äußersten rechten Rand angekommen. Die NachDenkSeiten wiederum haben zuletzt nicht nur der AfD als einziger Bundestagspartei eine „progressive friedenspolitische Antwort“ auf den Ukraine-Konflikt bescheinigt und eine Rede von Alexander Gauland zum Thema als „Punktlandung“ gelobt. Sie würdigten auch in einer Artikelserie wohlwollend die Organisator:innen der Proteste zum „heißen Herbst“ im vogtländischen Plauen, die vernetzt sind mit der Reichsbürger-Szene. Sie interviewten eine Anführerin, die auf Facebook ein Video der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck geteilt hatte. Den Vorwurf, die NachDenkSeiten hätten sich zu Propagandisten für die AfD und andere Rechtsradikale gemausert, weist deren Chefredakteur Jens Berger in der Zeitung Junge Welt als „Rufmord gegen ein linkes alternatives Medium“ zurück.

Der Sozialwissenschaftler Horst Kahrs, der lange für die Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitete, erinnert daran, dass „freie“ und „alternative“ Medien in den 70er und 80er Jahren zu wichtigen Mitteln der Selbstverständigung und -behauptung der westdeutschen Alternativbewegung gehört und von bestehenden Medien liegen gelassene Informationen verbreitet hätten. Die taz sei eine wichtige Erfindung dieser Zeit. Heute beobachtet Kahrs verstärkt einen „Boom rechter Inhalte“. Er sagt dem journalist: „Antidemokratische, anti-egalitäre und anti-institutionelle Einstellungen gab es schon immer an den Stammtischen, sie haben nun andere Wege der Verbreitung und Sichtbarkeit.“ Kritik an staatlichen Maßnahmen sei grundsätzlich notwendig, problematisch werde es, wenn sich diese mit „grundsätzlich feindlichen Einstellungen gegenüber dem demokratischen Staat“ gemein mache. „Rechte Narrative konnten und können nur deshalb eine Gefahr werden, weil sie vorhandene Kritik und Missstände aufgreifen, nicht um sie abzustellen, sondern um Wut, Zorn und Abwendung zu schüren.“

Ähnliche Eindrücke hat das Team des Katapult-Magazins aus Greifswald, das in der Ende Dezember erschienenen Ausgabe seiner Sonderausgabe Knicker die Netzwerke alternativer Medien zum Thema machte – von „verschwörungsideologisch“ wie bei Ken Jebsens neuem Format Apolut, Rubikon und Westend-Verlag über rechtskonservative Blogs und Video-Formate wie reitschuster.de, Tichys Einblick und Achtung, Reichelt! bis zu rechtsradikalen Medien wie Compact oder Auf1. Im Editorial verweist die Redaktion darauf, dass Studierende im Zuge der 68er-Bewegung in der Bundesrepublik frischen Wind in die bürgerlich-konservative Medienlandschaft gebracht hätten, mit Themen wie Kapitalismuskritik, Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und Emanzipation von Frauen. Inzwischen aber sei bei den sogenannten Alternativmedien „das Drama alltäglich“, dem Großteil der Artikel „die Lust am rhetorischen Überhitzen anzumerken“. Und: „Wo etablierte Medien Probleme sehen, erblicken die alternativen Katastrophen.“ Die Katapult-Redaktion sieht in ihrer Analyse zu Parallelmedien eine Linie von der Flüchtlingskrise 2015, bei der die deutsche Bevölkerung vermeintlich „ausgetauscht“ werden sollte, über 2020, als die Deutschen angeblich „ihrer Freiheit beraubt“ und 2022, als sie „durch Hunger und Kälte ausgezehrt“ worden seien. Die Redaktion schreibt: „Belege für die Thesen von der aufziehenden Diktatur, dem untergehenden Rechtsstaat oder eines Komplotts aus Spitzenpolitik und Presse gibt es keine.“

Es ist kein Anschlag auf die Pressefreiheit, so etwas zu sagen. Niemand will „alternative Medien“ verbieten oder zensieren. Dass der russische Propagandasender RT DE offiziell nicht zu empfangen ist – inoffiziell gibt es, siehe oben, nach wie vor Möglichkeiten – ist eine temporäre Maßnahme. Eine andere Frage ist, ob es richtig ist, dass Parallelmedien steuerlich begünstigt werden, indem Finanzämter sie oder ihre Fördervereine als gemeinnützig einstufen. Die einflussreiche rechte Internetplattform JouWatch warb jahrelang: „Sie sparen mit jeder Spende Steuern und können so dem ,Merkel-Regime‘ noch zusätzlich eins auswischen.“ Bevor ihr dann doch nach längerer Auseinandersetzung mit Behörden das Privileg entzogen wurde. Spenden an Rubikon, ein Portal mit linkem Anspruch, sind nach wie vor steuerlich abzugsfähig. Aber ist das gerechtfertigt, wenn dort beispielsweise die Medizin-Versuche der Nazis im Dritten Reich mit der Coronaimpfung von Kindern verglichen werden? Der Förderverein der NachDenkSeiten wiederum bekam zum Jahresende 2022 die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt Landau/Pfalz aberkannt – dieses sah den Anspruch der „Volksbildung“ nicht mehr umgesetzt. Der Anstoß für diesen Schritt sei „von oben“ gekommen, mutmaßte das Portal.

„Niemand will „alternative Medien“ verbieten oder zensieren. Eine andere Frage ist, ob es richtig ist, dass Parallelmedien steuerlich begünstigt werden, indem Finanzämter sie oder ihre Fördervereine als gemeinnützig einstufen.“

Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, hat vor ein paar Monaten gesagt: „Inzwischen wissen wir, dass Verschwörungsgläubige auch Qualitätsmedien nur noch nach Nachrichten absuchen, die in ihre Verschwörungsmythen passen – alles andere wird als Zumutung empfunden.“ Es war ein Aufruf an die etablierten Medien, auf „billige Meinungsmache“ zu verzichten. Nicht zu versuchen, extremeren Stimmen ein Forum zu bieten, etwa mit „False Balance“, falscher Ausgewogenheit, um die Klickzahlen hochzutreiben. Blume benutzt den Begriff der „realistischen Medien“ im Gegensatz zu „populistischen Medien“. Er warnt: „Die Rolle von Medien in der Aufrechterhaltung oder auch Zerstörung von Demokratien wird noch immer unterschätzt. Wenn ein Mediensystem kaputt ist, stürzt die Demokratie ab.“

Das ist ziemlich gut zu beobachten in einem autoritär verfallenden Land wie Ungarn. Dort sind die Medien unter Viktor Orbán weitgehend gleichgeschaltet worden und verbreiten ungefiltert Staatspropaganda. Schon vor Jahren wurden fast alle regionalen und überregionalen Tageszeitungen von Fidesz-nahen Oligarchen aufgekauft. „Alternative Medien“ braucht es dort gar nicht mehr. In der Rangliste der Pressefreiheit liegt Ungarn inzwischen auf Platz 85 von 180 – unter den EU-Mitgliedsstaaten kommt nur Bulgarien auf einen schlechteren Wert.

Im November nahm Ben Kutz für Übermedien ein Interview der deutschsprachigen Budapester Zeitung mit Premier Orbán auseinander, nannte es „Kuscheljournalismus aus Ungarn“. Chefredakteur Jan Mainka forderte Orbán in dem Gespräch auf, „aus der ewigen Defensive herauszukommen“ und sich „um die Demokratie und Pressefreiheit in Deutschland Sorgen zu machen“. Orbán antwortet, doppelte Standards werde Ungarn nicht tolerieren. Chefredakteur Mainka zeichnete im Gespräch mit Übermedien das schräge Bild von Ungarn als Hort der Pressefreiheit und von Deutschland als Land, in dem die Journalisten eine Agenda verfolgen und die Leitmedien „wie gleichgeschaltet“ schreiben.

Die „Alternativmedien“ im deutschsprachigen Raum waren vom Orbán-Interview in der Budapester Zeitung begeistert. Vier von ihnen, unter anderem Compact und die rechtskonservative Junge Freiheit, druckten das Interview in voller Länge nach. „Und Artikel gibt es da ohne Ende“, bedankt sich Mainka bei der Alternativmedienszene.

Als ich im Herbst 2021 vom Zentrum Liberale Moderne – einem von dem Grünen-Politikerpaar Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründeten Thinktank – angesprochen wurde, ob ich mitwirken möchte an einem Projekt zur Analyse „alternativer Medien“, habe ich nicht lange gezögert. Die Geschichte der „freien Medien“ scheint mir nicht auserzählt zu sein. Sind sie eine Bereicherung der Medienlandschaft – oder eine Gefahr für die Demokratie?

Als freier Mitarbeiter gehörte ich bis November 2022 ein Jahr lang zum Team und beschäftigte mich mit der Frage, ob „Gegenmedien“ – so der Projekt-Titel – zu einer „Radikalisierungsmaschine“ geworden sind. Belege für eine solche Radikalisierung fanden wir jede Menge: von Corona über die Positionierung in der Genderpolitik, die Klimapolitik und gegen „die da oben“ sowie zuletzt vor allem zum Krieg gegen die Ukraine. Das Projekt wird vom Bundesfamilienministerium aus dem Programm „Demokratie leben!“ und von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert. Das sollte zu einem Knackpunkt werden.

Die Gegenwehr wurde vehement, als ich im Frühjahr im Blog Volksverpetzer die Frage aufwarf, ob der Kreml-Propagandist Florian Warweg, lange Jahre in führender Rolle bei RT DE, für die NachDenkSeiten in die Bundespressekonferenz aufgenommen werden sollte, den Verein der Hauptstadtkorrespondent:innen. Und als etwa zur gleichen Zeit der Trierer Politikprofessor Markus Linden für das „Gegenmedien“-Projekt die erste Fallstudie zu den NachDenkSeiten erstellte – mit der Einschätzung, dass das Portal als „Scharnier für verschwörungstheoretisches Denken“ fungiere.

Die Erzählung der Kritiker:innen des Projekts lautet seither: Mit Staatsgeld werden Regierungskritiker:innen mundtot gemacht. Sie wird wörtlich oder sinngemäß verbreitet auf Infrarot, dem Kanal des früheren Chefredakteurs von RT DE, Ivan Rodionov. Von Reitschuster. Aber auch von Friedrich Küppersbusch, der in dem Projekt eine Arbeit sieht, die auch „jeder schlechte Geheimdienst tun könnte und tut“. RT DE meldet, ich habe ein „faktisches Berufsverbot“ für Florian Warweg gefordert. In der Welt beschreibt mich Frank Lübberding als Schlüsselfigur eines „Netzwerks zur Markierung politischer Feinde“. Der Text des Springer-Blatts enthält wesentliche Elemente einer Verschwörungstheorie. AfD und Linksfraktion stellen Anfragen zu dem „Gegenmedien“-Projekt an die Bundesregierung – und kritisieren, dass die Regierung Maßnahmen gegen russische Desinformation ergreift und dabei auch die Rolle von „Alternativmedien“ in den Blick nimmt.

Beschimpfungen und Morddrohungen

Ist es legitim, dass mit öffentlichen Mitteln Analysen zu „alternativen Medien“ gefördert werden? Grundsätzlich sei dies „nicht unproblematisch“, sagt René Martens von der auf der Seite des MDR erscheinenden Medienkolumne Das Altpapier. Denn es könnte eine „Grundgewogenheit gegenüber den Geldgebenden“ erzeugen, zitiert er eine vom Medienwissenschaftler Volker Lilienthal in ähnlichem Kontext gebrauchte Formulierung. Andererseits sagt Martens zum journalist: „Jene, die mit dem Verweis auf staatliche Gelder die Arbeit von Leuten, die über Verschwörungsideologien informieren, zu diskreditieren versuchen und ihnen vielleicht sogar implizit eine Obrigkeitshörigkeit unterstellen, sind ja in der Regel Personen, die autoritärere Verhältnisse herbeizuschreiben versuchen. Insofern hat diese Art von Kritik etwas von einem Treppenwitz.“ Grundsätzlich seien reflexhafte Reaktionen nach dem Motto „Kritik taugt nichts, weil vom Staat bezahlt“ auch „ein Symptom dafür, wie unterentwickelt die Diskussion über die öffentliche Förderung publizistischer Angebote in Deutschland immer noch ist“.

Reaktionen auf das „Gegenmedien“-Projekt gibt es derweil auch solche: Morddrohungen gegen den Trierer Professor Linden, den Autor der Fallstudie. In einem – inzwischen gelöschten – Leserkommentar auf Telepolis hieß es: „Ein professoraler, sich der Macht und dem Kapital-Mammon anschmierender Mietling. (…) In Paris gab es für solche Mietlinge einmal Laternen.“ Auf Twitter schrieb ein User: „Die Lügenpropagandisten werden nach und nach von der Wahrheit zerfetzt.“ Ich selbst bekomme im November eine E-Mail mit dem Betreff „NachDenkSeiten“: „Wenn man erklären sollte was Ungeziefer ist würde dein Name ganz weit oben stehen. Du bist das Sinnbild für Dreck und Abschaum der samt Sippe sofort entsorgt werden sollte.“ Es sollte nicht die einzige Nachricht dieser Art bleiben.

Ausdrücklich: Die Masche der „alternativen Medien“, ihre Allianzen und Netzwerke dürfen und müssen in den Blick genommen werden. Auch als Ermunterung, bei der Berichterstattung über sie achtsam zu sein. Wie das nicht funktioniert: Beim Lokalsender TV Berlin durfte sich in einem 38 Minuten langen gefälligen Interview der Chefredakteur des rechten österreichischen Senders Auf1, Stefan Magnet, ausbreiten. Befragt wurde er von Silke Schröder, die eigentlich im Immobiliengeschäft tätig ist, im Nebenberuf aber auch Videos für den AfD-nahen Deutschland-Kurier produziert. Der Sender Auf1, der laut Beobachter Markus Sulzbacher aus Österreich „exzessiv Desinformation und Verschwörungsmythen“ verbreitet, expandiert aktuell nach Deutschland. Als Hauptstadtkorrespondent hat er Martin Müller-Mertens von Compact verpflichtet.

Im Interview spielen sich Magnet und Schröder die Bälle zu, mit Stimmungsmache gegen die „Mainstreammedien“ und „manipulative Berichte in öffentlich-rechtlichen Medien“. Die Macht der „Kartellmedien“ müsse gebrochen werden, fordert Magnet, und spricht von einer notwendigen „Medienrevolution“. Die „Zensur“ – so wird das temporäre Verbot von RT in der EU genannt – sei eine „Warnung an alle freien Berichterstatter“. Ein Video als Propagandastück. Und nur ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Parallelmedien ihre eigene Welt schaffen. Eine verkehrte Welt.

Matthias Meisner ist freier Journalist, unter anderem für die taz.

https://www.journalist.de/startseite/detail/article/verkehrte-parallelmedienwelt

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