Auf zum letzten Gefecht-Endsieghype im Ukrainekrieg: Was wenn Putin trotzdem „siegt“?

Auf zum letzten Gefecht-Endsieghype im Ukrainekrieg: Was wenn Putin trotzdem „siegt“?

Lesenswerter Beitrag vom Militärhistoriker Sönke Neitzel, der kritisiert, dass der Weste nach jeder Waffenlieferungsrunde meine, dass jetzt ein „Sieg“ der Ukraine unmittelbar bevorstehe und es zur entscheidenden Endschlacht komme, die dann klare Verhältnisse und Verhandlungen samt Frieden bringe und dann bald alles wieder gut sei. Aber wenn der Westen mittel- und langfristig nicht weiter Waffen liefern kann, die ukrainischen begrenzte Potentiale zunehmend ausgeschöpft sein werden- was dann? Ws wenn das russische Eskalationspotential und Mobilisierungspotential doch mittel- und Langfristig größer ist und Putin das aussitzt, zumal mit Hoffnung auf die US- Wahlen 2025 und nicht von moderateren Kräften gestürzt wird. Wofür zur Zeit wenig spricht, eher für noch radikalere Kräfte. Neitzel glaubt auch nicht an einen schnellen Erfolg von Verhandlungen oder des chinesischen Sonderbeauftragten für Eurasien und den Ukrainekrieg Li Hui, dem ja seitens friedenssüchtiger Westler geradezu Superkräfte an Diplomatie zugestanden werden. Vielleicht hat Xi Putin zwar grünes Licht gegeben bei dem Ukrainekrieg, weil er auf einen schnellen Erfolg hoffte der den Durchbruch zu einer neuen multipolaren russisch-chinesischen Weltordnung befördern und katalysieren könne, doch nachdem dies erst mal fehlschlug, gebärdet sich Xi  nun als Friedenstraube, kann aber Putin vielleicht doch nicht so kontrollieren und unter Druck setzen, und hätte auch an einer zu desaströsen militärischen Niederlage Putins auch kein Interesse, zumal China eben auch noch die Zusammenarbeit mit Russland vertieft hat. Möglich also, dass Putin das aussitzen kann, ja sogar einen „Sieg“ oder relativen „Sieg“ erzielen kann, vielleicht auch eine Korealösung ala US- Generalstabschef Milley, die eben nicht die volle territoriale Integrität herstellt und eben dann auch ein faktisches Eingeständnis wäre, dass man trotz regelbasierter internationaler UNO- Ordnung die Veränderung von Grenzen mittels Recht des Stärkeren so akzeptiert wie die damalige Seperation und Unabhängigkeit des Kosovos durch den NATO- Krieg gegen Serbien in den 90er Jahren. Neitzel glaubt eher an einen längeren Krieg mit ungewissem Ausgang, ja schließt auch einen Sieg Putins nicht aus und verweist, dass der weitere Verlauf von vielen Faktoren abhänge die er aber leider nicht näher benennt, auch die US-Wahlen nicht, die ein game changer sein könnten. Ex- General Vad und Domroese junior stimmen der Analyse Neitzels zu, wobei letzterer mehr prinzipiell, da er die Mobilisierungs- und Eskalationspotentiale des Westens und der NATO positiver beurteilt. Russlandexperte Dr. Alexander Rahr meinte dazu noch: „Irgendwann ist auch dieser Krieg zu Ende Die Russen schätzen 2025“. Meint wohl: Nach den US- Wahlen. Trump meint ja, dass im Falles seiner Wiederwahl ein Frieden mit Russland im Ukrainekrieg innerhalb von 24 Stunden erzielbar sei. Also zu seinem Amtsantritt im Januar 2025.Interesant ist auch, dass der deutsche Verteidigungsminister Pistorius bei der ARD- Talkshow Maischberger meinte, dass man bei Trump nicht genau wisse, wie er seine Aussage meine. Ob er Putin mit einem strategischen Atomkrieg , fire and fury ala Nordkorea und einer Kubakrise drohen werde, um einen Frieden zu Trumpbedingungen schnell zu erzwingen, wobei man nicht wisse, ob er überhaupt einen Plan oder eine Vorstellung habe, vielleicht bestenfalls noch Milleys Korealösung, vielleicht auch, dass Putin sich gegenüber China neutral verhalte oder ob Trump opportunistisch schnell einem Frieden zu Putinbedingungen zustimmen würde, um sich dann mit aller Front in Europa zu desengagieren und mit allen Kräfte auf China zu stürzen. Zumal Trumps Politik ja auch recht unberechenbar sei und viele unintended effects nach sich ziehe, die er scheinbar gar nicht in seiner Impulsivität bedenke.

Jedenfalls sind Neitzels Überlegungen bei dem ganzen Endsieghype um ein letztes Gefecht in der Ukraine  lesenswert:

„Militärhistoriker kritisiert Debatte

„Deutsche glauben nach jeder Waffenlieferung, die Ukraine müsse jetzt gewinnen“

Heute, 18.05.2023 | 09:41

Auch nach knapp eineinhalb Jahren führt Russland seinen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine mit unvermittelter Härte. Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärt die Rolle einer möglichen Gegenoffensive der Ukraine – und kritisiert die deutsche Debatte über den Kriegsausgang.

Während Kiews Truppen im Donbass weiter ihre Frühjahrsoffensive vorbereiten, hat das russische Militär hat in der Nacht erneut ukrainische Städte mit Drohnen und Raketen angegriffen. Auch nach beinahe eineinhalb Jahren tobt der Krieg zwischen dem Aggressor Russland und der Ukraine mit unverminderter Härte.

Im „Tagesspiegel“ äußerte sich Militärhistoriker Sönke Neitzel zur weiteren Entwicklung des Konfliktes. Er betonte, dass dessen Ausgang noch völlig offen sei und warnte vor übertriebener Euphorie bezüglich eines Sieges der Ukraine. Russland habe zwar Probleme, verfüge jedoch langfristig über eine größere Anzahl an Soldaten und ein größeres wirtschaftliches Potenzial, auch dank der Unterstützung Chinas.

Ukrainische Gegenoffensive brauche „noch etwas mehr Zeit“

Neitzel erklärte, dass eine mögliche Offensive der Ukraine den Krieg nicht entscheiden werde, wie es in früheren Kriegen der Fall war. Ein Erfolg wie im vergangenen September mit einem Vorstoß von 30 oder 40 Kilometern sei denkbar, aber die Frage sei, ob die Ukraine diese Gebiete halten könne. Die Offensive zielt laut Neitzel eher auf die Innenpolitik und die europäischen Länder ab, um zu zeigen, dass Waffenlieferungen Wirkung zeigen.

Seit Monaten bereits plant Kiew eine Gegenoffensive in der Donbass-Region zur Rückgewinnung von Gelände. Diese Offensive gegen die russischen Invasionstruppen werde sich allerdings noch weiter hinauszögern, so Staatschef Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag in Großbritannien. Für die Vorbereitung brauche die Ukraine „noch etwas mehr Zeit“, sagte Selenskyj dem britischen Sender BBC.

„Für Ukraine kann es keine strategische Überraschung mehr geben“

Neitzel erklärte im „Tagesspiegel“, ein schnelles Ende des Krieges sei auch im Jahr 2023 nicht zu erwarten. Weder die Ukraine noch Russland hätten die militärische Kraft, den Krieg rasch zu beenden. Russland spiele bewusst auf Zeit und habe durch die Mobilisierung seiner Armee eine strategische Position für einen Gegenangriff geschaffen. Neitzel wörtlich: „Für die Ukraine kann es keine strategische Überraschung mehr geben, nur noch eine taktische.“

Der Historiker betonte, dass die Ukraine nicht in der Lage sei, große Erfolge zu erzielen, die den Krieg beenden könnten. Die ukrainischen Kräfte seien geschwächt und die Unterstützung durch Verbündete wie Deutschland sei nach wie vor zögerlich. Neitzel kritisierte, dass es in der deutschen Debatte nach jeder Waffenlieferung den Eindruck gebe, die Ukraine müsse jetzt gewinnen und man könne sich dann anderen Problemen widmen. Er betonte, dass der Krieg andauere und eine massive Unterstützung der Ukraine durch Europa erforderlich sei.

Konflikt zwischen Nato und Russland weiterhin unwahrscheinlich

In Bezug auf die militärische Eskalation zwischen Russland und der NATO erklärte Neitzel, dass der Konflikt bisher nicht heikler geworden sei. Trotz eines brutalen Krieges auf russischer Seite hielten sich beide Seiten sauber voneinander fern. Eine nukleare Bedrohung sei auch weiterhin nicht akut und eine Eskalation unwahrscheinlich: „Selbst Bundeskanzler Scholz muss zugeben, dass seine Angst vor einem Atomwaffeneinsatz übertrieben war.“

Neitzel nannte drei mögliche Wege, den Krieg letztlich zu beenden: Die Ukraine könnte die russischen Truppen von ihrem Territorium vertreiben, Russland den ukrainischen Staat zerschlagen oder es käme zu einem Waffenstillstand oder einem Einschlafen der Kämpfe ohne Verhandlungen. Er erwartete jedoch nicht, dass Gespräche in absehbarer Zeit zu einem Erfolg führen würden. Die Unterstützung des Westens sei entscheidend für das Durchhalten der Ukraine, aber der Verlauf des Krieges hänge von vielen Faktoren ab, sodass keine seriöse Prognose möglich sei.“

https://m.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gegenoffensive-erwartet-militaerhistoriker-im-interview-krieg-in-der-ukraine-wird-weiter-andauern_id_194117618.html

So wichtig Sönkes Neitzels Beitrag ist, so bleibt er doch mehr auf den aktuellen Frontverlauf der Bodentruppen beschränkt und der möglichen Eskalationspotentiale, während der jetzige NATO- SACEUR den wichtigen Punkt ergänzt, dass man alle Waffengattungen seitens Russland, der Ukraine und auch dem Westen betrachten müsse und es da einige Bereiche gebe, wo die Russen geschwächt seien, andere hingegen nicht. Er sagt zwar auch, dass die russischen Bodentruppen enorme Probleme hätten, ihre Luftwaffe ausgedünnt sei, doch umgekehrt gibt er keine weiteren Angaben dazu was Putin noch alles mobilisieren könnte , geschweigen denn ob der Westen seine Waffenlieferungen, die ja an den eigenen NATO- Grundbeständen nagen so ewig nachleifern kann, insofern nicht noch etliche Milliarden nachgeschoben und auch de Rüstungsproduktion hochgefahren werden kann, wie er auch den möglichen game changer einer US- Wahl 2024 gar nicht bin seine Betrachtungen einbezieht, also keine politisch- ökonomischen Faktoren, sondern wie die meisten Militärs mehr eine primär militärische Sichtweise und nicht ganzheitliche Betrachtung hat.

“Russia’s ‚Eroded‘ Ground Forces Have Run Into ‚Big Problems’—U.S. General

By David Brennan in Tallinn, Estonia On 5/14/23 at 10:23 AM EDT

Christopher Cavoli speaking at Sweden conference

U.S. Army General Christopher G. Cavoli, commander of U.S. forces in Europe, speaks during the annual Society and Defence Conference in Salen, Sweden on January 9, 2023

General Christopher G. Cavoli, the commander of U.S. forces in Europe, has warned that the Russian military still poses a serious threat to the NATO alliance despite having „run into big problems“ during the disastrous invasion of Ukraine.

Speaking at the Lennart Meri Conference in Tallinn, Estonia, on Sunday, Cavoli urged Western observers not to jump to conclusions based on the repeated battlefield failures of the Russian land forces in Ukraine.

„The Russian military’s demise in Ukraine is something that has to be studied very closely,“ the general said. „It has not been even. It’s very easy to look and to think that the Russian military has collapsed, or is in dire trouble. But in fact, it’s been uneven.

„The ground forces are greatly eroded, they have run into big problems. And they’ve lost a lot of people, they’ve lost a lot of equipment. On the other hand, they’ve also ingested a lot of people. And you know, the Russian army, the ground force, today is bigger than it was at the beginning of this conflict. So, it still exists.

„The air force has lost less than 100 fighters and bombers. They have about 1,000 remaining. The navy has lost almost nothing, cyber has lost nothing, space lost nothing. So really, when we talk about the Russian military, we have to study it across all domains. And we have to be ready to deal with the Russian military into the future in all domains.“

The extent of Russian personnel losses in Ukraine remains unclear. Kyiv claims it has „liquidated“ almost 200,000 Russian troops since the full-scale invasion began on February 24, 2022. The estimate broadly chimes with an American estimate of nearly 200,000 Russian dead and wounded over the same time period.

As Cavoli spoke, reports were emerging of recent Ukrainian gains around the devastated Donetsk city of Bakhmut, which come ahead of an expected Ukrainian spring counteroffensive. Newsweek has contacted the Russian Defense Ministry to request comment.

European officials have previously told Newsweek that elite Russian units—including those historically deployed along NATO borders as part of the vanguard for a hypothetical invasion—have suffered losses of between 30 and 40 percent.

Some such units are being reconstituted with the help of Russia’s „partial mobilization,“ but the loss of experienced junior officers and professional contract troops will mean these units are likely operating at reduced strength and lower overall capability.

The demands of the war have forced Moscow to redeploy troops from border regions into Ukraine. Cavoli said that it is unclear how long it might take for Russia to return to pre-war strength, but that the relative health of the Kremlin’s air and naval arms means there remains a danger of an expanded war.

„How long will it take to rebuild? The question is: How long will it take to rebuild to do what?“ the general said. „They’re capable of doing things today. I think there’s not going to be a light switch that goes on or off now. We need to know we need to be prepared.

„We’ll need to be prepared across the continuum from here going forward to defend our nations, and in the case of the alliance to defend the territory of the states of the alliance,“ he added.“

https://www.newsweek.com/russia-eroded-ground-forces-big-problems-us-general-cavoli-ukraine-1800177

Tja, auch hier stellt sich die Frage: Was machen, wenn Putin doch „siegt“ und wie sehe dieser „Sieg“ aus und was wären dann die Konsequenzen und die angebliche und scheinbare Nachkriegsordnung, insofern dieser Frieden und relative Sieg nicht nur eine Verschnaufpause und Vorkriegszeit für eine weitere Kriegsrunde im Kampf für eine neue multipolare Welttordung sein wird?

Doch noch setzen etliche NATO- Leute, Politiker und Diplomaten auf einen Sturz Putins und hoffen auf eine nachhaltige Schwächung Russlands, das dann als Bündnispartner Chinas wegfalle. So etwa der ehemalige Botschafter in Moskau von Studnitz, der den Sturz Putins prophezeit, einen Sieg der Ukraine als den vollständigen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine, auch der Krim skizziert, die den Zerfall Russlands einleiten werde, wobei der Westen eine europäische Nachkriegsordnung ohne Russland, gestalten solle, eine Politik der Nichteinmischung, was ähnlich dem Beitrag der Foreign Policy bezüglich eines russischen Staatenzerfalls und eines Sperrriegels gegen Russland klingt, der ein Übergreifen russischer Instabilität auf die Nachbarstaaten verhindern soll. Der Westen solle auch keine Investitionen und Osthandel mehr aufnehmen, da dies gründlich gescheitert sei. Erhofft wird, dass auch Russlands Atomwaffenpotentiale ihre Bedeutung verlieren und mit Russland Chinas bisher wichtigster Verbündeter in seinem Kampf um eine multipolare Weltordnung wegfalle würde.  

„Russlands Zukunft – Was kommt nach Putin?

Wie auch immer der Ukrainekrieg endet: Die These, es gebe keine Sicherheit in Europa ohne Beteiligung Russlands, wird in Zukunft ersetzt werden müssen durch die These, dass Europa seine Sicherheit vor allem gegenüber Russland gestalten muss.

VON ERNST-JÖRG VON STUDNITZ am 7. April 2023

Ernst-Jörg von Studnitz

Autoreninfo

Ernst-Jörg von Studnitz, Jahrgang 1937, ist ehemaliger Diplomat. Von 1995 bis 2002 war er deutscher Botschafter in Moskau.

Der ungewisse Ausgang des Ukraine-Krieges und die damit verbundene Hoffnung, dass die russische Aggression zurückgeschlagen werde, lassen wiederholt Überlegungen laut werden, dass einem möglicherweise zu einem Rückzug und damit in eine Niederlage gedrängten Russland die Schmach des verlorenen Krieges erspart werden müsse. In solchen Äußerungen wird dann ein Vergleich zur Niederlage des Deutschen Reiches am Ende des Ersten Weltkriegs und dem unheilvollen Vertrag von Versailles angestellt. Das müsse, so heißt es, dem großen und stolzen Russland erspart werden. Es ist zu fragen, ob dieser Vergleich wirklich stimmt und auch, ob dahinter nicht vielmehr die Sorge steht, ein gedemütigtes Russland werde nur auf Vergeltung sinnen.  

Da gegenwärtig kaum anzunehmen ist, dass Putin den von ihm inszenierten Krieg aus eigenem Entschluss aufgeben wird, ist eher daran zu denken, dass der Krieg nur nach einem wie auch immer sich vollziehenden Abgang Putins enden wird. Das könnte ähnlich wie 1917, als die russischen Truppen sich weigerten weiterzukämpfen, durch eine Meuterei an der Front in der Ukraine ausgelöst werden. Dafür gibt es angesichts der schlechten Versorgungslage der Truppe, gepaart mit Verantwortungsscheu der Offiziere, schon heute erste Anzeichen.

Denkbar wäre auch, dass die oberste militärische Führung in Moskau gegen Putin putscht, der die Armee, den Stolz Russlands, in eine katastrophale Niederlage geschickt hat. Ein solcher Schritt wäre in der Tat revolutionär, weil sich Russland immer gerühmt hat, dass es dort keinen Bonapartismus, das heißt Putsch des Militärs, gebe.

Geheimdienste könnten für Putin zur Gefahr werden

Eine dritte Gefahr für Putin könnte schließlich von den sogenannten Oligarchen ausgehen, die ihren Reichtum und dessen Sicherung bisher allein Putin verdanken. Sie könnten zunehmend daran zweifeln, ob sie darauf weiterhin vertrauen können. Fraglich ist allerdings, welche Druckmöglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen. Sie müssten nach Verbündeten im Machtapparat Ausschau halten. Hier kommt der Geheimdienstapparat ins Spiel, bis jetzt Putins wichtigster Rückhalt. Aber das kann sich auch ändern.

Catherine Belton hat in ihrem Buch „Putin’s People“ dargestellt, wie der KGB in der Spätphase der Sowjetunion sich auf eigene Interessen besann und in großem Umfang Gelder im westlichen Ausland in Sicherheit brachte. Sollten also maßgebliche Kreise im Geheimdienst FSB zu dem Schluss kommen, dass Putin gescheitert sei, könnte es zu einer Bewegung des „Rette sich, wer kann“ kommen. 

Mit dem sicheren, nur zeitlich nicht bestimmten Ende Putins stellt sich die Frage nach dem Schicksal Russlands. Wird es zu einem Chaos kommen, wie nach der Februarrevolution 1917, als die republikanischen Politiker nicht in der Lage waren, einen demokratischen Staat zu errichten, und ein Opfer der kaltblütigen Entschlossenheit der Bolschewiken unter Lenin wurden?

Das Ende der Zarenherrschaft bedeutete die Absplitterung der vom Zarenreich eroberten Randgebiete im Westen, der Baltischen Republiken, Finnlands und des sogenannten Kongresspolen, aber auch Weißrusslands und der Ukraine. Auch ging der ganze Transkaukasus verloren, wo heute die Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan bestehen. Ebenso versuchten die zentralasiatischen Eroberungen, und sogar der Ferne Osten, sich vom Russischen Reich zu lösen. Die Sowjetmacht konnte einen Teil dieser Sezessionen rückgängig machen, aber nach dem Ende der Sowjetunion 1991 errangen sich diese Staaten dann doch ihre Unabhängigkeit.

Putin bekräftigt Appelle an den russischen Patriotismus

1991 wurden aber weitere Bruchlinien sichtbar, besonders in den Bestrebungen der Völker des Nordkaukasus, Tschetscheniens, die zwei blutige Kriege um ihre Unabhängigkeit verloren. Auch die Lage in Dagestan ist höchst instabil. Mehr noch, nur mit Mühe gelang es der Regierung Jelzin, das Entstehen einer Uralrepublik mit dem Schwerpunkt Jekaterinburg und einer sibirischen Republik um Nowosibirsk zu verhindern. Der tatarischen Republik mit der Hauptstadt Kasan räumte Jelzin mehr Privilegien ein als irgendeinem anderen Gliedstaat der Russischen Föderation. Die Unruhen in Chabarowsk, im Fernen Osten, im Jahr 2020 bezeugten auch dort Widerstand gegen die Moskauer Herrschaft. Die auftretenden Risse im russischen Staatsverband wiesen auf die Eroberungsgeschichte des Reiches hin und könnten sich heute als mögliche Bruchlinien erweisen.

Putin bemüht sich, solchen nicht auszuschließenden Tendenzen durch wachsende, mit dem Ukrainekrieg bekräftigte Appelle an den russischen Patriotismus zu begegnen. Dass aber solche Befürchtungen vorhanden sind, ist deutlich geworden aus den wiederholt artikulierten Äußerungen, eine Entwicklung, wie sie zum Zerfall Jugoslawiens geführt habe, dürfe es in Russland auf keinen Fall geben. Diese Haltung erklärt auch die niemals wirklich aufgegebene Unterstützung für das Regime Milosevics in Jugoslawien.

Überholte These der deutschen Ostpolitik

Sollte es nach dem Ende Putins zu einem Machtübergang kommen, der der Entwicklung ähnelt, wie sie sich nach Stalins Tod vollzog, so wäre zunächst nicht klar, ob sich eine neue Einmann-Herrschaft oder eine Kollektivführung etabliert. Die zentrifugalen Tendenzen in Russland würden vermutlich gleichwohl auftreten.

Amerika und Europa sollten in dieser Situation nicht den Fehler der ausländischen Interventionen wie nach dem Zusammenbruch der Zarenherrschaft begehen. Das hätte eher die Folge, dass sich die russischen Abwehrkräfte gegen solche Eingriffe zusammenschlössen. Der Westen wäre also gut beraten, den Auflösungsprozess des russischen Kolonialreiches sich selbst zu überlassen. Das heißt in der gegenwärtigen Situation der Beurteilung, ob auf das russische Selbsterhaltungsinteresse bei einem Bemühen um die Beendigung des Ukrainekrieges Rücksicht genommen werden müsse, dass der Zerfall russischer Macht für den Westen von größerem Interesse für die langfristige Sicherung des Friedens in Europa ist.

Die überholte These der deutschen Ostpolitik, es gebe keine Sicherheit in Europa ohne Beteiligung Russlands, wird in Zukunft ersetzt werden müssen durch die These, dass Europa seine Sicherheit vor allem gegenüber Russland gestalten muss. Der Ausschluss Russlands aus dem europäischen Sicherheitssystem wirft allerdings die Frage nach dem russischen Nuklearwaffenpotential auf, die besonders dann kritisch ist, wenn sich der russische Staatsverband auflöst.

Der Westen sollte durch eine strikte Nichteinmischung in die schicksalhafte Entwicklung in Russland keinerlei Vorwand für den Einsatz von Nuklearwaffen geben, sodass diese durch länger dauernden Nichtgebrauch allmählich obsolet werden. Das ist auch dann zu erwarten, wenn das autokratische System in Russland durch ein demokratisches ersetzt wird.  

Auflösungsprozess liegt im Interesse des freiheitlichen Europa

Der skizzierte Auflösungsprozess Russlands liegt wegen der Eliminierung der von dort seit der Errichtung der Sowjetherrschaft für die Sicherheit Europas ausgehenden Bedrohung, die nur durch die Perestroika und Jelzin-Phase kurzfristig unterbrochen war, im elementaren Interesse des freiheitlichen Europas. Deshalb ist die eingangs gestellte Frage, ob auf Russlands Befindlichkeiten Rücksicht genommen werden müsse, zu verneinen.

Der letztlich anzustrebende Ausfall Russlands als globale Großmacht führt auch zu einer bedeutenden Verlagerung des die weitere Entwicklung im 21. Jahrhundert bestimmenden Großmachtkonflikts zwischen Amerika und China. China ist sich sehr wohl des Wertes eines starken Russlands an seiner Seite bewusst und wird in seinem weltpolitischen Auftreten durchaus durch einen Ausfall Russlands beeinträchtigt werden. 

Das Fazit für das westliche Verhalten im Ukrainekrieg ist deshalb eindeutig dahin zu ziehen, dass der Ukraine alle nur mögliche Unterstützung zuteilwerden muss, damit sie die russischen Aggressoren aus dem Lande vertreiben kann und so den Krieg gewinnt. Der Krieg wird nicht durch Eroberung russischen Territoriums gewonnen, wobei die Krim nicht zu Russland gehört, sondern durch den vollständigen Abzug der Russen. Die Sowjetunion hat auch den Afghanistankrieg durch Abzug verloren. Putin, der sich so oft auf das sowjetische Beispiel beruft, kann es auch in diesem Falle tun.“

https://www.cicero.de/comment/367834

Wie gesagt: Eine Möglichkeit und Option, jedoch ist eben die Farge, wenn es anders kommt, Putin sich eher wie die in den Memoiren vielzitierte Ratte in der Ecke verhält, kein Putsch stattfindet oder erfolgreich ist und die Wahlen in den USA anders als erhofft ausgehen? Wie Studnitz sagt: „Wie immer der Krieg auch endet“- obgleich er da ja ein Putsch-Szenario und einen völligen Abzug inklusive Krim momentan bevorzugt.

Kommentare sind geschlossen.