Buchrezension: Hilal Szegin „Deutschland erfindet sich neu“-der Anti-Sarrazin

Buchrezension: Hilal Szegin „Deutschland erfindet sich neu“-der Anti-Sarrazin

 

Thomas Wagner, M.A., Rezension zu Hilal Szegin (Hrsg.), Deutschland erfindet sich neu. Manifest der Vielen, Berlin 2011.

Anti-Sarrazin – Deutschland ohne Zuwanderung? Neue Deutsche melden sich zu Wort…

Da im September 2010 eine wahlweise als Integrations-, Islam- oder Sarrazin- Debatte auf besonders „perfide“ Weise – angestachelt durch das Magazin „Der Spiegel“ – die kruden Thesen des Ex-Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) in den Medien hochhielt, entschieden sich betroffene Menschen zu Wort zu melden. Der Schock über den Hass, die Verachtung und das Misstrauen, die Menschen wegen der „falschen“ Barttracht, oder Kopfbedeckung oder eines orientalisch klingenden Namens entgegenschlugen, veranlasste gläubige oder nicht gläubige Intellektuelle zu einer Entgegnung. Hilal Sezgin, Autorin, 1970 in Frankfurt am Main geboren, hat Philosophie, Soziologie und Germanistik studiert. Die freie Autorin sammelte Aufsätze von anderen Deutschen, die Kinder von Zuwanderern sind.

„Ein Fremder ist deshalb fremd, weil man ihn dem Eigenen entfremdet“. Mit dieser Haltung zieht eine breite Koalition aus rechten Feministinnen, gewendeten Altlinken, orthodoxen Klassenkämpfern, Kulturpapisten und Rechtskonservativen in den Kampf gegen den vermeintlichen Feind „Islam“. Für die Agitation der „Islamkritiker“ will Feridun Zaimoglu den Begriff „Kulturkampf“ vermeiden. Die Muslime – so die Vorwürfe – bildeten Parallelgesellschaften, seien Meister der Verstellung. Diese selbsternannten Humanisten bemühen bei der Argumentation sehr oft das Volk. Dabei fallen Begriffe, die an die Terminologie der NS-Ideologie erinnern. Um populäre Diskriminierungen wie ein Minarettverbot durchzudrücken, griff eine rechte Schweizer Partei sogar zu geschmacklosen Computerspielen, wie dem Abschießen der Muezzine. Keine Gedanken wurden dagegen in architektonische Konzepte, wie etwa die unauffällige Gestaltung von Minaretten in Wohnsiedlungen, investiert.

Wie Feridun Zaimoglu, ein mehrfach mit Preisen ausgezeichneter 47-Jährige Schriftsteller, der Kunst und Humanmedizin studiert hat betont, ist es unanständig, alte Einwanderer in den Hinterhofgebetsräumen als Anhänger eines fremden Glaubens zu beleidigen, ohne je einen Moscheeraum von innen gesehen zu haben und einzelne Menschen als „Haufen und Horden“ zu bezeichnen. Die Meinungsfreiheit, stets hochgehalten, wird von keineswegs nur konservativen Zeitgenossen dazu genutzt, um andere Menschen unflätig zu beleidigen.

Durch die pauschale Abqualifizierung von Menschen aus Staaten des islamischen Kulturraums – so die Botschaft eines Aufsatzes – drohe die Gefahr der Selbstidentifikation dieser Jugendlichen als „Muslime“. Das, obwohl viele Jugendliche eben nicht unbedingt religiös sind. Die Folgen dieser – unbegründeten – Abwehr gegen ein demographisches Faktum wären fatal, wie einer der Artikel zeigt.

Einer der Aufsätze zeichnet ein zwar fiktives, aber gespenstisch wirkendes Bild von Spandau im Jahr 2048. In einer verlassenen, menschenleeren Gegend vegetieren einige wenige Greise in einer Geisterstadt. Das wirft ein Schlaglicht auf die Folgen der Abschottung eines Staates, dessen Bevölkerung überaltert ist. In dem Text wird eine Rückblende auf die Zeit der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts geschildert: Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung, verschärfter Grenzschutz und Ausfall der Zuwanderung. Die Folge dieser unseligen Politik ist eben nicht „Reichtum für wenige Menschen“, sondern die totale Verarmung der gesamten Gesellschaft – und zwar ohne Alternative!

Das Buch lässt erkennen, wo die Ängste der Islamkritiker liegen. Die Bundesrepublik ist tatsächlich pluralistischer geworden – und es gibt Menschen, die Angst vor diesem Wandel haben. Und diese Menschen reagieren in alten Mustern: Pauschalisierung, Ablehnung und Ausgrenzung.

Die Autoren der Aufsätze repräsentieren einen Querschnitt durch eine Gruppe der jungen, deutschen Bevölkerung. Die Schriftsteller gehören eben nicht zu einer „bildungsfernen Schicht“ von Einwanderern, die eine Parallelgesellschaft bilden und die Sozialsysteme belasten. Nein, es handelt sich vielmehr um junge, erfolgreiche und intelligente Menschen, die dieses Land für eine aussichtsreiche Zukunft braucht. Innerhalb der grell gefärbten Umschlagseite findet der Leser seriöse und sachliche Artikel. In der derzeit aufgeheizten und hysterischen Stimmung ein notwendiges Buch!

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