Israels arabischer Frühling

Israels arabischer Frühling

Was mit einigen Zeltstädten von israelischen Studenten anfing, hat sich nun zum regelrechten Volksaufstand ausgewachsen.350 000 Israelis gingen in Tel Aviv auf die Strasse, um mehr soziale Gerechtigkeit und billigen Wohnraum zu fordern. Vorbei sind die Zeiten, als die Israelis sich in ihren eigenen Grundbedürfnissen zurücknahmen angesichts der arabischen Bedrohung und die Schere zwischen arm und reich in dem Land ständig auseinanderging. Vorbei könnten die Zeiten sein, dass Israelis akzeptieren, dass die israelische Regierung billigen, staatlich subventionierten Wohnraum nur in palästinensischen Siedlungsgebieten zur Verfügung stellt, um die Palästinenser aus Westjordanland zu vertreiben, während man in Tel Aviv, Haifa und anderen Städten einen Grossteil und ständig steigenden Teil seines Monatseinkommens für horrende Mieten bezahlen muss. Vorbei könnten die Zeiten sein, da sich die israelische Bevölkerung einen riesigen Rüstungsetat bei Sozialabbau gefallen liess. Noch sind die Forderungen einer Verknüpfung der sozialen Frage mit dem Rüstungsetat und der Siedlungspolitik nicht hergestellt, aber bei einigen der Aktivisten wird dies schon offen erwogen. Nicht zuletzt deswegen hat die Netanjahu/Liebermann-Regierung angekündigt, dass sie  auf die Forderungen der Demonstranten eingehen werde–sie versucht einer Entwicklung vorzugreifen, bevor sich ökonomische Forderungen zu politische Forderungen ausweiten. Die Massenbewegung könnte auch zu einer Revitalisierung der zunehmend marginalisierten Arbeiterpartei Israels führen, insofern sie diese Bewegung nicht verrät und damit erstmals seit langem wieder eine Alternative zu der Netanjahu-Likud-Liebermanndominanz bilden, die dann auch an der Aussenpolitik Rabins und Baraks anknüpft.Wichtig wäre, dass die arabischen Revolutionäre sich mit der israelischen Massenbewegung solidarisieren und gemeinsam eine Entspannung in den Beziehungen zwischen arabischen Staaten und Israel fordern, ein Ende des Siedlungsprogramms (billiger Wohnraum in Israel und nicht in Palästina!), die 2-Staatenlösung jetzt und die Kürzung der Verteidigungshaushalte aller Seiten zugunsten von Sozialausgaben.Israels und Arabiens Radikale werden natürlich versuchen, eine derartige Solidarisierung zu verhindern. Umso wichtiger ist es sie jetzt zu fordern. Bezeichnend ist, dass in westlichen Medien eine derart starke Bewegung kaum Resonanz in der Berichterstattung findet. Hier wird scheinbar mit zweierlei Mass gemessen: Wenn die arabischen Jugendlichen gegen unliebige Regime vorgehen—sehr gut. Wenn aber die israelische Jugend gegen ihre Regierung und den Verbündeten des Westens vorgeht, will man das nicht zu sehr an die grosse Glocke hängen. Zudem besteht ja auch Ansteckungsgefahr: Wenn schon die bisher so einigen Israelis sich so offen über die soziale Frage zerstreiten, wie könnte das dann erst in Europa aussehen, wenn die Finanzkrise durchschlägt und Sparprogramme gefahren werden? Man stelle sich ähnliche Massenproteste in Deutschland vor.

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