Digitalisierung aus linker Perspektive: Beteiligung und Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zeitalter der Digitalisierung

Digitalisierung aus linker Perspektive: Beteiligung und Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zeitalter der Digitalisierung

Global Review will eine Serie „Digitalisierung aus linker Perspektive“veröffentlichen.

Wir haben als erste Interviewpartnerin und Gastautorin für die Digitalisierung Prof. Dr Ursula Engelen-Kefer (Ex-DGB/SPD). Digitalisierung mehr aus der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Perspektive als Anfang.

Wir wollen aber auch versuchen Leute von der Krisisgruppe, der MG/Gegenstandpunkt, der Linkspartei und vielleicht die Wertkritiker um Ingo Elbe für Beiträge zu gewinnen, die da den marxistischen Standpunkt reinbekommen könnten, wie auch die Akzelerationisten um Armen Ariverssian bei der FU Berlin nachgefragt sind.Wir wissen aber nicht, inwieweit sie sich damit überhaupt schon beschäftigt haben und dies ein Thema innerhalb der Linken ist. Es gab mal ein Streitgespräch zwischen Karl Held und Robert Kurz über die Bedeutung der Digitalisierung, wobei Kurz eine Zusammenbruchstheorie vertrat, während die MG dies als „business as usual“ des Kapitalismus ansah. Möglicherweise ist die Digitalisierung und Industrie 4.0 auch Neuland für die Linke, weswegen wir mit dieser Serie eine Befassung mit diesem welthistorischen Thema anregen wollen.Wir starten unsere Serie „Digitalisierung aus linker Perspektive“ mit einem Gastbeitrag gewerkschaftlicher- und sozialdemokratischerseits, denn die Sozen scheinen so die einzige Kraft innerhalb der Linken, die praktisch mit diesem Thema konfrontiert werden und sich schon ganz defensiv, konstruktiv und eben nicht revolutionär damit beschäftigen:

 

Beteiligung und Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zeitalter der Digitalisierung

Gastautorin: Prof.Dr. Engelen-Kefer

BIOGRAFIE

Ursula Engelen-Kefer studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Dort wurde sie mit der Arbeit „Umschulung in einer wachsenden Wirtschaft“ über Arbeitsmarktprobleme in den USA promoviert. Zunächst war sie als freie Journalistin in den USA tätig. 1970 wurde sie als wissenschaftliche Referentin für Arbeitsmarktanalyse und Arbeitsmarktpolitik beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes eingestellt. 1974 holte sie der DGB als Leiterin des Referates Internationale Sozialpolitik, wo sie 1980 zur Leiterin der neu gegründeten Abteilung Arbeitsmarktpolitik aufstieg. In dieser Zeit vertrat sie den DGB in verschiedenen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Gremien der OECD, der EU und der Internationalen Arbeitsorganisation. Seit 1978 war sie Vertreterin des DGB im Vorstand der damaligen Bundesanstalt für Arbeit.

1984 wurde sie zur Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit benannt. In diese Zeit fielen heftige Auseinandersetzungen – um die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit in der Metallindustrie und den so genannten Streikparagraphen im Arbeitsförderungsgesetz – zwischen Bundesregierung, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, und den Gewerkschaften.

1990 wurde Ursula Engelen-Kefer zur Stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt. Diese Funktion erfüllte sie mit dreimaliger Wiederwahl bis Mai 2006. Gleichzeitig war sie alternierende Vorsitzende von Vorstand und später Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit. Darüber hinaus war sie über mehrere Jahre auch Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund – vormals Verband Deutscher Rentenversicherungsträger. Hierbei hatte sie heftige politische Auseinandersetzungen über die Zukunft der gesetzlichen Sozialversicherung und ihrer Organisationen einschließlich der Selbstverwaltung zu bestehen. Die Konflikte über den Abbau der  gesetzlichen Rentenversicherung durch die Riesterreformen  sowie die Einrichtung der Hartz-Kommission und deren Ergebnisse bis zu den Hartz-Gesetzen waren politische Höhepunkte. Ursula Engelen- Kefer war Mitglied in der Rürup-Kommission zur Reform der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.

Als Mitglied im Verwaltungsrat der Internationalen Arbeitsorganisation von 1990 bis 2008 war sie Sprecherin der Arbeitnehmer im Ausschuss für Vereinigungsfreiheit, mithin für die Durchsetzung von Rechten der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Tarifvertragsfreiheit auf internationaler Ebene.

1972 trat Ursula Engelen- Kefer in die SPD ein. Es war die Zeit der Ostpolitik und der Reformen von Willy Brandt. 1986 wurde sie zum ersten Mal in den Parteivorstand der SPD gewählt und war dort bis 2009 mit Wiederwahl alle zwei Jahre tätig.

Darüber hinaus war sie über Jahrzehnte Mitglied in der Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) sowie zwei Perioden in der Synode der EKD. Ebenfalls vertrat sie den DGB über mehrere Perioden im Senat der Max Planck Gesellschaft, im ZDF Fernsehrat und von 1990 bis 2006 im Aufsichtsrat von Saarstahl.

Seit ihrem Ausscheiden aus dem DGB war Ursula Engelen- Kefer als Lehrbeauftragte an mehreren Hochschulen tätig, vor allem an der Freien Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut, an der Alice Salomon Hochschule Berlin und an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA).  Dabei behandelte sie insbesondere die Themenbereiche der sozialen Gestaltung von Europäischer Integration und Globalisierung sowie der Arbeitsmarkt- und Personalpolitik für die Gesundheits- und Pflegeberufe. Am 28. April 2010 hat der Senat der HdBA Ursula Engelen-Kefer die Urkunde zur Ernennung als Honorarprofessorin für das Lehrgebiet ”Internationale und europäische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik” an der HdBA mit Wirkung vom 1. April 2010 überreicht. Sie ist im dreisemestrigen Lehr- und Forschungsbereich  tätig und behandelt zusätzlich die Themen von Demographie und Fachkräftesicherung.

Seit ihrem Ausscheiden aus dem DGB engagiert sie sich ehrenamtlich im Sozialverband Deutschland (SoVD) als Mitglied im Sozialpolitischen Ausschuß und Vorsitzende des Arbeitskreises Sozialversicherung sowie in den Landesverbänden Berlin-Brandenburg und Schleswig Holstein. Bei der Bundesverbandstagung des SoVD im November 2015 wurde sie in den Bundesvorstand gewählt.

Während ihres gesamten Berufslebens hat Ursula Engelen-Kefer vielfältige wissenschaftliche und politische Publikationen veröffentlicht, unter anderem ein Standardwerk zur Beschäftigungspolitik, das bisher in dreifacher Auflage erschienen ist.

Ursula Engelen-Kefer hat verschiedene Ehrungen auf nationaler und internationaler Ebene erhalten – insbesondere das Bundesverdienstkreuz am Bande, verliehen vom damaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm.

 

 

Beteiligung und Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zeitalter der Digitalisierung

Gastautorin: Prof.Dr. Engelen-Kefer


„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ so wird es von dem griechischen Philosophen Heraklit überliefert. Selbst wenn diese Weisheit aus einem halben Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung stammt, gewinnt sie gerade heute im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung zunehmend an Bedeutung. Dies gilt auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz als einem wesentlichen Teil von Arbeit und Arbeitsbedingungen. Entsprechend anpassen müssen sich auch Beteiligung und Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten sowie Gewerkschaften.

1. Neue Herausforderungen Seit Beginn der Industriegesellschaft im 18. Jahrhundert hat der technischorganisatorische Wandel die Arbeitsprozesse, die Erwerbsarbeit und die Gesellschaft insgesamt mehrfach grundlegend gewandelt. Der große russische Ökonom Nikolai Kondratieff unterscheidet hierfür seit 1780 sechs große Phasen, die sog. langen Wellen: von Bekleidung über Massentransport und Massenkonsum bis zur Ganzheitlichen Gesundheit. Die Entwicklung der Gewerkschaften und auch des Arbeitsschutzes sind eng mit den Auseinandersetzungen um die Arbeits- und Lebensbedingungen im Rahmen dieser großen Veränderungen verbunden. Im Vordergrund stehen heute und in absehbarer Zukunft die Digitalisierung, bekannt als Industrie 4.0, und die Gesundheit vor allem im Rahmen der demografisch bedingten Alterung in Bevölkerung und Beschäftigung.     a. Digitalisierung und Industrie 4.0 Nach Massenproduktion mit tayloristischer Arbeitsteilung seit Ende des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des Einsatzes von Informationstechnologien hundert Jahre später geht es jetzt um eine weitere Stufe, die „Industriearbeit neuen Typs“ oder die „Revolution des Digitalen“ durch die Vernetzung digitaler Produktion, Dienstleistungen und menschlicher Arbeit. Es entstehen neue Wertschöpfungsketten und gemischte Produkte z.B. aus materiellen Gütern, Dienstleistungen und Wissensarbeit – in vertikaler Vernetzung von Produktion, Dienstleistungen und Vertrieb sowie horizontal insbesondere zwischen Produzent, Zulieferer, Dienstleister, Kunde.

Dies stellt an Wirtschaft  und Beschäftigte, Betriebs- und Personalräte sowie Gewerkschaften  auch in Bezug auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz neue Anforderungen. Erstmals sind durch diese neue technische Revolution auch geistig/psychische Arbeitsprozesse betroffen mit allen Risiken und Chancen. Auf der einen Seite fallen physisch hoch belastende oder sich wiederholende Tätigkeiten weg. Auf der anderen Seite nehmen die Anforderungen an den Ein- und Überblick hochkomplexer digitaler Prozesse und Verfahren zu. Zudem ermöglichen die neuen digitalen Arbeitsformen für die Beschäftigten größere Spielräume bei der Wahl von Raum und Zeit. Gleichzeitig kann dies jedoch auch mit höherer bzw. unzumutbarer Belastung bei Erreichbarkeit, Verfügbarkeit, Überwachung und Kontrolle verbunden sein. Darüber hinaus kann diese „Revolution des Digitalen“ den humanen Rahmen der Arbeit weitgehend sprengen, wie z.B. in prekären Arbeitsformen von Befristung, Leiharbeit, Werkverträgen, Selbständigkeit und als vorläufiger Höhepunkt im digitalen Wettbewerb um einzelne Arbeitsaufträge, dem sog. Crowd Working.    Dabei ist noch nicht absehbar, ob und wieweit  Arbeitsplätze wegfallen, welche Qualifikationsanforderungen und Arbeitsbedingungen damit verbunden sind – vor allem ob und mit welchen Belastungen die betroffenen Beschäftigten dies überhaupt bewältigen können.  Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist hiervon massiv betroffen. Vor allem entstehen neue Gefährdungen, die zu psycho/somatischen gesundheitlichen Schäden führen. Wirtschaft und Sozialversicherungen schlagen inzwischen lautstark Alarm über die dramatische Zunahme der psychisch/somatischen Erkrankungen mit erheblich längerer Krankheitsdauer bis zum Burnout. Für den Arbeitsschutz erfordert dies die Anpassung der ergonomischen Gestaltung von Arbeitsmitteln und Arbeitsumgebungen an die digitalen Veränderungen der Arbeitsbedingungen. Dies muss auch  bei mobilen Arbeitsplätzen gelten. Dabei sind die Arbeitsschutzvorschriften einschließlich der Gefährdungsbeurteilung anzupassen und umzusetzen- z. B. die Arbeitsstätten- und Bildschirmverordnung. Gleichzeitig bieten die neuen digitalen Techniken auch erhebliche Chancen in der Entlastung von großen körperlichen Anforderungen sowie der Ermöglichung beruflicher Tätigkeiten auch für Menschen mit Behinderungen. Zu nennen sind hier nur die Exo- Skelette, die das Heben größerer Lasten erleichtern- z.B. auch bei den gesundheitlich belastenden Pflegetätigkeiten. Für Menschen mit Behinderungen können sie die Bewegungs-, Arbeits- und Berufsfähigkeit überhaupt erst ermöglichen. Begonnen wurde ein gesellschaftlicher Diskurs auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für die „Arbeit 4.0“- sozusagen als Gegenstück zur „Industrie 4.0“. Erklärte Absicht ist, die „digitale Revolution“ möglichst frühzeitig im Sinne „Guter Arbeit“ zu gestalten. Dazu gehören: Nutzung der räumlichen und zeitlichen Disponibilität zu mehr Autonomie und damit auch Work-Life Balance; Eingrenzung der Belastungen, insbesondere der ständigen Verfügbarkeit;

Qualifikationen und Kompetenzen und damit Verhinderung von digitaler Spaltung; Sicherstellung der erforderlichen Zugangs-, Kommunikations- und Teilhaberechte im Netz; Schutz der Daten und Persönlichkeitsrechte; Anpassung der Sozialen Sicherheit vor allem für Selbständige und Freiberufler.

b. Entwicklung in Demographie und Beschäftigung Bedeutsame Rahmenbedingungen für Arbeitsschutz und Gesundheitssicherung sowie Beteiligung und Mitbestimmung sind auch die Veränderungen in der Struktur der Beschäftigung. Demographisch bedingt erfolgt bereits seit Jahren eine Schrumpfung in Bevölkerung und Erwerbtätigkeit verbunden mit einer Verschiebung der Altersstrukturen nach oben.  Ein weiterer Trend ist die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und damit auch die Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.  Gleichzeitig ist ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik erfolgt- mit der sozial- und arbeitsrechtlichen Deregulierung in einem europaweit besonders großen Ausmaß. Hinzu kommen die Einschränkung der vorherigen großzügigen gesetzlichen Möglichkeiten zur Frühverrentung und die Heraufsetzung der gesetzlichen Altersgrenze von 65 auf 67 Jahre seit Anfang 2012 bis 2029.  Die Folgewirkungen sind positiv und negativ: Auf der einen Seite konnten die Beschäftigung erheblich gesteigert und die Arbeitslosigkeit verringert werden. Inzwischen gibt es in verschiedenen Berufsbereichen einen Mangel an Arbeits- und Fachkräften sowie Auszubildenden. Auf der anderen Seite hat die Ausweitung von prekärer Beschäftigung, Niedriglohnsektoren bis zu Armut bei Arbeit und im Alter den Beschäftigten erhebliche Belastungen aufgebürdet.   Eine der beherrschenden Herausforderungen in Wirtschaft und Politik ist der Mangel an Arbeits- und Fachkräften. Auf dem Arbeitsmarkt ist seit einigen Jahren ein Umschwung festzustellen: Zunehmenden Vorrang erhält die Ausschöpfung der Beschäftigungs- und Qualifikationsreserven bei den sog. schwerer vermittelbaren Arbeitskräften. Dies betrifft vor allem gering qualifizierte Jugendliche, Frauen, Menschen in höherem Lebensalter, mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund. Entscheidend wird immer mehr eine betriebliche Personalpolitik, die auf den Lebenszyklus und die persönlichen Bedingungen und Anforderungen ihrer Beschäftigten Rücksicht nimmt. Dazu müssen  die Arbeitsbedingungen- vor allem Arbeitszeit, einschließlich der Schichtzeiten und Qualifikationen- aber immer mehr auch Gesundheitssicherung und Arbeitsschutz – angepasst und umgesetzt werden. So ist es ausgesprochen bemerkenswert, dass z. B. eine Firma wie Conti dabei ist, ihre 20.000 Produktionsarbeitsplätze Demographie fest zu gestalten –wie gestern in einem Referat  auf dem A+A-Kongress dargestellt wurde. Ein solcher Wandel in der betrieblichen Personalpolitik wäre noch in den 1970er Jahren – der Hochphase der Politik der „Humanisierung der Arbeit“ (HdA)-  noch reine Utopie gewesen. Damals suchten die Unternehmen vor allem „olympiareife Belegschaften“ und der Betriebsratsvorsitzende, der Betriebsarzt sowie der Sicherheitsingenieur waren oft die letzten verbliebenen älteren Beschäftigten. c. Anforderungen an die Personalpolitik In den letzten Jahren wurde eine Fülle von Untersuchungen für die gewerblichtechnischen Tätigkeitsfelder durchgeführt und auf deren Grundlage Handlungsempfehlungen für die betriebliche Personalpolitik entwickelt. In einigen Branchen haben die Tarifparteien sog. Demografie-Tarifverträge vereinbart und umgesetzt.  Dabei kommt dem Arbeits- und Gesundheitsschutz zunehmende Bedeutung zu.

Zu verweisen ist hierbei auf das Projekt „INQA“ (Initiative „Neue Qualität der Arbeit“) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Beteiligung der Tarif- und Betriebsparteien sowie der Wissenschaft. Entwickelt werden hierbei Konzepte für eine Demografie feste betriebliche Personalpolitik. Organisiert werden aber auch praktischer Erfahrungsaustausch, Kooperationen zwischen großen, mittleren und kleineren Betrieben bis zu personellen Beratungshilfen. Hierzu gibt es eine Fülle praktischer betrieblicher Beispiele. In dem Projekt PINA (Gesund und qualifiziert älter werden in der Automobilindustrie – Partizipation und Inklusion von Anfang an)  wird in Kooperation von Wissenschaft und verschiedenen Automobilfirmen ein alters/alternsgerechte Personalmanagement am Beispiel der Automobilindustrie entwickelt. Dabei geht es nicht nur um die Vernetzung der betrieblichen Abläufe und der dabei beteiligten Akteure, sondern auch mit Trägern von Prävention und Rehabilitation- insbesondere mit Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherung.

 

2. Arbeitsschutz: rechtlicher Rahmen in EU Einen bedeutenden Aufschwung hat der Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Bundesrepublik  mit der umfassenden Rahmenrichtlinie zu Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit in allen Wirtschaftssektoren in der EU 1989 genommen. Dabei wurden auch die Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung verankert. Diese sind in den Folgejahren durch inzwischen 24 Richtlinien zu unterschiedlichen Arbeitsschutzaspekten und für verschiedene Sektoren und Personengruppen erweitert worden. Hierbei geht es einerseits um Schutz der Arbeitnehmer, aber auch Erhalt ihrer Gesundheit und Leistungskraft; zum anderen tragen europäische Standards zum Arbeits- und Gesundheitsschutz wesentlich zu fairen Bedingungen des Wettbewerbs bei. Auf diesen Grundlagen ist auch das Arbeitsschutzgesetz von 1996 in der Bundesrepublik durchgesetzt und laufend verbessert worden. Die umfassenden Grundpflichten des Arbeitgebers wie auch die Verankerung von Gefährdungsbeurteilung, Maßnahmenplanung und deren Aus- und Bewertung (Evaluation) sind verbindliche Regelungen von historischer Bedeutung. Dies gilt auch für die kontinuierliche Weiterentwicklung und Überwachung der praktischen Umsetzung dieses Dreiklangs der Arbeitsschutzvorschriften. Seit Einführung des Sozialdialogs auf der Ebene der EU 1997 sind die Sozial- und Tarifvertragsparteien in der EU aktiv an der Weiterentwicklung der Arbeitsschutzrichtlinien beteiligt

Der moderne „europäische“ Arbeitsschutz ist somit eine wichtige – wenn auch nicht alleinige-Basis, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. Bedeutsam  ist ebenfalls der  rechtliche Rahmen für die gesetzliche Unfallversicherung (SGBVII) vor allem mit den präventiven Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Die EU bleibt ein wichtiger Motor für den Arbeitsschutz auch in der digitalen Arbeitswelt. In ihrem aktuellen Rahmen für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2014-2020 geht es vor allem um:

Einführung wirksamer Risikopräventionsstrategien in Klein- und Kleinstunternehmendie Verbesserung der Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen;

Berücksichtigung des Alterns der Erwerbsbevölkerung. Besonders gefördert werden Online Plattformen für die interaktive Gefährdungsbeurteilung einzelner Tätigkeitsbereiche.

Ebenfalls verbessert werden soll die Wirksamkeit der Überwachung durch die nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden Dies sind hochaktuelle und brisante Problembereiche, die auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle spielen.

 

3. Anforderungen an die Mitbestimmung Basis der betrieblichen Mitbestimmung sind für die Fragen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und der Qualität der Arbeit insgesamt im Wesentlichen noch immer das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und die analogen Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder. Die Betriebsräte haben danach umfassende Kontroll- und Mitbestimmungsrechte, die auch Raum für Anpassungen an die veränderten Bedingungen der Arbeitswelt und damit der Anforderungen der Arbeitnehmer ermöglichen. Die ca. 750.000 Betriebs- und Personalräte in unserem Lande sind auch unter Standortgesichtspunkten eine wirksame Schutz- und Gestaltungsmacht. Die Koppelung dieser Mitbestimmungsrechte an das moderne Arbeitsschutzrecht stellt noch heute einen in vielen Bereichen bei weitem nicht ausgeschöpften Rahmen dar. Gerade bei Klein- und auch Mittelbetrieben, aber auch in den vor allem personenbezogenen Dienstleistungsbereichen mit einer besonders hohen Leistungsverdichtung gibt es erhebliche Nachholbedarfe bei der praktischen Durchsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – vor allem bei der Prävention.

Risikoverringerung durch rechtzeitige und wirksame Analysen der Gefährdungen in einzelnen Arbeitsbereichen und deren Beseitigung. Hier liegen entscheidende Aufgaben für die Mitbestimmung der Betriebsräte – sofern sie überhaupt eingerichtet werden konnten – sowie die Einflussnahme der Gewerkschaften über tarifliche und betriebliche Regelungen.

Die Betriebsräte blieben dabei, was sie immer waren: Anwälte für die Nöte einzelner Beschäftigter. Dass sie durch die neuen rechtlichen und ökonomischen Möglichkeiten im Arbeits- und Gesundheitsschutz in einem sehr praktischen Sinne auch zu „CoManagern“ werden konnten, zeigt die heutige Spannbreite der Tätigkeit der betrieblichen Interessenvertretung.  Die Tätigkeit der betrieblichen Interessenvertretung ist heute sehr viel anspruchsvoller geworden. Der moderne Arbeits- und Gesundheitsschutz gibt breiten Raum für Mitbestimmung, macht aber oft keine festen Vorgaben mehr, was häufig auch gar nicht mehr möglich ist. Die neuen Möglichkeiten erfordern also auch mehr und neue Qualifikationen der Interessenvertretung und Unterstützung wie z. B. durch die Bildungs- und Beratungsangebote der gewerkschaftlichen Technologieberatungsstellen. Die „digitale Revolution“ erfordert vor allem Regelungen zum Schutz von Arbeitsbedingungen, Persönlichkeitsrechten und Datenschutz, zur Qualifikation, Partizipation und Verhinderung unzulässiger Überwachung auch für mobile Arbeit. Dies gilt ebenso für die neuen Formen digitaler Beschäftigung – von prekärer  unselbständiger und selbständiger Tätigkeit bis zum Crowd Working.  Neue Beteiligungsmöglichkeiten sind heute gerade in vielen modernen, hochproduktiven Unternehmen Realität. In den 1970er Jahren, als die Betriebsverfassung geschaffen wurde, waren diese Möglichkeiten noch kaum absehbar. Die damaligen Konzepte einer „Mitbestimmung am Arbeitsplatz“ waren eher eine Weiterentwicklung der Nutzung des rechtlichen Rahmens der Betriebsverfassung für einzelne Arbeitnehmer. Die neue Beteiligungswelt in vielen Unternehmen ist allerdings eher ein „Danaer“ Geschenk, in dem den Beschäftigten durch die Vorgabe der Arbeitsergebnisse gleichzeitig auch die Verantwortung des Unternehmers mit aufgebürdet wird. Der  „Entgrenzung“ und „freiwilligen“ Unterminierung insbesondere der Arbeitszeit-Bestimmungen wird hierdurch Vorschub geleistet. Das gilt erst recht für die im rechtlichen Sinne wirklich Selbständigen, ganz besonders in neuen Formen wie dem sog. Crowd Working. Hier müssen die Gewerkschaften  neue „Wieder“-Begrenzungen erkämpfen, die vor allem auch Menge, Intensität und zeitliche Verteilung der Arbeitsleistung selbst angehen. Für die neuen Selbständigen bedeutet dies vor allem Einflussnahme der Betriebsräte  auf das Werkvertragsrecht. Damit sind neue, vor allem auch tarifliche Konzepte für den großen Bereich der Zeitlöhne erforderlich – ein wichtiger Aktionsbereich für die Gewerkschaften.

In dieser Richtung sind auch tarifliche Auseinandersetzungen wie in diesem Jahr bei der Charité oder vor einigen Jahren bei den Kitas in NRW zu sehen,wo es auch und gerade um eine bessere Personalausstattung ging. Auch hierbei spielen Arbeits- und Gesundheitsschutz ein wichtige Rolle- insbesondere die Konzipierung und Umsetzung von beteiligungsorientierten Gefährdungsanalysen sowie überbetriebliche Rahmen z.B. durch lokale und regionale Gesundheitszirkel unter Beteiligung von Sozialversicherungsträgern und Unternehmen. Im Bereich der überbetrieblichen Mitbestimmung ist gerade für den Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auf die Selbstverwaltung der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) hinzuweisen. Bei der Verabschiedung des SGB VII 1996 ging es den Gewerkschaften um die Leitvorstellung einer gesetzlichen Unfallversicherung als moderne Institution der Sozialpartner zur umfassenden überbetrieblichen Unterstützung einschließlich Regelung und Kontrolle der Betriebe in allen Fragen von Sicherheit, Gesundheit und menschengerechter Arbeitsgestaltung. Bei aller noch zu leistenden Arbeit ist die GUV eindeutig auf diesem Wege und hat sich durchaus in vieler Hinsicht zu einer Art „Agentur für Prävention“ entwickelt. Die Mitwirkung in dieser im internationalen Vergleich einmaligen Institution der Selbstverwaltung gilt es zu nutzen und auszubauen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit den Selbstverwaltungen in anderen Zweigen der Sozialversicherung.

 

4. Arbeitsschutz global gestalten Die Globalisierung sowie weltweite Produktions- und Dienstleistungsketten erfordern eine stärkere Befassung mit den internationalen Bedingungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Jetzt hat sich sogar der G7 Gipfel in Schloss Elmau damit befasst und mehr Arbeitsschutz und Sozialstandards angemahnt. Gemeinsam mit der ILO sollen Basisstrukturen des Arbeitsschutzes, der Aufsicht und Beratung sowie der Einrichtung einer gesetzlichen Unfallversicherung. Es ist in dieser Form neu, das sich die Weltforen und Weltorganisationen der Ökonomie ernsthaft mit Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes befassen.  Dazu haben die sich häufenden katastrophalen Missstände recht- und schutzloser Arbeitnehmer bei den Billiglohn-Zulieferern in den Entwicklungsländern und vor allem der verheerende Rana-Plaza Fabrikeinsturz in Bangladesch mit mehr als 1.100 Toten vor zwei Jahren beigetragen. Der Aktionsplan Bündnis für nachhaltige Textilien des BMZ und die Initiative Gute Arbeit weltweit von BMAS und BMZ stellen ein neues Kapitel für den Arbeitsschutz, aber auch die gewerkschaftliche Politik und auch die Mitbestimmung auf betrieblicher und überbetrieblich vor allem in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Ab nächstem Jahr soll der internationale Vision Zero Fund zur Vorsorge gegen Arbeitsunfälle  und arbeitsbedingte Erkrankungen seine Arbeit aufnehmen. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Fonds, der in der Verantwortung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) liegen soll, auch tatsächlich zeitnah umgesetzt wird und genügend finanzielle sowie personelle Ressourcen- aber auch die notwendige Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit – zu einem wirksamen Einsatz für drängende Projekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in den betroffenen Entwicklungsländern erhält. Auch dies ist eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Gewerkschaften, die in den Aufsichtsgremien der IAO drittelparitätisch vertreten sind oder über die freiwilligen Vereinbarungen in den Betrieben zu Arbeitsschutz- und Sozialstandards Einfluss nehmen können und müssen.

Auch in Deutschland ist die Kontrolle der Nachhaltigkeit in der Lieferkette Aufgabe für Betriebs- und Personalräte. Der Textilbereich ist ein Beginn, dem andere Produktgruppen folgen sollen und müssen. Internationale Solidarität gewinnt durch diese Entwicklungen an Nähe zur Realität. Mitbestimmung in den neuen gesetzlichen Unfallversicherungen der Herkunftsländer zu entwickeln ist auch Aufgabe der deutschen Gewerkschaften. Dies ist ein Beitrag zur Anhebung der weltweiten Arbeitsbedingungen, damit die weltweite Konkurrenz nicht mehr über die verheerenden Formen der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft betrieben wird.   5. Schlussbemerkung Die Gewerkschaften haben den technisch-organisatorischen Wandel immer mitgestaltet – mit in der Vergangenheit oft enger begrenzten Möglichkeiten der Mitbestimmung. Sie können und müssen dies auch heute und in Zukunft tun. Dabei sind die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Beteiligung und Mitbestimmung in Betrieb, Unternehmen, Tarifpolitik, Selbstverwaltung sowie dem Arbeits- und Sozialrecht bestmöglich auszuschöpfen und an die veränderten Arbeitsbedingungen anzupassen. Die ökonomischen Rahmenbedingungen mit demografischer  Entwicklung einerseits und digitalisierter weltweiter Ökonomie anderseits bieten Risiken, aber auch Chancen. Ausschlaggebend dabei wird ebenso sein, inwieweit die berufliche und gesellschaftliche Integration der nach Europa und  Deutschland zuwandernden Menschen gelingt

 

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