Gott und Kapital

Gott und Kapital

„Hoffen in der Wohnungskrise“, titelte kürzlich der Berliner Tagesspiegel und informierte seine Leser darüber, dass die Mieten vielleicht in drei bis fünf Jahren etwas sinken werden.

„Die Mieter könnten zumindest ein bisschen auf bessere Zeiten hoffen“, schrieb Thomas Öchsner in der Süddeutschen vom 21. Februar (S. 17) zum selben Thema.

Früher hofften wir auf Gott. Heute hoffen wir auf einen imaginierten Markt. Oder eigentlich immer noch auf Gott, auf einen modernisierten. Der Unterschied: Früher bekannten wir uns zum Glauben und zum Nichtwissen. Heute halten wir uns für wissend und sind angesichts dieser grandiosen Selbstüberschätzung dümmer als unsere Vorfahren. Wir sind gehirngewaschen bis zum Anschlag, gerade weil wir uns für rational und aufgeklärt halten. Preisgünstige Wohnungen für alle müsste das selbstverständliche Ziel lauten, dass innherhalb weniger Monate zu realisieren wäre. Stattdessen: Hoffen, dass das Kapital sich in Zukunft doch bitte andere Spielplätze suchen möge.

Wäre das Kapital auf funktionierende Märkte angewiesen, es verlöre mit sofortiger Wirkung die Lust am Spiel. Es braucht Knappheit wie die des Bodens. Und es braucht eine sich für über alle Maßen informiert haltende Gesellschaft, die auf dieser Grundlage jede Zumutung für rational hält, die in Wahrheit aber lediglich das Objekt der Anbetung gewechselt hat. Von Gott zum Kapital. Emanzipation sieht anders aus.

Ich glaube nicht, dass der gescheiterte Realsozialismus noch daran Schuld hat, dass man sich den Perversitäten des Kapitals so bedingungslos aussetzt. Dass es keine Alternative gibt, liegt eher an der Logik der Verhältnisse: So wie man vor Gott nicht entweichen konnte, kann man es heute vorm Kapital nicht. Man akzeptierte es damals und man akzeptiert es jetzt. Es ist die neoliberale Logik, die ihre ungemeinen Erfolge zeitigt.

Andererseits: Gott wurde abgeschafft, weil dessen Verblödungsstrategie zu offensichtlich wurde. Man kann durchaus annehmen, dass sich Geschichte wiederholt. Irgendwann. Leider besteht dann nach wie vor die Gefahr, dass der nächste Gott etabliert wird.

https://exportabel.wordpress.com/2018/03/22/gott-und-kapital/#respond

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