Blüm und Geißler im Sudan: Deutsche Massas auf Menschenrechtssafari

Blüm und Geißler im Sudan: Deutsche Massas auf Menschenrechtssafari

Nachdruck aus der Studentenzeitschrift Streitblatt Nr. 9, Januar 1999

Just zur Weihnachtszeit, als die CDU-Spendenaffäre weitere Niederungen erreichte, begaben sich Heiner Geißler und Norbert Blüm auf Wanderung durch die sudanesischen Nubaberge. Nicht der schönen Landschaft wegen, sondern in politica res, demonstrierten die beiden CDU-Politiker und Mitglieder des Freundeskreises der Cap Anamur christliche Nächstenliebe im Umfeld christlicher Milizen, welche gegen die islamisch orientierte Zentralregierung und Militärdiktatur des Sudans kämpfen. Der antipazifistische, christliche Kreuzzügler und Generalfeminist Geißler und sein arbeitnehmerflügelnder Kollege Norbi forderten in ihrem Appell »vor allem an die Bundesregierung« eine »aktivere Rolle bei einer Friedenslösung«, eine »Mittlerrolle nicht nur im Sudan, sondern in ganz Afrika« (SZ v. 29.12.1999).

Mehr Druck solle auf die UNO ausgeübt werden, sich dort zu engagieren. Weiter am Pranger standen UNICEF und andere Hilfsorganisationen, die »der Bevölkerung« keine Hilfe zuteil werden ließen.

Von der sudanesischen Regierung wurde ein Ende der Bombardierungen und die Abschaffung der Sklaverei gefordert.

Auffällig ist, dass die Gegenseite in dem Krieg entweder gar nicht benannt wird oder aber pauschal als »die Bevölkerung« firmiert. Die Parteinahme steht also schon fest. Kriegsschuldiger ist demnach die sudanesische Zentralregierung UND implizit die JETZIGE deutsche Bundesregierung, die erstere »gewähren« lasse. So ganz nebenbei erfährt man noch, dass die Bewohner dieser Region »seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg geplagt sind« und »versklavt werden«, d.h. demzufolge also mindestens schon unter den 16 Jahren Kohlregierung. Dass dies den beiden CDU-Strategen gerade JETZT einfällt, hat ja auch recht offensichtliche Gründe:

INNENPOLITISCH: SPENDENAFFÄRE UND FLÜGELSTREIT – RICHTUNGSKAMPF IN DER CDU

Klar, dass man die Sudanreise der beiden CDUler als Ablenkungsmanöver vom Parteispendenskandal deuten kann. Motto: Während die unten sterben, haben wir hier kleinkariertes Parteiengezänke, dass sie CDU, damit die Demokratie schwächt und die Nation entzweit. Doch dies bliebe ein wenig an der Oberfläche. Denn die gegenwärtige Spendenaffäre überdeckt ein wenig, dass es in der Union auch schon zuvor inhaltliche Differenzen bezüglich der Ausrichtung der Post-Kohl-CDU gab.

»Orientierungslosigkeit«, »vage Programmatik« und »Identitätskrise« waren da die Befunde- auch konservativer Blätter . Die CDU erscheine nur deshalb so gut, weil sie als Opposition alles mögliche verspreche wie Schröder zuvor, wie somit auch ihre mangelnde Einigkeit bezüglich zukünftiger Ausrichtung überdecke. Sie erscheine so gut, weil die anderen so schlecht seien (FAZ). Letztendlich zehre die CDU vom Übervater und Wiedervereinigungskanzler Kohl (BILD: »57% wollen Kohl zurück«), an dem sich noch viele Unionisten klammerten mangels eigener Perspektive. Daher trat auch Rezzo Schlauch, infolge Grüne und SPD die Kampagne los, die im wesentlichen auf die abrupte Demontage Kohls abzielt und die inneren Widersprüche der Union zuspitzen soll. Denn damit wird die POST-KOHL-ZEIT unwiderruflich eingeleitet. Neben dem Gehakel Schäuble contra Stoiber, sieht der unter Kohl zusammengestutzte »linke Flügel der CDU«(?) um Geißler und Blüm seine Chance in Sachen Neuausrichtung der CDU, Terrain und Initiative zurückzugewinnen — sowohl in der eigenen Partei, wie auch gegenüber der SPD/ Grünen-Regierung. Die Sudaninitiative soll da Wählerpotential der umkämpften rot-grünen Mitte außenpolitisch mit der Themenkombination Menschenrecht, Humanität, Zivilgesellschaft, Europa und Frauenpolitik abspenstig machen.

Denn der Sudan eignet sich hervorragend als Objekt derartiger Begierde nach der Formel:

SUDAN= – MILITÄRDIKTATUR

– ISLAMISCHE FUNDAMENTALISTEN

– FRAUENFEIND

– SKLAVENHALTERGESELLSCHAFT (Onkel Toms Hütte lässt grüßen)

– TERRORISTEN

Zusammen genommen ergibt dies also Propagandastoff für einen christlich-humanitären-antifeudalistisch-feministischen Befreiungskreuzzug gegen einen Schurkenstaat par excellence. Stark anzunehmen, dass MONA LISA, EMMA und Frauenmagazine aller Länder unter Generalfeminist Geißler in die Schlacht ziehen würden. Von wegen da lang Fackeln im Sturm — Back to the ROOTS und quotierte Bundeswehr für den SISTER ACT zur Befreiung der Schwarzen Schwestern von den sklavenhaltenden Moslemmachomonstern. Zumal weibliche Bundeswehr da als kämpfende Emanzipation zukünftig Vorbildcharakter haben soll, nach innen, wie nach außen. Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Sachen quotierter Truppe kommt da truppenbegleitend recht passend. Zukünftigen Kriegsgegnern kann so der Machovorwurf gut reingedrückt werden. Da ist wieder einiges an moralischer Empörung mobilisierbar und instrumentalisierbar.

AUßENPOLITISCH: SCHRÖDERS AFRIKAKORPS IN ÄGYPTEN & CHRISTLICHE MENSCHENRECHTSMASSA IM SUDAN – EIN DEUTSCHER BEITRAG ZUR EUROPÄISCHEN SÄULE DER NATO

Wichtig ist es die Konstellation zu sehen, in die die »Friedensmission« der Unionisten fällt. Die USA erhöhen ihre Rüstungsausgaben, wie sie auch mehr Beteiligung durch die Europäer fordern. Der Gesamtumfang der Rüstungen, wie der zukünftig geplanten Aktionen wird also eher zunehmen, wie auch der Einsatzbereich gerade definiert wird. So erklärte General Naumann schon im April 1999 zur neuen NATO-Strategie:

»Sie muss durch das Verhindern von Krisen an der Peripherie und darüber hinaus den Schutz des Bündnisgebiets erhöhen.« . Und die konservative WELT kommentierte:

»Wie der Kosovo-Krieg die Strategie der NATO verändert (…). Noch ist nicht klar, wo die Grenzen eines solchen Einsatzgebietes gezogen werden. Sicher scheint, dass der gesamte Mittelmeerraum zu diesem Einsatzgebiet gezählt wird, also Nordafrika, aber auch der Mittlere Osten. NATO-General Naumann nennt dies »Förderung von Stabilität durch Projektion von Stabilität« (WELT v. 13 April 1999).

England und Frankreich übernahmen November/Dezember 1999 die Initiative zum Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe. Neben EU-Beschlüssen zur Logistik, zogen die beiden Staaten zusammen mit den USA und erstmals auch Deutschland ins Manöver ‚Bright Star’ in Ägypten. Mit geeigneten »Schurkenstaaten« als Nachbarn: Libyen und Sudan. Der britische Verteidigungsminister Hoon sprach in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer europäisch-ägyptischen Verteidigungsallianz. Die Blüm-/Geißler-Reise in den benachbarten Sudan soll also für Deutschland außenpolitisch die Initiative wiedergewinnen. Der Sudan als Bewährungsfall für eine deutsche Mittlerrolle in Afrika, deutscher Vorreiterschaft gegenüber UNO, EU und NATO. Die Grenzen in Nordafrika werden somit ausgelotet, denn die Menschenrechtssafari im Sudan kommt genau zu dem Zeitpunkt, als deutsche Truppen in Ägypten schon einmal um Weihnachten herum probten. Somit ergibt sich für die EU ein geeignetes Zielobjekt für ihre Europäische Sicherheits- und Verteidigungsinitiative und Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). So hoffen Geißler und Blüm die Krise der CDU, wie auch deren programmatische Neubestimmung (Realpolitik- vs. Menschenrechtspolitik) dadurch zu erreichen, dass sie die rot-grüne Regierung unter Zugzwang setzen wollen. Der Zeitpunkt kommt wie gerufen: Weihnachtszeit- Europäische Verteidigungssäule- Bright Starmanöver in Ägypten mit Schröders Afrikakorps. Die USA, Großbritannien und Ägypten haben mit dem Sudan schon lange eine Rechnung offen. Zum einen steht der Sudan auf der Schurkenliste der USA. Ägypten ist der Fundamentalistenstaat auch ein Dorn im Auge- spätestens seit dem misslungenen Attentatsversuch auf den ägyptischen Präsidenten Mubarak während seines Äthiopienbesuches- als Drahtzieher gilt der Sudan. Die US-Bombardements und die Bright-Star-Manöver gegen den Sudan zeitigen ihre Wirkung. Nachdem der Sudan Osman Bin Laden auswies, haben sich die sudanesischen Militärs von ihrer eigenen fundamentalistischen Partei um Turabi getrennt. Hier sehen Geißler/Blüm nun ihre Chance gekommen , Deutschland ins Spiel zu bringen und dem Sudan Friedensbedingungen als Vermittler zu offerieren. Freilich sind die Forderungen zugleich Drohungen — denn sollte der Sudan nicht so, wie »wir« es wollen, könnte sich da ja eine westliche Front gegen ihn ergeben. Denn auch dieses Jahr stehen wieder Bright Star Manöver in Ägypten an. Bis Jahresende hat die sudanesische Regierung also noch Zeit sich zu fügen.

Umgekehrt deutet sich schon jetzt eine andere Option an: Libyen. Denn inzwischen wurde von britischen Medien lanciert, dass Teile von Mittelstreckenraketen mit Bestimmungsort Libyen abgefangen wurden. Deutschland und Italien haben gute Kontakte zu Libyen und beziehen zu je 12%, bzw. 24% ihrer Ölimporte aus dem Lande Ghaddafis. Italien hatte erst kürzlich die diplomatische Isolation Libyens durchbrochen und Ghaddaffi will mit der EU ein Abkommen unterzeichen. Dem wollen die USA und Großbritannien entgegenwirken. Bis zu den nächsten Manövern in Ägypten ist also noch genug Zeit, um für genug Propagandastimmung zu sorgen und Koalitionen zu schmieden. Möglich durchaus, dass der erste Testfall für die europäische Säule in Nordafrika ihre Bewährung findet. Damit die friedliche Weihnachtsstimmung da nicht verfliegt, haben Geißler und Blüm für Januar ihren nächsten besuch im Sudan angekündigt. Der Auftritt im Stern-TV am 13.Januar 2000 bei Günther Jauch dürfte die sanfte Einstimmung gewesen sein. (ro)

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